Im Nachhinein kann ich nicht mehr genau sagen, wie wir es geschafft haben, diese weiche, unförmige Kreatur zu transportieren. Mit ausreichend Tau und einigen Überresten aus der Kirche bauten wir hastig eine Konstruktion, sodass Morg und ich sie wie einen Schlitten hinter uns herziehen konnten. Das Wesen hatte sich als körperlich überraschend schwach und hilflos herausgestellt; außer unkoordiniertem Herumwedeln mit seinen Tentakeln und bösen Blicken bot es kaum Gegenwehr. Doch ich machte mir keine Illusionen: Es war ein brandgefährlicher Gegner und zweifellos für das verantwortlich, was mit den Bauern geschehen war.
„Haltet ihr es wirklich für eine gute Idee, ein Wesen, das Menschen mit seinem Geist kontrollieren kann, in unser Lager zu bringen?“, wollte ich von dem Oberst wissen, während Morg sich keuchend in die Taue stemmte.
„Wir wissen überhaupt nicht, ob es das kann. Doch selbst wenn... manchmal muss man Risiken eingehen. Ich denke, wir müssen jede Gelegenheit nutzen, um so viel wie möglich über die Keszz in Erfahrung zu bringen. Verdammt, bis gestern habe ich all eure Geschichten über außerirdische Eroberer für Seemannsgarn gehalten! Dachte, es wird schon eine rationale Erklärung für all das geben.“ Er lachte bitter.
„Glaubt mir... ich wünschte, es wäre so.“
„Nun, auch das ist ein Vorteil davon, wenn wir dieses... Ding mitbringen. Die Gefahr wird für die Leute real, sie haben einen Gegner vor Augen. Verstehst du? So grotesk dieses Lebewesen auch sein mag, alles ist besser als in eine Schlacht gegen einen Feind zu ziehen, den man noch nie zuvor gesehen hat.“
„Wenn du dich selbst kennst und den Feind...“, erinnerte ich mich an seine Worte.
Er nickte.
„Aber du hast nicht unrecht, es ist ein Risiko. Versprich mir eins: Solltest du bemerken, dass dieses Ding seinen schändlichen Einfluss auf uns ausübt, zögere nicht, es zu Brei zu zermalmen. Egal, wer sich dir in den Weg stellt.“
Morg grunzte voller Vorfreude.
„Versprochen.“ – „Versprochen.“
„Sagt mal, irre ich mich oder lichtet sich dieser seltsame Rauch langsam?“, rief eine Soldatin von vorne.
Sie hatte recht! Wir waren schon beinahe beim Lager und die Sicht war bei weitem nicht so schlecht wie auf dem Hinweg.
„Alles ist anders. Das Licht, die Geräusche, die... Atmosphäre!“, stimmte Rualab zu.
Alle schauten sich um und nickten überrascht. Selbst der Fäulnisgeruch schien abzuklingen.
„Oder wir haben uns einfach daran gewöhnt“, knurrte Hiskam.
„In jedem Fall haben wir heute etwas Gutes getan“, mischte sich Asklio ein.
Wir alle stimmten stumm zu, in Gedanken bei den unzähligen Leben, auch die der Bauern, die der Angriff der Keszz gekostet hatte.
„Achtung! Kontakt!“, klang eine dumpfe Stimme von irgendwo weiter vorne zu uns. Das mussten die Spähposten von Sullains Armee sein. Wir hatten es geschafft.
Die Geschichte unserer Erkundungsmission verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Lager. Doch anstatt Missmut und Furcht, rief sie eine Art trotzigen Mut hervor. Man spürte, wie sehr die Soldaten darauf brannten, tätig zu werden und es diesen Scheusalen persönlich heimzuzahlen.
Wir nahmen uns den Rest des Tages, um unsere Wunden zu lecken und uns auszuruhen – Befehl des Oberst. Am nächsten Tag würde es eine Lagebesprechung geben.
„Verdammte Teufel“, fluchte Marius, als wir am Abend in großer Runde beisammen saßen und irgendwie versuchten, die Dinge zu erklären, die wir gesehen hatten. „Und die haben alle Dörfler einer... Gehirnwäsche unterzogen? Wie geht denn sowas?“
„Ich habe euch doch mal erzählt, wie es bei uns abgelaufen ist. Wie sie uns erst in ihre Welt verschleppt und anschließend willenlos geprügelt haben“, antwortete ich. „Mir fehlt jede Erinnerung daran, was danach kam; wie sie es geschafft haben, uns tatsächlich an sich zu binden. Nun denke ich, es muss genau so eine Kreatur gewesen sein.“
Er schüttelte angewidert den Kopf. „Dafür werden sie büßen.“
„Natürlich werden sie das“, stimmte Isengrim zu, deren brüchige Stimme ihre Aufgewühltheit verriet.
„Ich verstehe etwas nicht“, sagte Morg. „Ich habe schon so viele Geschichten von euch über die Kriege gehört, die ihr gegeneinander führt; über die Dinge, die ihr euch antut. Warum ist das nun so schlimm für euch?“
„Eine, ähm, berechtigte Frage“, kicherte Zuak.
„Quatsch, das ist eine total bescheuerte Frage!“, rief Muonn. „Du warst doch dabei! Du hast doch gesehen, was sie für Monster aus den unschuldigen Menschen gemacht haben! ‚Warum ist das nun so schlimm für euch?‘“, schnaubte er, Morg nachäffend.
„Ich... dachte nur... ihr wärt Grausamkeit gewohnt“, erwiderte der kleinlaut.
„Schau mal“, mischte sich Lazar ein. „Es ist ganz einfach eine Sache, wenn man seinen eigenen Leuten diese Dinge antut, aber etwas völlig anderes, wenn es jemand anders tut. Verstehst du? Wir nehmen uns das Privileg heraus, uns gegenseitig so zu behandeln, wie wir es für richtig halten. Es bleibt dann unter uns, sozusagen.“
„Ich kann überhaupt nicht glauben, was-“, hob Muonn erneut an, wurde aber von Mina umgehend eingebremst.
„Schluss jetzt. Er hat einfach nur eine Frage gestellt, Muonn. Setz‘ dich wieder hin und pluster dich nicht so auf.“
Leise vor sich hinmaulend gehorchte er und fuhr fort, an einer Hähnchenkeule herumzukauen.
„Was mir aber überhaupt nicht schmeckt, ist, dieses Scheusal hier im Lager zu haben“, murmelte Hidda und ließ ihren Blick angstvoll in die Dunkelheit gleiten. „Wer sagt uns, dass es uns nicht genauso versklavt wie die Dörfler?“
„Niemand“, gab Mina zu. „Hoffen wir einfach, dass es nicht ganz so schnell geht. Du musst bedenken, die Keszz hatten Wochen, um so weit zu kommen, wie sie jetzt sind. Trotzdem müssen wir besonders wachsam sein.“
„Faszinierend, nicht wahr?“, flüsterte Zuak. Seine Augenfunkelten im Schein des Feuers. „Ähm, von einem rein wissenschaftlichen Blickwinkel. Wie sie denken, wie sie handeln, wie sie Macht ausüben“, beeilte er sich, zu erklären.
„Du bist krank“, sagte Yosanna. „Da ist nichts Faszinierendes dran. Nur kaputte, perverse Scheiße.“
„Das mag für dich so aussehen, mit deiner, hm, menschlichen Moral und deinen kirchlichen Werten. Aber warum? Die Natur kennt kein gut und kein böse. Das erfolgreichste Modell setzt sich durch, so einfach ist das.“
„Was ist denn das für ein Schwachsinn?“, erwiderte Isengrim angriffslustig. „Die Natur? Was soll das sein? Du weißt schon, was in der Bibel steht?“
Das entlockte Zuak nur ein abfälliges Schnaufen.
„Scharlatan... gerade wenn man anfängt, dich – ich will nicht sagen zu mögen, aber zu akzeptieren – dann kommst du mit dieser Blasphemie um die Ecke, dass ich denke, ich muss dich auf der Stelle niederstrecken.“ Isengrim sah aus, als hätte Zuak sie persönlich beleidigt.
„Ich denke“, mischte sich Lazar laut ein, „wir sind uns einig, dass diese Keszz vom Teufel höchstpersönlich geschickt wurden.“ Er warf seinem früheren Schüler einen Blick zu, der sagte: ‚Lass sie in ihrem Glauben‘. „Und uns, als Gottes Diener auf Erden“, er betonte dies mehr als ironisch, „ist es nun Aufgabe, sie zu besiegen. Es bleibt die Frage: Wie?“
„Was meinst du damit – wie?“, fragte Muonn. „Wir haben mit den Truppen des Fürsten – was weiß ich? – vielleicht fünfzehntausend Mann. Wir sind siegreich aus der ersten Schlacht hervorgegangen, haben einen von ihren Agenten, oder wie immer man das Ding nennen mag, gefangen genommen. Ich sage: Die Waffen in die Hände und sie einfach überrollen!“
„Jawoll!“, rief Marius mit noch kindlicher Stimme.
„Da spricht der Stratege“, stöhnte Isengrim.
„Nun, das wäre natürlich eine Möglichkeit“, sinnierte Lazar. Er lehnte sich zurück und stützte sich auf den Ellenbogen ab. „Du hast nicht unrecht, Muonn, wir haben die erste Schlacht gewonnen... Indem wir ein einziges, winziges Bauerndorf ausgelöscht haben.“
„Das war nicht-!“, wollte Muonn widersprechen.
„Welche Dörfer und Städte kennst du noch, die von hier aus in südlicher Richtung liegen?“, unterbrach er ihn.
„Nun...“, grübelte Muonn angestrengt. „Unholm?“
„Ah, richtig. Und weißt du auch, wie viele Einwohner Unholm hat?“
„Muss ich mich so behandeln lassen?“, maulte er an Mina gewandt, die das zu seiner Enttäuschung wortlos bejahte. „Nein, weiß ich nicht“, seufzte er schließlich.
„Laut letztem Census etwas mehr als zehntausend“, verriet Zuak.
„Aha. Und?“ Er schaute sich ratlos um.
„Und nun“, fuhr Lazar mit der unendlichen Geduld eines Meisters fort, „stell dir mal vor, die Keszz haben Unholm genau so unter ihrer Kontrolle, wie dieses kleine Bauerndorf hier.“
Muonn starrte ihn an, wortlos etwas vor sich hinmurmelnd. Mit jedem Augenblick wurden seine Augen größer, als sich langsam die Erkenntnis durchsetzte. „Du meinst...?“, stotterte er.
„Scheiße“, fluchte Isengrim leise.
Lazar nickte ernst.
„Eine Armee von zehntausend Mutanten“, flüsterte Mina.
Nachdem allen die Tragweite von Lazars Theorie klargeworden war – dass wir voraussichtlich einer menschlichen Mutantenarmee zusätzlich zu der sicherlich ohnehin schon gewaltigen Zahl von Keszz gegenüber stehen würden – erholte sich die Stimmung für den restlichen Abend nicht mehr. Unterhaltungen fanden wenn überhaupt nur einsilbig statt. Stattdessen hingen wir alle grübelnd unseren eigenen Gedanken nach. Wir, die an der Schlacht teilgenommen hatten, spürten außerdem schon alsbald die tiefe Erschöpfung, die sich in unseren Knochen bleischwer ausbreitete.
Bereits kurz nach Sonnenuntergang verabschiedeten Morg und ich uns von der Lintbrut und schleppten uns zu unserem Stamm zurück, der nicht unweit entfernt ihr Lager aufgeschlagen hatte. Auch hier mussten wir noch einmal Rede und Antwort in allen blutigen Details stehen, bevor wir wie tot auf unser einfaches Lager fielen. Morg schlug sogar Razzhivs Angebot nach ein wenig Zweisamkeit aus, was mir ganz gelegen kam, auch wenn ich es ihm selbstredend gegönnt hätte.
Ich versuchte noch, meine Gedanken für den nächsten Tag zu sortieren, fiel aber schnell in einen unruhigen, fiebrigen Schlaf. Vor mir tauchten Gesichter auf: Hidda, mit bizarren Auswüchsen entstellt, Un’ro, der in seinem eigenen Blut erstickte, und nicht zuletzt Gol’dar, die mich gehässig auslachte.
Am nächsten Tag erwachte ich schweißgebadet und ich fühlte mich kaum ausgeruht. Ich schlug meine Augen auf und erblickte Razzhiv, die mit einem Stück Stoff zärtlich unsere Wunden abtupfte, und dabei leise mit Morg sprach. Ich gönnte den beiden noch einige Minuten Privatsphäre und genoss insgeheim ihre einfühlsame Fürsorge. Immerhin schienen die Verletzungen gut zu verheilen.
Etwa eine Stunde später stand eine ungeduldige Yosanna an unserem Feuer und drängte darauf, Morg und mich mitzunehmen. Sie wollte nicht im Detail erläutern, um was es ging, sondern sagte nur, es wäre dringend und ihr Meister hätte einen Plan. Das ließ mich misstrauisch aufhorchen.
„Nun gut“, seufzte Morg schließlich, der sichtlich nach ein bisschen zusätzlicher Ruhe lechzte.
„Na komm, wir sind nicht zur Entspannung hier“, knurrte ich, als wir unter Schmerzen aufstanden. „Un’ro, mitkommen! Das könnte wichtig sein.“
Zu dritt machten wir uns auf den Weg, schlängelten uns durch die ausufernde Zeltstadt und gelangten schließlich zu einem gut bewachten, von Holzpalisaden eingezäunten Schlupfwinkel. Grimmige, schlechtgelaunte Wachen standen davor und bedachten uns mit einem gleichgültigen Blick. Eine von ihnen nickte kurz angebunden und winkte uns durch.
Im Inneren des mit hohen, angespitzten Holzpfeilern eingezäunten Bereichs warteten bereits Lazar und Zuak sowie die beiden Herrscher Valerius und Sullain. Sie alle starrten auf den in einem provisorisch zusammengezimmerten Käfig eingesperrten Keszz. Dessen Tentakeln glitten immer wieder suchend zwischen den Gitterstäben hervor, seine Facettenaugen wortlos auf uns gerichtet.
„Jetzt, ähm, wird es aber kuschelig eng hier drin“, kicherte Zuak, als wir dazukamen. Wir mussten eng zusammenrücken, um in den kleinen Verschlag zu passen.
„Hoheit, hier drüben ist noch jede Menge Platz für uns beide“, säuselte Sullain und zeigte auf den Platz neben sich.
„Können wir das bitte hinter uns bringen?“, verdrehte sie die Augen.
„Zu Diensten“, verbeugte sich Lazar tief und warf einen langen, grübelnden Blick auf die Kreatur im Käfig. „Am gestrigen Abend, wie wir die Ereignisse des Tages Revue passieren ließen, kam die Sorge auf, dass wir überhaupt nicht so recht wissen, mit was wir es zu tun haben. Im schlechtesten Fall werden wir einer Armee gegenüberstehen, die aus Keszz-Kriegern sowie mehreren tausend Mutanten besteht, wie wir sie gestern erlebt haben. Wir kennen selbstredend keine genauen Zahlen, von einer Übermacht kann aber ausgegangen werden.“
Valerius und Sullain schauten ihn abwartend an.
„Nun, mein geschätzter Kollege und ich, da der Erfolg dieses Feldzugs in unserem grundlegendsten Eigeninteresse ist, möchten Euch einen Vorschlag unterbreiten: Was wäre, wenn wir eine Methode gefunden hätten, die es uns erlaubt, jeden Keszz und jeden Mutanten mit einem Mal auszuschalten?“
Ich glaubte, meinen Ohren kaum zu trauen. Meinte er das ernst? Und wenn ja, wie? Ich schielte zu Valerius hinüber, deren hochgezogene Augenbraue gleichermaßen viel Skepsis ausdrückte.
„Was meinst du mit ‚ausschalten‘?“, wollte Sullain wissen.
„Wenn alles so klappt, wie wir uns das vorstellen, dann können wir jeden Keszz auf diesem Kontinent – vielleicht sogar auf der ganzen Welt – mit einem einzigen, gezielten Schlag vernichten.“
Zuak nickte, auf seinem Gesicht ein schelmisches Grinsen.
„Wie?“, forderte Valerius, die sich ihre Überraschung, so sie denn vorhanden war, nicht anmerken ließ.
„Hier wird es, ähm, ein wenig theoretisch“, antwortete Zuak, der nervös an seinem Bart zupfte. „Erst die Vorkommnisse in dem Dorf haben uns auf die Idee gebracht. Wir haben versucht, zu ergründen, wie, hm, diese Manipulation der Keszz funktioniert. Die Berichte der Oger“, er nickte in unsere Richtung, „und die Augenzeugenberichte von gestern deuten darauf hin, dass die Keszz eine Methode entwickelt haben, die es ihnen erlaubt, andere Lebewesen mittels, ähm, Gedankenkontrolle zu steuern. Wenn es Gesteuerte gibt, muss es auch einen Steuermann geben.“ Er lächelte dünn und wartete offenbar auf Widerspruch. Als keiner folgte, fuhr er fort:
„Gesetzt diesem Fall, muss der Steuermann einen Weg haben, wie er mit den Gesteuerten kommuniziert, ihnen Befehle gibt. Etwas, was beispielsweise beim Pferd die Zügel sind, über die der Reiter sein Tier in die gewünschte Richtung lenkt.“
„Im Falle der Keszz natürlich alles ein wenig komplexer und durchtriebener“, ergänzte Lazar.
„Die Königin, die ihr einst erwähntet...“, sinnierte Valerius und schaute kurz zu mir.
„Ihr sprecht also von einem einzigen, zentralen Organismus, der alle Befehle erteilt? Eines jedes einzelnen Keszz?“, hakte Sullain ungläubig nach. „Wie könnt ihr euch da so sicher sein?“
Die beiden Mystiker warfen sich gegenseitig einen schnellen Blick zu, der sagte, dass sie diese Frage befürchtet hatten.
„Können wir nicht“, gab Lazar zu.
„Es ist, wie gesagt, momentan nur eine, ähm, Theorie, Hoheit. Wir glauben, dieses Wesen hier“, Zuak zeigt auf das amorphe Wesen, „hat direkte Kontrolle auf die Dorfbewohner ausgeübt, jeden einzelnen Befehl aus seinem Geist in den Kopf der Menschen projiziert. Darauf lassen die synchronisierten Bewegungen und Angriffe der Dörfler schließen.“
„Und wenn dem so ist“, fuhr Lazar fort, „dann kann man getrost davon ausgehen, dass dieses Wesen auch nichts weiter ist als der verlängerte Arm dieses einen alles lenkenden Geistes – der Königin.“
„Bisher dachten wir, sie wäre nur der Befehlshaber“, schlussfolgerte ich. „Doch sie ist viel mehr. Sie ist die Keszz!“
Blicke hefteten sich an das unscheinbare, hilflose Ding, das unermüdlich mit seinen schwachen Tentakeln gegen die Gitterstäbe kämpfte.
„Nun gut“, seufzte Sullain irgendwann, „mal angenommen, eure Theorie stimmt. Wie hilft uns das? Mir bereitet das eher Sorge: Eine riesige Armee, deren Handlung einem einzelnen Geiste entspring? Kein Zögern, kein Desertieren, keine Furcht? Jeder Handschlag bis ins Kleinste koordiniert? Wie sollen wir einen solchen Gegner schlagen?“
Valerius stimmte ihm widerwillig zu.
„Ihr habt recht“, bestätigte Zuak. „Doch das sind nicht, hm, ausschließlich schlechte Nachrichten. Natürlich, auf offenem Felde würden wir voraussichtlich nicht lange bestehen. Insbesondere da wir, ähm, nicht wissen, was die Keszz alles gegen uns ins Felde führen würden. Die Oger sagen, ganze Welten wurden von ihnen versklavt. Gott weiß, was die für Abscheulichkeiten mitgebracht haben.“
„Und inwiefern sind das nicht ausschließlich schlechte Nachrichten?“, lächelte Valerius abwartend.
„Wenn es nur einen einzigen Steuermann, also Steuerfrau – also die Königin! – gibt...“, erwiderte Lazar.
„Dann sind alle Keszz ohne sie, hm, hilflos. Hirntot. Nur lebloses Fleisch“, vervollständigte Zuak den Gedanken.
Stille breitete sich aus, als wir alle diese Argumentation im Kopf durchspielten.
„Schneide den Kopf ab und der Körper fällt erschlafft zu Boden“, wiederholte ich leise Zuaks Worte von damals.
Mir war bewusst, dass die Königin der Keszz, dieses Geschöpf aus meinem hypnotischen Traum, uns Oger unter ihrer Kontrolle hatte. Aber so, auf diese Weise? Ich versuchte, mich an die Jahre in ihrer Knechtschaft zurückzuerinnern. Als ich Kriege und Schlachten für die Keszz gefochten hatte. Ich schaute auf meine Hände. War mein Wille mein eigener gewesen oder hatte die Königin meine Hand geführt?
„Gut! Das ist gut!“, klatschte Valerius in Hände. „Ausgezeichnete Arbeit, ihr beiden. Wir machen Fortschritte. Also, wie gehen wir vor?“
Die Köpfe der beiden Männer fuhren zu ihr herum.
„Wie wir...?“, stotterte Lazar.
„...vorgehen?“, stammelte Zuak.
„Na ihr habt uns doch hierher gerufen, um uns einen Taktikvorschlag zu unterbreiten. Oder etwa nicht?“ Valerius verschränkte die Arme vor der Brust.
„Aber, äh, Hoheit, wir verstehen doch nichts von-“
„Also wolltet ihr eigentlich nur mit eurer Erkenntnis prahlen?“ Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen.
„Nun... wenn Ihr es so formuliert...?“
„Wenn Ihr erlaubt, Hoheit?“, drängte sich nun Yosanna nach vorne und sprang den beiden zur Seite. „Der erste Schritt muss nun sein, diese Theorie zu verifizieren. Wenn sie stimmt, dann erfahren wir im Idealfall den Standort der Königin. Und danach, ähm...“
„Einen gezielten Schlag planen, um sie auszuschalten?“, bot ich an.
„Klingt einleuchtend“, nickte Valerius. „Tut das. Ihr habt einen Tag. Was braucht ihr dafür?“
Lazar, Zuak und Yosanna tauschten einige schweigende Blicke aus, Kopfschütteln, Schulterzucken, schließlich Kopfnicken. Beinahe so, als würden sie im Geiste kommunizieren.
„Wir brauchen Zugriff auf das da“, sagte Lazar und zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf das Keszz-Geschöpf im Käfig. „Und-“
Die Köpfe der drei drehten sich gleichzeitig zu Morg und mir.
„-euch“, beendete Yosanna den Satz.
„Huh?“ – „Uhh?“
„Ich will überhaupt nicht wissen, was die drei schon wieder ausgeheckt haben“, jammerte Morg. Wir hatten uns ein Stück abseits des provisorischen Kerkers an ein Feuer gesetzt, wo wir uns die Hände wärmten.
„Was sagt er?“, fragte Yosanna neugierig.
„Ach, äh... nur, dass er sich schon sehr auf die Zusammenarbeit mit euch freut. Aber sagt mal, was habt ihr überhaupt vor?“
„Keine Ahnung“, murmelte Yosanna nur und zuckte mit den Schultern.
„Wie jetzt?“
„Gestern Abend, als wir, ähm, diese Theorie entwickelt haben, dachten wir eigentlich, der König wäre, hm, hocherfreut über diese Erkenntnis. Dass er von uns nun eine taktische Empfehlung verlangt...!“
Zuak lachte nervös.
„Absurd“, stimmte Lazar grübelnd zu. „Morg, Grom... helft uns! Wir sind nicht viel weiter in unseren Gedankengängen gekommen als bis dahin! Wir sind doch keine Militärstrategen oder Krieger.“
„Tÿl...!“, seufzte Morg.
„Nun gut, eins nach dem anderen“, beschwichtigte ich. „Yosanna, du hast doch gesagt, wir müssten erst eure Theorie wahri-fi-?“
„Verifizieren“, sprang sie mir bei.
„Genau. Überprüfen. Wenn ich eure Heimlichtuerei richtig verstanden habe, gibt es doch zumindest dafür eine Idee?“
„Sagen wir, eine weitere Theorie“, gestand Lazar und grinste schief.
„Na prima. Ein Anfang. Erzählt!“
Die drei warfen sich nochmal einen flüchtigen Blick zu, bevor Zuak erklärte: „Ihr erinnert euch sicherlich noch an die Hypnose, die wir in Lazars Unterschlupf durchgeführt haben, in den Wäldern von Wurt?“
„Fällt mir schwer, das zu vergessen...“
„Auch da haben wir ja bereits die Theorie aufgestellt, die Königin wäre der Kopf dieses ganzen Schwarms, wie ihr es damals genannt habt.“
„Richtig“, sagte Zuak. „Wobei wir nicht ansatzweise ahnen konnten, dass ihre Kontrolle derart, ähm, direkter Natur ist. Ich dachte, wenn man die Königin entfernt, zerfiele der Rest des Staates in Chaos und stürbe sukzessive aus. Doch nun sieht es ja danach aus, als gäbe es ohne Königin überhaupt keinen Staat! Als wären ihre Sklaven nur willenloses Fleisch. So wie... der Körper nur Befehle des Gehirns ausführt, führen die Sklaven die Befehle der Königin aus.“
„Bei der Hypnose damals haben wir uns den Effekt des Steins zunutze gemacht. Eine glücklicherweise sehr schwache Verbindung“, lachte Lazar.
„Das verstehe ich nicht“ – „Ich auch nicht“, sagten wir.
„Schaut, es sieht ja danach aus, als nutzten die Keszz dieses Gestein, um Verbindungen zwischen den Welten herzustellen. Wie genau? Keine Ahnung! Bei der Hypnose haben wir nichts anderes gemacht, als deinen Geist, Grom, in dieselbe... Schwingung zu versetzen, wie sie der Kristall hat.“
Ich schaute ihn leer an.
Er seufzte und winkte ab. „Eine wahnsinnig komplexe Theorie, die für den Moment auch irrelevant ist. Nur so viel: Die Königin nutzt das Gestein für ihre Reisen und muss dafür eine Verbindung zu ihm herstellen. Ihr Geist passt sich also der Schwingung des Kristalls an. Dadurch, dass wir deinen Geist in dieselbeSchwingung versetzt haben, haben wir auch eine Verbindung zwischen ihr und dir hergestellt. Der Kristall dient dann als Leiter.“
„Ungefähr so“, mischte sich Yosanna ein, die wohl die unzureichende Erklärung der beiden störte, „als würdest du wissen wollen, wer dein neuer Nachbar ist. Aber anstatt einfach hinzugehen und anzuklopfen, spazierst du einige Male unauffällig an seinem Haus vorbei und versuchst, durch die offene Haustür etwas zu erkennen. Der Kristall hat für dich sozusagen diese Haustür geöffnet.“
„Mein Gott, wie naiv wir waren!“, lachte Lazar. „Stellt euch vor, die Hypnose hätte eine echte Verbindung zwischen Groms Geist und dem der Königin hergestellt!“
„Sie hätte ihn in Nullkommanichts unterworfen“, stimmte Yosanna zu.
„Und wir wären alle tot“, ergänzte Zuak.
„Ich bedanke mich für eure Offenheit. Jetzt, hinterher“, maulte ich.
„Es ist doch gutgegangen, oder nicht?“, grinste Yosanna.
„Sei’s drum“, sagte ich. „Das war die Hypnose. Damals. Habe ich es richtig verstanden, dass ihr sie erneut durchführen wollt?“
„Nicht... ganz“, gab Zuak zu, der nervöse Würste aus seinem Bart drehte.
„Wir brauchen etwas Direkteres“, sagte Lazar.
„Dieses Mal musst du nicht einfach nur an dem Haus des Nachbarn vorbeigehen. Du, öh, kletterst unbemerkt durch ein offenes Fenster hinein und wühlst in seinen Sachen herum“, versuchte Yosanna ihre Analogie.
„Und wenn jemand zuhause ist und ich erwischt werde?“
„Dann, äh, sagst du, du wärst der Schornsteinfeger“, bot Zuak an.
„Ich versteh gar nix mehr“, maulte Morg.
Lazar atmete tief durch. „Wir wollen... dass ihr euch von diesem Wesen da drüben“, er gestikulierte in Richtung des Käfigs, „versklaven lasst.“
Mein Lachen hallte donnernd durch den Wald. Ich musste mich verhört haben! Doch als ich in die ernsten Gesichter der drei schaute, klappte mein Kiefer schlagartig zu.
„Warte! Ihr meint das ernst?“
Dreifaches Kopfnicken.
Wir stritten noch eine Weile sehr ausführlich über den Plan – hauptsächlich weil ich mich standhaft weigerte, das Versuchskaninchen für diese krude Theorie zu spielen. Doch irgendwann hatten sie mich, unter stetiger Beteuerung, dass das Ganze ‚hinreichend sicher‘ sei, weichgeklopft und zu einem Ja bewogen. Mir gefiel es nach wie vor nicht, doch mir wurde auch klar, dass wir auf herkömmlichem Wege keine Möglichkeit hatten, gegen die Keszz zu gewinnen.
Und so standen wir, als die Nacht schon weit vorangeschritten war, vor dem schiefen Käfig und blickten in die reglosen, tiefschwarzen Facettenaugen der Kreatur. Ich wusste nicht, ob sie uns verstand, geschweige denn, ob überhaupt ein bewusster Verstand sich unter all der warzigen, schleimigen Haut befand.
„Und jetzt?“, fragte Morg unschlüssig. „Wie geht es weiter?“
„Das, ähm, ist leider der kleine Schwachpunkt in unserem Plan“, gestand Zuak.
„Oh, das ist der Schwachpunkt, ja?“, motzte ich.
Yosanna kicherte, beinahe so, als wäre sie daran nicht beteiligt.
„Ich weiß nicht. Öffne deinen Geist. Kommuniziere mit ihm“, schlug Lazar Morg vor.
„Lad‘ es zu einem Becher Wein ein“, ergänzte Yosanna.
„Nicht hilfreich“, grummelte ich. „Morg, du musst das nicht tun, wenn du Zweifel hast.“
„Nein. Ich mach’s.“
Sein Blick war konzentriert auf das Wesen gerichtet, das ausdruckslos zurückstarrte. Schließlich ließen wir uns nahe beim Käfig auf den Boden nieder und rückten so nah es ging heran. Nichts deutete darauf hin, dass das Wesen mit uns versuchte, Kontakt aufzunehmen – noch nicht einmal, dass es uns überhaupt wahrnahm. Es lag einfach nur da, hin und wieder ein schwaches Zucken in den Tentakeln.
Die Minuten verstrichen und nichts geschah. Weder Morg noch ich spürten irgendeinen Einfluss. Hatten wir uns doch in dem Wesen getäuscht? Vielleicht hatte es eine ganz andere Aufgabe als wir dachten. Es musste sicherlich eine halbe Stunde verstrichen sein und ich war bereits kurz davor, aufzugeben, als mir ein letzter Einfall kam.
„Morg“, flüsterte ich in die Stille hinein, „kannst du dich in den Razsh’ek begeben?“
„Du meinst jetzt? Hier?“
„Ja. Er war doch immer das ultimative Instrument der Macht über uns. Vielleicht... ermutigt er das Wesen irgendwie, seinen Geist nach uns auszustrecken?“ Ich zuckte leicht mit der Schulter. „Das ist die letzte Idee, die ich habe.“
Morg überlegte kurz und stimmte schließlich zu. Ich spürte, wie seine Atmung mit einem Mal tiefer ging und sich beschleunigte, wie er unter seinen Atemzügen dunkle Worte vor sich hin murmelte. Seine Stimme veränderte sich, wurde düsterer.
Da! Hatte das Wesen zusammengezuckt? Ich konnte mir nicht sicher sein, doch es schien uns zu fokussieren. Es sah aus, als betrachtete es uns abschätzend mit zusammengekniffenen Augen – wenn es Augenlider gehabt hätte. Das Wesen wurde nun eindeutig aktiver, seine Tentakeln zuckten aufgeregt hin und her. Plötzlich schoss einer davon blitzschnell hervor und schlang sich um Morgs Unterarm. Wie vom Donner gerührt verstummte er und riss die Augen weit auf.
„Morg?“, flüsterte ich. „Morg!“
Ich erhielt keine Antwort, doch ich spürte, wie etwas langsam in seinen – unseren! – Körper kroch und sich in den Ritzen seines Verstandes einnistete. Ich schielte zu ihm herüber und beobachtete mit Entsetzen, dass er völlig gebannt und ohne zu blinzeln in die toten Augen der Kreatur starrte. An den Rändern seiner Iris formten sich dunkle Schatten.
„Was ist los?“, rief Yosanna von irgendwo, doch ich hatte keinen Sinn dafür.
„Morg, lass dich nicht-!“, beschwor ich ihn, doch auf einmal merkte ich es – ein Gefühl wie hundert nagender Würmer, die sich gefräßig in mein Fleisch bohrten. Es musste die Kreatur sein, die Stimme der Königin, die versuchte, auch die Kontrolle über meine Körperhälfte zu bekommen. Ich hörte sie nicht – noch nicht – so wie Morg. Doch ich spürte ihre Anwesenheit.
Panik wallte in mir auf, als mir der Gedanke durch den Kopf schoss, dass dieses Experiment ein Riesenfehler gewesen war. Ich versuchte, mich aufzurappeln, zu fliehen, doch die Beine gehorchten mir nicht mehr. So sehr ich auch um die Kontrolle kämpfte, meine Nerven antworteten mit stählernem Schweigen.
„Morg, ich kann nicht... Hilf mir! Leute, hier läuft etwas gewaltig schief!“
Als wären meine Beine in der Hocke erstarrt, schaffte ich es noch nicht einmal, einen einzigen Zeh zu bewegen.
„Was ist los? Was siehst du?“, rief Lazar.
Mit einem Mal drehte Morg seinen Kopf zu mir, gemächlich und entspannt, als gäbe es keinen Grund zur Eile.
„Da. Seid. Ihr. Ja. Kinder.“, tönte es blechern aus seinem Mund, die Stimme nicht seine eigene.
„Ach du Scheiße“, fluchte jemand. „Wir müssen dieses Ding töten, bevor-!“
„Ich. Habe. Euch. Schon. Vermisst.“ Morg drehte sich um seine eigene Achse und erspähte die Menschen. „Sagt. Mir. Nicht. Ihr. Habt. Euch. Mit. Diesen. Erbärmlichen. Geschöpfen. Zusammengetan.“
Die Stimme klang enttäuscht, als ob sie mit einem Kind spreche, das selbst die einfachste Aufgabe nicht meistere.
„Meister. Zuak. Seine. Schülerin. Yosanna. Und. Der. Den. Sie. Scharlatan. Nennen. Seid. Gegrüßt!“
Die Menschen starrten Morg mit offenen Mündern an.
„Was bist du? Wer bist du?“, stotterte Lazar.
„Und woher kennst du unsere Namen?“, rief Yosanna.
Morg lachte laut und kernig auf. Ein sadistisch-amüsiertes Lachen, das vor Hohn nur so strotzte. In diesem Moment flammte in mir ein Gefühl auf; es war kaum als solches auszumachen, doch es war da. Ein Hoffnungsschimmer? Ich konzentrierte mich darauf.
„Also bitte. Glaubt ihr ernsthaft. In dieser Welt. Geschieht etwas. Von dem ich nichts weiß? Dass meine Agenten. Nicht überall sind?“ Die Stimme wurde flüssiger, begann, der von Morg zu ähneln. Er schnaufte abschätzig.
„Ihr. Und euer erbärmlicher Widerstand. Diese abgehalfterte Truppe. Die sich Lintbrut nennt – glaubt ihr. Ich wüsste nicht von euch?“
Das Gefühl wurde stärker. Es war wie ein winziger, glimmender Punkt in unendlicher, stockdüsterer Dunkelheit. Unsichtbare Winde zerrten an ihm, drohten, ihn fortzuwehen. Doch das Glimmen behauptete sich und wuchs. Es brauchte Zeit! Ohne dass Morg, oder die Königin, die in seinem Kopf steckte, es mitbekam, gab ich Lazar ein unscheinbares Signal, sie weiter abzulenken. Er verstand sofort.
„So, du hast also von uns gehört?“ Er setzte ein Lächeln auf und trat einen vorsichtigen Schritt vor. „Weißt du, was mir das sagt? Dass du Angst hast.“
Wenn Morg-Königin gekonnt hätte, wäre er Lazar an diesem Punkt sicherlich an die Gurgel gegangen, doch seine Kontrolle über uns reichte noch nicht aus. Er schnaufte wild und stieß ein zorniges Brüllen hervor, das die Luft zum Erzittern brachte.
Das Glimmern in der Dunkelheit erfuhr einen gewaltigen Wachstumsschub. Ich griff danach, versuchte, es zu beschützen.
„Angst?! Du Wurm“, spie Morg-Königin. „Du hast in deinem Leben noch keine Angst gehabt! Wenn ich mit euch allen fertig bin, werde ich mir dich bis zum Schluss aufsparen und mir Zeit lassen! Jahrhunderte des Schmerzes und Leids wirst du durchleiden, du Made!“ Speichel troff in langen Fäden aus seinem Mund.
Ich erreichte das Glimmern und in meiner Hand loderte es auf. Blitzschnell wuchs es heran, von einem Glimmern, zu einem Funkeln, zu einem Strahlen, das die umgebende Dunkelheit mehr und mehr vertrieb.
„Wir Menschen haben ein Sprichwort“, mischte sich Yosanna ein und trat neben ihren Meister. „Nur getroffene Hunde bellen. Und Schätzchen, du bellst gerade ziemlich laut!“ Sie setzte ein unglaublich provokantes Lächeln auf.
„RAAAAARGH!“, donnerte Morg-Königin und hievte einen schwerfälligen Fuß nach vorne, auf Lazar und Yosanna zu. „DIESE. WELT. WIRD. BRENNEN!“
Die beiden sprangen erschrocken einen Schritt zurück.
Das Leuchtfeuer in der Dunkelheit explodierte. Es strahlte so hell wie eine Sonne in der finstersten Nacht. Jede Ecke und noch so kleine Ritze der Dunkelheit wurde blendend hell ausgestrahlt, die Dunkelheit wie hinfortgefegt, ihre Geheimnisse offenbar. Und ich sah. Alles.
Morg-Königin holte mit beiden Armen zu einem Schlag gegen die beiden Menschen aus, machte einen weiteren Schritt nach vorne... und wir fielen! Sein Bein knickte unter ihm weg und der Boden raste auf uns zu. Wir schlugen schmerzhaft auf dem hartgefrorenen Untergrund auf, ohne den Aufprall mit unseren Händen abzufangen. Irgendwo sprang eine gerade verheilte Wunde auf, neue Abschürfungen kamen hinzu.
„Uff“, keuchte ich nur, als es mir die Luft aus den Lungen trieb.
Ich hatte nach wie vor keine Kontrolle über meinen Körper, konnte nur hilflos zu Morg schauen, der mit geschlossenen Augen reglos dalag.
„Ist alles in Ordnung?“, rief Lazar, als die drei zu uns eilten. Sie versuchten, uns aufzuhelfen, was ohne jegliche Mithilfe meinerseits natürlich ein hoffnungsloses Unternehmen war.
„Ja, bei mir schon“, antwortete ich dumpf mit dem Gesicht im Dreck. „Was ist mit Morg?“
Yosanna betastete ihn umständlich und kam schließlich zu dem Schluss: „Schläft.“
„Na toll“, seufzte ich. „Hätte er nicht in eine angenehmere Position fallen können?“
Es dauerte eine ganze Weile, bis Morg wieder bei Sinnen war und wir uns, außer Hörweite dieses Tentakelwesens, an einem Feuer über die Begegnung mit der Königin austauschten.
„Um ehrlich zu sein“, gab Morg gerade zu, „bin ich mir nicht so sicher, dass ich wirklich zu jeder Zeit die Kontrolle hatte.“
„Die Kontrolle...?“, staunte Yosanna ungläubig. „Morg, du warst besessen! Die Königin hatte dich vollständig im Griff!“
„Aber nur, weil ich sie gelassen habe“, grinste er spitzbübisch, wobei seine spitzen Hauer zum Vorschein kamen.
„Was meinst du damit? Hast du etwa die ganze Zeit daneben gestanden und gesagt ‚Och ja, lass sie mal noch ein bisschen weiter machen?‘“
„Nun... ja! Ich wusste, dass ich Grom Zeit verschaffen musste; habe gespürt, dass du da etwas auf der Spur bist.“ Er warf mir einen schnellen Blick zu.
„Und kurz bevor die Königin deine Freunde zu Brei zermalmt, hast du dir gedacht, dass sie lang genug ihren Spaß hatte?“ Sie sah ein wenig empört aus.
„Richtig“, bestätigte er.
„Ich wünschte, ihr hättet uns vorher eingeweiht“, beschwerte sie sich.
„Fühlt sich nicht so gut an, wie? Das war immerhin euer glorreicher Plan. Wir haben nur... improvisiert“, sprang ich Morg bei.
Sie verschränkte maulend die Arme vor der Brust.
„Ich für meinen Teil halte das ganze Experiment für einen riesigen Erfolg“, mischte sich Lazar ein. Er sah aus, als hätte er zu keinem Zeitpunkt auch nur den Anflug eines Zweifels gehabt. „Wir haben beweisen können, dass die Königin direkte und unmittelbare Kontrolle über euren Körper hatte, nicht wahr? Sie hat euch nicht befohlen, auf uns loszugehen, sondern hat es selbst getan, mithilfe eures Körpers.“
„Es fühlte sich zumindest so an“, gab ich zu. „Eine Erfahrung, die ich niemandem wünsche. Als wäre man Zaungast im eigenen Körper.“
„Ihr müsstet das Gefühl aber doch, ähm, kennen? Ist das nicht ein Kampf, den man schon vom ersten Tag an führt, wenn man zu zweit in einem Körper steckt?“, wollte Zuak wissen.
„Nein“, widersprach ich entschieden. „Wenn ich mich zurückziehe und die Kontrolle übergebe, weiß ich, dass ich jederzeit eingreifen könnte. Ich spüre alles, was Morg spürt. Außer, wenn du dich in den Razsh’ek begibst...“
„Ein gutes, hm, Stichwort. Ist es das, was schlussendlich den Ausschlag gegeben hat? Der Blutrausch?“
Ich schaute Morg an, erinnerte mich an das Gefühl der nagenden Maden. Schließlich nickte er.
„Ja. Das ist es. Ihr direkter Draht zu uns.“
„Als ich mich in den Rausch begab... es fühlte sich an, als würde ich eine Tür aufmachen. Und als dieses Ding mich mit seinem Tentakel berührte, spazierte die Königin einfach hindurch.“ Morgs Kiefermuskeln arbeiteten. Ich konnte ihm ansehen, wie sehr in diese Verwundbarkeit irritierte.
„Und wie hast du es schließlich geschafft, sie, ähm, zurückzudrängen?“
„Wie ihr gesagt habt: Es war ein Experiment. Ich habe sie bewusst hereingelassen. Wollte wissen, wie stark ihre Kontrolle ist. Und, bei Tÿl, sie wurde stärker! Mit jedem verstreichenden Moment. Hätte ich noch länger damit gewartet, mir die Kontrolle zurückzuholen...“ Er schüttelte wortlos den Kopf.
„Und damit hat sie einen Fehler gemacht“, knüpfte ich an.
Die drei Menschen starrten mich an. „Was meinst du?“
„Eure Provokationen haben sie derart eingenommen und abgelenkt, dass sie nicht bemerkt hat, wie ich... was ich...“ Mir fehlten die Worte, um das Gefühl dieser kleinen Flamme in der Dunkelheit zu beschreiben. „Ich denke, diese Verbindung ist keine Einbahnstraße. Wie sie in Morgs Kopf schlüpfen konnte, so konnte ich das auch bei ihr.“
„Du... weißt, wo sie ist?“, staunte Lazar.
Ich nickte. „Nicht nur das. Ich sah sie und jeden einzelnen Keszz, den es da draußen gibt.“
Schweigen stellte sich ein, als jeder für sich die Konsequenzen daraus versuchte abzuwägen.
„Das bedeutet also, du, ähm, weißt, wo die sind? Jetzt gerade, in diesem Moment?“
Ich nickte aufgeregt.
„Alle?“
Ich grinste.
„Schnell, wir brauchen eine Karte!“, rief Lazar.
Valerius und Sullain, mit ihren jeweiligen Stäben, starrten grübelnd auf die Karte, die einen vergrößerten Ausschnitt des südlichen Domilliums zeigte. Unholm prangte, mit einem großen roten Punkt markiert, in der Mitte.
„Wenn es also stimmt, was du sagst“, hakte Tomasz nach, „befinden sich zwischen hier und Unholm nur vereinzelte Truppen; mutmaßlich indoktrinierte Dörfer, deren Einwohner nun dem Feind dienen.“ Er deutete auf versprengte kleinere Punkte entlang des Weges nach Süden. „Dann hier, rund um Unholm herum...“, er deutete auf den Eintrag in der Karte. „Hier ist die Hauptstreitmacht der Keszz: Menschen, Oger, verschiedenste Kreaturen aus anderen Welten.“
Ich nickte. „Ich weiß nicht genau, wie viele es sind. Doch sie sind uns zahlenmäßig weit überlegen. Sicherlich drei zu eins, mindestens. Und es werden täglich mehr.“
„Doch diese... Königin, befindet sich ein ganzes Stück weiter südlich. Hier?“ Er tippte mit dem Zeigefinger auf einen kleinen Punkt, der einen halben Tagesmarsch von Unholm entfernt liegen musste.
Ich bestätigte.
„Warum ist sie dort und nicht bei ihrer Armee?“, wunderte sich Sullain.
„Was auch immer sie tut, sie scheint nicht mit einem Angriff zu rechnen. Und selbst wenn wir angreifen sollten, würde sie dies über die unzähligen verstreuten Dörfer auf dem Weg nach Süden früh genug mitbekommen. Bedenkt, sie muss nicht vor Ort sein, um ihre Armee zu führen! Sie kann das, wahrscheinlich, über große Entfernungen und ohne zeitliche Verzögerungen.“
Valerius schnaufte und schüttelte den Kopf. „Das sieht gar nicht gut aus. Zumindest wissen wir nun aber, womit wir es zu tun haben. Ein Frontalangriff fällt damit schon mal aus. Was habt ihr euch überlegt?“ Ihr Blick wanderte zu Lazar.
Dessen Blick glitt nervös zwischen mir und Zuak hin und her. „Nun, Hoheit, wie schon erwähnt, sind wir-“
„-keine Militärstrategen, ich weiß“, unterbrach sie ihn forsch. „Weiter?“
„Doch wir teilen die Auffassung, dass wir eine frontale Konfrontation unbedingt vermeiden sollten. Die beste Strategie – unserer Meinung nach – wäre, den Feind weiträumig und unbemerkt zu umgehen“, er beschrieb mit dem Finger einen weiten Bogen um Unholm herum, „und überraschend direkt vor der Türschwelle der Königin aufzutauchen. Dann heißt es nur noch, sie schnell zu besiegen, bevor Verstärkung eintrifft.“
„Nur noch, eh?“, warf Tomasz ihm einen hämischen zu, der sagte: ‚Verstehst du auch nur das Geringste von Kriegsführung?‘ Lazar zuckte hilflos die Schultern.
Valerius verschränkt die Arme vor der Brust und durchbohrte die auf dem Tisch ausgebreitete Karte mit ihren Blicken. Man konnte ihren Verstand beinahe arbeiten hören. Schließlich nickte sie.
„Du hast recht. Gut. Noch haben wir das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Das ist unser einziger Trumpf.“
Ihr Blick wandte sich fragend Sullain zu.
„Ihr fragt mich um Rat, meine Teure?“, säuselte er. „Ich fühle mich geehrt!“
Er trat einen Schritt an die Karte heran. „Nun, die einzige Möglichkeit, die ich sehe – korrigiert mich, wenn ich hier falschliege, General – ist der Salzpfad.“
Er zeichnete mit seinem Finger einen nicht markierten Weg nach.
„Er schmiegt sich derart eng zwischen Küste und Gebirge, dass man ihn kaum mehr als Trampelpfad bezeichnen kann. Ein falscher Schritt und man stürzt hundert Schritt oder mehr in die Tiefe. Zum Übernachten sind wir zu dieser Jahreszeit auf die wenigen windgeschützten Abschnitte angewiesen. Erreichen wir die bei Einbruch der Dunkelheit nicht, heißt es, im Finsteren weitermarschieren oder dem erbarmungslosen Wind ausgesetzt kampieren – beides wird viele Leben kosten. Wir müssen zunächst das Gebirge überqueren, dann dem Weg entlang der Küste nach Süden folgen und schließlich erneut die Berge überqueren. Wie Ihr sicherlich noch wisst, Hoheit, komme ich von hier, und kenne die Gegend besser als viele andere.“
„Ich erinnere mich nur zu gut“, knurrte Valerius.
Ein unsicheres Lächeln huschte über sein Gesicht. „Wie dem auch sei. Wenn es einen Weg gibt, den die Keszz nicht kennen und auf den sie ihre Augen nicht gerichtet haben, ist es der Salzpfad. Anmerkungen, General?“
Dahla, die attraktive Frau, die auch schon beim ersten Treffen bei Harthaupt zugegen war, schüttelte den Kopf. „Ihr habt recht. Bedenkt aber, wie Ihr schon sagtet, dass dies ein Trampelpfad ist. Wenn Ihr Glück habt, wurde er nicht von den Herbststürmen fortgespült. Und eine Armee von fünfzehntausend Soldaten darüber zu führen, ist ohnehin unmöglich.“
„Nein, natürlich“, entgegnete Valerius kühl. „Aber das ist auch nicht geplant.“
„Was schwebt Euch vor?“, wollte Sullain wissen.
Sie strahlte ihn an.