Friedbert lief so schnell er konnte zum „Bären“. Um diese frühe Tageszeit waren die Gassen der Stadt noch wie leergefegt. Kaum einer Menschenseele begegnete er, nur ein paar Büttel der Stadtwache lehnten hier und da gähnend an einer Häuserecke. Die Händler hatten ihre Läden noch nicht geöffnet, die meisten Einwohner lagen noch in ihren Betten oder waren eben dabei, ihre Nachtruhe zu beenden. Nur ein paar Mägde, die nicht im Hause ihrer Herrschaft wohnten, gingen plaudernd zur Arbeit. So kam der Knecht gut voran und erreichte die Spelunke schneller als gedacht.
Er fand den Heilkundigen sofort. Der junge Mann war bereits aufgestanden und gerade dabei, mit den Gauklern, mit denen er durchs Land zog, den Tagesplan zu besprechen. Dabei nahmen sie ihr Morgenmahl ein. Das Lachen der Leute war schon vor der Tür zu hören. Die Mitglieder der Truppe waren recht zufrieden mit ihren bisherigen Einnahmen. Die Einwohner Arnstadts waren trotz des Fiebers, das in der Stadt grassierte, sehr von den Vorführungen der Gaukler angetan und taten dies auch kund, indem sie sich nicht knausrig zeigten und gerne den Preis bezahlten, die der Patriarch verlangte. So wanderte so mancher Pfennig aus der Geldkatze der Bewohner in die der Akrobaten.
Auch Konrad konnte nicht über zu magere Einnahmen klagen. Er hatte schon einige recht eigenartige Heilmittel verkauft, die gegen allerlei Krankheiten helfen sollten. Sein Geldbeutel war gut gefüllt mit den Gaben der Kranken oder deren Angehörigen, die durch die Anwendung seiner Mittelchen auf Besserung ihrer Gebrechen hofften.
„Wer von euch ist Konrad Klausner“, dröhnte Friedberts tiefe Stimme durch die Schankstube.
Konrad erhob sich und trat zu dem grobschlächtigen Mann, der den ganzen Türrahmen einnahm. „Ich bin der Gesuchte“, sagte Konrad, „wer will das wissen?“
Wolfhardts Knecht schaute sein Gegenüber argwöhnisch an. Er hatte in dieser Spelunke, die nur ärmliche Gestalten mit wenig Zahlkraft beherbergte, alles erwartet, doch keinen sauber und gut gekleideten Herrn, wie Konrad einer war.
„Ich will das wissen“, knurrte Friedbert zwischen den Zähnen hindurch.
„Was wollt Ihr von mir?“, fragte Konrad, dem der riesige Knecht nicht ganz geheuer war. Er versuchte sich zu erinnern, wer ihm vielleicht ans Leder wollte oder wer mit ihm noch ein Hühnchen zu rupfen hatte. Doch ihm fiel niemand ein.
„Der Herr Wollhaupt, ein edler Herr aus dem Stadtrat“, erklärte der Knecht. „Ihr sollt sofort sein Haus aufsuchen. Ich soll Euch zu ihm führen.“
Konrad konnte sich nicht erinnern, einen Mann namens Wollhaupt zu kennen. Hier in der Stadt kannte er eigentlich niemanden. Obwohl, er erinnerte sich an das Mädchen, das ihm gestern in die Arme gelaufen, oder besser gesagt, gefallen war und dem er schöne Augen gemacht hatte.
„Ich kenne keinen mit dem Namen Wollhaupt“, behauptete Konrad.
„Doch, kennt Ihr. Seine Tochter heißt Rieke. Sie sagte ihrem Vater, Ihr hättet Eure Hilfe angeboten. Ihr Bräutigam ist schwer am Fieber erkrankt“, erklärte Friedbert weiter.
Da fiel es Konrad wie Schuppen von den Augen. An diese Jungfer erinnerte er sich wirklich. Er war ihr gestern doch heimlich gefolgt.
„Was ist nun? Eilt Euch! Es ist dringend“, drängelte Friedbert, als der Mann vor ihm immer noch keine Anstalten machte, sich in Bewegung zu setzen.
„Wenn es so ist, werde ich der Bitte natürlich folgen. Bitte führt mich zum Haus des Herrn Wollhaupt“, erwiderte Konrad. Er schob Friedbert zur Seite und ging zur Tür. „Na was ist, seid Ihr ihr festgewachsen. Wenn es eilig ist, sollten wir uns sofort auf den Weg machen“, drängte nun Konrad zum Aufbruch.
„Habt Ihr denn keine Tasche mit Euren Heilmitteln?“, fragte Friedbert überrascht, als er sah, dass Konrad die Schenke ohne jegliches Gepäck verlassen wollte.
„Ihr habt Recht. Einen Moment, ich hole sie schnell herbei“, erwiderte Konrad und sauste die enge Treppe ins Obergeschoss, wo er sich die Unterkunft mit einigen Gauklern teilte.
Während Konrad seine Habseligkeiten zusammensuchte, scharten sich die anderen Gaukler um Friedbert, der wie ein Fels mitten im Raum stand. Man sah ihm an, dass ihm die Gegenwart des ziehenden Volkes, das hier hauste, nicht besonders angenehm war. Man hörte so viel schlechte Dinge über solche Leute, wie, sie wären Diebe und noch schlimmeres. Ob dies der Wahrheit entsprach, wusste Friedbert nicht. Er hatte bis eben noch nie Kontakt mit fahrendem Volk.
„Weshalb soll der Konrad den Herrn Wollhaupt aufsuchen“, wollte der Patriarch von ihm wissen.
„Was geht es Euch an?“, knurrte Friedbert ihn an. „Das ist eine Sache zwischen dem Herrn Wollhaupt und dem Heiler.“ Zu mehr Auskunft war der Mann nicht gewillt. Er drehte sich um und ging zur Tür. „Ich warte draußen. Hier drinnen ist es mir zu stinkig“, sagte er noch, ehe er die Spelunke verließ und die Tür hinter sich zuknallte.
„Was für ein ungehobelter Klotz. Kein Fünkchen Erziehung im Leib“, meinte die Frau des Patriarchen kopfschüttelnd. „Und so einem soll unser Konrad ins Ungewisse folgen. Wenn das mal gut geht.“
„Ach, Marthe, Konrad weiß schon, was er tut“, wehrte der Patriarch ab. „Er ist alt genug, sich selbst zu beschützen. Ich hoffe nur, er macht nicht wieder irgendeinen Unsinn, aus dem wir ihn befreien müssen. Es wäre nicht das erste Mal, dass wir dies tun müssten.“ Damit war für ihn die Sache erledigt.
Ungeduldig harrte Friedbert vor der Schenke aus. Endlich erschien der Gesuchte. Er trug eine kleine Tasche bei sich, im dem seine Heilmittel und einige Utensilien verstaut waren. „Ich bin bereit, gehen wir“, sprach er den Knecht an und setzte sich in Bewegung.
Unterwegs machte sich Konrad bereits Gedanken um die Behandlung des Kranken. Er wusste, mit dem Fieber war nicht zu spaßen. Viele Menschen hatte er bereits daran sterben sehen, auch hier in der Stadt. Doch hatte er keine Ahnung, wie er seinen Kopf aus der Schlinge ziehen konnte. Das hatte er nun von seiner Aufschneiderei, nur um einer Jungfer zu gefallen, die bereits an einen anderen vergeben war. Angestrengt überlegte er, doch es fiel ihm nichts ein.
Es wäre nicht das erste Mal, dass er in Schimpf und Schande aus einer Stadt gescheucht wurde. Meist war es der Patriarch, der seinen Kopf aus der Schlinge gezogen hatte und für seine Freilassung Geld zahlte. Sonst hätte er bis ans Ende seiner Tage in irgendeinem Kerker dahinvegetieren müssen, oder noch schlimmer, sein Ende am Galgen gefunden. Bisher hatte er Glück gehabt und war ohne körperliche Schäden davongekommen. Er wusste auch von Fällen, da wurden Betrügern wie ihm Ohren oder Nase abgeschnitten, oder sie wurden gebrandmarkt, damit jeder sofort sah, mit wem er es zu tun hatte.
Ohne, dass es Friedbert bemerken konnte, wurden Konrads Schritte langsamer. Nach und nach wurde der Abstand zwischen dem Knecht und ihm größer. Schon sah sich Konrad nach einer Fluchtmöglichkeit um. In dieser engen Gasse konnte er unbemerkt verschwinden und sich erst einmal in irgendeinem Kellerloch oder einem Vorgarten verstecken. Doch der Knecht war aufmerksam und bemerkte die Absicht des angeblichen Heilers.
„Wohin des Weges?“, rief er und hielt Konrad am Kragen fest. „Ihr habt wohl Muffensausen? Kommt schon, der Herr wartet bereits.“ Ohne weiter auf Konrad zu achten, eilte Friedbert voraus. Dem Mann blieb nichts Anderes übrig, als ihm zu folgen.