Winzige Falten zeichneten die Haut in ihren Augen- und Mundwinkeln als sie begann zu Lächeln. Ihre Fingerspitzen strichen über die alten, verblichenen Polaroidaufnahmen.
Beinahe ein wenig zögerlich nahm sie eine nach der anderen aus der Schachtel, welche die Bilder Jahrzehnte lang beschützt hatte, und klebte sie in ein Fotoalbum.
Jedes Bild zeigte sie in einem anderen Stadium ihres Lebens. Vom Säugling zum Kleinkind; vom Schulkind zur Studentin; von der Ehefrau zur jungen Mutter; von der Hausfrau zur Witwe.
Ihre Hände zitterten, während sie das letzte gemeinsame Bild von ihr und ihrem Gatten einheftete. Johann war vor drei Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Von jetzt auf gleich war sie allein gewesen. Allein mit dem jüngsten ihrer drei Kinder. Gerade einmal 13 war Martin bei Johanns Tod gewesen.
Erst jetzt hatte Helga die Kraft gefunden die Bilder anzusehen und sie in ein Album einzuordnen. Zuvor waren die Erinnerungen zu schmerzhaft gewesen. Als Miriam, ihre älteste Tochter, gemerkt hatte, wie schlecht es ihrer Mutter ging, hatte sie das Gespräch mit ihr gesucht.
Gemeinsam hatten sie den Tod von Mann und Vater verarbeitet, in Erinnerungen geschwelgt.
Helga hatte ihrer Tochter so viele Dinge über ihren Vater erzählt. Aber am Liebsten waren ihr die Erinnerungen an ihr Kennenlernen, damals in den wilden 70ern.
Es war auf einer Silvesterparty gewesen. Ihre beste Freundin Natalie hatte sie mit hingenommen und sie all den jungen Männern und Frauen dort vorgestellt. Sie hatten Käsehäppchen, Toasthawaii und Mettigel gegessen, Sekt getrunken und getanzt.
Kurz vor Mitternacht waren sie so betrunken gewesen, dass sie sich die Kleider vom Leib gerissen hatten.
Dann, um Mitternacht, hatte Johann sie einfach geküsst und in einen der Nebenräume gezogen. Dort hatten sie einander geliebt. Zehn Monate später war Miriam auf die Welt gekommen.
Mit einem Mal lächelte Helga vor sich hin. Als klar war, dass Helga schwanger war, hatten sie und Johannes Hals über Kopf geheiratet. Beide waren so unendlich jung gewesen. Jung und dumm, aber aus einer Beziehung, die auf einer Pflicht basierte, war mit der Zeit Liebe geworden.
Es war allerdings keine wilde Liebe, wie Natalie und Viktor sie erlebt hatten, sondern eine ruhige, innige Liebe, die im Gegensatz zu der kurzen Ehe ihrer Freundin Jahrzehnte angedauert hatte.
Helga vermisste Johann, aber noch hatte sie einen Grund hier auf Erden zu weilen. Ihre Kinder und Enkelkinder brauchten sie.
Mit diesem Gedanken schloss sie das Album und legte es auf den Tisch. Sie folgte ihrer Abendroutine. Einer warmen Dusche folgte das putzen ihrer Zähne und dann kuschelte sie sich ins Bett. Ihr Blick fiel auf Johanns Bettseite.
"Irgendwann werden wir wieder zusammen sein, Johann", murmelte sie, während sie einschlief.