Du bist Allyster der Sehende.
Deine Wut auf Arthrax schnürt dir fast die Luft ab. So sehr ihr sonst auch zusammenhaltet, heute kannst du ihm nicht folgen. Seine Dummheit hat Aji in Gefahr gebracht.
Außerdem hat er zwei Schöpfersteine bei sich. Soll er doch die Konsequenzen seiner Handlungen ausnahmsweise mal selbst tragen.
Du bleibst in deinem Versteck sitzen und wartest ab. Arthrax‘ Spuren verlierst du schließlich aus dem Blick, als der Krieger in der Dunkelheit verschwindet, doch du ahnst, dass er zum Steinkreis in der Mitte des Tals will. Dort schließt sich eine rote Dornenhecke um die versammelten Druiden und Aji. Ob Arthrax es noch durch die sich schließenden Lücken hinein schafft oder nicht, kannst du nicht erkennen.
Dann jedoch überschreiten die Druiden die Hecke mühelos. Und einer von ihnen trägt Aji in der Hand! Du kannst deinen Schützling sehen, der auf die große Rindenfaust trommelt und zappelt.
Zornig ballst du die Fäuste. Wohin bringen sie deinen Lehrling bloß? Du würdest den Druiden am liebsten sofort nachlaufen, aber das Tal ist zu offen – man würde dich sofort sehen.
Angespannt wartest du ab. Inzwischen haben sich alle Druiden in Bewegung gesetzt, jedenfalls, soweit du es erkennen kannst. Sie begeben sich ins Gebirge, wo sie offenbar unter die Erde gehen.
Als sich in deiner Umgebung nichts mehr rührt, wagst du es, dich zu erheben und dem Strom der Baummenschen zu folgen.
Als du leise hinter den letzten ankommst, siehst du, dass sie eine Höhle ansteuern. Dahinter führt ein Gang in die Tiefe.
Du wagst dich einen knappen Steinwurf hinter den Druiden über den ausgehöhlten Gang hinunter. Dass du ein Risiko eingehst, ist dir natürlich bewusst. Wenn die Druiden sich umdrehen, wären sie innerhalb weniger Wimpernschläge bei dir. Du hältst dich an die Schatten und hoffst auf das Beste.
Und keiner der Druiden dreht sich um oder blickt auch nur zurück. So folgst du ihnen leise und nervös in die Tiefe. Der Tunnel windet sich langsam in die Tiefe. Er hat glatte Wände und du stellst dir irgendwie vor, dass er von riesigen Wurzeln in das Gestein gebohrt wurde. Wurzeln wie die Hände der Druiden … haben sie diesen Ort gefunden oder erschaffen? Du fühlst einen merkwürdigen Wind aus der Tiefe, das erste Anzeichen dafür, dass dir ein Schock bevorsteht …
Als Baumwesen bauen die Druiden keine Hütten und du bist davon ausgegangen, dass sie einfach im Freien schlafen, so wie es eure Begleiter während der Reise hierher getan haben. Doch der lange, in den Stein geschlagene Pfad windet sich immer tiefer, bis er sich am Ende zu einer gewaltigen Höhle öffnet.
Dir bleibt der Mund offen stehen. Eine solch riesige Höhle hast du noch nie gesehen. Es ist ein Wunder, dass der Boden des Steinrunds nicht unter euch eingestürzt ist!
Der Boden ist eben und kreisrund, darüber erhebt sich eine gewaltige Kaserne, die wie die obere Hälfte eines Eis geformt ist. Die Spitze muss dicht unter dem Steinrund ruhen, während der Boden selbst von eurer Position aus noch mehrere hundert Meter nach unten reicht. Der Pfad von oben führte euch etwa auf dem unteren Drittel heraus.
Erleuchtet wird die Höhle von gewaltigen, gelblichen Pilzen. Aus den Wänden ragen mächtige Wurzeln, die dicker sind als die Druiden hoch. Es muss sich um die Überreste eines gewaltigen Baumes handeln, die hier unten in jahrelanger Arbeit freigelegt wurden.
Offenbar haben die Druiden diesen Ort geschaffen, mit nichts weiter als ihren Wurzel-Muskeln.
Im schwachen, goldenen Licht seht ihr euch staunend um. Dann allerdings reißt du dich zusammen. Du musst Aji finden!
Du hast auch bereits einen gewissen Verdacht, wo er sich befindet. Auf dem Boden der großen Höhle, der flach und von verschiedenen Gebäuden eingenommen ist, bemerkst du eine rundliche Arena, zu der alle Druiden strömen.
„Kommt her!“, dröhnt da zu deiner Überraschung eine Stimme in verständlichen Worten. „Heute gibt es eine besondere Vorstellung!“
Die Stimme des Druiden vibriert durch den Boden und lässt deine Zähne klappern.
„Wir haben einen Spion aus Kalynor geschnappt. Einen Wandling. Seht euch an, welche Macht er mit dem gestohlenen Schöpferstein der Dunkelelfen entfesseln kann. Und seht, wie lange er durchhält!“
Da hast du deine Bestätigung! Der Druide beginnt, seine Einladung zu wiederholen. Überall setzen sich Druiden in Bewegung, um sich an der großen Arena zu versammeln. Du folgst ihnen,, darauf bedacht, dich nach an der Höhlenwand und, wenn möglich, hinter Gebäuden zu verbergen.
Hunderte Druiden sind in und um die Arena. Es ist unmöglich, dass du dort ungesehen hineinkommst. Die Druiden werden dich sehen und töten! Es ist eindeutig eine Falle.
Aber kannst du Aji dort allein lassen? Andererseits ist der Junge sehr stark, das hat er schon mehrfach bewiesen. Und so gerne du ihm sofort helfen würdest – momentan ist das Heiligtum der Druiden, das Steinrund, unbewacht, und Arthrax womöglich unsichtbar mit hier unten und bereit, Aji zu retten. Also solltest du vielleicht klug vorgehen …
Du entscheidest dich, …
- … zur Arena zu gehen. Lies weiter in Kapitel 36.
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- … nach dem Blutjaspis zu suchen. Lies weiter in Kapitel 37.