„Verwechsle meine Freundlichkeit nicht mit Wohlwollen oder Interesse. Dass ich dich respektiere und dir mit Freundlichkeit begegne, sagt mehr über mich aus, als über dich“, drängten sich ihre Worte wieder in seine Gedanken. Sie kreisten in seinem Kopf, wieder und wieder. Auch jetzt noch, als er die geliehenen Waffen um Rüstungsraum ablegte und seine Kampfausrüstung in seinen Spind einschloss. Mit einem Seufzen, das sogar ihn überraschte, trat er in den angrenzenden Waschraum.
Roves Laune hatte sich nicht mehr gebessert, seit das Aufräumteam gekommen war und sie mit ins Hauptquartier zurückgebracht hatte. Was der Grund für ihren drastischen Stimmungswechsel war, war ihm noch immer ein Rätsel. Die Chance, sie noch einmal darauf anzusprechen, blieb im verwehrt. Ihre Wege hatten sich bereits nach dem Aussteigen aus dem Einsatzfahrzeug getrennt. Auf der Fahrt selbst hatten sie kein Wort gewechselt.
Araz wusste nicht, ob er froh darüber sein sollte. Immerhin waren ihre Gespräche zuletzt nicht sonderlich angenehm gewesen. Doch er hatte sich erhofft, dass sie besser miteinander auskommen würden. Nicht nur, damit seine Chancen in dieser Organisation akzeptiert zu werden stiegen. Auch, um wieder gutzumachen, was er ihr angetan hatte. Doch wie sie es ihm gleich am Anfang klargemacht hatte: Sie würde es ihm nicht leicht machen. Und sie hielt sich an ihr Wort, mit verbissener Vehemenz.
Er hatte es wohl verdient. Nach allem, was noch geschehen war, bevor er endlich die Entscheidung getroffen hatte, die Seiten zu wechseln. Hoffentlich war es auch die richtige, schlichen sich die Zweifel noch immer in seinen Kopf. Er schüttelte sie beiseite. Die Entscheidung war getroffen. Es gab keinen Platz mehr für Zweifel. Zumindest nicht, solange nichts passierte, die sie bestätigten.
„Gib ihr ein bisschen Zeit.“
Mit gehobenen Brauen wandte sich Araz um. Er war noch einmal in die Gemeinschaftsküche gegangen, um sich einen letzten Kaffee für den Abend zu holen und hatte nicht damit gerechnet, heute noch einmal jemandem zu begegnen. Doch nun stand Pascal vor ihm, der alte Vampir, den er schon so oft in Roves Nähe gesehen hatte. In einen seiner schicken, dunklen Anzüge gekleidet, die nicht weniger auffallend hätten sein können, und mit dem streng zurückgekämmten, vollen dunklen Haar und dem aufwändig getrimmten Bart, wirkte er hier völlig fehl am Platz. Doch so viele Gedanken Araz zu Pascals exzentrischem Auftreten auch in den Sinn kamen, so viel Respekt hatte er für den alten Vampir, der seine Werte stets offen vertrat.
Die kühlen grauen Augen des Vampirs tasteten unter hochgezogenen Brauen über Araz Gesicht und jede seiner Bewegungen. Doch er sagte nichts weiter. Beobachtete nur stumm, wie Araz seinen Kaffee unter der Maschine hervor zog und daran nippte, während er Pascal dabei argwöhnisch aus den Augenwinkeln musterte.
„Was willst du?“, fragte Araz schließlich, nachdem sich der Vampir nicht von der Stelle bewegte.
„Sei nicht so ungeduldig mit ihr“, antwortete Pascal und verschränkte seine Hände hinter dem Rücken.
„Mit Rove?“, hakte Araz nach.
„Ihr wart heute Abend gemeinsam unterwegs.“
Araz stieß scharf die Luft aus seinen Lungen und verdrehte dabei die Augen. „Mhm. Und was willst du von mir?“
„Ich will dir helfen.“
„Ach ja? Wobei?“
Pascals stramme Haltung lockerte sich ein bisschen und er trat ein paar Schritte durch die kleine Küche, bevor er wieder antwortete. „Wir sind keine Menschen, Mr. Faraond. Wir sind die Andrerkiin für sie. Es braucht Zeit, sich aneinander zu gewöhnen. Vor allem, wenn es eine Vorgeschichte gibt. Anstatt dich direkt an sie zu halten, lerne von jemandem, der das Spiel bereits kennt. Ich habe das alles schon lange hinter mir und trotzdem erlebe ich es immer wieder neu. Lass mich dir helfen. Von einem Andrerkiin zum anderen.“