Drei Monate nachdem Cliff und Fred von ihrer Deutschlandreise zurück waren, bekam Cliff per Post einen etwas eigenartigen Brief.
„Du Fred“, teilte er seinen Freund mit, der eben aus dem Bad kam. Die beiden bewohnten schon einige Zeit ein gemeinsames Appartement in einem der Hochhäuser im Zentrum New Yorks. „Heute kam ein Brief von meinem Vater. Irgendwie werde ich daraus nicht ganz klug.“ Er reichte Fred das mit eng beieinander stehenden Buchstaben gefüllte Blatt Papier.
Interessiert las Fred die Zeilen, die darauf standen:
Lieber Cliff
Du weißt, ich tue mich ein wenig schwer, Deine Entscheidung, mit einem Mann zusammen zu sein, zu verstehen und zu akzeptieren. Als Du uns mit Fred besuchtest und uns Deine Neigung gestanden hast, war ich enttäuscht von Dir, sehr enttäuscht sogar. Ich konnte es nicht glauben, dass mein einziger Sohn schwul sein soll. Wie Du weißt, solltest Du später meine Firma führen, wenn ich einmal in den Ruhestand gehen sollte. Mit Deinem Geständnis fielst Du damals mit deiner Neigung zu Männern als mein Nachfolger aus. Ich sah Dich nicht als eigenständig denkende Person, sondern als Ding, als Gegenstand, mit dem ich tun und lassen konnte, was ich wollte und das nur tun sollte, was ich verlangte. Doch das ist falsch. Das habe ich inzwischen eingesehen.
Deine Mutter nahm Dein Outing zu meinem Erstaunen viel gelassener hin als ich. Doch sie ist Deine Mutter und wird Dich immer lieben, egal was passieren wird. Ich weiß, dass du und sie weiterhin hinter meinem Rücken Kontakt hattet. Nein, keine Sorge, ich bin Euch deshalb nicht böse. Ja, ich verstehe es sogar. Das Band, das es zwischen Euch gibt, ist nur sehr schwer zu durchbrechen. Da stehe ich als Vater nur daneben.
Ich dagegen hadere immer noch mit mir selber, was ich bei Dir und Deiner Erziehung falsch gemacht habe könnte, warum Du schwul geworden bist. Deine Mutter redete mit Engelszungen auf mich ein, mich doch zu überzeugen, mich an deinen seltsamen Lebenswandel zu gewöhnen. Du wärst doch unser einziger Sohn. Doch es ist nicht einfach für mich, es als gegeben hinzunehmen. Dennoch sehe ich ein, dass es Dein Leben ist, das Du leben musst und nicht meines und Du Deinen eigenen Weg gehen musst. Deshalb möchte ich Dir sagen, dass Du glücklich sein sollst, so wie Du bist und wie Du Dein Leben gestalten möchtest, auch wenn Dein Lebenspartner ein Mann ist und keine Frau.
Deine Mutter und ich haben viel miteinander gesprochen. Auch über unsere Beiziehung zu Dir. Ich habe eingesehen, dass ich falsch gehandelt habe, als ich Dich nach Deinem Outing verstieß. Wie ich das Dir gegenüber je wieder gut machen kann, weiß ich nicht. Ich hoffe aber sehr, dass Du mir eines Tages verzeihen kannst.
In Liebe Dein Dad
PS: Wenn Du es mit Deinem Freund möglich machen könntest, uns am nächsten Sonntag zu besuchen, würde ich mich sehr freuen. Deine Mom und ich müssen Dir beziehungsweise Euch etwas mitteilen. Wenn Du nicht zu uns kommen willst, kann ich das verstehen.
„Hm, was soll ich von diesem Brief halten“, meinte Fred kopfschüttelnd als er zu Ende gelesen hatte.
„Ich weiß es auch nicht. Deshalb zeigte ich ihn dir ja“, antwortete Cliff. „Irgendwie habe ich das dumme Gefühl, meine Eltern haben etwas vor.“
„Dass es deinem Dad leid tut, wundert mich ein wenig. So wie er sich aufgeführt hat, das war ja grauenvoll“, erwiderte Fred. „Nur, was sollen deine Eltern vorhaben. Die Einladung kommt etwas plötzlich, genau so der Sinneswandel deines Dads. Ich denke, wir können das nur erfahren, wenn wir die Einladung annehmen.“
„Du hast recht“, sagte Cliff nach einiger Überlegung. „Anders werden wir nie erfahren, was meinem Dad in den Sinn gekommen ist. Am besten rufe ich gleich an und melde uns für den Sonntag an.“
Cliff stand auf und ging zum Telefon. Er nahm den Hörer in die Hand und starrte ihn an, so als könne der ihm Antworten auf seine Fragen geben. Doch dann wählte er die Nummer seiner Eltern.
Nachdem es einige Male geklingelte hatte, klickte es im Hörer. „Hallo Mom, hier ist Cliff“, rief dieser in den Hörer, noch ehe seine Mutter sich melden konnte.
„Oh, Cliff. Wie schön, dass du anrufst“, freute sich seine Mutter. „Du hast schon so lange nichts mehr von dir hören lassen. Aber ich weiß, es ist schwer, mich alleine zu Hause anzutreffen. Und wenn dein Dad zu Hause ist, dann ist das Telefonieren etwas kompliziert. Was gibt mir eigentlich die Ehre deines Anrufes?“
„Muss man immer einen Grund zum Anrufen haben?“, antwortete Cliff lachend mit einer Gegenfrage.
„Nein, natürlich nicht“, versuchte sich Cliffs Mutter aus der Misere zu ziehen. „Aber nun sag schon, was hast du auf dem Herzen.“
„Na ja, nicht direkt was auf dem Herzen“, sprach Cliff weiter. „Dad hat mir einen Brief geschrieben und mich samt Fred für den Sonntag zu euch eingeladen. Ich wollte nur zusagen.“
„Dad hat dir einen Brief geschrieben?“, fragte Mutter Mary erstaunt.
„Ja, darin meinte er, er hätte uns was zu sagen. Weißt du, was er vorhat?“
Cliff bemerkte die plötzliche Stille am anderen Ende. „Mom, bist du noch da?“, rief er.
„Ja, ja, ich bin noch da“, stotterte seine Mutter. „Ich bin nur etwas überrascht über deinen Vater. Was er im Schilde führt? Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nichts von einem Brief.“
„Hm, das ist ja äußerst komisch“, meinte Cliff. „Sag Dad halt einfach, dass wir seine Einladung für den Sonntag annehmen. Okay? Da müssen wir uns halt überraschen lassen.“
„Ich muss auflegen, machs gut, mein Sohn“, vernahm Cliff aus dem Hörer, dann wieder ein Klacken und die Verbindung war beendet.
„Was meinte deine Mutter?“, wollte Fred wissen, der das Gespräch mitgehört hatte.
„Sie weiß auch nichts“, antwortete Cliff. Dabei schüttelte er den Kopf. „Ich frage mich, was so plötzlich in meinen Dad gefahren ist“, brummelte er nachdenklich vor sich hin.
Zur gleichen Zeit im Haus von Cliffs Eltern
„Mit wem hast du telefoniert?“, fragte Vater Henry etwas barsch seine Frau, als er in die Küche kam und sah, wie sie eben den Telefonhörer wieder einhängte.
„Ach, das war nur so ein nerviger Werbeanruf“, versuchte Mary abzulenken. Sie wusste, ihr Mann Henry mochte es nicht, wenn sie solche Anrufe annahm.
„Mary, lüg mich nicht an“, brummte Henry fast zornig und stellte sich wie drohend vor seiner Frau auf. „Ich hab doch gehört, wie du machs gut, mein Sohn, sagtest. Hast du wieder Kontakt mit Cliff. Das habe ich dir doch verboten!“
„Aber Henry! Wie könnte ich denn gegen deine Worte sprechen. Du weißt doch, das würde ich nie tun“, ging Mary ihrem Mann um den Bart, um ihn zu beruhigen.
Zum Glück ließ der sich auch beschwichtigen. „Ich gehe in mein Arbeitszimmer. Bringe mir einen Drink dorthin. Dann möchte ich nicht gestört werden, ich habe noch zu tun“, sagte Henry und ging in das besagte Zimmer.
Mary atmete erleichtert auf. Das war knapp, dachte sie. Sie mixte ihrem Mann den Drink und brachte diesen ins Arbeitszimmer, in dem Henry mit auf die Hände gestützten Kopf saß und grübelte.
Erschrocken blickte er auf, als die Tür aufging. Gerade wollte er losbrüllen, aber dann sah er Mary mit dem Drink und sein Gemüt war sofort beruhigt. „Danke“, sagte er knapp zu ihr, als sie das Glas vor ihm auf den Tisch stellte.
„Warte, Mary“, rief ihr Henry hinterher, als seine Frau das Zimmer wieder verlassen wollte.
„Entschuldige meinen Ausbruch in der Küche. Es tut mir leid. Als ich vorhin nach Hause kam, hast Du mit Cliff telefoniert. Ich habe es gehört, als ich am geöffneten Küchenfenster vorbeiging. Ich weiß, du vermisst ihn, sein Lachen, das jedes mal das Haus erfüllt, wenn er hier ist. Ich vermisse ihn ja auch.“
„Ach Henry“, seufzte Mary und lehnte sich an ihren Mann. „Wenn du nur endlich über deinen Schatten springen würdest und ihn so akzeptieren könntest, wie er ist.“
„Das ist einfacher gesagt als getan. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass er mit einem Mann zusammen ist. Aber wir werden es wohl so hinnehmen müssen“, antwortete Henry, nun endlich einmal ein Entgegenkommen zeigend.
„Nicht wir, du musst es endlich hinnehmen. Klar, für mich ist es auch nicht schön, zu wissen, dass wohl niemals Enkelkinder durch das Haus trappeln werden. Aber es ist nun mal so. Er ist unser Sohn, egal ob er schwul ist oder nicht.“
„Du hast ja recht“, ließ Henry, leise vor sich hinbrummend vernehmen. Er zog seine Frau an sich und gab ihr einen Kuss. „Ich muss dir noch was gestehen“, sagte er leise zu ihr.
Mary sah ihn erstaunt an. Henry und etwas gestehen, das hatte sie noch nie erwartet. „Ich höre“, antwortete sie, bewusst ernst schauend.
„Ich habe Cliff und seinen Freund für den Sonntag eingeladen“, bekannte Henry nun endlich.
„Ich weiß“, antwortete Mary lächelnd, dabei verlegen eine Träne wegblinzelnd. „Er hat zugesagt.“
Damit hauchte sie ihrem Mann einen leichten Kuss auf die Lippen und verließ das Zimmer, nicht ohne zu bemerken, er möge nicht gestört werden, da er noch zu arbeiten habe. Zurück ließ sie einen etwas verwirrten Henry.