Backe, backe Kuchen,
Der Bäcker hat gerufen.
Wer will guten Kuchen backen,
der muss haben sieben Sachen,
Eier und Schmalz,
Zucker und Salz,
Milch und Mehl,
Safran macht den Kuchen gehl!
Schieb, schieb in’n Ofen ’nein.
- Populäres Kinderlied der Menschen
Gnädige Dunkelheit umhüllte mich. Immer und immer wieder kreisten meine Gedanken um die Vermutung – nein, die Tatsache! – dass ich für all das verantwortlich war. Ich mit meiner blauäugigen Überheblichkeit, der dachte, er könne einfach so in den Kopf eines Geschöpfs hineinschauen, das schon seit wer-weiß-wie-vielen Jahrhunderten zwischen Welten wandelte und sich diese untertan machte; der dachte, ein Fingerschnippen reiche aus, um diesem Wesen all seine Geheimnisse – Truppenstärken, Standorte, Strategien! – zu entlocken.
„Idiot!“, murmelte ich. Nichts als bedrückende Stille antwortete mir.
Ich versuchte erneut, aufzustehen, doch Morgs Körperhälfte war nach wie vor durch eine solide Mauer von mir getrennt. Mehr, als mit dem Arm zu rudern und hilflos mit dem Unterschenkel zu zucken, war nicht möglich.
Frustriert sah ich ihn an. Er hatte sein Auge geschlossen, dunkle Schatten kräuselten sich wie Würmer darum, bildeten abwechselnd flüchtige Runen und verschwommen danach wieder wabernd. Er sah seltsam friedlich aus, als hielte er einen Mittagsschlaf, wäre da nicht die tiefe, senkrechte Falte auf seiner Stirn, die ihm einen Ausdruck von Besorgnis verlieh. Ich konnte nur erahnen, was sich in seinem Inneren abspielte: Der Kampf mit der Königin um seinen freien Willen. Nicht zum ersten Mal wunderte ich mich, warum ich meinen Kopf noch für mich selbst hatte. Oder hatte ich das etwa nicht?
„Was habe ich uns nur angetan?“, stöhnte ich in die einsame, muffige Dunkelheit. Ich versuchte, etwas zu erkennen, doch selbst mit der uns eigenen Sehkraft war das wenig: Eine kleine Zelle, vielleicht zwei auf zwei Schritt groß, solide Felswände, darin eine kleine Öffnung als Guckloch und daneben eine Art Tür. Indirektes, schummriges Licht fiel kaum wahrnehmbar von außen hinein.
Eine weitere falsche Annahme, ein weiteres Glied in der Kette der Naivität, die zur Katastrophe führte. Natürlich hatte die Königin diesen Ort nicht zufällig für ihre Behausung ausgewählt. Und schon gar nicht hatte sie hier einfach nur faul herumgesessen.
„Was auch immer sie tut, sie scheint nicht mit einem Angriff zu rechnen“, äffte ich mich selbst nach, die Worte wie kaum verheilte Narben in meinem Gedächtnis.
Eine regelrechte Stadt hatte sie erbaut! Ein unterirdisches Königreich! Zumindest kam es mir so vor, als sie uns hierhin schleppten. Verschlungene, sich ewig in der Finsternis windende Pfade. Auch wenn ich nicht viel davon gesehen hatte, so war mir doch eines klar: Das, was wir am Ende der Schlucht für eine kleine Höhle gehalten hatten, war in Wahrheit der Eingang zu dieser gigantischen, unterirdischen Stadt.
Sagte ich schon naiv und blauäugig?
Dann flammte ein weiteres Mal Zuak in meiner Erinnerung auf. Mein Freund und Meister, der mich die Sprache der Menschen und ihre Bräuche gelehrt hatte. Zuak, der Lazar hinterrücks in aller Seelenruhe meuchelte. War er schon von Beginn an unter der Knute der Königin gewesen? Hatte er sie auf dem Laufenden gehalten, wie die Reise über den Salzpfad verlief? Wie unser Plan war, das Ablenkungsmanöver?
So viele Fragen, auf die ich keine Antwort wusste. Ich schloss die Augen und versuchte, an etwas anderes zu denken. Je mehr ich mir über das Ausmaß unseres – meines! – Versagens und Zuaks Verrat Gedanken machte, desto schmerzhafter wurde es. Ich konnte das nur in kleinen Portionen ertragen. Hatte das Gefühl, wenn ich alle Gedanken zugleich zuließe, mein Kopf bersten müsse.
So summte ich leise ein Lied, das uns unsere Mutter immer vorgesungen hatte, klopfte regelmäßig die innere Mauer zwischen Morg und mir ab, und ergab mich meinem Schicksal. Komm schon, Bruder, bekämpfe sie! Du schaffst das!
Die Zeit verging. Ich wusste nicht, wie lange ich in diesem Loch schon saß. Stunden, Tage, Wochen? Zwei Mal hat mir bisher ein Keszz Nahrung und Wasser durch die kleine Öffnung fallen lassen, an die ich gerade so mit meinem Arm herankam. Was auch immer es war, es roch übel und schmeckte noch übler.
Etwas regte sich jenseits meiner Zelle im Gang, und ein weiteres Mal wurde etwas durch die kleine Öffnung geschoben. Saftig und schleimig klatschte es auf dem staubigen Fußboden auf. Dann war alles wieder still.
„Na toll.“
Ich angelte mit meinem Arm in der Dunkelheit nach dem, was hier wohl als Mahlzeit galt, und bekam das unförmige, glitschige Objekt zu fassen. Ohne einzuatmen dachte ich an die Tage mit der Lintbrut zurück, an die geschmorten Schweinekeulen in Neu-Isinggen oder den Gewürzkuchen in Goldenstein, und nahm einen kräftigen Bissen.
„– UND TRETE DIR IN DEN ARSCH!“, brüllte Morg plötzlich, sodass mir vor Schreck das Essen aus der Hand fiel. Er fuhr hoch, das Auge weit aufgerissen, vor Verwirrung um sich schlagend.
„Bruder! Ho! Alles in Ordnung! Ruuuhig!“
„Was? Wer ist da? Grom?“ Sein Atem ging schnell, sein Blick war gehetzt.
„Ja, ich bin’s! Wer denn sonst? Ist ja nicht so, als könnte ich irgendwo hin, oder?“
Langsam beruhigte er sich und begann, die Umgebung in sich aufzunehmen.
„Wo... wo sind wir?“
„Puh. Gute Frage. Irgendwo in ihrem Reich. Eingesperrt.“
Er nickte.
„Warst lange weg. Aber war ja klar, dass dich Essen zurückholt.“ Ich grinste ihn an.
„Du... willst nicht wissen, wo ich gerade herkomme“, stöhnte er und richtete sich auf. Schwerfällige Bewegungen zeugten von eingerosteten Gelenken und stockender Durchblutung. Auch wenn einige der Wunden wieder aufplatzten, die wir uns in der Schlacht zugezogen hatten, tat es gut, wieder den ganzen Körper nutzen zu können.
„Schön, dass du wieder da bist.“
„Sehe ich auch so. Diese Königin? Mann... wie würden die Menschen sagen? Die ist echt ’ne Schlampe!“
Ich prustete los. „Jaaa. Da hast du recht. Und wie bist du jetzt...? Also, ich meine, ist sie...?“
„Ob sie jederzeit über mich herfallen könnte, meinst du?“ Er dachte angestrengt nach. „Inzwischen weiß ich, auf welche Signale ich achten muss. Solange sie mich nicht unvorbereitet erwischt, sollte ich das halbwegs im Griff haben.“
„Gut! Das ist gut.“ Immerhin eine gute Nachricht.
„Und wie kommen wir nun hier raus, hm?“, wollte er wissen. „Genug Zeit, einen Plan zu schmieden, hattest du ja.“
„Äh, nun, das ist... gar nicht so leicht. Zunächst sollten... also könnten wir ja...“
„Du hast keine Ahnung, hm?“, unterbrach er mich.
„Nein, verdammt. Habe ich nicht. Bis eben wusste ich ja noch nicht einmal, ob ich überhaupt jemals wieder etwas in diesem Fleischsack zu melden haben werde.“ Ich schlug mir mit der flachen Hand auf den weit hervorstehenden Bauch, sodass es dumpf klatschte.
„Schon gut. Keine Panik. Wir finden schon was.“ Er schaute sich angestrengt in der Dunkelheit um und blieb schließlich an der ‚Mahlzeit‘ in meiner Hand hängen. „Isst du das noch?“
Wir fanden nichts. Keinen Ausweg, keine Idee, keinen Plan. Nicht einmal ein ‚Lass‘ uns erst einmal dies und das prüfen, von da aus arbeiten wir uns dann weiter vor‘. Wir saßen schlicht und ergreifend in dieser scheiß Zelle fest, die obendrein noch sehr gut gesichert war. Die Königin wusste selbstverständlich um unsere körperliche Kraft und hatte entsprechend vorgesorgt. Genauso wenig Erfolg hatten wir mit der Idee, Morg über den Razsh’ek Kontakt mit den anderen Ogern oder gar zur Königin aufzunehmen.
„Was ist mit deiner Magie?“, fragte Morg.
„Tot“, sagte ich und schüttelte das Armband um mein Handgelenk. Es klimperte fröhlich, wie um mich zu verhöhnen, doch sonst passierte nicht viel. „Fühlt sich an... als ob die Flamme verloschen wäre. Vielleicht zu oft benutzt? Vielleicht dauert es eine Weile, um sich wieder zu erholen? Ach, verdammt, ich weiß es nicht. Jeden Tag versuche ich es – nichts!“
Ratloses Schweigen.
„Wenn doch bloß Lazar hier wäre. Er könnte das bestimmt lösen“, murmelte ich.
„Nun, das wird wohl, ähm, schwierig, meinst du nicht?“, sagte eine Stimme im Dunklen und kicherte. Zuak!
„Wo bist du? Verräter!“, knurrte ich.
„Na hier! Ich hoffe, ich störe nicht? Oh, es ist arg dunkel hier. Einen, ähm, Moment.“
Vor dem kleinen Guckloch raschelte etwas, dann hörte man ein metallisches Schaben. Plötzlich entzündete sich eine Flamme und ein gleißender, flackernder Schein ergoss sich in unsere Zelle.
„Oh, tut mir leid, ist das zu hell?“ Abermaliges Kichern. „Ich kann es mir denken, ihr sitzt ja auch schon seit ein paar Tagen hier unten, so bei völliger Dunkelheit.“
Blitzschnell sprang Morg auf, machte einen Satz zur Tür und rammte seinen Arm durch die Öffnung. Der Aufprall ließ die Wand erzittern, doch zu fassen bekam er den Mann nicht. Frustriert brüllte er die Wand an.
„Huch! So ungestüm!“, tadelte Zuak, als Morg seinen Arm wieder herausgezogen hatte. Aus sicherer Entfernung warf er einen neugierigen Blick zu uns herein. „Nun, ähm, ich denke, ich kann das verstehen. Ich habe – hmm, wie sagt man? – nicht immer mit offenen Karten gespielt, nicht wahr.“
Er zupfte sich ein Haar von der Kleidung.
„Aber! Erinnerst du dich noch an meine Worte, Grom? Vor Ewigkeiten, als wir im Zwinger mit Hendrik verhandelten?“
Ich blieb stumm.
„‚Merk' dir eins bei den Menschen: Die führen immer etwas im Schilde. Immer. Sie sagen dir eine Sache zu und haben hinter deinem Rücken etwas ganz anderes vor‘, sagte ich.“ Sein bekümmertes Gesicht wurde von dem Runden Guckloch eingerahmt. „Ich habe dich gewarnt.“
Mühsam kämpfte ich meinen Zorn nieder. „Hast du uns die ganze Zeit ausspioniert? Unsere Pläne an die Königin weitergegeben?“, wollte ich von ihm wissen.
„Aber ja! Und nicht nur das.“ Er ließ sich auf der gegenüberliegenden Seite des Gangs auf einen niedrigen Stein sinken und schlug die Beine übereinander. „Was ihr damals in Etteln mit dieser Geode herausgefunden habt... ha!“ Er schlug sich amüsiert auf die Schenkel. „Unter uns, die Matriarchin – ähm, Königin, wie ihr sie nennt – ist ja mächtig und furchteinflößend und alles. Aber auch so wahn-sinnig ungeduldig. Denkt ihr, sie hatte auch nur irgend-eine Vorstellung davon, wie die Reise zwischen den Welten funktionierte? Nein!“
Er schüttelte den Kopf.
„Zumindest bis ich ihr das erzählt habe. Mein Gott, ich war so kurz davor“, er hielt Daumen und Zeigefinger in die Höhe, die nur ein schmaler Luftspalt trennte, „meinen Kopf zu verlieren, weil sie die Geduld mit mir verlor. Und dann das! Bumm! Heureka! Ich, äh, sag’s euch, mit dieser Erkenntnis hat ihr Feldzug gerade erst begonnen. Mit einem Schlag haben wir Zugang zu einer derartigen Vielfalt an Welten... es verschlägt einem die Sprache. Waren ihre Eroberungszüge bisher eher zufälliger Natur, wird sie es schon bald steuern können.“ Er strahlte uns an.
„Du Schwein“, rumpelte Morg. „Nein, das wäre noch gelobt. Du... du...“
„Na, na. Kein Grund, ausfallend zu werden. Sieh‘ es mal so: Wir alle profitieren davon. Ihr Oger werdet die Elitetruppe der Matriarchin sein, ihre Leibgarde, ihre... Spezialeinheit, wenn ihr so wollt. Das beste Pferd im Stall. Wir Menschen werden ihr mit unserem Verstand und Grips zur Seite stehen. Endlich haben diejenigen die Nase vorn, die mit Verstand anstatt Muskeln gesegnet sind.“ Er stockte einen Moment, seine Augen schweiften ab. „Ist doch toll! Eine große, vereinte Familie.“
„Zumindest bis sie jemanden findet, der deine Arbeit besser kann“, antwortete ich.
„Ach. Nicht immer so negativ. Das verdirbt einem doch die Laune! Man muss sich einfach nur unentbehrlich machen. So wie ich es bei Valerius gemacht habe.“
„Wie geht es ihr. Lebt sie noch? Und... die anderen?“, wollte ich wissen.
„Ja, ja“, er winkte ab. „Natürlich. Also, zumindest denke ich das. Die Anführer eines Volks, die hellsten Köpfe und tapfersten Krieger werden immer in die Familie aufgenommen.“
„Und der Rest? Der nicht tapfer oder begabt ist?“
„Nuuun... einige von denen müssen ja noch das Land bewirten und Dinge herstellen. Aber alles Übrige...?“ Er zuckte mit den Schultern.
„Entbehrlich“, folgerte ich.
Zuak schaute mich eine Weile an und räusperte sich dann. „Hör‘ mal. Wir Menschen, wir sind schwach. Wir haben keine scharfen Krallen, spitze Raubzähne oder schützenden Panzer. Nichts! Wir sind völlig untalentierte Krieger oder Arbeitstiere. Das einzige, was uns zu Herrschern der Welt gemacht hat, ist unsere Intelligenz...“ Er überlegte einen Moment. „Und unsere Ruchlosigkeit. Was heißt das also, wenn die Matriarchin die freie Auswahl unter den Bewohnern dutzender Welten hat? Richtig, sie wählt für jede Aufgabe die passende Kreatur. Deswegen hat sie euch Oger in die vordersten Kampflinien gestellt: Weil ihr beinahe unbesiegbar seid. Dafür hat sie euch nicht damit beauftragt, dass ihr euch Belagerungsmaschinen ausdenkt, denn dafür seid ihr zu dumm – nichts für ungut.“
Morg grummelte bedrohlich.
„Ich meine das nicht böse, mein Freund. Bei uns Menschen bedeutet diese Auslese: Sie braucht uns nicht, um Nachrichten zu überbringen, Brunnen zu graben, Felder zu pflügen oder Lasten zu schleppen. Sie braucht uns, um zu denken, zu tüfteln. Und leider bedeutet das für die meisten meiner Artgenossen, dass sie in dieser Familie nicht gebraucht werden.“ Sein Grinsen war reine Unbekümmertheit.
„Du widerst mich an“, bemerkte ich nur.
„Ja, nun, damit werde ich wohl, äh, leben müssen. Ich hoffe nur...“ Er stand auf und strich seine Kleidung glatt. „Nein, ich weiß: Wenn wir uns das nächste Mal sehen, werden wir uns wie alte Freunde begrüßen. Darum wird sich die Matriarchin schon kümmern.“ Er zwinkerte mir zu, löschte die Fackel und stolperte in der Dunkelheit davon.
„Ich mag ihn nicht mehr“, murmelte Morg.
„Ich weiß, was du meinst.“
„Glaubst du ihm?“
„Inwiefern?“, fragte ich.
„Dass die Königin mit unserer Hilfe das Geheimnis um die Reise zwischen den Welten entschlüsselt hat.“ Seine Stimme klang ungewohnt brüchig.
Ich starrte eine lange Zeit in die Dunkelheit, dachte über Zuaks Worte nach.
„Ich weiß es nicht. Möglich.“ Ich schüttelte den Kopf. „Wir können es ohnehin nicht ändern. Lass‘ uns die Überlegung, wie viel Anteil wir an dem ganzen Schlamassel haben, verschieben. Eins weiß ich: Ich bin nun mehr denn je entschlossen, hier herauszukommen und einigen Leuten mal gehörig meine Meinung zu sagen.“
„Kloppen?“ Morgs Grinsen war förmlich zu hören.
„Du machst dir keine Vorstellung.“
Doch reiner Wille resultiert nicht zwangsläufig in erfolgreicher Handlung. Mein neu aufgeflammter Enthusiasmus änderte nichts daran, dass wir in dieser unangenehm solide gebauten Zelle festsaßen. Weitere Tage vergingen. Mahlzeiten kamen, die ich unkommentiert an Morg weitergab, der sie mit ungebrochenem Appetit verschlang.
Bis sich irgendwann unangekündigt die Barrikade vor der Zelle – ich will es nicht als Tür bezeichnen – rumpelnd öffnete. Derart überrascht war ich, dass ich einen Moment lang einfach nur auf den dunklen Durchgang starrte, ohne zu begreifen.
„Und nun?“, rief ich in die Dunkelheit hinein. Keine Antwort. Stille.
„Die wollen wohl, dass wir gehen“, vermutete Morg.
„Dann lass‘ uns sie nicht enttäuschen.“
Wir zwängten uns durch den niedrigen Durchgang und betraten den finsteren, tunnelähnlichen Gang. Er beschrieb eine Sackgasse, in der es, außer einiger weiterer provisorischer Zellen, nicht viel gab.
„Vielleicht kriegen wir ja endlich mal ein Bad?“, flüsterte ich. Warum war niemand hier?
„Oder ein geröstetes Wildschwein mit Innereien.“
Wir gingen und gelangten ans Ende des Gangs, der in weitere, ähnlich unscheinbare Tunnel mündete, die sich wiederum aufspalteten. Willkürlich schlugen wir eine Richtung ein und schon bald hatte ich den Überblick verloren. Die allgegenwärtige Dunkelheit half dabei nicht. Das ganze Konstrukt ähnelte einem Labyrinth – einem unterirdischen, stickig-heißen Irrgarten! Und nach wie vor war kein Keszz zu sehen. Allmählich beschlich mich das Gefühl, dass unsere Freilassung nicht beabsichtigt war.
„Da!“, entdeckte Morg am Ende eines Tunnels irgendwann einen schwachen Lichtschein. Wir folgten ihm und schauten vorsichtig um eine Ecke. Der Weg mündete in einen großzügigen, von Fackeln erleuchteten Korridor, der einen unwirklichen Prunk ausstrahlte. Der rührte nicht vom Dekor oder der Ausstattung her, denn davon gab es auch hier nichts. Nein, es war eher ein Gefühl: Die in regelmäßigen Abständen installierten Leuchter, von denen kein natürliches, sondern unweltlich-violettes Licht ausging; die sehr viel feiner und gründlicher gearbeiteten Oberflächen des Korridors; die hohen Decken und breiten, mit großer Sorgfalt in den Stein gehauenen Treppenstufen.
Mein Blick folgte dem Korridor und die Stufen hinauf. „Was auch immer unser Ziel ist... ich denke, wir sind bald da.“
Unbekümmert betrat Morg den Korridor und begann, die Treppenstufen zu erklimmen. Höher und höher, um Kurven und rechtwinklige Ecken schraubten sich die Stufen.
„Wie groß ist dieser Ort bloß?“, staunte Morg.
Kaum hatte er diese Feststellung getätigt, standen wir mit einem Mal vor einem großen Rundbogen, den wir bequem aufrecht stehend durchschreiten konnten. Er führte uns auf eine ausladende Empore, die eine gewaltige Höhle überblickte. Erst allmählich begriff ich, was ich sah. Vorsichtig tasteten wir uns bis zum Rand der mit einer niedrigen Mauer begrenzten Empore.
Vor uns tat sich ein Anblick auf, der zugleich einschüchternd und faszinierend war. Die Höhle glich einer der großen Kathedralen der Menschen, in denen man das Gefühl hatte, das Ende des Gebäudes verschwinde hinter dem Horizont. Unter der Empore ging es sicherlich sechzig oder siebzig Schritt in die Tiefe, die Grundfläche war nochmal um ein Vielfaches größer. Am Boden tummelten sich unzählige Keszz, zwischen ihnen verschiedenste Lebewesen aus anderen Welten. Sogar den einen oder anderen Oger erspähte ich, die die anderen Kreaturen weit überragten. Doch all das war vergleichsweise uninteressant als ich den riesigen Schlund am Ende der Kathedrale erblickte, der beinahe die gesamte Wand ausfüllte: Es war einer jener Würmer, den die Königin nutzte, um zwischen den Welten hin und her zu reisen. Sein zahnloses Maul pulsierte leicht, während Dutzende Kreaturen hineingingen und andere herauskamen.
„Faszinierend, nicht wahr?“, bemerkte eine weibliche Stimme hinter mir.
Ich fuhr herum, obwohl ich bereits wusste, wer mit mir gesprochen hatte. Es war die Königin, die Matriarchin, Mandji – oder eher die verzerrte Version ihres früheren Selbst. Sie stand gelassen in dem hohen Torbogen, der violette Schein der unzähligen Leuchter umgab sie wie ein Heiligenschein. Sie hatte ihre Arme vor dem Körper gefaltet und lächelte milde, so weit es ihre vertrocknete, rissige Haut erlaubte, die sich über den Gesichtsknochen spannte. Sie trug eine schlichte, makellos weiße Robe, die mit einer einfachen Brosche an der Schulter zusammengehalten wurde.
Morg fackelte nicht lange und wollte sich auf sie stürzen – nur um in der Bewegung zu verharren. Wie eine Eisskulptur standen wir da. Ich griff nach der Flamme, fokussierte meinen gesamten Willen auf das kleine Armband – und griff ins Leere.
„Tsk, tsk, tsk“, schnalzte sie. „Und ich hatte euch für die Schlauen eurer Rasse gehalten.“ Ihr Lächeln war irritierend herzlich. „Also, was denkt ihr? Beeindruckend, nicht wahr?“
Sie trat zu uns und deutete mit ausladender Handbewegung in die Höhle hinein. Unser Körper folgte ihrer Bewegung.
„Was machst du?“, knurrte Morg.
„Ich bin das nicht!“
„Wenn ich nur meinen Arm bewegen könnte, dann würde ich ihr-“
„Ach, Morg“, unterbrach sie in unserer Sprache. „So ungestüm. Euer Markenzeichen und gleichzeitig euer Untergang.“
Wir starrten sie gleichermaßen ungläubig an.
„Was denn? Glaubt ihr etwa, ich bin ein Tyrann, der sich nicht für eure Kultur und Lebensweise interessiert? Auch wenn meine Methoden ein wenig... unorthodox erscheinen mögen: Ich bin ein großer Freund von Vielfalt und Individualität.“ Sie lächelte erneut und legte mir eine Hand auf den Unterarm. Ihre Berührung war kalt wie Eis – und zugleich beängstigend angenehm. „Nein, ich spreche die Sprache eines jeden einzelnen Mitglieds unserer großen Familie.“
„Bis sie irgendwann ihren Zweck erfüllt haben und du sie wegwirfst wie ein altes Stück Brot“, erwiderte ich.
„Ich sagte ja, unorthodox. Aber gerade du Grom... mich wundert es, dass ausgerechnet du mich nicht verstehst.“
Sie schaute mich eindringlich an. So verdorrt ihr Gesicht erschien, umso klarer und wacher waren ihre Augen, deren goldene Iris, die hin und wieder purpurne Schatten durchzuckten, funkelten.
„Ich?“
„Oh! Jetzt sag‘ bloß, du hast es immer noch nicht verstanden!“ Sie trat einen Schritt zurück und bemaß mich mit einem skeptischen Blick. „Nein, tatsächlich. Du hast keine Ahnung.“
„Wovon redest du, Scheusal?“
Ein amüsiertes Lachen entfuhr ihr. „Also bitte.“ Sie trat erneut zu mir, reckte sich zu mir empor und legte mir ihre Hand auf die Wange, liebkoste mich beinahe. „Hast du dich nie gefragt?“
„Was gefragt?“ Meine Stimme zitterte. Wieso nur fühlte es sich so an, als sehnte ich mich nach ihrer Berührung?
„Doz’Cho“, flüsterte sie.
Bilder aus meinem Leben vor den Keszz explodierten in meinem Kopf. Szenen, in denen ich immer der Einzelgänger, der Sonderling, gewesen war. Nicht zuletzt die Begegnung mit Zor’a, die mich derart vorgeführt hatte. Ich versuchte, ihr meinen Kopf zu entziehen, doch es gelang mir nicht. Mehr und mehr Szenen stürmten auf mich ein, bis urplötzlich Stille eintrat und sich ein Bild in mein Gedächtnis einbrannte.
Der Tag unserer Geburt, wie wir blutverschmiert in den Armen unserer Mutter liegen, auf deren Gesicht sich Glück und Trauer, Vorfreude und Angst spiegelte. Das Bild fühlte sich so echt an, als hätte es gestern stattgefunden.
Morg stöhnte laut auf.
„Was... ist... das...“, stotterte ich.
„Habt ihr euch nie gefragt, wer euer Vater ist?“ Behutsam zog sie ihre Hand zurück und schaute uns mitfühlend an.
„Unser...“ – „... Vater?“
„Kommt mal mit“, sagte sie im gemütlichen Plauderton und ging voran.
„Grom, was soll das? Ich will nichts davon wissen, was die zu sagen hat!“
„Nochmal: Ich bin das nicht“, erwiderte ich und gestikulierte in Richtung unserer sich wie von selbst bewegenden Füße.
„Ist das nicht irre?“, kicherte sie, während wir die Empore verließen und eine dunkle Treppe betraten, die steil hinab führte. „Dieser eine Einfall von mir? Ich weiß, ich weiß! Man soll sich ja nicht selber loben, wenn man den Menschen glaubt. Aber ich muss schon sagen, der Blutrausch... wie nennt ihr den doch gleich?“ Sie warf einen neugierigen Blick über die Schulter.
„Razsh’ek.“
„Ahh, richtig. ‚Rasender Sturm‘. Auch eine schöne Umschreibung, fast schon poetisch. Nein, ich denke, auf diesen kleinen Kniff darf ich zurecht stolz auf mich sein. Etwas, dass euch Oger mächtiger macht und gleichzeitig enger an mich bindet, das ist doch – hmm, wie sagen die Menschen? – zu beiderseitigem Vorteil.“
„Ja, herzallerliebst. Du meinst, du hast uns zu noch effektiveren Sklaven gemacht.“ Ich versuchte, einen Befehl an meine Beine zu senden, doch sie gehorchten der Königin, nicht mir.
„Ach, Grom“, seufzte sie. „Immer der Zyniker. Aber so warst du ja schon immer.“
Schon immer? Was um alles in der Welt meinte sie damit?
„Umso mehr habe ich mich gefreut, dass ihr zum Häuptling erwählt wurdet! Wenn ihr mich fragt, seid ihr eine wesentlich bessere Besetzung als diese Gol’dar. Euer Geist ist noch frisch, nicht so verdorben von diesen ganzen Geschichten von... Tÿl und dem ganzen Gesocks, diesen ewig gleichen Legenden und Sagen.“ Sie gähnte demonstrativ. „Ich muss schon sagen, sie hat es mir nicht leicht gemacht. Aber nun gut, am Ende, und das könnt ihr sicherlich bezeugen, ist jeder Widerstand vergebens. Oh, wir sind da!“
Wir traten von einem schummrigen Korridor in einen unwesentlich besser beleuchteten, niedrigen Raum. Es standen allerlei Dinge darin herum, die ich kaum zu identifizieren vermochte.
„Entschuldigt bitte, ich vergesse immer, dass nicht jeder so sehr die Dunkelheit liebt wie ich.“ Auf eine Handbewegung hin schossen die violetten Zungen, die sich träge aus unzähligen Wandlampen kräuselten, in die Höhe und tauchten den Raum in ein helles, purpurnes Licht.
Zunächst verstand ich nicht, was ich sah. Der Raum war groß, beinahe riesig, und übersät mit skurrilen Gerätschaften und Gegenständen, die eine Verschmelzung von organischem und nichtorganischem Material zu sein schienen. Ich entdeckte etwas, das wie ein Holzstuhl aussah, jedoch überwuchert war mit unzähligen spitzen Dornen. Daneben befand sich ein Tisch aus grobem Stein, der mit triefenden Leitungen verwachsen waren, die wie Adern aussahen. In einer Ecke entdeckte ich etwas, das einem riesigen, fremdartigen Kürbis ähnelte, aus dem hölzerne Rohre bis zur Decke führten, sich dort bündelten und irgendwo verschwanden. Überall lagen Bücher und Schriften herum, die teils bis an die Decke gestapelt waren. Dazwischen wuselten geschäftig kleine Wesen herum, die Krabben nicht unähnlich waren, und beständig auf dem Boden herum pickten oder die Geräte säuberten. Über allem lag ein übelriechender Dunst, der eine Zusammensetzung aus Blut, Verwesung und chemischen Zutaten war.
„Bei Tÿl...“, flüsterte Morg.
„Ugh, dieser Name“, stöhnte die Königin. „Aber falls ihr euch wundert, was ihr hier seht: Das hier ist meine kleine Küche. Ist sie nicht toll?“
„Küche? Was... wie... warum?“ Ich konnte nicht einordnen, was ich sah.
„Oh, es ist im Grunde ganz einfach“, antwortete sie gutgelaunt. „Aber am leichtesten wird es sein, ich führe es euch vor.“ Sie klatschte ein Mal in die Hände und schien in sich hinein zu horchen. Die kleinen Kreaturen im Raum gerieten in Aufruhr, ihre feinen Scheren klapperten aufgeregt.
„Einen Moment Geduld“, entschuldigte sie sich. „Die Zellen sind teils recht weit weg, wie ihr ja wisst.“
Ich hörte ein dünnes, klägliches Schreien aus dem Korridor, das langsam lauter wurde. Jemand oder etwas wurde gewalttätig und gegen seinen Willen hierher gezerrt.
„Ihr solltet etwas wissen, bevor wir damit beginnen“, erläuterte die Königin, während ich gebannt in Richtung des Eingangs starrte. „Was ihr nun sehen werdet, mache ich nicht zum Vergnügen. Wirklich. Ich mache das, weil ich an Perfektion glaube.“
Polternd wurde nun eine Kreatur in den Raum hineingezerrt, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Sie sah aus wie ein Hund, nur ohne Fell, mit wesentlich mehr Beinen und einer überproportional langen Nase.
„Dieses knuffige Kerlchen hier habe ich in... irgendeiner Welt aufgeschnappt. Putzig, nicht?“
Ihre Schergen zerrten es zu der steinernen Bank und begannen, es darauf festzuzurren.
„Leider eine vollkommen nutzlose Spezies: keinerlei Territorialverhalten, sozial, umgänglich, vertrauenswürdig. Nett.“ Sie spie das Wort beinahe verächtlich hervor. „Kurzum, zum Untergang verdammt. Bis auf eine einzige Eigenschaft.“
Das letzte Beinchen wurde mit Kraft festgeschnallt, was dem Wesen ein schwaches Jaulen entlockte.
„Es kann die Vergangenheit riechen.“
„Was soll das bedeuten?“, fragte ich.
„Ach, frag‘ mich nicht, wie das genau funktioniert. Aber stellt euch einmal vor, man nimmt jemanden gefangen und könnte erleben, was derjenige in den letzten paar Tagen so getrieben hat! Einfach, indem ich an ihm schnuppere!“ Sie strahlte uns mit ihren wachen, funkelnden Augen an und sog kraftvoll Luft durch ihre eingefallene Nase ein.
„Leider“, fuhr sie fort, „ist das eine Fähigkeit, die bei diesen Kreaturen völlig verschwendet ist. Wozu braucht man das, wenn man sowieso nur den ganzen Tag in einem Busch hockt und Beeren mampft?“
Sie schüttelte den Kopf und trat an den Tisch heran, von dem aus das Wesen sie ängstlich anstarrte. Sie fuhr zärtlich mit ihren langen Fingernägeln über dessen raue Haut, was es erzittern ließ.
„Aber stellt euch einmal vor, wie mächtig ein Foltermeister wäre, der das könnte. Oder ein Meuchelmörder.“
Ihre Stimme war zu einem träumerischen Flüstern verkommen. Mit einem Mal hielt ihre Hand in der liebkosenden Bewegung inne, die Nägel bohrten sich in die Haut, ihre Gesichtszüge wurden kalt und hart. Sie nickte kurz, wie um einen wortlosen Befehl zu geben. Der Tisch machte ein gurgelndes, glucksendes Geräusch, kurz bevor die Kreatur darauf peinvoll aufjaulte. Das Geräusch platzender Haut und brechender Knochen begleitete die sich immer weiter aufschaukelnde Todesschreie. Die Königin beobachtete den zuckenden Todeskampf der Kreatur mit einem milden Ausdruck des Mitgefühls, ansonsten aber unbewegt, vielmehr neugierig. Die aderähnlichen Leitungen am Tisch pulsierten, zogen sich zusammen und expandierten gurgelnd. Als ob sie pumpten. Plötzlich verstummten die Todesschreie abrupt und der Körper des Wesens schien sich grotesk zu verformen, in sich zusammenzufallen, wie ein Trinkschlauch, aus dem man den Korken gezogen hatte. Röchelnd verstarb das Gurgeln und Stille trat ein. Angewidert wendete ich meinen Blick von den Überresten der Kreatur ab, die wie leergesaugt aussah.
„Kommt, kommt! Jetzt wird es ja erst interessant!“, rief die Königin und gab unserem Körper den Befehl, ihr zu folgen. Sie schien das Schauspiel kaum zu bedrücken. Wir eilten tiefer in den Raum hinein, zwischen anderen skurril anmutenden Apparaturen, deren Zweck ich nicht wissen wollte. Dabei verfolgte die Königin die Leitungen nach, die vom Tisch aus quer durch den Raum verliefen und schließlich in einem kleinen, steinernen Kessel mündeten.
„Hier drin“, erläuterte sie, „befindet sich nun die Essenz der Kreatur. Ihr Blut, ihr Gewebe, alle in ihm gespeicherten Informationen. Und irgendwo darunter auch der Baustein für seinen Geruchssinn.“
„Das ist doch krank!“, rief Morg.
„Unsere Herausforderung“, fuhr sie unbeirrt fort, „ist nun, aus diesen Zutaten einen... einen Kuchen zu backen!“ Sie kicherte, offensichtlich amüsiert über ihre eigene Wortwahl.
„Einen Kuchen backen? Was soll das heißen?“
Wortlos lockte sie uns mit dem Zeigefinger weiter. Am Ende des Raums befand sich ein weiterer Durchgang, durch den wir in einen Nebenraum traten.
„Bei den Ahnen...!“, entfuhr es mir unwillkürlich, denn was ich erblickte, verschlug mir den Atem. Wir standen in einer riesigen Halle, in deren Wände kleine Alkoven gehauen waren; jeder einzelne etwa einen Schritt breit und hoch. Die Reihen dieser Alkoven schienen endlos: Die Halle bot Platz für zehn dieser Reihen übereinander, in denen sich sicherlich einhundert Alkoven aneinanderreihten.
„Was sind das für Dinger?“, flüsterte Morg.
„Das, mein Junge, sind die Kuchen, von denen ich eben sprach.“
Mein Junge? Etwas an ihren Worten ließ mich aufmerken. Nur... was?
„Sehen aus wie Eier.“
„Damit liegst du gar nicht so falsch. Einfach gesagt, wir mischen die Zutaten nebenan und füllen sie hier in Formen. Dann müssen sie nur noch einige Zeit reifen und schon bekommt man ein köstliches Ergebnis.“ Sie schmatzte verheißungsvoll mit den Lippen.
Irgendwo in meinem Verstand hatte etwas Klick gemacht. Eine Erkenntnis war entstanden, die mir bloß noch nicht zur Verfügung stand. Hektisch kramte ich danach, wie in einer Kiste altem Zeugs.
„Und warum zeigst du uns das?“, wollte er wissen. „Falls du dir Sorgen machst, dass wir dich zu sympathisch finden – keine Sorge! Die Gefahr bestand schon vor dieser Demonstration deiner Verdorbenheit nicht.“
Auf einmal dämmerte es mir. Nein, es schlug ein wie ein Hammer! Ich spürte die aufmerksamen Blicke der Königin mich durchbohren.
„Nicht“, hörte ich mich flüstern.
Die plötzliche Erkenntnis sendete Wellen des Grauens durch meinen Körper. Am liebsten wäre ich umgedreht und gerannt, doch mein Körper wollte mir nicht gehorchen. Außer eines fassungslosen Kopfschüttelns brachte ich nichts zustande.
„Was ist mit dir?“ Morgs Stimme, weit weg, gedämpft.
„Darf... nicht...“ Zu mehr war ich nicht in der Lage. Meine Zunge fühlte sich wie ein trockener Lappen im Mund an. Ich wusste nicht, ob ich sie beim Versuch, zu sprechen, zerkaute.
„Du hast es verstanden, nicht wahr?“, lächelte mich die Königin an.
„Was verstanden? Grom! Was ist hier los?“
Morg klang panisch.
‚Mein Junge‘, hatte sie zu Morg gesagt. Es durfte nicht sein! Es konnte einfach nicht sein!