Du bist Aji.
„Lasst uns weiterreiten“, bittest du leise. „Das mit dem Stein ist zu gefährlich. Wenn die Jenseitsvölker ihn kriegen …“
Arthrax funkelt dich finster an. „Du kleiner Verräter“, murmelte er nur halb ernst gemeint, dann steckt er den Stein wieder ein.
Nun ja, du hast ihm jetzt auch schon zweimal widersprochen.
Allyster schnalzt und ihr treibt die Pferde wieder an. Ihr trabt über die Wiesen, um eure müden Tiere etwas zu schonen, und erreicht schließlich kurz nach Einbruch der Dunkelheit euer Ziel, ganz wie geplant. In ruhigem Schritt überwindet ihr die Waldgrenze.
Es ist dunkel. Um euch herum erheben sich vor allem Tannen. Im schwachen Licht von Mond und Sternen ist wenig zu sehen. Schließlich müsst ihr absteigen und eure Pferde führen.
„Was für ein unheimlicher Wald“, grollt Arthrax leise. „Hinter jedem Stamm könnte ein Druide lauern.“
Allyster schüttelt den Kopf. „Wir würden sie bemerken. Ihre Magie ist zwar wild und unberechenbar, aber nicht unaufspürbar. Und ihr habt mich dabei.“
„Ich habe ja gehört, dass sie mit den Steinen des Waldes verschmelzen können und sie dann nicht einmal ein Meister der Magie erspüren kann“, sagt Arthrax. „Dann lauern sie dort mit ihren Giftpfeilen und greifen aus dem Hinterhalt an, schnell und tödlich. Es bleibt nicht einmal Zeit, um zu schreien.“
Erschaudernd siehst du dich um.
„Unsinn“, brummt Allyster. „Das sind nur Schauermärchen.“
„Sind dann die anderen Geschichten über die Druiden auch nur Schauermärchen?“, fragt Arthrax lauernd, während er am Strick des Maultiers zieht. Das bockige Tier folgt seinem Kaltblut nur langsam.
Dein Mentor seufzt und schweigt einen Moment, ehe er langsam antwortet: „Mit Sicherheit nicht alle, aber ein paar werden darunter sein. An der Akademie wurde nur wenig über die Magie der Druiden gelehrt. Es ist eine schwarze Kunst, die ihre Kraft aus Blutopfern zieht. Die Druiden verehren eine Vielzahl an Göttern, die sie in den Pflanzen und Tieren der Wälder zu erkennen glauben. Es gibt beispielsweise den Kriegsgott in Gestalt eines Bären, den weißen Hirsch des Friedens, einige Blumen- und Beerenmädchen … Um mit ihren Göttern zu kommunizieren, verzehren sie irgendwelche Pilze und Kräuter, und aus diesen Visionen schließen sie, dass sie ihre Macht von diesen Kreaturen geschenkt bekommen, während Magie doch eigentlich eine erlernbare Kunst wie das Stricken ist, nur sehr viel komplexer.“ Allyster atmet tief durch. „Dieses Jenseitsvolk bildet sich aber ein, dass sie ihre Macht erkaufen können. Sie glauben, mit jedem Opfer, das sie dem Wald darbringen, werden sie mächtiger, und der Zufall scheint sie oft genug zu bestätigen, dass sie die Wahrheit nicht erkennen.“
„Aber sie beherrschen Magie, obwohl sie dieses ganze Formelzeug nicht können? Sprechen sie überhaupt die Sprache?“
Allyster sieht dich an. „Macht dir keine Hoffnungen, Aji. Das ist wilde und dunkle Magie, höchst gefährlich. Du wirst die Magie auf die traditionelle Art lernen.“
„Ja“, murrst du. Hoffnungen hast du dir nicht gerade gemacht, aber jetzt, wo Allyster es anspricht, gefällt dir die Vorstellung, all die komplizierten Beschwörungen und die Grammatik zu überspringen. Du musst ja nicht gleich mit Blutopfern anfangen! Aber wenn es eine Alternative gibt, wäre das doch mal interessant.
„Aber ja, sie können zaubern“, beantwortet Allyster den eigentlichen Kern deiner Frage. „Deswegen sollten wir vorsichtig sein. Ihre Macht beruht auf Illusionen und sie können auch eine Art Anziehungskraft erwecken, die euch zu tödlicher Gefahr ruft. Falls ihr also plötzlich das unerklärliche Bedürfnis habt, von einer Klippe zu springen, sagt Bescheid – dann ist einer dieser Mistkerle in der Nähe.“
„Einer dieser Mistkerle?“, erklingt plötzlich eine Stimme irgendwo neben dir. „Habt ihr das gehört? Der alte Narr denkt, wir würden einzeln angreifen.“
Erschrocken drängt ihr euch zusammen. Allyster murmelt ein Wort und eine Flamme erscheint auf seiner Handfläche. Arthrax zieht seine Kriegsaxt.
Ihr hört Gelächter um euch her, doch erkennen könnt ihr nur die Schatten unter blauschwarzen Tannen. Es ist niemand zu sehen, dabei sind euch die Stimmen so nah …
Dann flimmert die Luft plötzlich und ein ganzer Trupp menschenähnlicher Wesen erscheint um euch herum.
Die Druiden haben eine Haut wie Rinde und tragen lange, fließende Gewänder, die oft von einem Gürtel voller Beutel und Fläschchen gehalten werden. Ihre Augen sind stahlgrau und statt Fingern gehen ihre Hände in zweigartige Klauen über. Sie manifestieren sich wie Geister um euch herum. Zwar richten sie keine Waffen auf euch, doch du spürst das Prickeln magischer Fesseln in der Luft. Ohne es wirklich zu wollen steigst du von Melréds Rücken. Allyster und Arthrax steigen ebenfalls ab, mit mechanischen Bewegungen.
Allyster umklammert deine Schulter jedoch und schiebt dich hinter sich.
„Also, Kalynorer“, beginnt einer der Druiden. „Ihr wollt in unseren Wald eindringen und dachtet, das würde uns nicht auffallen.“
„Und nun ist euer Plan was? Einfach ins Herz des Waldes zu marschieren?“
Hämisches Gelächter quittiert die Aussage des zweiten Druiden. Du siehst, wie die Gruppe die Reihen um euch schließt. Es sind bestimmt fünfzig. Die Luft fühlt sich so dick an, dass du kaum atmen kannst.
Allyster dreht sich um und wirft euch einen langen, traurigen Blick zu. „Es tut mir leid“, murmelt er leise.
Kälte kriecht deinen Rücken herauf.
„Nun? Wollt ihr uns nicht antworten?“, fragt ein dritter Druide ungeduldig.
„Nein“, antwortet Allyster, dann springt er vor. Er ruft Worte in der Alten Sprache und blaue Flammen schießen auf die Druiden zu. Die knurren wütend, dann reißen sie ihrerseits die Arme hoch. Dünne, dunkelrote Wurzeln erheben sich wie Schlangen aus dem Boden und jagen auf Allyster zu.
Du …
- … bleibst wie vom Donner gerührt stehen. Lies weiter in Kapitel 12.
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- … springst vor und schreist: „Nein! Meister Allyster!“ Lies weiter in Kapitel 13.