Du bist Arthrax Sundergeer.
Schneebeere, Tannzweig und wie sie alle heißen führen euch in einem recht schnellen Tempo in den Wald, dem eure Pferde kaum folgen können. Für die Druiden scheint es trotzdem ein gemächlicher Spaziergang zu sein, denn sie plaudern fröhlich, während ihre langen Beine mühelos ausholen und voranschreiten. Die Druiden sind hoch wie Bäume und ihre Füße wurzelartig. Sie gleichen den dunklen Tannen ihres Waldes so sehr, dass es keinen Unterschied zwischen beidem zu geben scheint.
Im Gehen plaudern sie auch noch. Aji scheint sie besonders zu interessieren.
„Wie kommt es, dass ein Wandling Euer Lehrling ist, Kalynor-Zauberer?“
„Wir wussten nicht, dass er ein Wandling ist, bevor sich seine Haarfarben geändert hat“, erklärt Allyster. „Und, um ehrlich zu sein, auch danach nicht. Es ist vor einigen Jahren geschehen und wir haben ihn seitdem immer versteckt.“
„Jahren?“, fragt der Druide Schneebeere und runzelt die knorrige Stirn.
„Es könnten jetzt zwei Jahre sein“, verbessert Allyster rasch. Offenbar verwandeln sich Wandlinge nicht so früh. Aber ihr wolltet auch nicht verraten, wie sich Aji wirklich verwandelt hat, damit die Druiden nicht darauf schließen, dass es einen Zusammenhang zum Diebstahl des Schöpfersteins der Dunkelelfen geben könnte. „Ein Jahr und ein paar Monate. Ich weiß es nicht mehr genau.“
„Und wie habt Ihr es überhaupt herausgefunden?“
„Bloßer Zufall“, erklärt Allyster. „Wir haben eine gefangene Piratin aus der Mondsee transportiert, die in Kalynor befragt werden sollte. Als sie Aji ohne Kapuze sah, beschimpfte sie ihn als ‚verräterischen Wandling‘. Sie wollte uns nicht mehr verraten, aber deshalb haben wir vermutet, dass die Jenseitsvölker mehr wissen können.“
„Und dann zieht ihr ausgerechnet zu den Druiden?“ Schneebeere fragt Allyster weiter aus, während die restlichen drei Baumwesen dich misstrauisch mustern.
„Ich hörte, ihr habt hier die besten Beziehungen zu Kalynorern“, sagt Allyster leichthin. „Den Versuch war es wert.“
„Um was für eine Piratin ging es eigentlich? Wieso sollte sie verhört werden?“, fragt nun ein anderer Druide. Wenn du dich richtig erinnerst, war sein Name Glühpilz.
Du überlegst, wie du Karja am besten verteidigen kannst, da Allyster sichtlich nach einer Lösung sucht. „Wir wissen nicht viel darüber“, erklärst du. „Offenbar war sie Gefangene auf einem Schiff, das wir gesunken haben. Uns wurde nur gesagt, dass die Piraten sie offenbar nicht leiden konnten und sie deshalb gesucht wurde. Wir sind Söldner, wir stellen nicht viele Fragen.“
„Dann war es eine berühmte Kapitäin?“
Du zuckst mit den Schultern. „Katja oder so. Nie von ihr gehört.“
„Karja?“ Die Druiden haben offensichtlich von ihr gehört. Nun mustern sie euch scharf. „Die Verräterin der Mondsee?“
„Möglich.“ Du merkst, dass Allyster dir einen warnenden Blick zuwirft, doch du hast alles unter Kontrolle. Dass Karja sich den Schöpferstein-Dieben angeschlossen hat ist offenbar in allen Jenseitslanden gut bekannt. Es kann nicht schaden, das Gerücht zu streuen, sie wäre in kalynorischer Gefangenschaft und die Gruppe der Diebe womöglich besiegt. Vor allem stellst du euch so dar, als hättet ihr zwar wenig Ahnung von diesem Konflikt, wärt dabei auf der Seite der Jenseitslande. Du bist jedenfalls ziemlich zufrieden mit deiner Geschichte und die Druiden fragen nicht weiter nach.
Ihr reist noch eine Weile, bis Schneebeere – der der Anführer der vier zu sein scheint – merkt, dass eure Pferde schnaufend zurückbleiben.
„Ihr seid wohl nicht so schnell, kleine Kalynorer“, stellt er (oder sie) fest und wird langsamer.
„Unsere Tiere sind auch müde“, erklärst du. „Können wir etwas langsamer reisen?“
Die Druiden nicken. „Warum sagt ihr auch nichts?“ Sie scheinen ihre förmliche Anrede euch gegenüber abgelegt zu haben.
Nachdem ihr euch mit stummen Blicken abgesprochen habt, steigt ihr ab und führt eure Pferde weiter. Atesh, Melréd und das Maultier schnauben erleichtert und wenn du dich nicht täuscht, hat euch eure Rücksichtnahme auf die Pferde soeben noch ein paar Pluspunkte bei den Druiden eingebracht.
Als es dunkler wird, werden die Druiden langsamer. Ihre Schritte lenken sie fort von dem geraden Pfad, dem ihr bisher gefolgt seid, und zu einer kleinen Lichtung an einem Bachlauf, die sie trotz der immer gleichen Tannenlandschaft so sicher finden, als wäre es ausgeschildet worden. Die Druiden versammeln sich als Ring um euch herum, während ihr eure Pferde absatteln und ein Lager bereiten dürft. Du willst Feuerholz sammeln gehen, doch Allyster stoppt dich mit einem Wink, ehe er zu den Druiden tritt. „Verzeiht bitte, Schneebeere, doch wir kennen Eure Gepflogenheiten nicht. Erlaubt Ihr uns ein Feuer?“
„Warum sollten wir nicht?“, fragt der Druide spöttisch. „Glaubt ihr, wir halten Äste für unsere Cousins.“
„Na ja …“ Allyster möchte offensichtlich nicht zugeben, dass das genau sein Gedankengang war. Die Druiden lachen gutmütig, und du eilst los, um trockenes Holz zu holen. Als ihr eure Vorräte auspackt und euch daran macht, etwas Fleisch über den Flammen zu erwärmen, halten die Druiden Stöcke mit aufgespießten Pilzen darüber, von denen bald ein nussiger Geruch aufsteigt.
„Wollt ihr probieren?“, fragt Glühpilz auf eure neugierigen Blicke hin.
Du zögerst. Fremdländisches Essen ist jetzt nicht wirklich Deins. Zum Glück stimmt Aji zu, bevor die Pause zu unangenehm wird, und er bricht sich ein kleines Stück von dem geschmorten Pilz ab.
„Lecker!“, befindet Allysters Schützling. „Was ist das?“
„Einer unserer liebsten Speisepilze. Doch bevor wir euch mehr erzählen, müsst ihr die Lügenprobe bestehen“, erklärt Schneebeere. Wie auf ein geheimes Zeichen hin beginnen die drei anderen, Kreise um den Rand der Lichtung zu ziehen. Aus irgendwelchen verborgenen Winkeln ihrer Rindenhaut oder -kleidung ziehen sie Beeren und Kräuter hervor, die sie an bestimmte Stellen der Zeichnungen streuen. Fast sofort erhebt sich ein merkwürdiger Geruch, während Schneebeere drei tönerne Becher hervorzieht und vor euch hält – dazu nutzt er einen Ast, der bisher steif aus seinem Körper wuchs, als dritten Arm. Generell haben die Druiden überall Äste und Zweige, die offenbar Teil ihres Körpers sind. So richtig schlau wirst du aus ihnen nicht.
Vorsichtig nimmst du das Getränk entgegen. Es ist warm und milchig. Irgendwie musst du an Schneckenschleim denken, denn es ist auch ziemlich dickflüssig.
„Was ist das?“, fragst du.
„Ein Getränk, das die Reinheit eures Herzens beurteilt. Ihr müsst schwören, dass eure Geschichte der Wahrheit entspricht, und dann trinken. Ist auch nur die kleinste Lüge an euch, wird das Gift darin wirken und euch töten. Sagt ihr dagegen die Wahrheit, werdet ihr nichts merken.“
„Gift?“, wiederholt Allyster und wird etwas blasser.
„Ein Wahrheitsserum, wenn man so will“, erklärt Schneebeere. „Habt ihr etwa etwas zu befürchten? Sprecht lieber jetzt die Wahrheit, Kalynorer.“
Ihr tauscht einen schnellen Blick.
„Wir haben nichts zu befürchten“, sagt Allyster. „Wir sind Kalynorer, die Hilfe für die Ausbildung von Aji suchen.“
Er will trinken, doch Schneebeere stoppt ihn. „Ihr müsst es alle schwören. Und schwört, dass ihr nichts mit dem Diebstahl der Schöpfersteine zu tun habt!“
Unter dem strengen Blick der Druiden wagt ihr nicht einmal, euch anzusehen. Allysters Wortlaut hätte euch noch retten können, doch die Druiden haben offenbar Erfahrung mit den Wahrheitsschwüren.
Dir bleibt nicht viel Zeit, denn wenn du zu lange zögerst, werden euch Schneebeere und die anderen mit Sicherheit aufspießen. Da könntet ihr eure Schuld genauso gut gleich zugeben!
Vielleicht ist es auch nur ein Test und das Getränk ist nicht vergiftet.
Du …
- … schwörst und trinkst. Lies weiter in Kapitel 17.
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- … trinkst nicht und fliehst. Lies weiter in Kapitel 18.