„Du willst mit mir über meinen Freund sprechen?“
„Warum nicht?“, fragte Araz und hob sowohl die Brauen, als auch kurz die Schultern. „Im Moment würde ich mich mit dir über alles unterhalten. Außerdem bin ich neugierig.“
„Aha“, meinte Rove und hob dabei beide Brauen. „Und das ist kein Versuch, mich nicht doch noch rumzukriegen?“
„Vielleicht“, antwortete Araz mit einem kurzen Zwinkern und demselben Brauenwippen, wie er es zuvor getan hatte, doch sein Grinsen verriet, dass nicht besonders viel Ernst hinter der Aussage lag. Er wartete ab, wie sie reagierte und als sie kurz lachte, fiel ein Teil der Anspannung von ihm ab. Er meinte es also wirklich ernst. Dass er nicht wollte, dass etwas zwischen ihnen stand.
„Das bringt mich aber zu ein paar weiteren Fragen: Wieso hast du nicht einfach nein gesagt? Wieso hast du deinen Freund erwähnt? Heißt das, wenn er nicht wäre, dann…?“, setzte er an, nachdem auch sie sich sichtlich entspannt hatte.
Sie antwortete mit einem scharfen Seitenblick. Und hoffte, dass er die Errötung ihres Gesichts nicht bemerkte. Er zuckte darauf wieder nur die Schultern, mit einem schmalen, verhaltenen Lächeln auf den Lippen.
Rove, beruhige dich. Er kann deinen Herzschlag hören, rief sie sich in Erinnerung und zwang sich, einmal tief durchzuatmen. „Du bist ein Arsch.“
Araz grinste auf ihren Kommentar nur aus schmalen Augen über einem breiten Lächeln. Was auch sie wieder zum Lachen brachte, auch wenn sie es vermeiden wollte.
„Aber jetzt im Ernst. Was hat es mit deinem Freund auf sich? Wieso habe ich heute das erste Mal von ihm gehört?“
„Du bist wirklich neugierig.“
Er ließ sich von ihrer Aussage nicht beirren, wartete mit gehobenen Brauen auf ihre Antwort. Als sie weiter auf sich warten ließ, ergänzte er: „Ich sehe, dass es dich beschäftigt. Du musst nicht reden, wenn du willst. Aber ich höre gerne zu, wenn du möchtest.“
„Wieso willst du dir das anhören? Wirklich, meine ich.“
Araz zuckte die Schultern und ließ seinen Blick durch den Raum gleiten. „Alles ist besser, als mich auf diesen Ort hier zu konzentrieren.“
Sie runzelte die Stirn, während sie ihn betrachtete. Von ihnen allen, hatte Araz bisher die größte Gelassenheit an diesem Ort ausgestrahlt. Fast, als interessierte ihn das alles hier gar nicht.
„Der Geruch von Blut und Tod…“, setzte Araz an und rümpfte die Nase, ein gefährliches Blitzen in den Augen. „Es ist besser, wenn ich mich nicht darauf konzentriere.“
Dämonen hatten eine sehr viel stärker ausgeprägte Wahrnehmung, fiel es ihr wieder ein. Das wusste sie natürlich, aber sie hatte bisher nicht so viel darüber nachgedacht, wie ein solches Wesen reagieren musste, wenn es einem solchen Ort und derartigen Gerüchen ausgesetzt war. Oft hatte sie gelesen, dass der Geruch von Blut die Aggressivität steigern konnte. Oder Durst. Sie erschauderte, innerlich und hoffte, dass er es auch wirklich nicht bemerkte. Wenn es wirklich so war, wollte sie sich nicht vorstellen, wie viel Kraft es ihn kostete, seine Ruhe zu bewahren.
Roves Blick verharrte noch einen Moment auf ihm, dann schüttelte sie den Kopf und atmete noch einmal tief durch, während sie sich an die Wand gelehnt in die Hocke sinken ließ. Araz tat es ihr gleich.
„Es ist kompliziert.“
Obwohl er es vielleicht hätte nicht tun sollen, entwich Araz ein kurzes, tonloses Lachen. Wieder warf sie einen drohenden Blick auf ihn, doch sie sagte nichts. Was sollte sie auch sagen? Vermutlich hatte er mit seiner Reaktion sogar Recht.
„Er ist kein Soldat, so wie ich“, begann sie schließlich, diesmal richtig. „Das war schon am Anfang nicht leicht, aber jetzt…“
Sie wartete darauf, dass ein weiterer Kommentar von ihm kommen würde, doch er sagte nichts. Hörte nur zu.
„Dass ich so viel unterwegs bin, ist schwierig für die Beziehung. Er wünscht sich schon lange, dass ich meine Arbeit aufgebe und zu Hause bleibe. Mir einen weniger gefährlichen Job suche und… Aber ich…“
„Was macht er beruflich?“, fragte Araz, als er merkte, dass sie ins Stocken kam.
„Sanitäter.“
„Habt ihr euch darüber kennengelernt?“
Rove nickte langsam und dachte an ihre erste Begegnung zurück. Und schob den Gedanken schnell zur Seite.
„Das heißt, er wusste, worauf er sich einlässt. Und hat sich trotzdem für dich entschieden.“
Wieder nickte sie, noch langsamer als zuvor. Ja, er hatte sich für sie entschieden. Mit allem, was zu ihr gehörte.
„Dann sollte er sich nicht darüber beschweren, dass du deine Arbeit machst.“
Obwohl seine Worte klar und ruhig waren, fühlten sie sich an wie ein Schlag in ihr Gesicht. Er hatte vollkommen Recht, aber…
„Er macht sich Sorgen um mich. Wenn ich auf Missionen bin, haben wir nur wenig Kontakt. Und er muss warten, hoffen… dass ich lebend zurückkomme. Und gesund. Das ist nicht leicht.“
Sie sah, wie Araz neben ihr die Nase rümpfte und Rove aus zusammengekniffenen Augen musterte. „Was für ein Arsch.“
„Bitte was?“ Wieder waren seine Worte wie ein Schlag ins Gesicht. Und in ihr Herz. Und diesmal zeigte sie ihm offen, was sie davon hielt.
„Wenn er dich wirklich schätzt und so liebt, wie du bist und deine Wünsche respektiert, sollte er dich nicht unter Druck setzen.“
„Dass er sich Sorgen um mein Wohlergehen macht, ist falsch?“, fauchte Rove, vielleicht etwas zu scharf.
Araz schüttelte zur Antwort den Kopf, die Brauen streng zusammengezogen. „Natürlich soll er sich um dich sorgen. Und dich unterstützen.“
Rove schenkte ihm denselben strengen Blick aus zusammengekniffenen Augen, mit dem er auch ihr begegnete. „Du kennst ihn doch gar nicht, wie kannst du beurteilen, ob er das macht oder nicht?“
„Du warst diejenige, die gesagt hat, dass es kompliziert zwischen euch ist.“
Damit hatte er Recht. Und nahm ihr allen Wind aus den Segeln für eine weitere bissige Antwort.
„Wenn das nicht das Problem ist, was ist es dann?“, fragte Araz etwas ruhiger, mit weniger Schärfe im Unterton.
„Vielleicht sollten wir nicht weiter darüber reden“, meinte Rove knapp und schlang ihre Arme um die angewinkelten Beine.
„Wie du möchtest“, antwortete Araz mit einem Schulterzucken, dass sie aus dem Augenwinkel wahrnahm. „Es tut mir leid, wenn ich mich in Angelegenheiten eingemischt habe, die mich nichts angehen. Aber…“
Als sie bemerkte, dass er sie nun wieder direkt ansah, wandte sie den Blick ebenfalls zu ihm.
„…ich versuche immer noch zu verstehen, wie dich jemand so fest in seiner Hand haben kann.“
Rove spürte, wie sich ihre Hände zu festen Fäusten ballten und die Anspannung in ihr stieg, bis sie ihre Haut fast bersten fühlte. Doch ihr wollten keine Worte über die Lippen weichen. Nicht sofort. Seine Worte hallten in ihrem Kopf wider. Laut, klar und schmetterten ihr eine so offensichtliche Wahrheit ins Gesicht, die sie immer wieder zu verdrängen suchte: Ja, er hatte sie in der Hand. Wie schaffte es Araz, sie so schnell zu durchschauen? War es denn so offensichtlich?
Rove sah auf ihre Hände, spürte die eigene Anspannung, fühle den Ausdruck auf ihrem Gesicht. Natürlich konnte er es sehen. Und sie wusste nicht einmal, ob sie froh oder wütend darüber sein sollte. Es ging niemanden etwas an … doch irgendwie fühlte es sich so befreiend an, diese Gefühle teilen zu können.
„Er hat mich betrogen“, entwich es ihr leise und sie war selbst darüber überrascht, wie sich diese Worte zwischen ihren Lippen hervorstehlen konnten.
Zuerst dachte sie, dass Araz sie nicht gehört hätte. Keine Regung schlich sich über sein Gesicht. Es verharrte genau so, wie er sie zuletzt angesehen hatte.
„Wieso behauptest du dann noch, dass du einen Freund hättest?“
Hatte sie das gerade richtig gehört? Araz schenkte ihr denselben Blick, den sie ihm wahrscheinlich gerade zeigte. Die Augen weit aufgerissen, die Lippen dicht aufeinander gepresst.
„Wenn er dich schon ersetzt hat, wieso hältst du noch an ihm fest?“
Weil ich schuld daran bin, dass ich es soweit habe kommen lassen. Wäre ich nur häufiger zu Hause, hätte ich meinen Job aufgegeben, wäre… Nein. Wenn er dich schon ersetzt hat, hallte es in ihrem Kopf wieder. Wenn er dich schon ersetzt hat.
Sie sah zu Araz, sah in sein Gesicht, in seine Augen und war unfähig, irgendwas zu entgegnen.
Was sollte sie darauf sagen? Was hatte er überhaupt gesagt? Wie kam er dazu? Was wollte er überhaupt von ihr? Was –
Etwas veränderte sich in Araz Gesicht. Seine Aufmerksamkeit rückte von einen Moment im nächsten von ihm ab. Sie sah es, noch bevor er den Blick von ihr abwandte und zuerst auf die Fenster, dann auf die Türen des Raumes richtete.
„Wir sind nicht allein.“