Als ich dachte, wir hätten mit dem Salzpfad den beschwerlichsten Teil des Marschs hinter uns, so hatte ich mich getäuscht – schwer getäuscht! Die Umgebung war weniger feindlich, die Witterung weniger gnadenlos, keine Frage. Doch was an körperlichen Strapazen nun fehlte, wurde durch psychologische leicht aufgewogen.
Jedes Knacken im Unterholz, Jaulen eines Tiers oder sonstige, nicht bestimmbare Geräusch schickte mein Herz in einen wilden Galopp. In jedem einzelnen Moment, während wir möglichst verdeckt durchs Unterholz krochen – was den Menschen wesentlich leichter fiel als uns Ogern – rechnete ich mit einem Überfall der Keszz. Hinzu kam, dass jegliche Unterhaltungen verboten waren und die Kommunikation hauptsächlich mittels Handzeichen geschah. In der Nacht durften keine Feuer gemacht werden und wem ein Darmwind entfuhr, wurde mit mahnenden Blicken gestraft.
Hatte der Oberst nicht gesagt, er wolle die Truppe möglichst ausgeruht in die Schlacht schicken? Nun, Herr Oberst, nach zwei Tagen derartigen Schleichens fühlte ich mich noch ausgelaugter und übermüdeter als an irgendeinem Abend oben auf dem Salzpfad!
Doch irgendwann hatten wir es tatsächlich geschafft. Bis auf zwei Situationen, in denen wir vereinzelte Kreaturen der Keszz, die uns zu nahe kamen, schnell und leise aus dem Weg räumen mussten, erreichten wir ohne größere Vorkommnisse am dritten Tag unser Ziel.
Es kündigte sich ohne große Einleitung an. Wir schlichen gerade durch den dichten Wald, zu meiner Linken Mina und die Lintbrut, zu meiner Rechten Un’ro, Razzhiv und die anderen Oger, als Morg es zuerst spürte. Wie ein Geruch von Fäulnis und Verwesung, den man eher spürt, bevor man ihn tatsächlich riecht, veränderte sich ganz langsam die Atmosphäre des Waldes. Die tiefstehende Frühjahrssonne schien ihr Licht um eine Nuance zu ändern, die Tiere des Waldes wurden stiller, unsere Fußtritte klangen anders. Nicht wie vor einigen Tagen, als wir aus dem dichten Rauch in das von den Keszz überrannte Dorf traten – da war es, als wäre man über eine Türschwelle in eine andere Welt getreten. Dieses Mal vollzog sich die Wandlung schleichend.
Ich gab Mina einige Handzeichen, die sie hoffentlich verstand. Nach einigem Hin und Her nickte sie schließlich und schlich davon; zweifellos, um die Nachricht weiterzugeben.
Wir schlichen weiter voran und mit jedem Schritt schien die Welt ein Stück trostloser und düsterer zu werden. Tiergeräusche verstummten, dem Licht entwich jede Farbe, die Luft hatte etwas Zähflüssiges. Bis wir plötzlich am Waldrand standen. Der war nicht natürlichen Ursprungs, das was offensichtlich – von einem Moment auf den anderen, hörten die Bäume einfach auf! Wie eine scharfe Linie trennte eine unsichtbare Grenze den zwar leidenden, aber intakten Wald von einer immensen Freifläche, die sich fast bis zum Horizont erstreckte. Ich verbarg mich hinter der letzten Baumreihe und ließ ungläubig meinen Blick schweifen.
Auf dem zerklüfteten und von tiefen Furchen durchzogenen Grund entdeckte ich bergeweise abgebrochene Zweige und zertrampelte Büsche.
„Die haben den Wald gerodet“, flüsterte Mina, die zu mir aufgeschlossen hatte.
„Wozu brauchen die so viel Holz?“, fragte Hidda leise.
„Vielleicht wollen sie einfach nur herannahende Armeen frühzeitig erkennen?“
„Nein“, sagte ich. „Irgendwas... haben die damit vor. Ich erinnere mich an etwas...“ Ich grub verzweifelt in meiner Erinnerung, stieß beim besten Willen aber auf nichts Handfestes.
„Naja, wir werden es früh genug herausfinden, oder?“ Mina zuckte mit den Schultern. „Schaut mal, da hinten. Ist das... eine Grube?“
Ich kniff die Augen zusammen und folgte ihrem Hinweis. „Ja, stimmt.“
„Aber warum ist es so ruhig? Wo sind all die Keszz?“, flüsterte Hidda.
Etwas raschelte hinter uns und ein Leutnant tauchte auf, der uns bedeutete, mit ihm zu kommen. Er führte uns ein weiteres Mal zum versammelten Führungskreis des Königs. Dies würde wohl die letzte Lagebesprechung sein, bevor die Schlacht begann.
„Wie nur unschwer zu erkennen ist“, hauchte der Oberst tonlos, „sind wir am Ziel. Die Königin wurde von unseren Spähern in dieser Gegend gesichtet. Was uns erwartet und wie es dort aussieht, weiß niemand. Aus naheliegenden Gründen sind unsere Späher nie näher herangekommen als wir in diesem Moment. Wir müssen uns also in unbekanntes Terrain vorwagen.“ Sein Blick ließ keinen Zweifel daran, dass ihm das überhaupt nicht gefiel.
„Wir werden zwei Gruppen bilden“, fuhr er fort. „Teilt eure Leute drei Viertel zu ein Viertel auf. Die eine, größere Gruppe wird von Süden her auf diese Grube vorrücken, die andere, kleinere schleicht sich in den Norden und hält sich dort bereit. Wir wissen nicht, mit wie vielen Gegnern wir es zu tun haben, doch ich rechne mit einer Übermacht. Die Südgruppe ist dazu da, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Nordgruppe wird einen präzisen Schlag gegen die Königin selbst führen. Sobald ihr eine Gelegenheit seht, ergreift sie!“
„Wer führt die Gruppen an?“, wollte Dahla wissen.
„Ich die Südgruppe. Den Norden...“ Sein Blick wanderte durch die Reihen und blieb an Mina haften. „Du, Leutnant.“
Mina fuhr vor Überraschung zusammen. „Ich, Oberst? Aber-!“ Er durchbohrte sie mit einem eiskalten Blick. „Zu Befehl“, murmelte sie schließlich und schluckte schwer.
„Gut. Ihr wartet-“ In diesem Moment kam jemand laut schnaufend durch den Wald auf uns zu. Von Banthal war offensichtlich wenig erfreut über diese Unterbrechung.
„Mann, dich hört man ja auf tausend Schritt gegen den Wind!“, zischte er, als der Mann mit hochrotem Gesicht zu uns aufgeschlossen hatte. Er stützte seine Arme auf den Knien ab und kämpfte seinen rasenden Atem nieder.
„Ich bringe Nachricht... von Fürst Sullain. Er... steht vor Unholm. Hat... schwere Verluste erlitten... Bittet um Verstärkung.“ Er presste die Worte regelrecht hervor.
„Natürlich hat er das“, entgegnete Valerius. „Was macht er auch vor Unholm? Wollte er die Stadt erobern? Idiot.“
„Hoheit?“, keuchte der Bote. „Meint Ihr das-?“
„Danke für deine Nachricht. Du kannst jetzt gehen.“ Sie scheute ihn mit einer Handbewegung fort. „Ihr habt den Mann gehört. Das Gefecht ist in vollem Gange, wir haben keine Zeit zu verlieren.“
„Bezieht Position“, sagte der Oberst zu Mina. „Wir werden unseren Vormarsch in etwa einer Stunde beginnen, haltet nach uns Ausschau. Und dann heißt es: Sobald sich eine Lücke auftut, nutzt sie!“
Mina atmete ein Mal tief durch und nickte dann.
Valerius schaute sich noch einmal um, bedachte jeden Einzelnen von uns mit ihrem Blick. „Jetzt gilt es. Das Schicksal dieser Welt lastet auf unseren Schultern. Sorgen wir dafür, dass sie eine Zukunft hat. Gott sei mit uns.“
„Gott sei mit uns“, murmelten die anderen im Chor.
Kurze Zeit später befand ich mich mit Mina auf dem Rückweg. Morg und ich würden etwa zwanzig unserer Krieger auswählen und mit der Lintbrut, sowie etwa einhundert weiteren Menschen die Freifläche im Schutz des Waldes umrunden – und dann darauf hoffen, dass die Königin sich tatsächlich so leichtfertig auf offenem Feld zeigen würde, wie erhofft.
Nachdem wir mit Un’ro alles Nötige besprochen und die Truppe eingeteilt hatten, fanden wir uns am Sammelpunkt ein. Mina und die Lintbrut waren bereits dort, so wie mehrere Dutzend Infanterie mit leichter Rüstung und Schilden, Lanzenkämpfer und Bogenschützen. Die Truppe sah beängstigend klein aus für das, was wir vorhatten. Wir reihten uns entsprechend ein, als ich zwischen den gut ausgerüsteten Menschen auf einmal drei von ihnen entdeckte, die so gar nicht dazu passten.
„Was macht ihr drei denn hier?“, flüsterte ich und gesellte mich zu Zuak, Lazar und Yosanna. Alle hatten sich ein grobes Kettenhemd übergeworfen und ein Kurzschwert im Gürtel stecken.
„Wir, ähm, leisten unseren Beitrag. Ist doch klar.“
„Und ihr wisst auch, wie man die da benutzt?“, fragte ich und zeigte auf ihre Schwerter.
Zuak zog umständlich die Waffe aus seinem Gürtel und hielt sie mit skeptischem Blick in die Höhe. „Ist ganz schön schwer.“
„Wir haben einfach gedacht“, sagte Lazar, „dass ihr unter Umständen einen guten Einfall braucht, wenn ihr der Königin gegenübersteht. Es ist nicht so, als freute ich mich darauf, dieses Ding zu benutzen.“ Er schaute angewidert auf Zuaks Klinge, die wieder in dessen Gürtel verschwand.
Lediglich Yosanna schien sich mit der Waffe nicht unwohl zu fühlen und verdrehte nur die Augen als Reaktion auf Lazars Ausführungen.
„Ich freue mich, dass ihr dabei seid!“, grinste Morg.
„Natürlich. Ich mich auch“, stimmte ich zu. „Wir werden jede Hilfe benötigen.“
„Pscht!“, zischte jemand und wir alle wandten uns um. Es war Mina, die die Aufmerksamkeit auf sich lenkte und mit Handzeichen befahl, ihr zu folgen.
„Nun geht es also los“, murmelte ich.
„Aufregend, oder?“, hauchte Yosanna hinter mir. Ich war mir nicht sicher, ob ich das genauso sah.
Wir machten uns auf den Weg und schlichen uns, gute zehn Schritt hinter der Baumgrenze, durch den Wald. Nach wie vor galt es, unerkannt zu bleiben, insbesondere für uns. Ich sah mich um, entdeckte zu meiner Linken Hiskam, Rualab und die anderen, die mit konzentriertem Blick geradeaus starrten. Ich entdeckte Hidda, die ihre eigentümliche Armbrust fest umklammert hatte. Unvermittelt schaute sie zu mir und unsere Blicke trafen sich. Mein Traum, den ich in der zweiten Nacht auf dem Salzpfad gehabt hatte, schoss mir durch den Kopf. Sie sah mir meine Verwirrung wohl an und versuchte, mir ein aufmunterndes, zuversichtliches Lächeln zuzuwerfen, was ihr nicht gänzlich gelang. Ihre kurzen Haare ragten unter einer Kettenhaube in ihr fein gezeichnetes Gesicht. Sie hatte Angst, das war offensichtlich.
Nun, da war sie nicht die Einzige. Unruhe nagte an mir wie eine Made in der Baumrinde. Kopfschüttelnd warf ich meine Bedenken über Bord und konzentrierte mich auf unsere Aufgabe. Bleib fokussiert!
Plötzlich schoss Minas Faust in die Höhe. Wie angewurzelt verharrten wir alle in unseren Bewegungen. Sie drehte sich zu uns um und deutete auf den Waldrand. Wir hatten unsere Stellung erreicht.
Ich spürte, wie sich ein Schweißtropfen gemächlich auf den Weg meine Stirn hinunter machte. Er löste sich prickelnd und kämpfte sich dann Stück für Stück in Richtung meiner Augenbraue vor, wo er sich zu einem dicken Tropfen sammelte.
Seit sicherlich der Hälfte einer Stunde warteten wir nun, die Nerven vor Anspannung unentwegt unter Beschuss, auf das Signal von der gegenüberliegenden Seite. Ich suchte sicherlich zum hundertsten Mal den Waldrand ab, wo die Bäume in der Entfernung winzig klein erschienen. Ich schätzte, dass das Oval, das die Keszz gerodet hatten, etwa zweitausend Schritte maß, vielleicht etwas mehr; in der Mitte gähnte das Loch im Boden. Nach wie vor war kein Lebenszeichen vom Feind zu vernehmen.
„Worauf warten die denn da drüben?“, knurrte ich.
„Geduld. Die sind schließlich auch mehr als wir. Wahrscheinlich lässt der Oberst gerade alle in Aufstellung bringen. Und dann-“
Mina unterbrach sich. Ein tiefes, leises Grollen rollte durch den Wald.
„Sein Horn...“ Sie schielte zu mir herüber. „Da hast du deine Antwort. Es geht los.“ Hastig blickte sie sich um und bedeutete allen, sich bereit zu halten.
Jenseits der Lichtung tauchten winzige Gestalten zwischen den Bäumen auf. Ich erkannte auf diese Entfernung keine Gesichter, doch ich vermutete, dass der Oberst in vorderster Reihe marschierte. Neben ihm reihten sich weit aufgefächert Infanterie aneinander. Die gerade über die Baumwipfel aufsteigende Sonne funkelte in den polierten Waffen und Schilden.
„Denkt dran“, flüsterte Mina, „sie sind der Lockvogel. Wir stoßen erst zu, wenn die Königin auftaucht.“
„Nur auf mein Kommando. Keine Alleingänge“, gab ich den Befehl an die Oger weiter und erntete angespanntes Brummen und Knurren.
Der Oberst arbeitete sich langsam in Richtung der Grube vor. Der zerklüftete Untergrund sah schwierig aus, hin und wieder sah ich einige Soldaten stolpern und sich mühsam wieder aufraffen. Kein Keszz in Sicht.
„Was ist, wenn, ähm, hier niemand ist?“, fragte Zuak. Ich sah zu ihm, die Anspannung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „Wenn die Grube leer ist?“
„Ruhe jetzt“, zischte Mina. Sie kniff die Augen zusammen und starrte auf die Truppen.
„Da!“, keuchte jemand.
Für einen Moment wusste ich nicht, was er meinte, doch dann sah ich es: eine Keszz-Drohne, die über den Rand der Grube kletterte und ein paar Schritte in Richtung des Oberst krabbelte. Sie verharrte. Ihre farbenfrohe Panzerung bildete einen bizarren Kontrast zu dem tristen Ödland um sie herum.
Einige Augenblicke vergingen, bevor eine zweite Drohne auftauchte, dann eine dritte. Überall krochen nun die sechsbeinigen Kreaturen aus dem Loch, wie Ameisen aus einem Bau. Zunächst waren es Dutzende, dann Hunderte. Mit Grauen beobachtete ich, wie sich eine wogende Flut aus bunten Körpern aus der Grube in die Ebene hinein ergoss.
„Heilige Scheiße“, flüsterte Hiskam irgendwo.
„Grom, hast du nicht gesagt, die Königin wäre so gut wie allein hier?“, fragte Mina.
„Ich... ich...“ Mehr fiel mir in diesem Moment nicht ein. Hatte ich mich tatsächlich geirrt und den Blick in den Kopf der Königin derart falsch interpretiert?
Die Flut der Keszz ebbte nicht ab. Es mussten inzwischen an die eintausend sein. Es war eine bizarre, unwirkliche Szene, verstärkt dadurch, dass nicht ein einziger Ton zu uns drang. Nicht das Klappern der Waffen, das Rascheln der Beinchen oder Zischen der Mundwerkzeuge – bis ein hoher, schriller Schrei über die Ebene hallte, der von den unzähligen Keszz aufgenommen und imitierte wurde.
Wie ein Schlag durchfuhr mich die Erinnerung an den Tag nach meinem Tchor’fan. Als sie unser Dorf überfielen; als Morg und ich in den seufzenden Tümpeln unseren Stamm befreiten, nur um kurze Zeit später in eine Falle zu laufen. Und die Erinnerung an das wurmartige Wesen, das mit uns gesprochen hatte – die Königin!
„Sie ist hier!“, raunte Morg.
Die anderen sahen mich an, eingeschüchtert von dem schrillen Kreischen.
„Sicher?“, fragte Mina.
„Das ist ihr Ruf! Sie ist hier!“, bestätigte ich.
„Gut. Immerhin. Das wird hart, aber wir können es schaffen, verstanden?“
Die Truppen des Oberst schlossen ihre Reihen, um sich kompakter aufzustellen. Auch sie waren offensichtlich überrascht von der schieren Anzahl der Keszz. Ich prüfte noch ein letztes Mal den Sitz meines Armreifs, fühlte nach der glimmernden Flamme im Inneren des Edelsteins. Sie war dort, in Reichweite, begierig, auf mein Kommando hin hervorzutreten. Morg und ich nahmen gleichzeitig einen tiefen Atemzug, der unsere Lunge mit frischer, erdig schmeckender Luft füllte.
„Denkt daran: Unser Ziel ist die Königin. Grom und Morg, ihr werdet sie für uns identifizieren“, befahl Mina und richtete sich auf.
„Oh, keine Sorge“, sagte ich. „Die ist schwer zu übersehen.“
„Im Laufschritt!“ Mina zog ihren Einhänder aus der Scheide. „MARSCH!“
In dem Moment, in dem wir stolpernd auf die Freifläche rannten, stürzten sich die Keszz auf die Truppen des Oberst. Erkannte ich in einem Moment noch das Funkeln von siebenhundert Rüstungen in der Sonne, verschwand es im nächsten Augenblick hinter einer pulsierenden Wand aus wimmelnden Klauen und Krallen. Schlachtenlärm drang leise zu uns herüber.
Nach wie vor war von der Königin nichts zu sehen. Sie musste sich in dem Erdspalt versteckt halten, dessen Rand noch etwa fünfhundert Schritt entfernt war. Je näher wir ihm kamen, desto klarer wurden mir auch die Ausmaße der Aushebung: Die Keszz hatten nicht einfach einen Graben in den Erdboden getrieben – nein, es war eine gewaltige Schlucht!
„Zur Kante, los los!“, keuchte Mina und trieb uns zur Eile an.
Das Klirren von Stahl, das von jenseits der Schlucht herüberdrang, wurde lauter und zunehmend überlagert von schmerzerfüllten Schreien. Die Schlacht war in vollem Gange und schien nicht zu unseren Gunsten zu verlaufen.
Es waren noch etwa zweihundert Schritt bis zum Abgrund, als daraus eine Drohne hervor kletterte und uns mit seinen ausdruckslosen Facettenaugen anstarrte. Ein knarzendes Schnarren entfuhr seinem Körper, das wie alarmierte Überraschung klang. Unsere Strategie hatte also funktioniert!
„Auf sie!“, brüllte Mina aus vollem Hals und wir antworteten mit donnerndem Echo. Der Keszz warf sich uns entgegen, doch Morg, der in vollem Lauf seinen Kriegshammer schwang, machte kurzen Prozess mit ihm. Wir hinterließen die im Todeskampf zuckende Drohne, aus deren geborstenem Panzer gelbliche Innereien trieften.
Schlitternd kamen wir vor der Bruchkante zum Stehen und warfen einen Blick in die Tiefe.
„Mein Gott“, hauchte Hidda und starrte ungläubig auf das Bild, das sich uns bot. Die Schlucht vertiefte sich zunehmend entlang ihres Verlaufs, die Wände an unserem Ende nur einige Schritt hoch, auf der entfernten Seite sicher fünfzig Schritt und mehr. Sie bildete eine Art abschüssige Rampe ins Erdreich hinein, an dessen Ende sich eine immense Öffnung auftat, aus der sich ein konstanter Strom an Keszz ergoss.
„Ein Wurm“, flüsterte Morg.
„Das ist ihre Verbindung, der Zugang in diese Welt“, sagte ich. Ich ließ meinen Blick schweifen, über den wimmelnden Boden und die Wände der Schlucht, die wegen der Massen von Keszz lebendig schienen. Ein wogendes Meer aus bunten Körpern.
Mein Blick heftete sich an einen Wölbung, einen amorphen Körper, der all die unzähligen Körper überragte. Die weiche, wabernde Haut durchzuckten Wellen von Muskelkontraktionen.
„Die Königin!“, rief ich und zeigte auf das Wesen, das sich weit unten, etwa in der Mitte der Schlucht befand.
„Das da?!“, kreischte Rualab. „Wie sollen wir denn da rankommen? Da sind etwa eine Million Keszz zwischen uns und diesem... Ding!“
Es sah so aus, als hätte uns die Königin noch nicht entdeckt; möglicherweise erforderte die große Schlacht auf der anderen Seite all ihre Aufmerksamkeit.
„Das machen wir“, bestimmte ich und deutete auf die Oger und mich. „Wir schlagen eine Schneise durch die Schlucht. Ihr folgt uns und gebt diesem Ding den Rest!“
„So machen wir’s“, rief Mina, über den Schlachtenlärm und das summende Gewusel der Kreaturen hinweg. „Für Karandia, für Domillium!“
„Angriff!“, rief ich meinen Ogern zu und machte einen Satz über die Kante, der uns fünf Schritte in die Tiefe führte. Ich landete schmatzend auf einem Keszz, der durch die Wucht des Aufpralls halb im Boden versank. Hinter mir hörte ich weitere Einschläge und das zornige Brüllen aus zwanzig Ogerkehlen. Mit gezückten Knüppeln und Stahlwaffen begannen wir den Sturm durch die Schlucht.
Während Morg seinen schweren Streithammer schwang und die einzelnen, sich uns entgegenstellenden Keszz zermalmte, warf ich einen Blick über die Schulter. Die Menschen unter Minas Führungen hatten in die Schlucht gefunden und stürmten uns nun hinterher.
„Feuerball, oben rechts!“, brüllte Morg.
Ich riss mich von dem Anblick der Menschen los und erfasste intuitiv, was er meinte. Eine gutes Dutzend der Drohnen war an der Wand emporgeklettert und machte sich gerade bereit, sich von dort auf uns zu stürzen. Ohne zu zögern beschwor ich einen knisternden Feuerball und katapultierte ihn in ihre Mitte. Der donnernde Einschlag ließ die Erde erzittern und sprengte einen Teil der Wand in die Luft. Glühende Reste der Drohnen sowie Staub und Schutt fielen auf uns herab. Das adrenalinerfüllte Johlen der Menschen trieb mir ein grimmiges Lächeln ins Gesicht.
Hatte die Königin bis zu diesem Zeitpunkt unsere Ankunft noch nicht bemerkt, so korrigierte sie nun diesen Fehler hastig. Und zwar radikal. Ihr hohes, außerweltliches Kreischen erfolgte synchron mit einer Änderung des Stroms der Keszz.
„Sie hat uns bemerkt“, schrie Mina von hinten. „Sie ruft ihre Truppen zu sich! Vorwärts!“
„Weiter pressen! Nicht nachlassen!“, bellte Morg und ließ seinen Hammer auf eine weitere Panzerplatte krachen. Die fließenden, wimmelnden Bewegungen der Keszz, die bis dahin noch zur Oberfläche strebten, in Richtung des großen Menschenheers, kehrten sich nun um. Der Strom floss nun in die Schlucht hinein und bündelte sich zunehmend vor uns. Dicht an dicht drängten sich die Keszz und warfen sich uns entgegen.
Morg holte ein ums andere Mal mit seinem Hammer aus, erwischte zwei oder drei Drohnen mit jedem Schlag. Gleichzeitig schleuderte ich Feuerbälle und pyroklastische Ströme, so schnell ich konnte, von denen jeder zwei Dutzend und mehr Keszz in qualmende Stücke riss.
Die wabernde Wand aus Körpern bröckelte, doch sie verlangsamte unseren Ansturm. Der Laufschritt, den wir anfangs noch an den Tag gelegt hatten, war zu einem stoischen Trampeln geworden. Besorgt schaute ich die Schlucht empor, deren Wände sich inzwischen schon zwanzig Schritt über uns erhoben. Mehr und mehr Keszz tauchten dort oben auf, krabbelten die Wände hinunter oder warfen sich schlicht auf uns. Überall um uns herum schlugen insektenartige Körper ein, die zumeist durch den Aufprall in Stücke gerissen wurden. Hin und wieder jedoch fanden auch sie ihr Ziel.
Mit Grauen sah ich, wie Mil’ol eine Drohne mit ausgestreckten Klauen genau auf dem Kopf landete. Gliedmaßen brachen, ihr Körper zerplatzte und glitt leblos an seinem Körper herunter. Zunächst sah es danach aus, als wäre er noch einmal davon gekommen. Er ging einen Schritt, zwei Schritte, brüllte frustriert. Doch schließlich blieb er stehen und drehte sich langsam zu mir um. In seiner rechten Schädelhälfte klaffte ein riesiges Loch, aus dem undefinierbare, blutige Masse tropfte. Sein verbliebenes intaktes Auge schaute mich noch traurig an, er öffnete den Mund, ohne einen Ton von sich zu geben, und kippte schließlich vornüber.
Ich schrie meine Wut heraus und jagte einen zornigen Feuerstoß voraus, der sicherlich dreißig Keszz auf der Stelle innerlich verkochte. Mein Blick wanderte suchend durch den dichten Rauch, bis ich die Königin fand.
„Nicht mehr weit!“, brüllte ich gegen den Schlachtenlärm an.
Wenn die Augen der Königin zu einer Emotion fähig gewesen wären, hätte sich Panik darin gespiegelt. Wir waren noch etwa fünfzehn Schritte von ihr entfernt und mit jeder Sekunde wurden es weniger. Es schien, als dämmerte das auch ihr, denn sie begann, ihren behäbigen, abstoßenden Körper herumzuwuchten.
„Sie will fliehen!“, hatte auch Morg erkannt.
„Sie hat Angst!“, rief jemand.
„Wir gewinnen!“, jemand anders.
Diese Erkenntnis verlieh uns einen neuerlichen Schub. Wenn die Königin fliehen wollte, bedeutete das, dass sie diese Schlacht als verloren ansah. Ein jämmerliches, gepeinigtes Zischen durchfuhr die Keszz.
Wir hackten, malmten und sprengten, was unsere Kräfte hergaben. Ich spürte Morgs körperliche Erschöpfung, den Hammer mit jedem Schwung ein bisschen schwerer werden. Er zermalmte eine Drohne, ein zweite nutzte die offene Deckung und sprang uns an, bohrte sich mit ihren Krallen tief in unsere Haut. Ich schnappte sie mir und ließ meine Hand zu zischender, glühender Lava werden. Ein hohes Quieken, zappelnde Gliedmaßen, und ich warf ein verkohltes Gerippe zur Seite. Morg hatte in der Zwischenzeit seinen Hammer erneut herumgeschwungen und beförderte die nächsten drei Keszz an den Ort, den die Menschen Hölle nannten.
Und mit einem Mal war da eine Lücke in den Reihen der Drohnen. Mein Blick fiel ungehindert auf die Königin, auf ihren abstoßenden, pulsierenden Körper, der sich schwerfällig von uns fortbewegte.
„Machen wir dem Ganzen ein Ende, Morg!“
Auch er hatte die Gelegenheit erkannt und brauchte nur den Bruchteil eines Augenblicks, um zu reagieren. Mit einem gewaltigen Satz beförderte er sich nach vorne und hielt dabei den Hammer mit beiden Händen waagerecht vor sich. Wie ein Pflug mähten wir durch die Nische, die sich zwischen den Kreaturen aufgetan hatte, und hinterließen eine Spur aus hilflos auf dem Rücken zappelnden Wesen. Ein schneller Blick zurück verriet mir, dass uns die anderen in einer Art Pfeilformation folgten und so ungehindert durch die Reihen der Keszz glitten. Direkt dahinter kamen die Menschen, die unseren Rücken absicherten.
Morg war nicht aufzuhalten. Seine Fußtritte ließen die Erde erzittern und wir flogen regelrecht auf die Königin zu. Zwar bekamen wir unzählige Treffer ab: Klauen, die unsere Haut zerfetzten, Reißzähne, die sich unser Fleisch bohrten, Stacheln, die in unsere Richtung abgefeuert wurden. Doch wir spürten nichts davon, unser Sichtfeld hatte sich auf die Königin verengt. Nur sie zählte.
Wie in Zeitlupe sah ich uns den letzten Schritt tun und langsam auf dem matschigen Untergrund landen. Keine Drohne befand sich mehr zwischen ihr und uns. Ich erkannte jedes Detail, so nah war ich ihr: die dicken, pulsierenden Adern, die sich durch ihren Leib zogen, und der bestialische Gestank, der von ihr ausging.
Erneute wandte sie sich langsam um, behäbig wie sie war. Sie hatte alle Drohnen zurückbeordert, keine von ihnen traute sich auch nur einen Schritt auf uns zu. Ihre tiefschwarzen Knopfaugen starrten in unsere Richtung.
Totenstille senkte sich plötzlich über die Schlucht. Außer unser aller keuchenden Atmung drang nur leise klirrendes Metall zu uns herab. Ansonsten: Nichts. Kein Lufthauch, selbst die Sonne schaffte es nicht mehr.
Die Königin starrte uns ausdruckslos an. Und wir starrten zurück.
„Was jetzt, Häuptling?“, keuchte Razzhiv, die ein übergroßes, gezacktes Beidhänderschwert erhoben vor sich hielt.
An der Vorderseite des Körpers der Königin – man könnte es Stirn nennen, wenn man wollte – entstand ein senkrechter Riss in der Haut. Ich erinnerte mich an die erste Begegnung mit ihr. Gleich würde sie zu uns sprechen; mithilfe irgendeiner armen Seele, die sie sich zuvor einverleibt hatte.
„Zeit...“ – „... zu sterben“, beschlossen Morg und ich im Einklang.
Ich ließ ihr keine Zeit, ihre monströse Stimme zu erheben. Kurzerhand beschwor ich einen Feuerball und schleuderte ihn in den sich öffnenden Hautlappen. Der knisternde, grelle Ball segelte durch die Luft und drang wie ein heißes Messer durch Butter in den Körper der Königin ein. Für einen Moment schien es, als hätte das Ungetüm meinen Zauber geschluckt wie ein harmloses Bonbon, doch kurz darauf hörte ich eine Detonation und ihr weicher, aufgeblähter Körper platzte auf wie eine überreife Frucht.
Unbeschreibbares Kreischen zerfetzte die Luft, als sich die Königin vor Schmerzen wand und das Feuer sie von innen heraus auffraß. Morg nahm diesen Schrei auf und spiegelte ihn in seiner eigenen, zornigen Version. Er hob seinen Hammer weit über unsere Köpfe und trieb ihn tief in das weiche Fleisch ihres Kopfes. Ihr Kreischen erstarb augenblicklich und verkam zu einem jämmerlichen Seufzen. Ihre kurzen Stummelbeine erschlafften und gaben unter dem Körper nach.
Wir alle schauten uns hektisch um, zur Gegenwehr bereit. Doch die restlichen Kreaturen, all die unzähligen Drohnen, die noch die Schlucht übersäten, verharrten wie erstarrt an Ort und Stelle.
„Sie bewegen sich nicht“, flüsterte Mina, deren halblanges Haar blutverschmiert am Kopf klebte.
„Hat es...?“, keuchte Isengrim, sich auf ihrer Lanze abstützend.
Oben war das Klingen der Waffen verstorben. Vereinzelte menschliche Rufe drangen zu uns.
„Es hat...!“, rief Hiskam.
„...funktioniert!“, brüllte Morg und warf die Hände im Jubel empor. Oger und Menschen, alle stimmten mit ein. Begeisterung und Freude brandete auf, wurde von den Felswänden zurückgeworfen, vervielfachte sich. Lazar und Yosanna umarmten sich in einem Anfall von unangebrachter Intimität zwischen Meister und Schüler. Zuak stand daneben, ein wenig verloren, aber glücklich.
Ich wusste nicht recht, was ich fühlte in diesem Moment. In einem Moment kämpft man um sein Leben, im nächsten ist alles vorbei. Mein Körper war verwirrt, erschöpft und noch bis in die Fingerspitzen voll von Rage. Nur langsam kehrte das Gefühl zurück und ich merkte erst, wie viele Wunden ich davongetragen hatte. Ich schaute an uns herab und entdeckt eine abgebrochene Klaue, die noch leicht zuckend zwischen unseren Rippen feststeckte.
Doch all das würde verheilen. Wir hatten tatsächlich gesiegt!
Ich drehte mich zu unserem Stamm um, erblickte Tamonn und Razzhiv, die Morg stolz anlächelte, dachte an all die, die zurückgeblieben waren, Schat’un, Kun’zat und Mil’ol. Sie wären stolz darauf, ihr Leben für diesen Moment gegeben zu haben. Ich schaute mich um, lächelte, grinste, lachte.
„Oh, Yulas, was hast du nur getan?“, rief plötzlich eine krächzende Stimme. Sie durchschnitt den Jubel wie eine Sense den Sommerweizen.
Ich wirbelte herum und entdeckte eine Gruppe Menschen, die gemütlich aus der Öffnung am Ende der Schlucht heraustraten. Als könne nichts ihre Stimmung trüben, schlenderten sie gemächlich in unsere Richtung. Mein Verstand war nicht schnell genug, das Gesicht des Mannes mit diesem Ort und dieser Zeit in Verbindung zu bringen. Fehlende Lippen, Ohren, Nasen.
„Was zur Hölle...?“, stotterte Yosanna. „Die Vasallen der Dämmerung sind hier?“
Nun setzte sich auch bei mir die Erkenntnis durch. Der Mann – es war Patron! – vollführte eine ironische Verbeugung, während sich seine Vasallen hinter ihm zur vollen Breite der Schlucht auffächerten. Es mochten vielleicht fünfzig Krieger sein.
„Hört zu!“, begann Mina und trat ihnen einige Schritte entgegen. „Wir müssen das nicht tun. Die Königin ist tot, die Keszz sind besiegt. Was auch immer... ihr... vor-... habt?“
Patrons kehliges Lachen ließ sie verstummen. Es wurde lauter und lauter, er steigerte sich in ein atemloses Stakkato. Mina schaute sich ratlos zu uns um, ihre zuckenden Schultern fragten, ob der Mann wohl den Verstand verloren habe.
„Du... haha... du glaubst... hu...“ Er wurde immer wieder von Lachkrämpfen geschüttelt, konnte kaum einen vollständigen Satz formulieren. Bis er schließlich von einem Moment auf den anderen verstummte und seine Gesichtszüge zu Eis wurden. Kalt und feindselig starrte er uns an.
Stille breitete sich erneut in der Schlucht aus, als auch der letzte Jubelschrei verstarb und wir den Vasallen gegenüberstanden. In diese Stille hinein erklangen mit einem Mal sanfte, gedämpfte Fußschritte. Sie schienen von irgendwo hinter den Vasallen ihren Ursprung zu haben.
„Ihr müsst meinen Freund entschuldigen“, erklang eine hohe, glasklare, fast schon liebreizende Stimme. „Er neigt zum Spott. Ein Wesenszug, der mir schon immer widerstrebte.“ Die Stimme machte ein schnalzendes, tadelndes Geräusch. „Tsk, tsk, tsk. Aber, nun, man kann sich seine Agenten nicht immer aussuchen.“ Es klang, als würde die Besitzerin der Stimme milde lächeln.
Morg begann langsam damit, seinen Hammer aus dem Schädel der Königin zu befreien. Was auch immer hier gerade passierte, es schien auf einen weiteren Kampf hinauszulaufen.
Hinter den Vasallen trat nun eine schwer erkennbare Gestalt aus der Öffnung der Schlucht. Sie war groß, sicherlich einen Schritt größer als Patron.
Mein Verstand raste und undefinierbares Grauen stieg in mir auf. Dieses Wesen kam mir bekannt vor!
„Ich muss schon sagen, zwei Ablenkungsmanöver? Eins von diesem Fürsten, das andere oben – ich ziehe meinen Hut! Ich war kurz davor, mir ernsthafte Sorgen zu machen.“
Die Gestalt kam auf uns zu, überragte die Vasallen deutlich, als sie sich durch ihre Reihen drängte. Die langen Schatten in der Schlucht ließen kaum Details erkennen, doch die eingefallene, grünlich schimmernde Haut, die spitzen Reißzähne ließen keinen Zweifel mehr zu.
„Mandji“, entfuhr es mir leise.
Die Gestalt verharrte überrascht in ihren Bewegungen und fixierte mich mit dämonischen Augen.
„Woher kennst du diesen Namen?“, zischte sie.
Doch sie überlächelte diesen kurzen Riss in ihrer Fassade und setzte ihren gemächlichen Gang fort.
„Grom, wer ist das?“, flüsterte Mina.
„Wir haben einen Fehler gemacht“, antwortete ich. „Bist du bereit, Grom?“
Er umklammerte den Hammer fest und nickte grimmig.
„Das ist lange her“, erklärte die Gestalt unbekümmert, ohne auf meine Antwort zu warten. „Eine Person mit diesem Namen gibt es nicht mehr.“ Sie kam gemächlich auf mich zu, ihre Augen zu Schlitzen verengt. Sie war nun gut zu erkennen, ihre überlangen Arme hingen entspannt zu den Seiten. „Verstehst du, Grom?“
„Hör nicht auf sie“, rief Hidda und brachte ihre Armbrust in Anschlag. Die Kreatur, die einmal Mandji, die Frau aus meinem hypnotischen Traum, gewesen war, schnaubte nur verächtlich. Doch Hidda zögerte nicht und drückte ab. Schnalzend verließ ein Geschoss mit unglaublicher Wucht ihr Kriegsgerät und raste auf Mandji zu. Noch schneller jedoch als der Bolzen war die Kreatur. In einem Wirbel aus Gliedmaßen schnellte sie herum und wich dem Geschoss beiläufig und fast schon elegant aus.
Tadelnd blieb sie stehen und blickte auf Hidda hinab. „Ihr Menschen. Sehr gewieft im Umgang mit eurem Verstand, und doch so naiv. Oh, wie viel Spaß ich mit euch haben werde. Ihr werdet meine größte Errungenschaft sein.“
Ihr Blick kehrte zu mir zurück und lächelte mich abschätzig an, was die vertrocknete, eingefallene Haut zu einem Zerrbild verkommen ließ. „Nun, sagen wir: Meine zweitgrößte.“ Fünf Schritte vor mir blieb sie stehen.
„Jetzt, Morg!“, brüllte ich und machte mich bereit für seinen Sprung. Doch es geschah nichts. Nicht einmal einer seiner Finger zuckte.
„Morg?“
Schweigen.
Mandji ließ erneut ihr glockenhelles Lachen ertönen.
„Kinder von Tÿl, Angriff!“, rief ich den anderen Ogern zu. Doch niemand bewegte sich. Ich schaute mich verwirrt um – sie alle waren in ihren Bewegungen erstarrt, als wären sie eingefroren! Kein Ton verließ ihre Kehlen. Hektisch griff ich nach der Kontrolle, wurde jedoch gnadenlos von einer steinharten Mauer zurückgeworfen. Morg hatte mich ausgeschlossen, lediglich mein Kopf und mein Arm gehorchten mir noch. Hilflos wedelte ich umher.
„Grom, was ist los? Was geschieht hier?“, rief Mina.
Der Blick, den ich ihr zuwarf, muss verzweifelt gewesen sein, denn sie zuckte vor Schreck zusammen.
„Deine Magie, Junge“, flüsterte auf einmal Lazar neben mir. Hatte er schon die ganze Zeit dort gestanden? Aber natürlich, die Magie!
Ohne zu zögern schleuderte ich meine ausgestreckte Hand vor, in der Erwartung, ein gleißender Feuerball würde Mandji verschlingen. Doch auch hier geschah nichts. Nicht einmal ein Funken.
„Nicht jetzt!“, fluchte ich in mich hinein. Doch ein Blick zu Mandji sagte mir, dass sie auch damit gerechnet hatte. Ihr selbstsicheres Lächeln wankte nicht eine Sekunde.
„Zeig‘ her“, drängte Lazar und gestikulierte in meine Richtung. „Vielleicht ist etwas mit dem Armband ni-?“
Ein schmatzendes Geräusch unterbrach ihn in seiner Ausführung. Er sah sich verwirrt um, bis er schließlich die kurze Klinge entdeckte, die aus seiner Brust ragte. Dünne Blutfäden zierten den blanken Stahl.
„Nein! Meister!“, kreischte Yosanna und eilte zu ihm.
„Was... ugh...?“, stöhnte er und sank langsam zu Boden.
„Ein Meister sollte wissen, wann, ähm, seine Zeit gekommen ist“, kicherte jemand. Lazars erschlaffende Silhouette gab die Sicht frei auf Zuak, der direkt hinter ihm stand und den blutigen Dolch in den Händen hielt.
„Was? Scharlatan... DU?!“, rief Isengrim.
„Oh, so naiv“, kicherte Mandji, deren Stimme mir eine Gänsehaut über den Körper jagte. „Ich sagte doch, ich habe meine Agenten überall. Habt ihr ernsthaft geglaubt, dieses Ding hier hätte die Kontrolle?“ Sie gab der toten Kreatur, die ich bis vor kurzem noch für die Königin gehalten hatte, einen verächtlichen Tritt.
„Habt ihr wirklich geglaubt, mit einer solchen amateurhaften List könntet ihr mich hereinlegen?“
Sie lachte laut auf, woraufhin sich alle Keszz-Drohnen um uns drängten, uns wimmelnd umzingelten. Mina und Hidda, die Lintbrut und alle menschlichen Krieger verschwanden hinter einer Wand aus knotigen Körpern und scharfen Klauen. Ihre Rufe gingen im Rascheln und Zischen von hunderten Drohnen unter. Ich war allein mit der Königin auf einer Insel im Meer der Drohnen.
„Nein“, schloss sie. „Ihr seid in meine Falle getappt.“ Sie näherte sich auf wenige Handbreit meinem Gesicht und musste sich, trotz ihrer immensen Größe, ein wenig zu mir emporrecken. Ihr fauliger Atem schlug mir kalt entgegen.
„Alles, was ihr erreicht habt, ist, den neusten Zugang für meine Truppen direkt an meine Türschwelle zu liefern.“ Sie warf der verblutenden Gestalt Lazars einen kurzen Blick zu, dessen Bewegungen zunehmend schwächer wurden.
„Wie gute Sklaven das eben tun.“ Sie lachte erneut auf und klatschte in die Hände. „Oh, willkommen zuhause, Grom. Ich habe euch so sehr vermisst.“