Warnungen: Thema Tod, Mobbing, Selbstmordgedanken/versuch
"Treten", dieses Wort hatte für mich immer eine besondere Bedeutung.
Für andere bedeutete es, dass sie einen Schritt in eine bestimmte Richtung gemacht hatten, einen Ball in Richtung Tor geschossen hatten oder der Hahn die Henne begattet hatte.
Für mich bedeutete es hingegen, dass ich zum wiederholten Male fast das Zeitliche gesegnet habe.
Es ist, als wollte der Herrgott mich an seiner Seite haben und nie wieder loslassen, so oft bin ich schon vor ihn getreten.
Bei meiner Geburt bin ich ihm zum ersten Mal gegenübergetreten, als sich meine Nabelschnur um meinen Hals gewickelt hatte. Die Ärzte haben mich schnell zurückgeholt.
Einige Wochen später, als ich schon Zuhause war, haben die Engel versucht mich zu holen. Gott sei Dank war Mama gerade bei mir, als mein kleines Herz einfach aufhörte zu schlagen. Sie hat geholfen.
Das nächste Mal geschah es, als ich vier Jahre alt war. Ich habe meinen Cousins Ball gespielt. Der ist in den Teich gefallen und ich hab versucht ihn aus dem Wasser zuholen. Dabei bin ich in den Teich gefallen und fast ertrunken. Mein Onkel hat mich wiederbelebt.
In der dritten Klasse bin ich aus einem Baum gefallen beim Klettern. Ich erinnere mich nicht mehr klar daran, aber ich weiß, dass ich lange im Krankenhaus war danach.
Dann wurde ich von meinen Mitschülern gehänselt. Wegen meiner Narben und dem leicht verkrüppelten Bein nach meinem Unfall. Eine Weile hielt ich es aus, aber dann begannen die unbedachten Worte an meiner Substanz zu nagen und kurz vor meinem sechzehnten Geburtstag beschloss ich selbst, dass es an der Zeit war vor meinen Schöpfer zu treten.
Ich versuchte es mit einem Sprung von einer Brücke. Die Wasserpolizei rettete mich.
Eine Überdosis Schmerz- und Schlaftabletten stellte meinen nächsten Versuch da, aber ich wurde zu früh entdeckt. Sie pumpten mir den Magen aus und schickten mich zur Therapie in die geschlossene.
Kaum war ich von dort wieder Zuhause, versuchte ich es mit einem Messer.
Das war mein letzter Versuch. Sie haben mich wieder gerettet. Ich habe das Gefühl zerrissen zu werden. Ich will leben und sterben zugleich. Ich will vor meinen Schöpfer treten und gleichzeitig mein Leben leben, bis ich auf natürlichem Wege aus dem Leben scheide.
Es ist schwer, so unendlich schwer einen Schritt in die richtige Richtung, also vorwärts, zu gehen. Ich will dem Wort "Treten" endlich dieselbe Bedeutung geben, wie all die anderen Menschen da draußen.
Zum Glück bin ich seit dem letzten Besuch in der Klapse nicht mehr allein. Einer der Pfleger und ich sind seit meiner Entlassung zusammen. Er ist an meiner Seite und hilft mir wieder ins Leben zu treten.