Zwei
Leise doch rau lacht Felix auf. Sein angenehmes Lachen hält zwar nur kurz an, doch es klingt aufrichtig. Irgendwie – falls ich das überhaupt einschätzen kann. Immerhin kenne ich ihn jetzt kaum mehr als zehn Minuten.
„Ich habe zuerst gefragt“, stellt er fest und sein Grinsen wird nur noch breiter. Er hat ein sehr sympathisches Lächeln.
Anstatt darauf einzugehen, hebe ich die Augenbrauen.
„Nein“, sage ich bestimmt.
„Nein?“, wiederholt er, reichlich irritiert.
Ich nicke eifrig.
„Nein“, sage ich nochmals. „Nicht so Spielchen von wegen zuerst gefragt. Einfach nein.“
Der Blonde grinst noch immer und fährt sich durchs Haar.
„Alles klar, Chef.“
Seine Worte entlocken mir ein leises Lachen. Irgendetwas erweckt das merkwürdige Bedürfnis in mir, ihn von der Seite anzustoßen, aber ich tue es nicht.
Ich kenne ihn nicht.
Wir hören auf, einander anzusehen und schauen beide auf die staubigen Stufen vor uns. Alles fühlt sich nun irgendwie ernster an. Meine aufgerauchte Zigarette trete ich auf der Treppenstufe unter mir aus. Felix schnipst seinen stattdessen im hohen Bogen auf den Bürgersteig.
Ich folge dem glimmenden Stummel mit dem Blick.
„Meine Freundin“, beginnt er, den Kopf schüttelnd und genervt aufstöhnend, auf meine Frage zu antworten.
„Nein korrigiere- meine Ex ist ne richtige Bitch“, sagt er dann nach kurzem Zögern schließlich gerade heraus.
Ich bin nicht sicher, warum ich so reagiere, doch ich ziehe die Lippen nach innen, um das unwillkürliche Schmunzeln, das sich auf meine Lippen zu schleichen versucht, zu verbergen. Jetzt zu lachen, wäre unangebracht. Das ist mir sehr bewusst, aber diese Situation ist wirklich sehr absurd.
Da er nichts weiter sagt, wende ich ihm den Kopf zu. Und als ich den Ausdruck in seinen Augen sehe – das kleine, schon fast provokante Funkeln, kann ich mich nicht mehr zusammenreißen. Im gleichen Moment brechen wir beide in schallendes Gelächter aus. Ich lache laut, obwohl mir überhaupt nicht danach ist.
Komisch, wie einfach es manchmal mit Fremden sein kann.
Deswegen sollte man nicht jedem gegenüber direkt ein abschätziges Arschloch sein. Mit einer von Grund auf beschissenen und abgeneigten Haltung kann einem nämlich eine ganze Menge im Leben abhandenkommen.
Spaß, beispielsweise.
Ich schäme mich fast ein bisschen, weil ich eine ganze Zeit lang diese Einstellung hatte, aber das ist jetzt vorbei. So will ich nicht mehr sein und so werde ich auch nicht mehr sein.
„Eine Bitch, also?“, sage ich, mit gehobenen Augenbrauen, als wir beide uns von unserem heftigen Lachen erholt haben, in etwas ernsteren Tonfall.
Davor musste ich erstmal tief durchatmen.
„Geht das noch ein bisschen genauer?“, harke ich nach.
Mich von der Seite ansehend, presst er die Lippen zusammen.
„So meine ich das auch nicht, Bitch, meine ich. Wenn du single bist, dann gönn dir, worauf auch immer du Lust hast, das könnte mir nicht egaler sein, aber-“
Kurz hält er inne und schüttelt den Kopf, ehe er mich wieder anschaut.
„Sie ist ein schlechter Mensch, glaube ich.“
Während ich seinen Worten lausche, bemerke ich, dass ich fragend die Stirn runzle, darauf wartend, dass er fortfährt. Was er auch tut, nachdem er einen Moment gebraucht hat.
„Na ja...Als wir zusammen waren, ist sie losgegangen und hat meinen besten Freund gefickt. Und meinen Halbbruder. Und noch fünf andere Typen, von denen ich ehrlich gesagt gar nicht wissen will, wer sie eigentlich sind. Hätte ich sie beschissen behandelt, könnte ich das verstehen, aber das habe ich nicht. Ich war mit ganzem Herzen dabei, von Anfang an.“
Der irritierte Ausdruck in meinem Gesicht weicht Unglauben.
„Wow“, ist alles, was meinen Mund schockiert verlässt.
Mir klappt regelrecht die Kinnlade herunter. Das klingt ja, als würde es direkt aus einem schlechten und sehr dramatischen Liebesfilm kommen. Einer der Sorte, die ich meist direkt abschalte oder ein bisschen Schmunzeln muss, wenn ich sie anschaue.
Leid tut er mir trotzdem.
Das ist beschissen.
„Bitch“, sage ich, bestätigend nickend.
Er hat recht: Wenn sie keine Beziehung hätte, wäre das scheißegal. Soll sie doch ihren Spaß haben. Aber in einer festen Beziehung, in der solche Dinge nicht abgesprochen sind? Absolut nicht in Ordnung.
Wobei ich natürlich nicht einschätzen kann, ob er sich wirklich so viel Mühe gegeben hat, wie er es behauptet. Aber das geht mich nichts an. All das geht mich eigentlich ohnehin nichts an.
„Jap“, kommt es trocken, fast abgeklärt von ihm.
Als er darüber gesprochen hat, klang er auch nicht wütend oder traurig, sondern einfach abgekämpft und erschöpft.
Ich sehe ihm dabei zu, wie er sich abermals über die Augen fährt. Dabei sind seine Finger unruhig. Felix wirkt rastlos, ruhelos.
Auch wenn ich ihn nicht kenne, wage ich es, die Hand auszustrecken und ihn zaghaft am Unterarm zu berühren. Ich verziehe den Mund.
„Das tut mir leid.“
Er sieht meine Hand an, doch schiebt sie nicht fort.
„Dumm genug, wenn man sie dann dem Freundeskreis zur Liebe auch noch in seine Wohnung kommenlässt, weil man sich ja auch erwachsen verhalten kann und sie dann noch weiter mit irgendwelchen Typen rummacht.“
Ich beiße die Zähne zusammen.
Es wird wirklich immer beschissener.
„Sie hatte Sex mit deinem Halbbruder?“
Die Handflächen nach außen zeigend und von sich streckend, zieht er die Schultern hoch.
„Jap.“
Ungläubig schüttle ich den Kopf.
„Dein Bruder ist aber auch ein Arschloch“, murmle ich.
„Jap“, sagt er wieder und rollt mit den Augen. „Eklig.“
„Und mit deinem besten Freund auch?“, fahre ich fort, ebenso ungläubig.
„Ja.“
„Auch ein Wichser.“
Ich weiß, dass ich nichts sagen kann, damit er sich besser fühlen könnte.
Wie sollte ich auch?
An seiner Stelle hätte ich auch Reißaus meiner eigenen Wohnung genommen. Vermutlich hätte ich niemanden von ihnen überhaupt jemals wieder Einlass in meine Wohnung gewährt.
Meine Hand zurückziehend, komme ich, mich aufrichtend, rasch auf die Beine.
Nun schaut er zu mir hinauf.
„Gehst du?“, irgendetwas an seinem Tonfall ist anders.
Ich kann nur nicht ganz definieren, was es ist. Ob er will, dass ich bleibe? Mich weiter mit ihm unterhalte? Rasch schiebe ich den Gedanken fort.
Wortlos schüttle ich mit dem Kopf, woraufhin er mich irritiert ansieht. Deutlich spüre ich, wie meine Wangen vor der schneidenden, kalten Luft brennen.
Es kostet mich Überwindung, meinen Plan, der sich spontan in meinem Kopf gebildet hat, in die Tat umzusetzen, weil ich Angst habe, dass er es ablehnen könnte, aber ich halte ihm lediglich schweigend die Hand entgegen.
„Nein“, antworte ich bestimmt. „Wir gehen.“
Ich weiß nicht, was mich dazu bringt. Vielleicht sind meine Gründe auch egoistisch, weil ich mich selbst ablenken möchte.
Vielleicht könnte es ihm guttun abzuhauen.
Außerdem glaube ich, dass ich ihn mögen konnte, ihn angenehm finden könnte – soweit ich ihn das überhaupt nach den paar Minuten einschätzen kann.
Mein Herz schlägt heftig gegen meine Rippen, während ich auf seine Antwort warte.
Eine kleine Falte hat sich zwischen seinen dunkelblonden Augenbrauen gebildet. In seinem Gesicht kann ich nichts lesen, was ihn mir seine Antwort verraten könnte. Schwer schluckend versuche ich, nicht zu sehr auf meinen eigenen, plumpsenden Herzschlag zu hören. Es fühlt sich an wie eine quälende Ewigkeit, bis sich ein kaum merkliches Lächeln über seine Lippen zieht.
Rasch kommt er auf die Beine, kommt die Treppe zu mir herunter und nimmt meine Hand, die ich noch immer ausgestreckt habe, zwischen seine.
Seine Hand ist viel kälter als meine.
„Gut“, meint er und in seinen Augen funkelt es gespannt, interessiert.
Hoffentlich so das er es nicht mitbekommt, atme ich erleichtert aus.
„Gut“, wiederhole ich seine Worte und nun müssen wir beide ein bisschen lächeln.
Neugierig, gespannt auf das, was diese Nacht für uns bereithalten könnte.
Unsere Finger verschränken sich ineinander. Meine wärmer und seine kälter und ein paar Sekunden später, ohne einen bestimmten Grund, rennen wir gemeinsam los. Hand in Hand, zusammen durch die Dunkelheit. Als hätten wir gerade etwas entschieden.