Sie hätten es wissen müssen. Sie hätten zumindest davon ausgehen müssen, dass etwas Derartiges passieren könnte.
So oder so waren sie jetzt in der Situation. Ob vorbereitet oder nicht.
Natürlich hatten Araz‘ alte Verbündete ihn nicht einfach vergessen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihn an den Orten zuerst suchten, an denen er sich üblicherweise aufgehalten hatte, war hoch. Ob sie sie nun hier gefunden hatten, weil zufällig jemand von ihnen in der Nähe gewesen war, weil das Restaurant überwacht wurde oder gar einer der dortigen Mitarbeitet geredet hatte, völlig egal.
Nun standen zwei von ihnen vor ihnen, versperrten ihnen den Weg vom Dach hinunter. Allein der eine von den beiden war so massig, dass sein Körper allein den Durchgang zur Tür des Treppenabgangs verbarg. Hochgewachsen, muskulös und breit wie ein Bär. Seinem runden Gesicht nach zu urteilen war er auch ebenso glücklich wie jenes Tier, wenn man sich zu weit an seine Heimatstätte herangewagt hatte.
„Da bist du ja! Wir hatten dich schon vermisst. Mendraa hat extra Leute losgeschickt, um dich zu suchen“, hatte der kleinere der beiden gegrüßt. Im Vergleich zu dem Bären war er nicht mehr als ein schlaksiger kleiner Junge. Er schielte die beiden durch den fransigen, blonden Pony schief an und ein dünnes, verzogenes Lächeln legte sich über seinen schmalen Mund.
„Wo hast du dich die letzten Wochen herumgetrieben? Wieso hast du dich nicht gemeldet?“
Das klingt, als würde er seinen Freund vermissen, schoss es Rove kurz durch den Kopf. Natürlich wusste sie, wie es gemeint war. Doch wirklich ernst nehmen konnte sie den Burschen nicht.
Araz neben ihr blieb auffällig still. Seine Augen lagen fest auf den beiden Männern, die Lippen dicht übereinander gepresst und die Kiefer still am Malmen.
„Deine neue Freundin?“ Der Blondschopf schielte zu Rove hinüber, die ein Stück weit hinter Araz stand, aber nicht weit genug im Abseits, um unbemerkt zu bleiben.
„War das der Grund, warum du dich nicht gemeldet hast?“, stichelte der Fremde weiter.
Mittlerweile war mehr als Offensichtlich, dass zwischen ihm und Araz nicht die beste Beziehung bestand.
„Scheiße nein, die Kleine gehört doch zu den Rebellen?“, fluchte der Blondschopf plötzlich. Sowohl er und sein Partner, als auch Rove und Araz waren auf einmal sichtlich angespannt. Durch jeden von ihnen schien ein stiller Ruck zu gehen und mit neuer Wachsamkeit schweiften ihre Blicke übereinander her.
„Was hast du mit der Kleinen vor, hm?“, zischte der Kleine weiter und mühte sich nicht einmal mehr ein falsches Lächeln ab. „Was treibt ihr hier oben allein? Wieso haben wir schon so lange nichts mehr von dir gehört? Was hat das zu bedeuten?“ Mit jedem Wort wurde er etwas lauter, zügelte zum Schluss aber seine Stimme.
„Entspann dich, Michael“, meinte Araz schließlich. Er klang dabei so erschreckend ruhig, dass es Rove kurz das Herz in die Hose rutschen ließ. So, als würde er einen alten Freund grüßen.
„Was glaubst du, was ich hier mache?“, fragte Araz schließlich und deutete mit einem kurzen Wink auf Rove. „Kannst du dir das nicht vorstellen?“
Sowohl der Kleine, als auch der Große schenkten Araz einen Blick mit gehobenen Brauen, sagten aber nichts.
„Natürlich nicht. Was hatte ich auch erwartet?“ Diesmal war es Araz, aus dessen Stimme der Spott tönte. „Und deshalb taucht ihr auch hier auf, gerade jetzt und verderbt mir die ganze Mission. Wochenlange Mühe, wofür?“
Sichtlich irritiert tauschten die beiden Männer an der Tür einen Blick. Währenddessen trat Araz langsam einige Schritte näher zu ihnen heran. Sofort wich der kleinere einen Schritt zurück, nur der Große ließ sich zunächst nicht von Araz beeindrucken.
„Welche Mission?“, spuckte der kleinere hervor.
„Denk doch einmal nach, Michael“, begann Araz, während er weiter näher trat. „Was könnte ich von einer kleinen Rebellin wollen?“
„In…formationen…?“, riet Michael und trat einen weiteren Schritt zurück.
„Nicht schlecht. Dein Verstand ist also doch zu etwas nutze. Aber glaubst du, dass ich jetzt, nach eurer Vorstellung, noch irgendwelche Informationen bekommen werde?“
Michael wirkte noch kleiner, als er neben dem Bären ohnehin schon aussah. Mit eingezogenem Kopf und gehobenen Schultern, wie ein kleines Kind, das gescholten wurde.
„Kein Problem“, donnerte plötzlich die tiefe Stimme des Bären über das Dach. „Nehmen wir die Kleine einfach mit. Mendraa wird sie schon zum singen bringen.“