Beide Heere, zusammengenommen nun etwa dreizehntausend Soldaten stark, machten sich behäbig in Richtung Süden auf. Ein großer Teil von Sullains Truppen, so hieß es, war bereits vorausmarschiert und hatte sich irgendwo auf halbem Wege in Richtung Unholm eingeigelt. Den Grund dafür wusste ich nicht.
Besorgt beobachtete ich den gemächlichen Trott der langen Reihe Soldaten, der zwar konstant, aber auch langsam war. Meine nervöse Unruhe wurde mit jedem Augenblick ein kleines Stück größer, fürchtete ich doch, dass die Keszz mit jeder Stunde, die wir sie gewähren ließen, stärker wurden. Und wir waren bereits seit Tagen unterwegs.
„Vielleicht sollten wir unsere Kämpfer nehmen und vorauseilen?“, schlug Morg vor.
„Nein, besser nicht. Wir sind jetzt Teil einer Armee, da können wir nicht einfach machen, was wir wollen. Geben wir der Taktik des Oberst eine Chance“, versuchte ich es, doch das überzeugte nicht einmal mich selbst. Zum wievielten Male ich die Kolonne der Menschen mit meinen Blicken nachverfolgte, wie sie sich auf dem schmalen Weg bis zum Horizont erstreckte, wusste ich nicht mehr.
„Sie müssen sich schonen. Schaut euch diese kurzen Beine an! Die würden nicht mal einen Sonnenzyklus lang mit unserem Tempo mithalten“, tönte Razzhiv.
Insgeheim musste ich ihr recht geben; wir machten derart kleine Schritte, dass meine Beine schon beinahe schmerzten.
„Genießt die Ruhe solange ihr noch könnt“, beendete ich schließlich die Diskussion. „Schon bald werdet ihr mehr Kampf bekommen als euch lieb ist.“
„Seht mal, da kommt jemand“, sagte sie und deutete auf einen Reiter, der sich an der Kolonne vorbei in unsere Richtung quetschte. „Ah, der Alte. Ihr habt sicher Wichtiges zu besprechen.“ Sie sprach von Lazar und ließ sich umgehend zurückfallen.
„Grüße, meine großen, muskulösen Freunde!“, rief er und reihte sich neben uns in die Kolonne ein. „Wie ist das werte Befinden?“
„Huh?“, machte Morg.
„Alles in Ordnung. Sie werden nur allmählich unruhig“, erwiderte ich und deutete mit meinem Daumen über meine Schulter.
„Verstehe. Nun, da habe ich gute Neuigkeiten: Die Vorhut ist auf den Rest von Sullains Armee gestoßen. Noch einen Tag, dann sind wir da.“
„Das ist doch gut... aber Ihr klingt nicht sehr glücklich?“, forschte ich.
Er seufzte schwer und richtete seinen Blick in die Ferne. „Was die Vorhut berichtet – es ist übel. Ich will keine vorschnellen Schlüsse ziehen, aber-“ Er senkte seine Stimme und lehnte sich zu uns herüber. „Zum ersten Mal befürchte ich, dass all das hier nicht genug sein könnte.“
„Wieso?“
Er schwieg eine Weile und richtete sich dann unvermittelt auf. „Ach. Nur so ein Gefühl.“ Er wedelte mit der Hand, wie um eine lästige Fliege zu verscheuchen. „Macht sicherlich das Alter. Es wird schon alles gut gehen.“
„Keine Sorge, Meister. Ihr wisst doch: Der Großmeister ist auf Eurer Seite!“ Ich streckte meine Hand vor und beschwor auf meiner Handfläche eine kleine, tänzelnde Flamme. Ich war weit davon entfernt, mein Talent im Schlaf zu beherrschen, doch die Einheiten mit Lazar zahlten sich allmählich aus.
„Da hast du recht“, lachte er. „Wenn wir doch alle nur ein bisschen mehr Zeit zur Vorbereitung gehabt hätten!“
„Nun, wie schon gesagt: Einige Dinge hätten aber nicht mehr Zeit in Anspruch nehmen dürfen.“
„Wie?“
Ich tippte vielsagend auf das unscheinbare Armband am Handgelenk.
„Oh, richtig. Weißt du, jetzt wo du es sagst, ist es wirklich seltsam! An dem Tag, als du zu deinem Stamm abgereist bist... Der Junge – ähm, also Zuak – und ich waren an sich wirklich flott bei dem Bau des Conjurators. Kaum eine Stunde, nachdem ihr uns ins Bett geschickt hattet, hatten wir beide denselben Einfall! Ist das zu glauben?“
„Schon kurios, ja“, gab ich zu. „Aber warum ist das ‚wirklich seltsam‘?“
„Ähm, nein, nicht das. Das wirklich seltsame ist, dass wir dieses Dingchen, so wie du es dort trägst, bis Mittag erdacht und konstruiert hatten!“
Jetzt war ich wirklich verblüfft. Und dann erbost. „Was soll das heißen? Ihr hattet dieses Ding noch am selben Tag fertig und habt noch über drei Tage damit gewartet, es uns zu bringen?“
„Ist das nicht wirklich seltsam?“, stimmte Lazar zu.
„Seltsam?!“ Wahrscheinlich war ich lauter, als ich es beabsichtigt hatte. Einige der vor uns marschierenden Menschen drehten erschrocken ihre Köpfe zu uns herum. „Das... das hätte uns beinahe das Leben gekostet!“ Ich schnaufte einige Male bewusst tief durch, schließlich brachte es wenig, sich über vergangene Dinge aufzuregen. „Aber warum habt ihr so lange gewartet?“
„Weißt du, genau das habe ich den Jungen auch gefragt. Schließlich hatte er sich unmittelbar auf den Weg gemacht.“
„Du meinst, ihr habt nicht gewartet, sondern... Zuak war drei Tage unterwegs zu uns?“
Lazar nickte mit einem belustigten Gesichtsausdruck, als handle es sich um nichts weiter als ein geringfügiges Missverständnis.
„Er war doch rechtzeitig da“, beschwichtigte Morg mich überraschend rational.
„Ja, aber-!“, holte ich aus, merkte jedoch, wie unsinnig meine Aufregung war. „Ach, schon gut. Hast‘ ja recht“, seufzte ich.
„Oh, seht mal. Ich denke, nun ist es nicht mehr weit“, sagte Lazar und zeigte auf etwas vor uns. Ich folgte seinem Hinweis und entdeckte vereinzelte dunkle Rauchsäulen, die irgendwo hinter dem Horizont in den Himmel erwuchsen.
„Da könntet Ihr recht haben“, stimmte ich ihm zu.
„Feuer“, sagte Morg.
Gegen Abend stießen wir zu dem restlichen Teil der Armee Domilliums, nochmal etwa dreitausend Soldaten stark, der sein Lager in einem Wald aufgeschlagen hatte. Es brauchte eine Weile, bis sich das Heer organisiert und eingerichtet hatte, schließlich wuchs es schlagartig auf die fünffache Größe an. Auch wir Oger richteten uns mit dem Rest von Oberst von Banthals Einheit in einem provisorischen Lager ein. Der dunkle Rauch, den wir früher am Tag von Weitem gesehen hatten, stieg nicht unweit von hier in dicken Schwaden zwischen den hohen Bäumen des Waldes empor. Der Wind wehte hin und wieder pechschwarze Schwaden herüber und brachte den Geruch von verbranntem Holz mit sich; verbranntem Holz und noch etwas anderem.
Später standen der Oberst sowie weitere Befehlshaber beisammen: Leutnantin Beneva, die die Bogenschützen unter sich hatte, Major Folle, Befehlshaber der Fußtruppen, Hauptmann Chivole, Anführer der Reiterei. Morg und ich waren als Oberhaupt der Oger offenbar Teil dieses erlauchten Kreises.
„Ihr braucht euch überhaupt nicht auf einen langen Aufenthalt einstellen“, beendete der Oberst gerade seine knappen Anweisungen. „Meine Vermutung – ein oder höchstens zwei Tage, dann werden wir weiter vorstoßen. Aber zunächst möchte ich mir das ansehen. Mitkommen.“
Er schwang sich auf sein schwarzes Pferd und machte sich auf den Weg. Wir schlängelten uns durch den dichten Wald, dessen Boden auf dem besten Wege war, ein durch die unzähligen Fußtritte verursachter schlammiger Morast zu werden. Überall dort, wo sich nicht gerade ein Weg oder eine Latrine befand, wurde ein Zelt aufgespannt oder eine Feuerstelle errichtet. Durch den Wald waberte schon bald leises Flüstern, metallisches oder hölzernes Klopfen sowie vereinzelt gebrüllte Befehle. Bei all dem versuchte aber jeder, unnötigen Lärm zu vermeiden. Natürlich steckte militärische Taktik dahinter, doch das war nicht alles. Paranoide Blicke wanderten immer wieder in Richtung Süden, von wo die Präsenz der Keszz ihre unsichtbaren Schatten vorauswarf.
Und je weiter wir in Richtung der Rauchsäulen vordrangen, desto schweigsamer wurden die Soldaten. Ihre Gesichter sahen zunehmend fahl und eingefallen aus, als hätten sie seit Wochen nicht mehr geschlafen. Irgendwann gelangten wir an den Rand des Lagers, wo sich die Truppen des Fürsten bereits seit Wochen eingegraben hatten. Provisorische Befestigungswälle und niedrige Warten verteilten sich entlang einer imaginären Linie mitten durch den Wald. Jenseits dieser Linie sah man niemanden, nicht einmal zum Pinkeln gingen die Menschen dort hin. Wenn sie uns sahen, unterbrachen die Soldaten ihr Starren kurzzeitig und Erleichterung flackerte in ihren Gesichtern auf. Doch die Anspannung verdrängte dieses Aufleben alsbald und trieb erneut tiefe Furchen in die Gesichter.
Wir gelangten an die Hauptstraße in Richtung Unholm, die hier nur mehr Kutschenbreite besaß. Auf der Straße entdeckte ich weitere Reiter, darunter einen Teil der Lintbrut.
„Wir werden eine kurze Aufklärung durchführen; uns persönlich von der Lage ein Bild machen. Die Berichte sind... nicht viel wert“, raunte der Oberst. Er blinzelte, als wäre er selbst überrascht, leise gesprochen zu haben.
„Berichte?“, wollte Chivole wissen.
„Die der Domillianer. Ergibt alles keinen Sinn.“ Dabei beließ es der Oberst.
Ich nickte Mina und den anderen zu, wagte es aber nicht, die bleierne Stille zu stören. Der Oberst setzte sich an die Spitze der nun aus etwa zwanzig Soldaten bestehenden Truppe.
„Denkt dran: Nur Aufklärung. Wenn es zu Feindkontakt kommt, werden wir uns zurückziehen. Von jetzt an nur noch Handzeichen.“ Er schaute sich um und wir alle quittierten seinen Befehl mit einem lautlosen jawohl. Er nickte noch einmal und trieb dann sein Pferd an. Ich mochte mich täuschen, doch es sah aus, als zögerte es einen Moment, bevor es seinen Fuß über die unsichtbare Grenzlinie setzte. Matte Augen starrten uns unter tief heruntergezogenen Helmen hinterher.
Wir ließen die provisorischen Barrikaden hinter uns und wurden von einer fremden Welt verschluckt – der Rauch war dichter, die Geräusche gedämpfter, das Licht anders. Ich schaute mich um und konnte schon die Grenzlinie kaum noch erkennen. Irgendjemand jammerte leise vor sich hin. Meine Blicke trafen die von Mina und wortlos kamen wir zu demselben Schluss.
„Sie sind hier“, flüsterte Morg, seine Stimme seltsam gedämpft wie an einem jener windstillen Tage, an dem es dicke Flocken schneite.
Die Sicht wurde rapide schlechter, inzwischen konnte ich nur noch zehn Schritt weit sehen. Der Rauch biss in Lungen und Augen, sodass die Menschen sich unter Husten und Keuchen Tücher um den Kopf binden mussten. Gehetzte Blicke schossen umher.
„Was...? Wer ist da?“, rief ein junger Mann.
„Ruhe“, zischte der Oberst.
Doch auch ich hörte Dinge: Knackende Äste im Wald, Rascheln von Laub und hin und wieder etwas, das ein Seufzen sein mochte.
„Bleibt zusammen. Erinnert euch an eure Ausbildung. Euer Verstand spielt euch einen Streich“, flüsterte von Banthal.
Einige der Soldaten hatten leise ihre Waffen gezogen, die sie nun eingeschüchtert umklammert hielten. Mit weißen Knöcheln krallten sie sich daran fest, als wären sie der einzig noch verbleibende Bezugspunkt zur Realität.
Und dann war alles anders. Als wären wir durch eine Tür getreten, in einem Moment der Rauch so dicht, dass man fast die Hand nicht mehr vor Augen erkennen konnte, im nächsten klare Sicht und reine Luft, stolperten wir über die Schwelle.
Ich sog den Sauerstoff tief in meine Lungen, bereute das aber sofort. Denn an die Stelle des beißenden Rauchs war ein Geruch getreten, der derart penetrant nach Fäulnis und Verderben roch, dass er einen moderigen Geschmack im Mund hinterließ. Einige mussten würgen, irgendjemand erbrach sich.
Doch ich scherte mich kaum darum, denn der Geruch war nichts im Vergleich zu dem Anblick, der sich uns bot. Der Wald, der hier einen finsteren und toten Eindruck machte, öffnete sich und enthüllte ein kleines Dorf, das aus etwa zwei Dutzend Häusern bestehen mochte. Ein Dorf, das früher sicherlich einmal malerisch und heimelig angemutet hatte, nun aber eher dem Schauplatz einer Gruselgeschichte glich. Ein finsteres, violettes Zwielicht warf lange, lebendig wirkende Schatten zwischen den Häusern, deren Holzwände mit roten Runen beschmiert waren. Gewalt hatte hier stattgefunden, Türen waren aus den Angeln gerissen, Wände waren eingerissen.
„Mein Gott, ist das...?“, keuchte eine Soldatin und starrte entsetzt einen Baum empor. Dort hing von einem Zweig herab ein Arm, an dem nur noch die Hälfte eines Torsos befestigt war.
„Ja. Ist es“, bestätigte der Oberst knapp.
„Sieht irgendwie abgenagt aus“, urteilte Hiskam, der überraschend unbeeindruckt klang.
„Was zur Hölle ist hier für eine Scheiße-?“
„Ruhe!“, rumpelte der Oberst nochmal. „Reißt euch zusammen! Nicht die Nerven verlieren. Lasst uns schauen, ob jemand überlebt hat.“
Wir drangen weiter in das Dorf vor, in dem kein Lebenszeichen auszumachen war. Die kleine Straße, an die wir uns hielten, führte mitten hindurch.
„Diese Malereien, ist das...?“, stotterte jemand.
„Blut, ja“, bestätigte Mina grimmig.
Ich entdeckte vereinzelte Körper, die im hohen Gras verstreut lagen. An einem der Häuser lehnte der Körper eines alten Mannes, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen und im Tode erstarrt. Seine Bauchhöhle war komplett ausgeweidet.
„Du hast recht“, flüsterte ich zu Morg. „Sie sind hier.“
„Aber wo? Ich sehe und höre nichts“, haspelte Major Folle.
„Vielleicht sind sie nach dem Überfall wieder abgezogen?“, mutmaßte jemand.
In diesem Moment ertönte ein verzerrter, klagender Schrei, der dem Jammern einer Katze glich. Obwohl er nicht laut war, zuckten wir alle gleichermaßen zusammen.
„Was zum-?“, schrie ein Soldat und schaute sich panisch um, das Schwert zum Schlag erhoben.
„Disziplin, verdammt nochmal!“, donnerte von Banthal und drückte ruppig den Arm des Mannes nach unten. „Reiß‘ dich zusammen, Mann!“
Der Mann nickte zögerlich, seine Augen immer noch weit aufgerissen.
„Also gut“, fuhr der Oberst fort. „Womöglich sind wir hier nicht allein. Kampfbereitschaft! Nehmt Aufstellung und bleibt wachsam.“
Wir fächerten aus, um nicht von der Flanke her überrascht werden zu können. Morgs Hand umklammerte den Streithammer mit angespannter Konzentration. Mit der anderen Hand hielt ich mich bereit, Feuer herbeirufen zu können. Mir wurde heiß – nun galt es, meine Talente auch außerhalb der Übungen mit Lazar einsetzen zu können!
„Vorwärts“, flüsterte der Oberst und gab ein Handzeichen zum Vorrücken. Zaghaft tasteten wir uns vor, spähten vorsichtig in jedes Haus und jede Scheune, wobei wir immer damit rechneten, dass uns ein Monster aus dem Inneren anfallen würde. Doch auch die Gebäude selbst waren verlassen, von der gelegentlichen geschändeten Leiche einmal abgesehen. Mit zum Zerreißen gespannten Nerven erreichten wir schließlich, nach einer unendlich lang erscheinenden Zeit, den winzigen Dorfplatz, an dem auch die kleine Kapelle lag, dem Mittelpunkt des Dorfs. Wir hatten beinahe den gesamten Ort durchsucht.
Der Oberst blieb in der Mitte des Platzes stehen und sah sich zwischen den zerstörten und mit Blut beschmierten Hütten um. Ich war überrascht, wie kühl und beinahe unpersönlich er all dem begegnete. Nicht das kleinste Sorgenfältchen trübte seine Mimik.
„Nun gut“, brummte er, als sein Blick auf dem Gotteshaus zum Ruhen kam. Es war das einzige Gebäude mit steinernem Mauerwerk im Ort. „Wenn sich jemand gerettet hat, dann dort hinein. Asklio, wir beide vorne.“
Der Oberst stapfte voraus, an seiner Seite ein Mann so breit wie groß, mit einem hohen Turmschild in der Hand. Der Rest von uns versuchte, so gut es ging, nach allen Seiten abzusichern, während wir vor dem Portal Aufstellung nahmen. Noch während von Banthal uns allen zunickte, fiel mir auf, dass, im Gegensatz zu den anderen Hütten im Ort, die Kapelle nicht über und über mit blutigen Runen beschmiert war. Gerade als ich den anderen meine Beobachtung mitteilen wollte, holte Asklio mit seinem gepanzerten Fuß aus und trat mit einem kräftigen Tritt die Holztür ein.
Scheppernd zersplitterte das Schloss und beide Flügel schwangen knarzend auf. Die drückende Dunkelheit im Inneren, die lediglich von einem violetten diffusen Licht, das durch die winzigen Fenster hereinfiel, durchbrochen wurde, gab nur langsam ihre Geheimnisse preis. Morg und ich waren den Menschen mit unseren Sinnen überlegen und erkannten somit früher das Bild, das sich uns bot. Es zu interpretieren, es zu verstehen, war aber eine gänzlich andere Herausforderung.
Die Kapelle war voll mit Menschen! Anhand ihrer Kleidung schätzte ich sie als Bewohner des Dorfes ein: Einfache Bauern, Männer, Frauen und Kinder, die sich kaum mehr als einfachste Kleidung leisten konnten. Sie alle hatten uns den Rücken zugedreht und keiner zeigte das geringste Anzeichen, uns trotz des Lärms der splitternden Türe bemerkt zu haben. Sie alle starrten unvermindert nach vorne. Die Luft war erfüllt von einem tiefen Summen oder Murmeln, das seinen Ursprung in den etwa einhundert Mündern der Bauern hatte, das sich überlagerte und so dem Summen eines Schwarms Bienen glich – nur tiefer und sehr viel gespenstischer.
Ich hörte Mina scharf Luft einatmen, Asklio trat unwillkürlich einen Schritt zurück, jemand quiekte erschrocken. Auch sie hatten begriffen.
Denn das Schockierendste an diesem Anblick waren nicht die Bauern oder deren Apathie, sondern die Kreatur, die sich vorne, wo ursprünglich einmal der Altar gewesen sein musste, eingenistet hatte. Es war, als hätte eine Spinne ein riesiges Netz gesponnen, das bis in die Dachbalken hineinreichte, doch anstatt Spinnenseide hätte sie Gewebe und Blut genutzt – und dieses Netz lebte! Es pulsierte und waberte, bildete überall kleine Fortsätze und Fühler aus. Und in der Mitte, wo eigentlich die Spinne hätte sitzen sollen, lief dieses Netz in einem massigen, ebenso fleischigen Körper zusammen, aus dem ein halbes Dutzend schwarzer Facettenaugen in unsere Richtung starrte.
Obwohl ich viele Jahre lang unter den Keszz gelebt und gedient hatte, schockiert mich der Anblick dieses Geschöpfs aufs Tiefste. Niemals zuvor hatte ich etwas Derartiges gesehen. Wie musste es da den Menschen erst gehen, die nichts Vergleichbares außer ihrer eigenen Welt kannten?
„Bei Gott...“, flüsterte von Janthal, als ob er meine Gedanken gelesen hatte.
Uns blieb jedoch nicht viel Zeit, es uns in unserer verstörten Paralyse bequem zu machen, denn die Kreatur stieß einen Ruf aus – es war genau der, den wir bereits früher vernommen hatten: Wie ein leidendes Katzenjunges, nur vielfach lauter und unheimlicher.
Wie auf ein Kommando verstummte der gemurmelte Singsang der Dörfler und sie alle drehten sich im Gleichtakt zu uns um. Ihr Anblick entlockte uns den nächsten entsetzten Ausruf. Sie waren aufs Grässlichste entstellt, geschunden und misshandelt. Vom Kinde bis zum Manne, sie alle hatten blutig verkrustete Gesichter und waren übersät mit Wunden und Hämatomen. War dieser Anblick schon schlimm genug, schickte aber etwas anderes einen Schauer des Grauens meinen Rücken hinunter: Viele von ihnen zeigten körperliche Entstellungen – oder besser gesagt, Mutationen. Einem Mann entwuchs ein grotesker Fortsatz seinem Kopf, das Bein einer Frau hatte sich in eine insektenhafte Stelze verwandelt, die Gesichtshälfte eines Mädchens war mit Facettenaugen überwuchert.
Doch die meisten Mutationen hatten einen offensichtlichen Zweck, den Kampf. Viele besaßen scharfe, organische Klingen oder Krallen anstatt der Hände, kräftige Klauen an den Füßen oder einen Mund voller Reißzähne.
„Bei Tÿl...“, fluchte nun Morg, den der Anblick ebenso anwiderte. Wir alle wichen vor Ekel einen weiteren Schritt zurück, unsicher, was nun zu tun war.
Ohne ein erkennbares Signal machten die Dörfler gleichzeitig einen Schritt auf uns zu. Und noch einen. Ihre Gesichter zeigten keine Emotion, sie waren wie benebelt.
„Leute, hört mir zu!“, sagte der Oberst mit brüchiger Stimme. „Diese Leute verdienen unsere Hilfe.“
Ein weiterer Schritt auf uns zu. Ein Mann, unter dessen löchriger Jacke spitze Wucherungen hervorschauten, war noch zwei Schritte vom Portal entfernt. Er sah uns teilnahmslos an.
„Unsere Hilfe?! Guck sie dir doch an! Das sind Monster! Das-!“, stammelte jemand hysterisch.
„Sie sind jetzt Sklaven der Keszz“, unterbrach ich ihn. „Sie sind verloren.“
Noch ein Schritt. Der Mann holte wie in Zeitlupe mit seiner bloßen Faust zum Schlag aus.
„Umso weniger werden wir sie ihrem Schicksal überlassen. Wenn wir sie nicht retten können, werden wir sie erlösen“, befahl der Oberst, seine Stimme fester und autoritärer. „Feldwebel!“, bellte er, woraufhin Asklios seinen Schild in den Boden rammte und so die Tür blockierte.
Der entstellte Bauer schlurfte einen letzten Schritt und ließ seine Faust herabsausen. Sie krachte blechern gegen Asklios Schild, der den Treffer locker abwehrte. Der Mann holte erneut aus und schlug auf das Schild ein. Etwas brach knackend in seiner Hand, was ihn aber kaum innehalten ließ. Er machte einfach weiter, Schlag um Schlag, während die restlichen Dörfler gemächlich zu uns aufschlossen.
„Oberst, was um Himmels willen sollen wir tun?!“, rief Asklio hinter seinem Schild. Eine Frau hatte zu ihm aufgeschlossen und begann ebenfalls, mit einer zu einem verknöcherten Klumpen verformten Hand, gegen den Schild zu hämmern.
„Aufstellung im Halbkreis!“, befahl der Oberst schließlich. „Wir fangen sie hier am Engpass ab, hinter dem Ausgang. Einen nach dem anderen. Schilde nach vorne, Lanzen nach hinten! Macht schon!“
Asklio musste sich inzwischen mit seinem ganzen Körper gegen die Flut der Dörfler stemmen, um nicht hinfortgeschwemmt zu werden. Wie ein Korken, der das Auslaufen eines Fasses verhinderte, hielt er nun den Strom an Mutanten zurück. Wir hatten nur noch Augenblicke, bevor er hinfortgespült werden würde. Der Oberst warf einen letzten Blick auf unsere Aufstellung und nickte grimmig. „Denkt dran: Das sind keine Menschen mehr. Wir tun ihnen einen Gefallen.“
Ich schaute nach links und rechts, sah angespannte Gesichter und fest umklammerte Waffen. Ich sah Isengrim, Hiskam und Rualab in vorderster Reihe, dahinter Mina und Muonn. Wir waren fast zwei Dutzend Kämpfer gegen mindestens einhundert Dörfler. Auch wenn wir einen strategischen Vorteil aufgrund des Engpasses an der Tür der Kapelle hatten, war die Übermacht erdrückend. Eins zu fünf.
„Bereit, Asklio?“, rief von Banthal, der sich gegenüber dem Stöhnen und Knurren auf der anderen Seite der Tür Gehör verschaffen musste.
„Bereit!“, schnaufte der, sein hoher Turmschild erzitternd unter dem Ansturm der Dörfler.
„Drei... Zwei... Eins...“
Der Hüne riss mit einem plötzlichen Ruck seinen Schild fort und hastete zwei Schritte zurück, um sich zwischen uns einzureihen. Die Frau mit der zur Keule geformten Hand fiel, des Ziels ihres Schwungs beraubt, vornüber und landete auf dem Bauch. Ohne zu zögern begannen die anderen Dörfler damit, über sie zu klettern.
Der Mann, dessen Faust inzwischen zu einer blutigen Masse zermalmt war, erreichte unseren Ring als Erstes.
„Ich will dich nicht töten! Erinner dich an-“, schrie Hiskam noch, doch der Mann warf sich ohne Umschweife mit seinem gesamten Körper auf ihn. Er ließ ein nasses Gurgeln verlauten, als beide zu Boden gingen.
„Verdammt, au!“, rief Hiskam unter dem Körper. Isengrim und Rualab kamen ihm zur Hilfe und schleuderten die Kreatur, die einst ein Mensch gewesen war, von ihm fort und halfen ihm schleunigst auf. An Hiskams Hals breiteten sich schnell rote Fäden aus, die an ihm herabrannen.
„Alles in Ordnung?“, rief Mina, die mit ihrer Lanze genug Reichweite hatte, um zwischen der vorderen Reihe hindurchspießen zu können. Sie war bereits auf den nächsten Angreifer fixiert.
„Ja, ja“, beteuerte er und betastete seinen Hals. „Der hat mich gebissen. Gebissen!“
„Brauchst du noch weitere Beweise, dass da drinnen keine Seele mehr wohnt?“, bellte der Oberst. „Angriff!“
Nein, wir brauchten keine Beweise mehr. Die Dörfler wurden, sobald sie zwei Schritt aus der Kapelle heraus getan hatten, von unseren Waffen empfangen. Es spielte keine Rolle, ob eine Älteste von sechzig Lenzen oder ein Junge von sechs, sie alle wurden von Lanzen durchbohrt, von Schwertern zerhackt oder von Hämmern pulverisiert.
Wir taten unser bestes, die Gesichter der Dörfler auszublenden und unser blutiges Handwerk zu verrichten. Denn es war blutiges, äußerst ermüdendes Handwerk – die Dörfler ließen sich kaum von einem fehlenden Arm oder zertrümmerten Bein aufhalten. Erst, wenn ihr Körper zu keiner Funktion mehr fähig war, gaben sie auf. Schmerz, Furcht oder Selbsterhaltung interessierte sie offensichtlich nicht. Schon bald keuchten wir ermüdet, mit lahmen Fingern und brennenden Muskeln. Doch die Flut an Angreifern ebbte nicht ab – im Gegenteil: Diejenigen, die später die Kapelle verließen, waren in ihrer Mutation fortgeschrittener. Ich sah größer und schärfer ausgeprägte Klingen aus Knochen, Wesen, an denen kaum noch etwas als Mensch zu erkennen war. Und vor allem rohe Kraft und gnadenlose Entschlossenheit.
Der Berg an Leichen, der sich vor dem Tor aufzutürmen begann, zeugte davon, dass wir sicherlich schon fünfzig oder mehr Kreaturen erledigt haben mussten. Und unsere Kräfte schwanden! Stück für Stück, Welle um Welle dieser hirnlosen Brut trieb uns den einen Schritt zurück. Es war nicht viel, doch es genügte, unseren Ring aufzuweiten und weitmaschiger zu machen.
„Wir verlieren an Boden!“, rief Mina atemlos, während sie ihre Lanze mühsam aus einem Kopf befreite.
Morg holte mit seinem Hammer aus und schmetterte ihn auf ein Wesen, dessen Haut knochige Panzerplatten ausgebildet hatte. Es knirschte und knackte, der Torso wurde nach innen eingedrückt, dunkle Flüssigkeit spritzte daraus hervor. Und doch machte es weiter, drang unbeeindruckt auf uns ein. Noch zwei weitere Hiebe mit dem Streithammer waren nötig, damit es sich nicht mehr regte. Mit seinem letzten Atemzug hob es seine Klaue und verpasste uns einen tiefen Schnitt am Bein. Doch zum Verschnaufen blieb keine Zeit, nur einen Augenblick später stürzte sich schon ein Mensch mit grotesk verlängerten Armen auf uns.
„Wir können nicht mehr lange so weitermachen!“, brüllte ich zurück und fing den Angreifer ab, indem ich mit meiner freien Hand seine beiden langen, nach uns greifenden Arme fasste. Ich beschwor mein Talent und helle Flammen umschlossen die Klauen meines Gegners. Die Hitze strahlte knisternd auf mein Gesicht, als Gliedmaßen verschmorten. Innerhalb eines Augenblicks waren diese nur noch schwarze, nutzlose Stummel. Doch die Kreatur äußerte keinen Laut und warf sich erneut auf uns.
„Haltet stand!“, rasselte der Oberst, der stark aus einer Wunde an seiner Seite blutete und so nur noch einen Arm zum Kampf nutzen konnte.
Irgendwo zu meiner Linken schrie jemand laut auf, nur um kurz darauf gurgelnd zu verstummen. „Kolja, nein!“, schrie jemand anders.
„Morg, wir müssen handeln, sonst sind wir verloren“, keuchte ich außer Atem, während ich gerade noch einem knorrigen Geschoss ausweichen konnte, das von irgendwo abgefeuert worden war.
„Ich weiß! Was schlägst du-“ Hieb mit dem Hammer, knirschende Knochen. „-vor?“
Ich suchte hastig den Schauplatz des Kampfs ab, versuchte, mir einen Überblick zu verschaffen. Unvermindert strömten die Kreaturen aus der Kapelle. Wenn wir nur den Strom stoppen könnten?
„Ich habe eine Idee! Schaffst du es, durchzubrechen und zur Tür zu kommen?“
Morg hielt kurz inne, schätzte den Weg und die Situation ab und bestätigte schließlich. „Ja, wird schon irgendwie gehen. Aber wozu?“
„Bring du uns dorthin. Den Rest übernehme ich!“ Zumindest hoffte ich das.
Er nickte entschlossen und erledigte die zuckenden Überreste des letzten Geschöpfs. „Bereit? Dann los!“
Unter gewaltigem Gebrüll, das die Erde erzittern ließ, zapfte er die Kräfte des Razsh’eks an. Ich spürte eine Woge freiwerdender Energie durch unseren Körper rollen. Morgs Atmung veränderte sich, sein Schnaufen wurde tiefer und dunkler. Mit weit ausholenden Schwüngen des Hammers, die wie eine Sense Weizen auf einem Feld niedermähten, stampfte er unaufhaltsam vorwärts. Ich spürte scharfe Schnitte und dumpfe Einschläge auf unseren Körper einprasseln, doch nichts davon konnte ich wirklich einordnen – der Rausch machte uns immun gegen Schmerzen. Eine leise Stimme in meinem Hinterkopf rief noch, dass die Zeche später gezahlt werden würde. Ich rief donnernd zurück, dass, solange es noch eine Zeche gab, es all das wert war.
Morg schlug eine Schneise der Verwüstung durch die Horden der Angreifer, die der nackten Brutalität nicht viel entgegenzusetzen hatten. Leichtere Kreaturen wurden im hohen Bogen fortgeschleudert, die schwereren unter ihnen schlicht zu Brei zermalmt. Ein beeindruckendes Schauspiel, das jedoch nur sinnvoll war, solange der zweite Teil meines Plans auch funktionierte. Mit einer letzten Kraftanstrengung legte Morg die letzten zwei Schritte zurück und war an der niedrigen Kappellentür angelangt. Mit unserem massigen Körper füllten wir den Durchgang vollständig aus.
„Und jetzt?!“, rief er, mühsam den Ansturm mit dem ausgestreckten Hammer zurückhaltend.
„Jetzt wird es Zeit, denen mal Dampf zu machen!“, keuchte ich und ließ meine Hand hervorschießen. Ich konzentrierte mich, rief mein Talent hervor – und es geschah nichts! Nicht das kleinste Fünkchen knisterte zwischen meinen Fingern.
„Was?“, stutze ich.
„Sag mir nicht, dass dein Plan damit gescheitert ist!“, rief er. Ich spürte den Blutrausch nachlassen. Die Wunden, die wir uns eingehandelt hatten, machten sich bemerkbar. Und es kamen beständig neue hinzu! Ein stechender Schmerz fuhr durch meinen Rücken, irgendetwas traf uns am Bein.
Ich versuchte es erneut, blendete alle anderen Sinneseindrücke aus. Ein oranger Schein tauchte auf, zwischen meinen Fingerspitzen knisterten leuchtende Funken. Ein Fortschritt, doch nach wie vor nicht annähernd das, was wir brauchten.
Etwas sprang uns an und begann, unseren Rücken hinauf zu klettern. Rasiermesserscharfe Klingen bohrten sich in unsere Haut, während dieses Etwas uns wie einen Baum bestieg. Ich fuchtelte herum, versuchte es, zu fassen zu bekommen, doch es war flink und wich mir behände aus. Es kletterte höher und höher, hatte schon bald meine Schultern erreicht.
„Verdammt nochmal, tu was!“, brüllte Morg, der dabei war, seinen Stand gegen die anstürmenden Massen zu verlieren. Ich hatte uns in eine aussichtslose Situation manövriert!
Das Wesen auf unserem Rücken hatte meinen Hals erreicht. Ein ohrenbetäubendes Kreischen ließ meine Ohren klingeln, als sich von rechts eine entstellte Fratze in mein Blickfeld schob. Ein kahler Schädel, dessen Gesichtszüge nichts Menschliches mehr an sich hatte, machte sich bereit, seine scharfen Fangzähne in meinen weichen Hals zu schlagen. Das Ding warf seinen Kopf zurück, riss sein zahnbewehrtes Maul auseinander und ließ einen gierigen, fast schon freudigen Schrei ertönen. Ich konnte es vor Vorfreude erzittern sehen.
Mitten in seinem Schrei verstummte es jedoch abrupt und sah mich überrascht an. Für einen Moment schien der letzte, kümmerliche Rest seiner Menschlichkeit in seinen nur wenigen fingerbreit entfernten Augen aufzublitzen. Eine Mischung aus Trauer und Dankbarkeit blitzte daraus hervor. Dann ermatteten sie und das Wesen wurde von uns gerissen, die nach wie vor tief verankerten Klauen hinterließen klaffende Wunden.
Überrascht warf ich einen hastigen Blick über die Schulter: Isengrim katapultierte gerade den Körper fort, der seiner gesamten Länge nach auf ihre Lanze gespießt war. Auch die Anderen hatten beinahe alle verbleibenden Kreaturen vernichtet und kümmerten sich noch um die Reste. Doch sie waren am Ende ihrer Kräfte, das sah ich. Eine weitere Welle würden wir nicht überstehen.
Ich fing den Blick des Oberst auf, der blutüberströmt in meine Richtung starrte. „Mach schon, Soldat“, bellte er.
Und ich folgte seinem Befehl.
„Jetzt oder nie“, flüsterte ich und ließ meine Hand erneut vorschnellen. Ein siedendheißer Strom aus Feuer ergoss sich durch den Ausgang und weit in die Kirche hinein. Die Schreie der Kreaturen glichen einer grausamen Symphonie der Panik. Brüllende Hitze schlug uns entgegen. Die Flammen griffen um sich, während ich den Strom nicht abreißen ließ. Das Innere der Kapelle fing Feuer, Bänke entzündeten sich und die trockenen Holzbalken der Dachkonstruktion sogen gierig das Lodern in sich auf. Es war ein flammendes Inferno, in dem die verbleibenden Wesen, die einst Dorfbewohner gewesen waren, förmlich dahinschmolzen.
Mit einem donnernden Brüllen umschloss Morg kurzerhand den Türsturz und zog mit allen verbleibenden Kräften daran. Es knirschte und knackte im Mauerwerk, kurz bevor die gesamte Vorderwand der Kapelle zusammenbrach und den Ausgang verschloss. Im Inneren wütete das Feuer weiter, unmenschliches Kreischen drang nach außen, aus dem weniger der Schmerz, als vielmehr Wut und Frust sprachen.
Wir hatten es geschafft! Der Strom aus mutierten Körpern war versiegt. Ich fuhr herum. Wir waren unter uns, alle Kreaturen waren vernichtet. Ich schaute in bleiche, erschöpfte Gesichter, die teilweise dem Tod näher als dem Leben schienen. Mina versuchte ein Lächeln, der Oberst nickte uns anerkennend zu, kurz bevor er erschöpft auf die Knie sackte.
Der Zusammensturz des Dachs, der eine Wolke aus Ruß und Funken gen Himmel stiegen ließ, veranlasste uns dazu, einige Schritte Abstand zu nehmen. Das Kreischen von drinnen verstummte und überließ dem Brüllen des Feuers die Bühne.
„Keinen Moment zu früh“, murmelte Morg, als er den blutverschmierten Hammer auf dem Boden abstellte.
„Ihr seid eine Wucht“, rasselte Isengrim, die mir lobend den Unterarm tätschelte, was Wellen des Schmerzes auslöste. „Entschuldige“, grinste sie müde, als sie meinen Gesichtsausdruck sah.
„Ohne euch wäre das hier ganz anders abgelaufen“, stimmte Asklio zu, der seinen Schild verloren hatte.
Ich wollte soeben zu einer Relativierung unseres Beitrags ansetzen, als irgendwo zur Seite der Kirche eine Mauer barst und etwas klatschend auf dem Boden aufschlug.
„Die brechen aus!“, bellte von Janthal und humpelte in großem Bogen um das brennende Gebäude herum. Wir folgten ihm, doch als wir dort ankamen, entdeckten wir, außer einem klaffenden Loch in der Mauer, zunächst nichts.
„Scheiße“, rief er. „Zu spät.“
„Nein, Herr Oberst. Seht doch!“, sagte eine Soldatin und zeigte auf einen zuckenden Haufen fleischiger Masse, die aussah, als wäre ein großes Tier ausgeweidet worden. Doch der Haufen bewegte sich, träge Tentakeln entwuchsen daraus und begannen, sich mühsam vorwärts zu ziehen.
„Ist das etwa...?“, flüsterte Hiskam angewidert.
„Das Ding, das sich dort drin eingenistet hatte“, bestätigte Mina.
„Siehst mit einem Mal ja nicht mehr so furchteinflößend aus, du Missgeburt!“, höhnte Rualab und ging bereits mit erhobenem Schwert auf das Wesen zu. Die düsteren Facettenaugen, die aus dem Fleischberg hervorschauten, sahen irgendwie panisch aus, obwohl sie keine Emotionen widerspiegeln konnten.
„Halt!“, donnerte der Oberst, kurz bevor Rualab mit seiner Waffe auf das Wesen eindreschen konnte. Verwundert hielt der inne und drehte sich um, einen Ausdruck der Enttäuschung auf seinem Gesicht.
„Ich habe eine bessere Idee.“