Eins
Fröstelnd sitze ich auf der steilen Treppe irgendeines Hauseingangs. Die Beine habe ich angezogen. Meine Hände sind unter meinem Hintern und ich sitze auf ihnen.
Es ist dunkel um mich herum. Nur hier und da sind ein paar Straßenlaternen, die mich nicht in vollkommene Schwärze hüllen.
Leise doch tief atme ich durch: Kleine, weiße Wölkchen steigen in die Luft vor mir und empor.
Ich bleibe genauso sitzen, obwohl es eiskalt ist. Der Gedanke, nach Hause zu gehen, gefällt mir noch weniger, als Zähne klappernd und frierend sinnlos hier herumzusitzen. Mein Gehirn fühlt sich leer an. Da wurde auf Durchzug gestellt und meine Gedanken sind fortgewischt. Nichts mehr da, als schmerzhafte Stille in meinem Kopf.
Es ist erstaunlich still: Die Straßen sind leer. Es fahren keine Autos vorbei.
Die einzige Geräuschkulisse, die ich gedämmt wahrnehme, ist lediglich Musik, die wohl aus einer der Wohnungen des Häusereingangs kommt, in dem ich sitze.
Vielleicht eine Party oder so was.
Meine rechte Hand lösend, fahre ich mir mit der warmen Hand über das Gesicht und seufze leise, doch tief.
Ich bin ganz allein, mit mir und meiner Existenz und all den Gedanken, die gedacht und Gefühlen, die gespürt werden wollen, aber nicht bis zu mir durchkommen.
Bis ein Knarren mich zusammenfahren lässt. Verschreckt schaue ich instinktiv über die Schulter zurück.
Aus dem Spalt der Tür flutet helles Licht aus dem Inneren, aus dem Hausflur, zu mir nach draußen. Den Blick hebend, sehe ich einem blonden Typen entgegen.
Hinter ihm fällt die Tür mit einem lauten Knall zu. Diesmal zucke ich nicht zusammen, weil ich darauf gefasst bin.
Ich überlege kurz, aufzustehen und aus dem Weg zu gehen, um Platz zu machen, entscheide mich jedoch dagegen. Vorbei kommt er schließlich auch so.
Nachdem wir uns den Bruchteil einer Sekunde gegenseitig angesehen habe, drehe ich mich zurück und verharre in meiner ursprünglichen Position.
Zwei Schritte an mir vorbei machend, bleibt er an dem Satz der Treppe stehen, was mich dazu bringt, den Blick zu heben.
„Hallo?“, fragt er, mit einem merkwürdigen Ausdruck zu mir herunter sehend.
Ich hebe die Augenbrauen.
„Ja?“, erwidere ich, leicht verwirrt.
„Ist es nicht ein bisschen kalt, um hier einfach rumzusitzen?“
Seine Stimme klingt freundlich und seine Miene hat sich nun ebenfalls geändert.
Eigentlich sieht er sogar ziemlich lieb aus.
Zur Antwort zucke ich nur lustlos mit den Schultern.
„Bist wohl nicht gerade gesprächig, hm?“, stellt er fest.
Natürlich ist es in einigen Situationen komisch, von Fremden angesprochen zu werden, aber jetzt würde ich lügen, wenn ich sagen würde, es wäre so.
Ich finde es in Ordnung. Wirklich.
Manchmal – zwar passiert das eigentlich ausschließlich auf irgendwelchen Feiern – kann ich mit Fremden sogar noch besser und offener reden, als mit bekannten Leuten in meinem Leben. Vielleicht ist es die Unbefangenheit, die einige Leute einfach ausstrahlen.
Ich weiß, dass es vielen Menschen so geht – die meisten wollen das aber einfach nicht laut aussprechen.
Dennoch hat er Recht: Gerade wirke ich wirklich nicht sonderlich gesprächig.
Erneut zucke ich nur mit den Schultern. Er sagt nichts. Stattdessen setzt er sich in Bewegung.
Die schwarzen Vans des Typens knirschen, als er eine Stufe hochläuft und sich wortlos neben mir auf der kalten, asphaltierten Stufe niederlässt.
Ich stecke meine kühlen Hände in meine Jackentaschen.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er ebenfalls in seine Tasche greift. Er zieht ein Päckchen Zigaretten heraus. Von der Seite schaue ich ihn an, als er mir die Schachtel mit fragendem Blick entgegenstreckt. Wieder sagt er nichts.
Kurz denke ich drüber nach, zucke abermals die Schultern.
Warum nicht?
„Danke...“; murmle ich, als ich eine Zigarette herausfische.
Er klopft sich ebenfalls eine aus der Packung, ehe er sie sich zwischen die schmalen Lippen steckt. Mir das Feuer reichend, mustert er mich, während ich die Zigarette anzünde und einen Zug nehme. Ich sehe ihm ein paar Sekunden lang in die Augen.
Es ist zu dunkel, um zu sagen, welche Farbe sie haben.
Anschließend wende ich rasch den Blick ab und sehe nach vorn, auf die stille Straße. Ich schaue ihn erst wieder an, als ich die Flamme des Feuerzeugs aufflackern sehe und beobachte, wie er den Rauch aus seinen Lungen seufzend ausbläst.
„Beschissene Party?“, will ich wissen, in dem Versuch die ‚Unterhaltung‘ am Laufen zu halten.
Der Blonde streicht sich mit der freien Hand über die Augen. Erst jetzt bemerke ich, wie müde er aussieht. Vielleicht liegt es auch nur an den Schatten, die die kleine Straßenlaterne, ein paar Meter entfernt, auf sein markantes Gesicht wirft.
Schließlich nickt er langsam.
„Richtig beschissen“, bestätigt er, nach ein paar Sekunden.
„Dein Abend lief auch nicht besonders gut, oder?“
Mit den Augenrollend, nicke ich.
„Kann man so sagen, ja.“
Ruhe breitet sich zwischen uns aus, während wir schweigend, schlicht wortlos, unsere Zigaretten rauchen. Das Zittern meiner Schultern hat sich mittlerweile etwas gelegt.
„Felix“, stellt er sich mir vor.
Er streckt mir die Hand entgegen.
„Mia“, erwidere ich.
Seine Hand ergreifend, drücke ich sie, kurz jedoch fest.
„Also, was führt dich mit in der Nacht auf die Treppe vor meinem Haus?“, will er nach ein paar weiteren, ausgedehnten Minuten des Schweigens von mir wissen.
Seinen interessierten Blick erwidernd, neige ich frech den Kopf zur Seite.
Er ist also der Gastgeber dieser Party?
Ein Grinsen zieht sich über meine Lippen.
„Also, was führt dich dazu, mitten in der Nacht von deiner eigenen Party zu flüchten?“
Tiefe Ringe zeichnen sich unter seinen Augen ab.
Und auch wenn er reichlich erschöpft aussieht, sehe ich seine Mundwinkel amüsiert zucken.