"Eva!", Vernon hatte sich einen Weg durch die Trümmer der Mauer gebannt. Das Licht war verflogen, Eva stand zitternd in Mitten des Chaos, das sie angerichtet hatte. Vernon berührte sie vorsichtig an der Schulter, um sich nicht komplett zu verängstigen. „Vernon“, Evas Stimme klang matt, sie starrte weiter in Richtung Etan, Vernon folgte ihrem Blick. Sein Atem stockte, Liam lag vor den Trümmern am Boden, schien sich förmlich vor schmerzen zu krümmen. Er konnte Finn nicht entdecken. „Was ist das?“, entfuhr es ihm, als er das Monster, Chrunch, erblickte. „Der irre Dämonenkönig, die Macht des Artefakts...“, murmelte Eva, ihre Stimme wirkte fast mechanisch, ferngesteuert. Ein weißer Tiger sprang dem Monster abermals an und verbiss sich in seiner Schulter. „Was passiert hier?“, fragte Vernon verwirrt und schaute Eva das erste mal ins Gesicht, er wich zurück. Ihre Augen sahen aus wie geschmolzenes Gold, keine Pupille war mehr zu erkennen. „Geh zu Liam“, flüsterte sie, ihren Blick immer noch starr gerade aus gerichtet. Vernon starrte auf die Trümmer und das Chaos, kurz bildete sich ein Kloß in seinem Magen, Angst stieg in ihm auf. Vor der ehemaligen Mauer, die den Anblick verborgen hatte, schien nichts mehr am an Ort und stelle zu stehen. Die Bäume waren umgestürzt, der Boden verkohlt und einige Krater hatten sich gebildet. Über dem Himmel hingen dunkle Wolken, die sich über dem Monster, das aus Chrunch geworden waren, zu strudeln schienen. Auch wenn diese Monstrosität ein beängstigter Anblick war, konnte man das noch größere Übel beinah spüren. „Geh zu Liam, und hol ihn da raus“, Evas Stimme wurde energischer und bestimmt, sie riss Vernon förmlich aus dem Schockzustand. Er rannte an den Trümmern vorbei zu Liam und packte ihn unter den Armen um ihn aus der Gefahrenzone zu bringen. „Was hast du vor?“, rief er Eva zu, die sich nun auch in Bewegung zu setze.
Eva schritt an ihm vorbei, das goldene Licht schien zurück zu kehren und legte sich um sie. Sie schien den Boden nicht mehr zu berühren, eher zu levitieren. Schließlich blendete das Licht Vernon zu sehr, er musste sich abwenden. Er warf sich Liam über die Schulter und bahnte sich einen Weg über die Trümmer, zurück in die Stadt.
Der weiße Tiger und das Biest bekämpften sich nach wie vor bis zum äußersten, der Tiger verbiss sich immer wieder in dem schwarzen, geschwulstartigen Fleisch, aber es schien nur bedingt eine Wirkung zu erzielen. Abermals schleuderte Chrunch den Tiger einige Meter durch die Luft, sodass er gegen einen der übrigen Bäume prallte, welcher sofort berstend zusammenbrach. Der Tiger keuchte, schien sich zu verzerren und sackte zusammen, Rauch stieg auf und verbarg die Verwandlung vor den Augen der übrigen Wachen, die nun auch zu den Trümmern der Mauer geeilt waren.
"Gib es auf kleiner Prinz", grölte Chrunch, aus dem Nebel stieg Finn hervor. Sein ganzer Körper war mit Schrammen überseht, er atmete schwer. Vernon begann zu verstehen was passiert war. Finn hatte die Macht des weißen Tigers aus Liam heraus gerissen um sie gegen Chrunch zu benutzen. Ohne großen Erfolg.
"Aufgeben?", Finn hielt sich tapfer auf den Beinen "niemals! Ich kann noch Tage lang so weiter machen, oder wirst du etwa müde?"
Chrunch brüllte erbost über die Dreistigkeit des jungen Prinzen und schoss auf ihn zu. Finn versuchte ihm auszuweichen, konnte aber dem Schlag nur bedingt entkommen. Er stolperte zurück und wankte, keuchte, hustete. Ein schwall Blut bedeckte seine Finger, welche er vor seinen Mund gepresst hatte.
"Das ist also das Ende des letzten Prinzen vom weißen Thron, unbedeutend, namenlos in einem fremden Land!", höhnte Chrunch und setzte zu seinem letzten Schlag an.
„Was...“, Sassy hielt inne, sie hatte das verrauchte Stiegenhaus hinter sich gelassen und einige Löcher in der Wand entdeckt, welchen sie gefolgt war. Am Ende fand sie Chruch, sein ganzer Körper schien zerfetzt zu sein, angewidert beobachtete sie sie aus seinem Oberkörper immer mehr schwarze Fäden kamen und die zahlreichen Wunden vernähten. Am Arm des Dämons hing eine dicke graue Katze, sie schien wie eine Schlange den halben Unterarm einfach verschlungen zu haben. Sassy atmete beruhigt auf. „Käse“, sagte sie mit strenger Stimme „hör auf ihn zu verschlingen, du darfst ihn nicht fressen, er ist der falsche Zwilling!“ Die Katze lies von ihrem Opfer ab und gab die Hand wieder frei. „Käse nicht fressen falschen Zwilling, Cheesie brav, hört was Finn sagt!“, grollte die Stimme der eigenartigen Kreatur. Sassy lächelte, der Verschlinger wirkte so harmlos wenn man nicht wusste was für eine Kraft er hatte. Ein leises Stöhnen erinnerte sie daran, dass sie auch nach Chruch sehen könnte. Dieser öffnete die Augen und starrte sie kurz verwirrt an, dann hob er den mit schleimigen Speichel bedeckten Arm: „Das ist ja widerlich!“
„Falls du damit dein Gesicht meinst stimme ich dir zu! Du kannst froh sein das ich dich rechtzeitig gefunden habe, dein freundlicher Kollege hier hätte dich sonst einverleibt!“, Sassy deutete ihm aufzustehen „wir müssen hier raus, der Turm wird einstürzen, du kannst mir draußen erklären was hier passiert ist!“
"Ich habe keine Ahnung", Church betrachtete gelangweilt wie der Turm nun Stockwerk für Stockwerk in sich zusammen brach und dabei einen ohrenbetäubenden Lärm machte. "Vom Leben allgemein oder den Geschehnissen in der letzten Stunde? Willst du mir gerade erklären, dass du einen Turm kaputt machst und es im selben Atemzug vergisst?", fragte Sassy als das Spektakel vorbei war. "Kannst du einmal vernünftig mit mir reden? Nur dieses eine Mal, Sassy?", Chruch verdrehte die Augen "und hast du die Kleine gesehen?" Sassy legte verdutzt den Kopf schief: "Kleine? Welche Kleine?"
Church schoss erst in diesem Moment das außer ihm und Finn wahrscheinlich niemand über ihre Anwesenheit bescheid wusste. Ihm war aber bewusst, dass es nun an der Zeit war alle aufzuklären. Er legte den Kopf in den Nacken und starrte in Richtung der zerstörten Mauer. Finns Plan schien hinten und vorne nicht zu funktionieren, die Stadt lag in Schutt und Asche, die Mauer, welche die Bewohner schützen sollte, war gefallen, und das Mädchen, welches er so dringend retten wollte, verschwunden. "Eva!", sagte er schließlich. Sassy riss ihre wasserblauen Augen erschrocken auf, dann verengte sie diese zu schmalen Schlitzen und musterte Church genau: "Eva?" Church verdrehte die Augen, er hatte sich an das allgemeine Misstrauen ihm gegenüber gewöhnt, aber langsam aber sicher wurde ihm das Verhalten der Vampir-Diva zu anstrengend. "Ja, genau! E-V-A", spottete er "soll ich dir diese drei Buchstaben aufschreiben oder bringst du sie auch so in deinen fünf intakten Gehirnzellen unter?" Sassy deutete ihm ihr zur Mauer zu folgen: "Kein Grund gleich beleidigt zu sein, wir müssen sie finden bevor dein gestörter Bruder es tut!"
"Finn!", die helle, klare Stimme von Eva lies Finn seinen Schwindel besiegen, er hob seinen Kopf und schaute in Richtung der Trümmer. Der Turm musste eingestürzt sein, aber Eva war in Sicherheit, sie stand genau da wo die Mauer hätte halten sollen. Aber damit war sie auch nicht in Sicherheit, das Monster durfte sie nicht entdecken. Chrunch hatte inne gehalten und war dabei sich in die Richtung zu drehen, aus der Evas Stimme gekommen war. Wie ein Bluthund schien er von Finn abzulassen um sein eigentliches Ziel anzugreifen und zu vernichten. Finn atmete tief ein, er spukte das restliche Blut, welches sich in seinem Mund gesammelt hatte, auf den Boden. Dann sprang er, im Sprung veränderte sich sein Körper, verwandelte sich in den weißen Tiger. Er schlug seine Krallen in Chrunch monströsen Arm und stieß sich erneut ab, diesmal erreichte er den Kopf des Ungetüms und schluf ihm die Krallen in die Augen. Chrunch lies ein schrecklich lautes Heulen los und taumelte, schwarzes, dickflüssiges Blut quoll aus seinen nun leeren Augenhöhlen. Mit einem gewaltigen Hieb beförderte er den Tiger von sich, dieser war aber nicht bereit von ihm abzulassen und ging sofort wieder zum Angriff über. Chrunch bewegte sich langsam, musste hören woher die nächste Attacke kommen würde. Der Tiger schlug die Krallen in seinen Rücken und verbiss sich in seinem Nacken, da erwischte Chrunch ihn und schleuderte ihn zurück. Der Tiger kam ein paar Meter vor dem Monster am Boden auf. Er richtete sich auf und brach dann wieder zusammen. Finn hatte keine Kraft mehr, er musste die Gestalt des Tigers wieder verlassen. Auf allen Vieren vor dem Monster blickte er ein letzes mal auf, seine türkisen Augen waren trüb und all die magische Energie schien aus ihnen gewichen zu sein. Hinter dem Monster, auf dem Weg zu ihm, war Eva, ihre goldenen Augen glänzten. Ein Lächeln überkam ihn, als ihn der Schlag von Chrunch von den Armen und Beinen riss, und ihm nun endgültig das Bewusstsein raubte. Ein kurzer, stechender Schmerz, dann Wärme und Dunkelheit.
"Der letzte Prinz von Elensar", höhnte Chrunch "ich hätte mir mehr erwartet!" Vernon lies sich auf die Knie fallen, er hatte in diesem Moment nicht mehr die Kraft Liam weiter zu tragen. Der Satz des Monsters hatte ihn selbst wie ein Schwerthieb getroffen. Die Zeit um ihn schien still zu stehen, nichts schien sich mehr zu rühren, alles wurde wieder in ein goldenes, warmes Licht getaucht. Aber auch dieses wohlige Licht konnte den Schmerz, den er in diesem Moment empfand, nicht aus seinem inneren nehmen. Er fühlte sich als wäre er selbst mit Finn Opfer des finalen Schlags dieser unmenschlichen Bestie geworden. Erschlagen von der Macht des Bösen, entkräftet und trotzdem sie alles gegeben hatten doch gnadenlos unterlegen. Er sah wie Sassy zu ihm stürzte und hektisch mit ihm sprach, aber er konnte ihre Worte nicht hören. Auch Church kam zu der grotesken Szenerie, er aber machte keinen Halt bei ihm, er rannte weiter an den umgestürzten Bäumen vorbei, sprang über einen Krater und fiel dann auf die Knie. Sassy blickte ihm nach, wagte es aber nicht ebenfalls zu Finn zu eilen. Im Grunde wusste sie, was sie dort erwarten würde. Auch der dicke graue Kater in ihren Armen lies sich noch mehr hängen als zuvor.
Erst der Schrei von Chruch riss Vernon aus seinem Zustand heraus, Tränen schossen ihm in die Augen. Der Aufschrei des Dämons bestätigte im Grunde, was er bereits gefühlt hatte. Den Tod des blonden Tunichtguts.
"Nun zu dir, kleines Mädchen", keuchte die Bestie, Chrunch, er konnte riechen das Eva sich ihm näherte "siehst du was du angerichtet hast?"
"Nein!", Evas Stimme war so messerscharf, sie schien beinahe die Luft zerschneiden zu können "Ich sehe was du angerichtet hast!" Das Monster lachte schallend auf: "Es gibt kein entkommen vor der Dunkelheit, jedes Lebewesen hat auch einen Schatten, Eva. Finn hatte einen, du hast einen. Der Dunkle kann euch immer heimsuchen, er wird euch immer heimsuchen, so wie mich damals!" Eva schloss die Augen, sie versuchte keine Angst zu haben, nicht einmal zurückweichen zu wollen: "Finn hätte sich seinem Schatten nie ergeben, und ich werde das auch nicht tun! Der Dunkle kann uns nur nehmen was wir bereit sind nicht zu verteidigen! Finn hat gekämpft, für all die Menschen hier, damit sie nicht in Angst vor ihrem Schatten leben müssen, und ich werde das selbe tun!" Chrunch grinste: "Ich kann deine Angst riechen, dann wirst auch du sterben, kleines Mädchen!" Eva atmete noch einmal tief ein, lies ihren Blick über den Etan und ihre Heimat, die irgendwo hinter dem Fluss lag, schweifen: "Du wirst mit mir untergehen!"