„Ich bin zu einem Therapeuten gegangen bis ich achtzehn war.“
Irritiert sah Kala ihren Vater an, der nach dieser Offenbarung weiter seinen Toast aß. Ihr von allen Zeitungen als größter Virtuose der Neuzeit hoch gelobter Vater.
„Warum?“, fragte das Mädchen mit den sandfarbenen Locken, die sie aussehen ließ wie ihre Tante. Das wusste sie aus Erzählungen ihres Vaters und Fotos, die er ihr gezeigt hatte. Denn Tante Pheobe war schon lange fort.
„Weil ich als Jugendlicher ganz viel Angst davor hatte, nicht gut genug zu sein. Und niemandem gesagt habe, wie schlecht es mir geht, bis ich nicht mehr wusste wohin.“
Betreten sah Kala auf ihr Müsli hinunter, das von der Milch langsam ganz aufgeweicht wurde. Woher wusste ihr Vater von Freitagabend? Hatte Juls gepetzt? Dabei hatte ihre beste Freundin versprochen, keinem Erwachsenen von den Gedanken zu erzählen, die sie ihr im Vertrauen bei der Übernachtungsparty im Schutz der Dunkelheit zugeraunt hatte.
„Juls hat geplappert, nicht?“, murmelte sie ihrem Frühstück entgegen, vermied den Blickkontakt zu ihrem Vater.
„Sie hat sich Sorgen gemacht, K. Ich mache mir auch Sorgen“, meinte ihr Vater mit ganz weicher Stimme, legte einen Finger unter ihr Kinn und hatte diesen ganz traurigen und gebrochenen Blick im Gesicht, den er nur dann aufsetzte, wenn er dachte, dass niemand ihn sah. Weil Phelan Kane, der berühmte und erfolgreiche Violinist, nicht traurig sein durfte. So wie seine Tochter es doch auch nicht sein konnte, richtig? „Du weißt doch, dass du mir immer die Wahrheit sagen kannst, oder?“
Mit schwerem Herzen nickt Kala. Ja, das wusste sie eigentlich.
„Du bist nicht alleine mit deinen Gedanken und Gefühlen. Wir bekommen das wieder hin. Ich hatte das ebenso. Und auch, wenn ich nicht genau weiß, wie es dir jetzt geht, kann ich es nachempfinden, weil ich Ähnliches durchgemacht habe. Mit Hilfe schaffen wir das. Schaffst du das.“
Tränen rollten ihr über die Wangen und mit einem Satz sprang sie auf und ihrem Vater um den Hals.