Elf
Unter mir weicht die Welt.
Und ich schwebe wieder.
Meine Beine tragen mich so dermaßen schnell, dass ich selbst darüber überrascht bin. Felix ist dennoch schneller als ich. Vor mir kommt er am Tor des Spielplatzes zustehen. Lautstark schlägt er die Hand auf das Metall, triumphierend.
Nur weniger Sekunde nach ihm komme ich neben ihm zum Stehen.
Breit grinst er auf mich herunter, sich mit einem Arm an das aufschiebbare Tor lehnend. Das kann doch nur schief gehen. Stolpernd kommt er ins Taumeln, weil es nach hinten schwingt und er fällt beinahe um. Meine Wangen brennen und meine Lunge beschwert sich ebenfalls über den hinter uns gebrachten Sprint. Die Lippen zusammenpressend, versuche ich mein lautes Prusten zu unterdrücken.
Felix rudert hektisch mit den Armen und lacht laut, kommt jedoch schnell wieder zum Stehen. Mir die Hand vor den Mund haltend, muss ich meinem Lachen Raum geben. Er sieht so albern, so ungelenk aus, dass mir der Bauch vor Lachen weh tut.
„Guck, ich stehe!“, verkündet er stolz, die großen Hände begeistert in die Luft streckend. Seine Wangen sind feuerrot.
„Wuhhuuu!“, rufe ich zurück, nach Atem ringend.
Meine Wangen sind warm. Mir ist warm.
„Und jetzt?“
Erwartungsvoll sieht der Blonde mich an, nachdem er laut ausgeatmet hat.
Mir die wirren Haare hinter die Augen streichend, zwinkere ich ihm zu. Ohne ihm zu antworten, spaziere ich leichtfüßig durch das Tor. Zielstrebig und noch immer schweigend, steuere ich die unverschämt hohe Kletterspinne an.
Ganz oben ist ein Bereich, der gerade groß genug ist, dass man nebeneinandersitzen kann.
„Du willst nicht wirklich da hoch, oder?“, seine Stimme klingt skeptisch.
Nickend grinse ich ihn an.
Ohne weitere Erklärungen ziehe ich mich, so gut es geht, mit einer Hand hoch, weil ich den Wodka trage. Neckend sehe ich zu Felix herunter, als ich halbwegs sicher auf den wackelnden Schnüren balanciere.
„Hast du Schiss oder was?“, ärgere ich ihn.
Den Kopf in den Nacken legend, funkelt er zu mir hoch. Es ist dunkel, um uns herum. Nur hier und da ist eine Laterne an. Meine Augen haben sich an die Dunkelheit gewöhnt. Ich lege den Kopf in den Nacken und schaue in den Himmel: Es ist dunkel genug, um die Sterne hell leuchten zu sehen.
Felix lenkt mich davon ab.
„Ich habe die Hände voll!“, rechtfertigt er sich.
Ich hebe die Augenbrauen, ebenso skeptisch, wie er davor.
„Du bist ein Angsthase.“
Als ich zu ihm herunterschaue, verzieht Felix das hübsche Gesicht, ehe er eine der Flaschen mehr schlecht als recht in seiner Jackentasche verschwinden lässt. Sie ragt bis zur Hälfte heraus.
Dann, mit einem frechen Ausdruck, streckt er die langen Arme aus und zieht sich leichtfertig nach oben. Und so fangen wir an, schweigend und ab und an lachend, um die Wette zu klettern.
Einhändig nach oben zu gelangen, ist um einiges schwerer als mit beiden Händen, aber Felix spornt mich, mit seiner bloßen Anwesenheit, dazu an, es trotzdem hinzukriegen. Ich bin sogar so schnell, dass ich vor Felix ankomme.
Wobei ich auch einen kleinen Vorsprung hatte ohnehin.
Ich setze mich auf die kleine Ablage.
Vor Anstrengung geht mein Atem schnell. Durch Felix schlägt mein Herz schnell.
„Hier“, mit einer Hand greift er in seine Jackentasche, die Bierflasche herausholend, während er sich mit der anderen Hand an einem der rauen Seile, über seinen Kopf festhält. Seine Beine wippen.
Ich nehme die Flasche an und lege sie in meinen Schoss.
„Danke.“
Anschließend zieht Felix sich mit einem lauten Stöhnen zu mir hoch und lässt sich dicht neben mir nieder. Der Platz reicht gerade so aus.
Breit grinst er mich an.
„Ziemlich cool“, meint er dann, als er den Kopf hin und her wandern lässt, um mich umzusehen. Von seiner vorherigen Skepsis ist nichts mehr zu sehen.
Ich lächle in mich hinein.
Meine Beine baumeln in der Luft.
Ich finde es toll hier oben.
Wirklich hoch ist es zwar nicht, aber in diesem Moment, umgeben von der Dunkelheit, fühlt es sich so an.
Im Licht des Mondscheins beobachte ich ihn, wie er ein paar Sekunden lang hoch in den Himmel sieht und seine Mundwinkel nach oben zucken. Er lächelt.
Meinen Blick bemerkend, dreht er mir den Kopf zu. Schweigend mustern wir einander ein paar Sekunden lang.
Langsam dreht er mir den Kopf zu.
„Und, hast du immer noch einen beschissenen Abend?“, frage ich ihn mit gesenkter Stimme.
Er neigt den Kopf etwas zur Seite. Kurzzeitig wirkt seine Miene fast etwas verwirrt.
„Denkst du das etwa?“
„Ich hoffe nicht“, sage ich, zurückhaltend lächelnd.
Leise lacht Felix auf.
„Das hier ist der beste Abend seit langem.“
Ich lächle, fühle mich sehr geschmeichelt von seinen Worten. Mein Herz schlägt schnell.
Und ich bin froh.
Froh, dass ich jemanden ausnahmsweise etwas Gutes tue. Dass ich nicht nur Schaden anrichte, sondern auch Freude verbreiten und schöne Gefühle auslösen, kann.
„Ist etwas?“, will er Blonde von mir wissen, mein Gesicht genau musternd.
Die Lippen aufeinanderpressend, schüttle ich mit dem Kopf.
Ich strecke die Hand aus, greife nach seiner und verschränke unsere Finger miteinander.
„Nein“, sage ich dann aufrichtig, kaum lauter als ein Flüstern. „Ich bin einfach nur froh, dass du mit mir gekommen bist.“