Die hoffnungsvolle Vorfreude, die mich erfüllte, als ich zur Tür eilte, wird von Sorge verdrängt, sobald ich sie öffne. Anstatt Talfan, dessen Besuch ich heimlich erhofft hatte, steht schluchzend Isidra vor mir, mit verquollenen Augen und tränenfeuchten Wangen.
Sofort bedeute ich ihr, einzutreten. „Was ist passiert?“
Statt einer Antwort wirft sie sich weinend in meine Arme. Ich ziehe sie an meine Schulter, streiche ihr beruhigend über den Rücken, fühle mich aber so hilflos wie selten. Was mag nur geschehen sein?
Turike eilt mir zu Hilfe. Sanft zieht sie Isidra von mir fort, geleitet sie in unser Wohnzimmer, wo sie zwei Stühle zusammenschiebt und sich dicht neben die weinende Akoluthin setzt. Mit dem Arm um deren Schulter wiegt sie sie sanft, ohne ein Wort zu sagen, und bedeutet mir mit einer Kopfbewegung, mich zu ihnen zu setzen.
Nach einigen Minuten beruhigt sich Isidra so weit, dass sie den Kopf von der Schulter meiner Gefährtin hebt und schnieft. „Danke.“
„Was ist passiert?“, wiederhole ich meine Frage. Langsam macht sich Sorge um meine Freunde aus dem Tempel in mir breit.
Betreten sieht Isidra auf ihre Hände, die sie in ihrem Schoß fest umklammert hält. „Er hat mich versetzt“, flüstert sie gepresst. Wieder beginnen die Tränen zu fließen.
Zunächst hilft mir ihre Aussage nicht weiter. Mein Blick wandert hilfesuchend zu Turike, die Isidra tröstend eine Hand auf die Schulter gelegt hat. Ihre Lippen formen stumm ein Wort: Talfan.
Natürlich – eigentlich müsste er heute mit Isidra tanzen gehen. Ihre Verabredung ist längst zu einem festen Ritual geworden – das hatte ich über die Weihe völlig vergessen.
Talfan hat Isidra heute versetzt? Er ist normalerweise nicht unzuverlässig – sofort regt sich wieder Sorge in mir, die ich rasch unterdrücke.
„Woher weißt du das?“, frage ich Isidra und versuche, meine Stimme so beruhigend wie möglich klingen zu lassen. „Sicherlich ist ihm nur etwas dazwischengekommen –“
„Er ist mit dieser Frau weg!“, fällt sie mir aufgebracht ins Wort. „Trainieren! Dass ich nicht lache!“ Der Zorn überlagert ihre Verzweiflung für den Moment, ihre Augen funkeln mich entrüstet an.
Überrascht blicke ich wieder zu Turike.
„Welche Frau?“, erkundigt sich meine Gefährtin ebenso ratlos.
„Die mit diesem Rahjageweihten reist! Zu dritt sind sie – zwei Männer und eine Frau. Die beiden sind seine Kavaliere“, ergänzt sie verächtlich, und an der Art, wie sie das Wort ausspricht, wird deutlich, was sie wirklich für deren Aufgabenfeld hält.
Ich unterdrücke ein Lächeln. Ich kann mir vorstellen, was Isidra denken muss.
„Rahjakavaliere sind die Leibwächter der Rahjageweihten“, erkläre ich. „Sie sind als hervorragende Fechtmeister bekannt – Talfan wollte mit ihnen trainieren.“ Möglichst versöhnlich fahre ich fort. Ich habe das Bedürfnis, meinen ehemaligen Schüler in Schutz zu nehmen. „Du weißt, wie gerne er das tut – darüber wird er eure Verabredung einfach vergessen haben.“
Doch Isidra stößt verächtlich die Luft aus. Ihr Blick zeigt deutlich, dass sie meine Aussage als Entschuldigungsversuch für Talfan durchschaut – und dass sie offenbar mehr weiß als ich.
„Ich habe sie gesehen, Rako.“ Mitleid mit meiner beschränkten Auffassungsgabe schwingt in ihrem Tonfall mit. „Ihn und diese drei. Wie er sie angesehen hat. Nicht nur die Frau – auch die Männer! Beide, Rako! Und er ist mit ihnen umgegangen, als ... als ... Rako, er meidet nicht einmal ihre Nähe!“
Wieder wirft sich Isidra schluchzend in Turikes Arme, deren Gesicht sowohl von rechtschaffenem Zorn als auch von tiefem Schmerz zeugt. Sie ist schockiert – ebenso wie ich.
Wenn Talfan jemanden gefunden hat, mit dem er so vertrauten Umgang pflegt, wie Isidra es hier beschreibt, wäre er töricht, anzunehmen, er bliebe bei uns.
Talfan wird uns verlassen. Mein ehemaliger Schüler, mein Freund.
Ich kann mir Perainefurten inzwischen gar nicht mehr ohne ihn vorstellen.
Ist das der Weg, den Phex für ihn bestimmt hat? Ist der Rahjageweihte deswegen direkt nach seiner Weihe hier bei uns aufgetaucht? Ist das ein Zeichen des Fuchses?
Während Turike weiter Isidra tröstet, hänge ich meinen Gedanken nach.