Gerührt beoabchtete Shari, wie die Mäuse mit Sack und Pack aus ihrer alten Wohnung im Gemäuer des Wachturms auszogen. Da liefen sie, mit all ihren Habseligkeiten, den gepolsterten Kissen und Betten, den Nahrungsvorräten, bereit, sich an einem neuen Ort einzurichten. Die jüngste Maus kehrte noch einmal um, liess sich übers Näschen streicheln und flüsterte: «Aber heute Abend werden wir wieder dabeisein! Wir lieben Geschichten!»
«Aber ja doch! Ihr seid hier jederzeit willkommen!»
Dann wandte sich Shari dem Mauerwerk zu. Was sie sah, erfüllte sie mit Hoffnung. Sorgfältig strich sie mit der Hand darüber. Ja, der Zeitpunkt für den nächsten Schritt war bereits da.
Sie ging in den Wald und begann, Kräuter zu sammeln. Aufmerksam beobachtete sie die Umgebung, horchte auch immer wieder, ob sie nicht von irgendwoher ein verdächtiges Geräusch vernehme, welches auf Gefahr deuten würde. Aber sie hörte nur das muntere Zwitschern und Plaudern der vielen Vögel. Ein Zwerg begrüsste sie freundlich und zeigte ihr den Weg zum Mauerheilungskraut. Seine Frau wusste, wo das Kräfte-kommt-zurück-Kraut wuchs. Eine Elfe flog ihr voraus zur Traurige-Gedanken-verscheuch-Blume. Nun fehlte ihr nur noch das An-sich-selbst-glaub-Kräutlein. Sie suchte lange und entfernte sich dadurch recht weit vom Wachturm.
Unruhe erfasste sie. Was, wenn genau jetzt die Winterdämonen hier vorberitten, während sie im Wald Kräuter sammelte?
Genau in diesem Moment hüpfte ein Eichhörnchen von einem Baum herunter. Munter sah es Shari an.
«Darf ich dich um einen Gefallen bitten? Könntest du bitte kurz zum Wachturm laufen und nachsehen, ob alles in Ordnung ist?»
Alle Tiere und Wesen in Belletrstica wussten mittlerweilen, in welcher Gefahr sich die Insel befand. Deshalb flitzte das Tierchen los und Shari konnte weitersuchen. Allerdings fühlte sie sich nicht mehr so entspannt wie vorhr. Sie schalt sich, sich so weit entfernt zu haben. Noch war der Wachturm nicht im Stande, sich selbst zu verteidigen, das wusste sie. Und eigentlich war es ja ihre Aufgabe, IHN zu verteidigen.
Trotzdem brauchte sie dringend dieses Kräutlein.
Sie suchte weiter.
Dort vorne leuchtete es sanft hellblau. Endlich! Shari eilte hin und pflückte dankbar das seltene Kräutlein. Nun aber nichts wie zurück! Hoffentlich fand sie den Heimweg wieder!
Es raschelte über ihr. Das Eichhörnchen war zurück. Es keckerte fröhlich und berichtete, alles sei in bester Ordnung. Allerdings, fügte es verschmitzt lächelnd hinzu, warte der Wachturm ziemlich ungeduldig auf Shari…
Ein besseres Zeichen konnte es nicht geben, als ungeduldig erwartet zu werden! Frohen Mutes machte sich Shari auf den Rückweg und fand tatsächlich bald den Wachturm wieder. Dieser beäugte etwas kritisch, sagte aber nichts.
«Hallo Wachturm! Ich habe für dich Kräuter gesammelt. War gar nicht so einfach, sie alle zu finden!»
So etwas wie ein Brummeln war zu vernehmen. Aber Shari konzentrierte sich bereits auf die nächste Arbeit.
Rasch entfachte sie ein Feuer, stellte dann einen Kessel mit Wasser darauf und legte das wertvolle Grün hinein. Sie rührte kräftig, murmelte hin und wieder leise ein paar Worte, rührte weiter und warf zum Schluss ein bläuliches Pulver in den Sud. Wohlriechender Rauch stieg auf.
Nach einigen Stunden Rühren und Kochen hatte sich aus den Kräutern eine Paste gebildet. Diese strich sie nun um jeden einzelnen Pfosten des Wachturms, wie wenn sie ihm Strümpfe anziehen würde. Es entging ihr nicht, wie er bereits nach kurzer Zeit ein wohliges Geräusch von sich gab.
Shari gönnte sich nun eine Pause unter dem untersten Boden. Für den Abend wollte sie ausgeruht sein.