Als erstes hatten sie die Hunde getötet.
Lautlos hatten sie die vergifteten Fleischbrocken über die Mauer geworfen. Logar hatte gesagt, es dauere einen ganzen Tag, bis die Köter starben. Während sie darauf warteten, hatte die kleine Gruppe Krieger in sicherer Enfernung des römischen Gutshofes gelagert, und Logar und Ogam hatten nichts anderes getan, als sich zu betrinken.
Jetzt, eine Nacht später, waren sie wiedergekehrt und Elcmar wartete auf das Zeichen zum Angriff.
Er fröstelte in der kalten Nachtluft, seine Kleider waren immer noch feucht, vom Überqueren des Flusses vorgestern Nacht. Bei diesem nebligen Wetter trocknete nichts. Er kauerte sich etwas tiefer ins dichte Gestrüpp am Waldrand und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die Lichter, die in den Fenstern der weißgekalkten Gebäude vor ihm flackerten.
Schon seit ein paar Tagen genossen sie jetzt die Gastfreundschaft von Logars Freund Ogam, dessen Sippe nicht weit entfernt von den Ufern der Tonah siedelte. Es war kein ungewöhnlicher Besuch, Logar weilte öfter dort, manchmal blieb er sogar für Wochen. Nein, das Ungewöhnliche war, dass sein Freund ihn dieses Mal mitgenommen hatte und Elcmar konnte nicht aufhören, sich darüber zu freuen, wenn er sich dort auch alles als andere als wohl fühlte. Logar und Ogam flüsterten öfter miteinander und hörten auf zu sprechen, wenn er in der Nähe war. Sie zogen über ihn her, dessen war er sich sicher, außerdem tranken sie Unmengen und jede Nacht teilten sie das Lager mit mehreren Frauen. Ein Vergnügen, dem Elcmar nicht das Geringste abgewinnen konnte, zu dem ihm die beiden Krieger jedoch immer wieder aufgefordert hatten. Er hatte Unwohlsein vorgeschoben und sich die letzten Nächte in Ogams Haus die Felle über den Kopf gezogen und die Ohren zugehalten.
Den wahren Grund des Aufenthalts hatte ihm Logar aber erst vorgestern eröffnet. Als er die Giftköder gesehen hatte, hatte Elcmar zunächst geglaubt, sie würden Wölfe erlegen. Er hatte allerdings nicht schlecht gestaunt, als sie in Begleitung von etwa zwanzig anderen Kriegern in stockfinsterer Nacht zu Pferd die Tonah überquert hatten. Nach einem weiteren halben Tagesritt hatten sie sich an das imposante Landgut angeschlichen und es aus der Ferne beobachtet.
Logar tauchte plötzlich neben ihm auf, boxte ihm in die Rippen. Seine Anwesenheit bescherte Elcmar einen warmen Stich im Magen.
„Na, Kleiner?“, fragte Logar. „Bist du bereit, fette Beute zu machen?“
Und ob er das war! Elcmars Hand glitt einmal mehr zum kalten Griff der Spatha, die Logar ihm vor noch nicht einmal einem Mond geschenkt hatte. Er würde keine Schande sein. Er würde beweisen, dass auch er stark und tapfer war.
„Sssss.“ Logars leises Zischen war das Zeichen an alle.
Elcmar erhob sich. In geduckter Haltung schlich er durch die Dunkelheit.
Ein Krieger, dessen Namen er vergessen hatte, begleitete ihn. Als sie die Mauer erreicht hatten, stieg er, wie sie es besprochen hatten, auf dessen Schultern. Der Mann schwankte ein wenig unter ihm, doch es bereitete Elcmar keine große Mühe, die Hände auf die Mauerkrone zu legen, und sich daran hochzuziehen. Auf der anderen Seite hangelte er sich hinunter und sprang so geräuschlos wie möglich in den Hof.
Vorsichtig spähte er um sich. Niemand war zu sehen, und in der langgestreckten Holzbaracke direkt vor ihm brannte kein Licht. Vorsichtig schob er sich zwischen Baracke und Mauer entlang, in Richtung des Tores, das er für seine Brüder öffnen sollte.
Zum wohl hundersten Mal wischte er seine feuchten Hände an seiner Tunika ab und legte die Rechte ans Heft des Schwerts. Sein Herz klopfte in seiner Kehle und trotz der Kälte liefen Schweißtropfen in seinen Nacken. Die Götter mochten ihm beistehen, bei dem was er tun musste.
Er hatte die Ecke des Gebäudes erreicht, lehnte sich für ein paar Lidschläge schwer atmend mit dem Rücken an die Wand und zog das Schwert. Dann fasste er sich ein Herz, bog vorsichtig um die Ecke zum Tor – und stieß beinahe mit einem jungen Mann in Sklaventracht zusammen.
Blankes Entsetzen lähmte Elcmar, doch dann fing er sich und holte mit dem Schwert aus. Zu spät.
„Impetus, Impetus!“, schrie der Mann mit einer solch schrillen Stimme, dass er klang wie ein Weib. Er drehte sich um und rannte los, aber Elcmars Schwert traf und schnitt seinen Hals auf. Der Sklave brach zusammen, aus seiner Wunde schoss Blut, feine Tröpfchen spritzten bis in Elcmars Gesicht, so dass er es auf seinen Lippen schmeckte.
Blitzartig fuhr Elcmar herum und schaffte es gerade noch, den schweren Riegel vom Tor zu heben.
Dann brach die Hölle los.
Türen flogen auf, aufgebrachte Männerstimmen waren zu hören, und kreischende Frauen. Aus einer Baracke quollen mehrere Männer heraus, einige wenige hielten Waffen, die meisten aber nur Werkzeuge, Hacken, Sensen und Schürhaken.
Elcmar sprintete vor, schwang das Schwert gegen den Sklaven, der ihm am nächsten stand. Der parierte, mit dem Stiel seiner Hacke, doch er war kein Gegner, selbst für einen so mittelmäßigen Krieger wie Elcmar. Er hieb auf ihn ein, zwei, drei Mal vielleicht; der verzweifelt hochgehaltene Stock brach und der Mann wankte zurück. Der nächste Streich zerriss Stoff und Muskeln, und mit einem furchtbaren Schrei ging der Sklave zu Boden und hielt sich den Bauch.
Elcmar sah nicht mehr hin, und während er den nächsten Mann niedermachte, stellte er fest, dass viele andere an seiner Seite kämpften. Die Sklaven fielen, einer nach dem anderen, und erfüllten die Nacht mit ihren Todesschreien.
“Verflucht“, hörte er von irgendwoher Logars Stimme. „Die Weiber fliehen. Sperrt sie ein, zur Hölle!“
Elcmar wandte sich um und gemeinsam mit anderen Kriegern drängte er die Frauen wieder in die Baracke und legte den Außenriegel über die Tür.
Er eilte wieder auf den Platz, wo sich ein Bild des Grauens bot. Aus dem gegenüberliegenden Stall waren noch mehr Sklaven gekommen, die den bärenstarken Kriegern nichts entgegenzusetzen hatten. Es war wie das Abschlachten neugeborener Lämmer, und bald war der Platz übersät mit Toten und erbärmlich schreienden Verwundeten. Auch im Stalltrakt gab es Frauen, um die sich mehrere von den fremden Kriegern bereits zu „kümmern“ begannen.
Logar war plötzlich neben ihm, aus seinem blutüberströmten Gesicht leuchteten seine hellen Augen wie Irrlichter. Er fasste ihn an der Schulter.
„Komm mit. Wir brauchen dich“, rief er und lief voraus.
Elcmar folgte ihm zum Haupthaus. Auch hier war der Weg gesäumt mit Toten, große, kräftige Männer, einer davon hatte eine Haut von der Farbe eines rußigen Eisenkessels. Beim Haus waren Ogam und ein weiterer Krieger bereits dabei, die Tür aufzubrechen.
„Die Tür ist härter als mein Schwanz. Und die Fenster haben sie auch verrammelt“, knurrte Ogam.
Logar nickte. „Ja. Aber ich habe eine Idee.“ Er wies auf den Holzbau über ihnen. „Du bist der Leichteste“, sagte er an Elcmar gewandt. „Vielleicht ist die Tür da oben zu öffnen. Du wirst hineingehen und uns aufmachen!“
Kurz darauf fand sich Elcmar auf Ogams Schultern wieder. Er griff nach den Balken des hölzernen Vorbaus, zog sich daran hoch und schälte sich über die Brüstung.
„Lass dich aber nicht erwischen!“, rief Logar ihm nach.
Elcmar durchbrach die Tür zum Inneren ohne Mühe und durchquerte das erste Zimmer, in dem sich niemand aufhielt. Von dort gelangte er auf einen ähnlichen Vorbau wie außen, jedoch aus Stein und alle vier Seiten des Hauses umlaufend. Er umschloss einen nach oben offenen Raum, der bepflanzt und mit Kohlebecken und Möbeln bestückt war. Auch dort war niemand.
Elcmar nahm eine steinerne Treppe nach unten, lief zur Tür und hob den Riegel aus. Die anderen drückten bereits von außen, die Tür flog auf, und sie stürmten herein, in ihren Augen die blanke Gier. Logar lief die Treppe hinauf, zwei Stufen auf einmal nehmend, und Elcmar folgte ihm. Sie durchsuchten mehrere Zimmer, bis sie an eine verriegelte Tür kamen.
„Sie sind hier drin“, rief Logar und begann, die Tür einzutreten. Elcmar half ihm und nach einer Weile gab das Holz nach, die Tür fiel aus den Angeln, und mit einem ohrenbetäubenden Krachen schlug sie zu Boden.
Im Raum befanden sich drei Menschen. Ein Mann, grauhaarig und glattrasiert, mit einem langen weißen Gewand, eine dicke, in eine blassrosa Tunika gehüllte Frau und ein hübsches junges Mädchen, das ebenso gekleidet war. Die beiden Frauen hielten sich zitternd und tränenüberströmt umklammert. Sie wimmerten etwas in der Sprache der Römer, die Elcmar nicht verstand.
Der Mann kam ihnen mit erhobenen Händen und demütig gesenktem Kopf entgegen.
„Precor, non afficis nobis detrimentum. Tradimus omnia. Omnia quae desideras. Sed precor, precor, nos parcis!“
Elcmar blickte Logar unsicher an. „Was sagt er?“
„Ich habe keine Ahnung.“ Logar lächelte breit und ging langsam auf den Mann zu. Der begann, zaghaft zurückzulächeln.
Logar nickte ihm zu und legte die Hand auf seine Schulter als wären sie alte Freunde. Elcmar wurde es plötzlich heiß. Hilflos sah er sich um. Er wollte hier raus! Doch Logar würde ihn verprügeln, wenn er jetzt das Weite suchte.
Der Mann nickte jetzt auch und lachte vorsichtig, ergriff Logars Hand, schüttelte sie und sagte etwas. Viele Worte. Fremde Worte.
Die in einem Schwall aus Blut erstickten, als Logars Schwert seine Kehle durchschnitt.
Die Frauen schrien auf, und die ältere wollte zu dem Mann am Boden stürzen.
Doch Logar gab ihr einen Stoß und drohte ihr mit dem Schwert. Zitternd und heulend wich sie zurück und nahm wieder das Mädchen in ihre Arme.
Logar machte eine auffordernde Geste mit dem Kopf.
„Zieht euch aus“, befahl er.
Die Frauen sahen ihm verständnislos entgegen.
Logar griff sich an die Tunika und zupfte daran. Dann nickte er den beiden wieder zu.
Endlich verstanden sie und öffneten die Fibeln, die ihre Gewänder an den Schultern zusammenhielten. Der dünne Stoff glitt lautlos von ihnen herab und zerfloss zu glänzenden Pfützen zu ihren Füßen.
Logar wischte sich die blutverschmierten Hände an seiner Tunika ab , nahm den Stoff mit spitzen Fingern und legte ihn auf einen Tisch. Dann näherte er sich der Dicken. Er betrachtete sie von oben bis unten, während sie schluchzte, aber den Blick starr und stolz auf ihn gerichtet hielt. Logar legte den Kopf schief, griff in ihr Haar und löste die kunstvoll aufgesteckte Frisur, so dass ihre dunklen Locken bis auf ihre Hüften herabfielen und ihren üppigen Busen bedeckten.
Logar zuckte die Achseln. „Nicht mein Geschmack.“ Er blickte Elcmar über die Schulter an. „Willst du sie?“
Elcmar konnte nicht mehr als den Kopf schütteln.
„Auch gut“, sagte Logar. Irgendwer wird sie schon kaufen, es gibt Männer, die mögen etwas Weiches, um ihr Bett zu wärmen.“ Er lachte und riss eine Schnur von einem Vorhang ab, drehte die Frau grob herum und fesselte ihre Hände. „Gib mir das das Tuch da drüben“, befahl er Elcmar, und er knebelte sie damit. Dann gab er ihr einen festen Stoß, dass sie zu Boden fiel und band auch ihre Beine zusammen.
Derweil stand das Mädchen daneben, es wirkte klein und sehr jung in seiner Nacktheit und es schluchzte und zitterte unablässig. Elcmar verspürte das Bedürfnis, ihm eine Decke überzuwerfen, doch das hätte Logar niemals erlaubt.
Dieser erhob sich jetzt, ging zu dem Mädchen, packte es und zog es an sich.
„Nur zu dir, meine Schönheit“, knurrte er kehlig. Die Frau am Boden stöhnte und schrie weinend in ihren Knebel, doch Logar beachtete sie gar nicht.
Er löste auch das Haar der jungen Frau, das ebenso lang und dunkel war wie das ihrer Mutter. Dann ließ er eine Hand an ihrem Rücken herabgleiten und betastete ihre straffen Hinterbacken.
„Ja ... Du bist schon eher etwas für mich“, murmelte er.
Das Mädchen wimmerte lauter und wiederholte immer dieselben unverständlichen Worte. Logar lachte nur rau, zog sie noch näher. Sie schluchzte auf.
„Ahh“, raunte er in ihr Ohr. „Ganz sicher eine Jungfrau...“
„Logar“, sagte Elcmar und sah zur Tür. „Vielleicht sollten wir...“
Logar sah ihn über die Schulter an, und im ersten Moment dachte Elcmar, er würde sich wütend auf ihn stürzen, doch stattdessen löste er sich von dem Mädchen, schob es vor sich und strich langsam mit dem Handrücken über die bloßen Brüste, als wollte er sie Elcmar vorführen.
„Hast du schon mal eine Jungfrau gehabt, Elcmar?“, fragte er gedehnt, und sein Blick und sein Ton ließen Elcmar das Blut in den Kopf steigen. „Hast du überhaupt schon mal eine Frau gehabt?“.
Elcmar konnte nicht antworten, seine Kehle war wie zugeschnürt.
„Haben wir hier etwa zwei Jungfrauen?“ Er lachte und stieß das Mädchen auf eine Liege. Dort drehte er sie auf den Rücken und drückte sie an den Schultern nach unten.
„Komm, und nimm sie dir. Sie ist dein, ich schenke sie dir. Du willst sie doch, nicht wahr? Oder machst du dir etwa nichts aus einem warmen Mädchenschoß?“, spottete er. Elcmar spürte, wie sich sein Magen hob. Er drehte sich blitzschnell herum und rannte aus der Tür, schaffte es gerade noch bis zur steinernen Treppe, wo er sich über die Brüstung lehnte und seinen gesamten Mageninhalt auf die aus kleinen Steinchen geformten Muster auf dem Boden spie. Kaum, dass das Würgen aufhörte, stolperte er die Treppe hinunter, und weiter ins Freie. Dort rannte er los, er rannte und rannte in den Wald, wo ihm dornige Sträucher das Gesicht zerkratzten, und Logars höhnisches Lachen und die gellenden Schreie des Mädchens ihn verfolgten, auch als er sie längst nicht mehr hören konnte.