Ich reiße meinen linken Arm nach oben und blocke die Hand mit dem Oberarm ab. Die Wucht des Schlags bringt mich ins Wanken, und mein Oberarm schmerzt. Dennoch begebe ich mich sofort wieder in eine stabile Position, um erneut zu verhindern, dass ich eine schallende Ohrfeige bekomme.
Hal schüttelt missbilligend den Kopf. „Du musst dich bewegen, Junge!“
Richtig. Immer in Bewegung bleiben, sagte er. Das hilft, das Gleichgewicht zu bewahren. Ich nicke und erwarte den nächsten Schlag.
Als Hal mir eröffnete, dass Ohrfeigen ein probates Mittel des Straßenkampfs darstellen, dachte ich zunächst, er scherze. Ein Klatscher ins Gesicht, damit reizt man den Gegner doch höchstens! Selbst mein Vater hat damit immer nur meinen Stolz verletzt – die wirklichen Wunden, die mich tage-, manchmal wochenlang außer Gefecht setzten, hatte ich stets seinem Stock zu verdanken. Die Fäuste hat er sich an mir nie schmutzig gemacht.
Doch Hals Ohrfeigen sind etwas völlig anderes. Er hebt nicht den Arm und schlägt zu. Nein, er holt mit dem ganzen Körper aus. Während die Linke nach mir greift, um meine Aufmerksamkeit abzulenken und mich, wenn möglich, zu fixieren, holt sein ganzer Körper durch eine Drehbewegung, bei der die rechte Schulter sich nach hinten bewegt, aus, um dann wie eine gespannte Feder die Rechte in einem Bogen nach vorne zu schleudern. Wer so aufs Ohr getroffen wird, ist ganz sicher lange genug außer Gefecht, um mir zumindest die Einleitung der nächsten Schritte zu ermöglichen – Flucht oder Angriff.
Natürlich lehrt Hal mich nicht nur, potenzielle Gegner unschädlich zu machen, sondern auch, wie ich mich ihrer Angriffe erwehre. Darum geht es heute: Wie wehre ich eine Hal’sche Ohrfeige ab?
Niemals mit der Hand, das war das Erste, was Hal mir diesbezüglich eingeschärft hat. Damit habe ich nicht genug Kraft, um seinem Schlag zu widerstehen. Nein, ich muss das einsetzen, was er als den ‚kurzen Hebel‘ bezeichnet: den Oberarm. Und tatsächlich ist es damit viel einfacher, wenngleich immer noch schmerzhaft.
Hal schont mich nicht, und ich bin ihm dafür dankbar. Als ich endlich auf ihn höre und nicht nur den Schlag abfange, sondern ihm auch durch einen Ausweichschritt nach rechts hinten einen Großteil seiner Wucht nehme, jagt er mich zur Übung durch den ganzen Trainingsraum.
Das Training, die Techniken, die er mir beibringt, und auch die Jagd, die er jetzt auf mich veranstaltet, mal links, mal rechts nach mir schlägt, meine Abwehrreaktionen testet und meinen Stand prüft, bringen mein Blut in Wallung und lösen eine ganz besondere Erregung in mir aus. Jeder erfolgreich abgewehrte Schlag, jedes Ausweichen, ist ein kleiner Triumph, eine Aussicht darauf, zukünftig eine Art Rüstung aus den hier erworbenen Fähigkeiten zu tragen.
Bei den Göttern, wie sehr ich wünschte, das, was Hal mir hier beibringt, schon als Kind beherrscht zu haben! Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich mich hätte verteidigen, vielleicht sogar wehren können?
Ich blocke den nächsten Schlag und schiebe die nutzlosen Gedanken beiseite. Über verschütteten Wein soll man nicht klagen.
Meine Oberarme werden langsam taub, doch Hal gönnt mir keine Pause. Ich habe nichts dagegen, bleibe im Rhythmus meiner Schritte und meiner Abwehrbewegungen.
Der Stoß gegen meinen Brustkorb kommt völlig unerwartet.
„Nicht träumen, Junge! Wir tanzen hier nicht, wir trainieren!“
Schmunzelnd rapple ich mich wieder auf. Das war eine der ersten Weisheiten, die Hal mich lehrte: den Unterschied zwischen tanzen und kämpfen.
Beim Tanzen hältst du den Rhythmus – beim Kämpfen versuchst du, ihn zu brechen. Damit überraschst du den Gegner.
Das waren seine Worte. Und endlich verstehe ich auch die.