Omnix sah an sich herab. Er hatte seine menschliche Gestalt angenommen und schwebte langsam durch die Dunkelheit. Angst hatte John nicht, doch er war äußerst gespannt. Wenn dieses Tor wirklich in eine andere Welt führte, wie würde die dann sein? Würde er dort genauso stark sein? Und warum kamen die alten Götter in ihre Welt? Plötzlich riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken. "John!" Der Junge fuhr herum. Er kannte diese Stimme. Er würde diese Stimme unter tausenden erkennen, obwohl er sie seit Äonen nicht mehr gehört hatte. "John!", rief die Stimme erneut. Und diesmal sah er sie. Ein schwarzhaariges Mädchen, welches in der Ferne stand. "Lora", flüsterte er und ehe er sich versah war er bei ihr und sie umarmte ihn. "Ich bin so stolz auf dich", murmelte sie glücklich und schmiegte sich an ihn. Der Junge erwiderte die Umarmung glücklich. "Du hast alles geschafft! Du kannst jetzt aufhören. Es ist genug." John runzelte die Stirn. "Unsinn! Ich bin noch lange nicht fertig! Es wird niemals genug sein!", widersprach er und sie sah ihn verwirrt an. Da erkannte John es. "Du bist nicht Lora! Lora würde nie sagen, dass es genug wäre! Sie würde sagen, dass man mehr tun könnte! Dass man immer mehr für diejenigen tun kann, die Hilfe brauchen! Du bist nur eine Täuschung!", meinte er kalt und sie sah ihn unfassbar verletzt an. "Aber John…ich…" "Leb wohl Lora. Ich muss weiter." Damit ließ er sie los und schwebte weiter. "Du musst weiter? Natürlich, was auch sonst? Geh nur und lass mich wieder im Stich! Du hast ja nie etwas anderes getan!", rief da plötzlich eine Stimme hinter ihm und er drehte sich erschrocken um. "Krul ich…", stammelte er, doch das Vampirmädchen schnitt ihm das Wort ab. Sie klammerte sich an seine Robe und sah mit Tränen in den Augen zu ihm hoch. "Du bist einfach gegangen. Ich weinte tagelang. Ich war allein. Ich hatte niemanden mehr, nachdem du weg warst!", rief sie mit tränenerstickter Stimme. John sah sie an und begann auch fast zu weinen. Doch dann klärten seine Augen auf. "Interessant. Vielleicht wäre das wahr, wenn ich einfach gegangen wäre. Aber ich entschied mich dagegen. Ich entschied mich dafür, mich zu verabschieden. Ich ging in Freundschaft von ihr. Also weiß ich, dass du nicht echt bist. Verschwinde!" Kruls Bild verblasste langsam. "Ihr könnt noch ewig so weitermachen! Doch ich bereue nichts! Lora, Philipp, Cogito, Krul, Yuu, Mika, Sora, Shiro, Tet, sie alle. Sie alle habe ich zurückgelassen. Es gibt keinen Tag, an dem ich sie nicht vermisse. Doch ich weiß auch, dass mir niemand böse ist. Ein wundervolles Mädchen half mir dabei, meine Sorgen und meinen Kummer zu überwinden. Kommt also endlich raus! Oder traut ihr euch nicht?" Die Luft um John herum begann zu flimmern, dann verschwand die Dunkelheit und wich gleißend hellem Licht.
Als sich das Licht legte, sah Omnix viele Gebäude vor sich. Es sah aus, wie eine mächtige Großstadt, doch als er genauer hinsah, erkannte er, dass es nur Ruinen waren. Er blickte auf eine zerstörte Welt, ein Ödland mit verrosteten Strukturen und verfallenen Gebäuden und Straßen. Der Reinkarnitor sah sich neugierig um, dann fasste er sich ein Herz und rief: "Hallo? Ist da jemand?" Seine Stimme hallte über die menschenleere Landschaft. Niemand antwortete. Omnix hob ab und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass seine Kräfte noch funktionierten. Sein Auge leuchtete auf, als er die Gegend nach Energie absuchte. Hinter ihm strahlte das Tor, welches von dieser Seite eher an eine Maschine erinnerte. Doch als er seinen Blick weiter über die Landschaft schweifen ließ, erkannte er in der Ferne noch eine weitere Energiequelle. Sie war schwach, doch sie genügte ihm, um sich dorthin zu begeben. Als er dort ankam fand er sich in einer Art Kontrollzentrum wieder. Vor ihm blinkte ein einzelner Knopf auf einer sonst dunklen Tastatur. Obwohl er wusste, dass es dumm sein könnte, siegte letzten Endes seine Neugier und er betätigte den Knopf. Plötzlich begann alles um ihn herum zu Summen und riesige Bildschirme flammten auf. Mehrere Laser wurden auf Omnix gerichtet und eine Mikrofon fuhr vor ihm aus dem Boden. "Identifizieren Sie sich!", ertönte eine metallene Stimme. "Ähm…", stotterte der Reinkarnitor. "Ähm", kam es aus den Lautsprechern. "Bestätigt. Atemluft gesammelt. Analyse läuft. Ergebnis: Subjekt kommt aus der Versuchsdimension B-56. Aktiviere Protokoll B-56. Mein Name ist Y. Protokoll B-56 besagt, dass ich antworte, sollten jemals Wesen aus der Versuchsdimension hierherfinden. Fragen Sie!" Die Stimme verstummte und das Mikro vor Omnix blinkte. Der Reinkarnitor zögerte kurz, doch dann fragte er: "Was waren das für Dinge, die ich gesehen habe?" "Antwort: Ein alter Sicherheitsmechanismus, der Eindringlinge aufhalten sollte, bis Wachen kamen, um sie zu überprüfen. Die Abbilder wurden direkt aus ihren Erinnerungen entnommen." Omnix überlegte. Dann hatte er wohl aus Versehen das ganze System lahmgelegt, als er es durchschaute. "Kannst du mir erzählen, was hier geschehen ist? Und was hat es mit dem Portal auf sich?" Es knisterte aus den Lautsprechern, dann ertönte eine Stimme, die jedoch nicht wie Y klang. "Seien Sie gegrüßt Fremdling. Sie haben unsere letzte Aufzeichnung aktiviert. Mein Name ist Vitae und ich bin die letzte Überlebende meines Volkes. Ich werde Ihnen alles erklären."
"Wenn diese Nachricht abgespielt wird, werde ich vielleicht nicht mehr leben. Es begann alles ungefähr zehntausend Jahre bevor ich diese Nachricht aufnahm. Unsere Zivilisation stand in voller Blüte und wir erschufen ständig neue Dinge. Wir waren glücklich und zufrieden. Doch bald schon erkannten wir, dass wir auf dieser Welt nichts mehr tun konnten. Wir hatten alles erreicht. Und so beschlossen wir, zu neuen Welten zu reisen, um dort weiterzumachen. Doch in den Welten angekommen, sahen wir die Schönheit dieser unberührten Orte. Wir konnten dort nichts bauen, wir hatten kein Recht dazu. So begnügten wir uns damit, in einer einzigen dieser Versuchsdimensionen Lebewesen zu erschaffen, die ihre Welt selbst nutzen sollten. Zehn unserer klügsten Wissenschaftler, darunter ich und mein Partner Mortem, reisten zu dieser Welt, die wir B-56 tauften. Neun Rassen erschufen wir: Die sterblichen Menschen wurden von Fragilitas erschaffen, um den Rassen die Bedeutung des Todes verständlich zu machen. Die zerstörerischen Drachen wurden von Draco erschaffen, damit kleinere Monster nicht überhandnahmen. Die unsterblichen Elfen wurden von Infinitas geschaffen, auf dass die Welt immer Verteidiger haben würde. Die weisen Waldgeister wurden von Natura erschaffen, damit die beispiellose Natur der Welt niemals beschädigt werden würde. Die wilden Werbiester wurden von Bestia erschaffen, als Experiment, ob sie mehr werden konnten, als Tiere. Die sturen Zwerge wurden von Mons erschaffen, um die Reichtümer unter der Erde für alle Rassen zugänglich zu machen. Die wunderschönen Erzengel wurden von Scientia erschaffen, damit die Welt Wesen hatte, die durch erhöhtes Wissen Friedenswächter sein konnten. Die schuppigen Echsenmenschen wurden von Palus erschaffen, der prüfen wollte, ob in den riesigen Sümpfen von B-56 auch intelligentes Leben existieren konnte. Und zu allerletzt erschuf Mortem die Goblins, Orks und weiteren Monster, damit stets ein Gleichgewicht zwischen Leben und Tod auf der Welt herrschen würde. Ich war es, die den fertigen Modellen Leben gab. Wir waren zufrieden mit unseren Kreationen und wollten zurück in unsere Heimat gehen, um von dort ohne Eingriffe zuzusehen, wie sie sich entwickeln würden. Doch als wir heimkehren wollten, ereignete sich etwas, das wir nicht hatten vorhersehen können. Ein Sonnensturm in unserer Welt zerstörte alles. Alles was wir jemals erschufen. Alles und jeden. Die hohe Energieüberlastung wirkte sich auch auf die Portale aus und alle meine Kameraden starben beim Durchqueren des Tores. Nur ich und mein Partner, Mortem, gelangten zurück, nur um eine zerstörte Welt vorzufinden. Mortem wurde bald krank und selbst meine Heilkräfte konnten ihn nicht retten. Ich verbringe meine letzten Jahre nun damit, nachzuforschen, warum es so weit kam. Ich denke nun, dass die Portale eine Strahlung freisetzten, die die Sonne aus dem Gleichgewicht brachte. Wir sind schuld. In unserem Wahn, immer mehr zu bauen, zerstörten wir alles. Fremdling, ich weiß nicht, von welcher der Rassen Sie kommen, doch wenn Sie dies sehen, dann lernen Sie aus unseren Fehlern. Ich bin am Ende." Die Aufnahme brach ab. "Die alten Götter waren nie Überwesen. Sie waren nichts weiter als Bewohner einer anderen Welt", murmelte Omnix. "Y, wie lange konnten die Bewohner hier leben?" "Antwort: Das Durchschnittsalter betrug dreißigtausend Jahre." Omnix überlegte. Dann waren es doch höher entwickelte Wesen als Menschen. Eigentlich hätte ihm das schon wegen der enormen technischen Errungenschaften dieser Zivilisation klarwerden sollen. "Y, wann wurde diese Nachricht aufgenommen?" "Antwort: Zeitpunkt der Aufnahme war vor fünftausend Jahren." "Y, besteht die Möglichkeit, dass Vitae noch lebt?" "Berechne. Antwort: Mit Berücksichtigung der lebensfeindlichen Umstände besteht eine dreiundvierzigprozentige Chance." Der Reinkarnitor nickte. "Y, kannst du einen weitläufigen Scan nach Lebenszeichen machen?" "Antwort: Selbstverständlich. Scan läuft. Scan abgeschlossen. Ergebnis: Diverse Lebenszeichen gefunden. Die meisten kommen anscheinend von niederen Organismen. Doch eine ist höher eingestuft." Omnix fragte, wo sich diese Lebensform befand und der Bildschirm wurde dunkel. Gleich darauf öffnete sich ein Fach und eine kleines Gerät fiel heraus. "Ich habe meinen Speicher verschoben. Ich werde Sie leiten", ertönte es aus dem Gerät und Omnix nahm es an sich. Dann ging es los.
Der Reinkarnitor flog durch unzählige Gänge und traf hin und wieder seltsame Kreaturen, die deformiert und mutiert aussahen und ihn angriffen, jedoch nicht besonders gefährlich waren. Schlussendlich kamen sie vor einer massiven Eisentür zum Stehen, welche Omnix kurzentschlossen aus den Angeln riss. Im Inneren fand er ein funktionstüchtiges Labor vor und in einer Ecke, auf einem kleinen Metallbett, lag eine Gestalt. Sie leuchtete silbern und hatte langes weißes Haar, doch ihr Gesicht war jung und frisch, wie das einer jungen Dame. Omnix stürzte an ihre Seite und half ihr, sich aufzusetzen. Das Wesen stöhnte und öffnete angestrengt die Augen. "Wer…wer sind Sie?", fragte sie verwirrt. Omnix überlegte kurz. Er hatte das Spiel bis jetzt durchgezogen, warum sollte er jetzt damit aufhören? "Ich bin Omnix, der Oberste der alten Götter und ich bin gekommen, um Sie zu retten Vitae", antwortete er ihr. Sie sah ihn schwach und verwirrt an. "Es ist zu spät. Ich werde es nicht schaffen", flüsterte sie und der lebende Nachthimmel erkannte, dass sie offenbar keine Ahnung hatte, dass eines der Portale noch funktionierte. "Unsinn!", meinte der Reinkarnitor und schnipste mit seinen Fingern. "Jetzt ist es besser, richtig?", fragte er und sie setzte sich, immer noch erschöpft aber etwas kräftiger, alleine ganz auf. "Was sind Sie?", fragte sie ungläubig. "Ich erkläre Ihnen alles später. Jetzt bringe ich Sie in Sicherheit", antwortete er ihr. Sie war zu erschöpft, um weiter nachzufragen. Omnix hob sie hoch und flog ohne große Umschweife durch die Decke, bis er an der Oberfläche ankam. Schnell hatte er das Tor gefunden und raste dorthin. Er durchquerte den leeren Raum und kam in einer vertrauten Gegend wieder heraus. Marilyn schrie fast vor Freude, als sie ihn sah und auch die anderen blickten sehr erleichtert auf ihn. Mit einem Blick auf Vitae erkannte der Reinkarnitor, dass sie zwar durch das Portal wieder ohnmächtig geworden war, jedoch noch lebte. "Schließt das Tor!", rief Omnix. "Und haltet es, auf Befehl des Obersten der alten Götter hin, für immer geschlossen!"