Siebzehn
Es ist nur eine Frage von Minuten, bis die nächste Bahn einfährt und wir erneut einsteigen – wieder ohne Ticket.
Manchmal muss man sein Glück oder auch das Schicksal wohl herausfordern oder sogar überstrapazieren. Ob es klug ist, ist eine andere Frage.
Aber wie gesagt: Im Leben muss man manchmal leichtsinnig sein.
Das kann manchmal – wenn auch nur in seltenen Fällen – tolle Dinge zu Tage fördern. Schlechte natürlich und leider auch, aber darüber möchte ich gerade nicht nachdenken. Immerhin sind wir gerade gut davon gekommen.
Felix hat, durch den Schock des Kontrolleurs, endlich aufgehört, alle fünf Minuten quengelnd zu fragen, wohin es eigentlich geht.
Wobei ich es zugegebenermaßen tatsächlich ziemlich süß fand, wie neugierig er war. Rasch schiebe ich auch diesen Gedanken fort.
Wozu sollte ich einen Gedanken an jemanden ‚verschwenden‘, wenn er doch genau vor mir steht, um alles mit ihm zu erleben?
Ich weiß nicht, woher es kommt, aber mir kommt es vor, als wäre das Verschwendung.
Wir sitzen in den gepolsterten Sitzen der U-Bahn. Irgendjemand hat in die Ecke gekotzt. Es stinkt ein bisschen.
„Was?“, fragt Felix nun, mich sanft mit dem Handballen am Knie berührend.
Sein Lächeln ist so strahlend, dass es seine hellen Augen erreicht, aber in diesem Moment wirkt es fast unsicher. Sogar verletzlich.
„Woran denkst du? Ist alles gut?“
„An dich“, sage ich, ohne Umschweife.
Aufrichtig und bewusst die zweite Frage ignorierend.
Wir lächeln aneinander an und irgendetwas an diesem Blickwechsel ist anders, als bei den Malen davor. Dieser Moment wirkt noch inniger und aufrichtiger als jeder der kurzen Augenblicke zuvor.
„An mich“, wiederholt er und sein Mund verzieht sich zu einem Grinsen.
Seine Feststellung klingt fast ungläubig. Zustimmend nicke ich.
Irgendwie fällt es mir schwer, den Blick von seinen hellen Augen abzuwenden.
Weil sie schön sind, aber vor allem, weil sie so ehrlich sind.
Wie schon so oft heute Abend finden sich unsere Finger, verschränken sich ineinander.
Es vergehen ein paar Minuten, in denen wir in stilles Schweigen verfallen. Und merkwürdigerweise ist es nicht unangenehm – kein Stück.
Eigentlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass es oft unbehaglich ist, wenn zwei Menschen sich nicht kennen und kein Gesprächsthema finden oder jemand nur etwas aus peinlicher Verlegenheit sagt, um die Konversation verzweifelt am Laufen zu halten.
Felix ist da ganz anders.
„Hat dir schonmal jemand gesagt, dass deine Augen unfassbar schön sind?“, will ich gedankenverloren wissen, ehe ich den Blick rasch abwende.
„Nein...“, erwidert er zögerlich, was mich reichlich überrascht aufsehen lässt.
„Eigentlich nur, dass ich mehr schlafen sollte, damit meine Augenringe weggehen.“
Ungläubig schüttle ich leicht mit dem Kopf.
„Ist das scheißdämlich...“, murmle ich.
Ich verstehe nicht, warum man solche Kommentare ablassen muss.
Von der Seite blicke ich Felix an. Er hat tiefe Grübchen an den Wangen.
Wenn ich richtig mutmaße, an dem Ton, wie er es sagt und dabei mit den Schultern zuckt, gefolgt von einem kleinen Augenrollen, dass seine Ex Freundin das zu ihm gesagt hat, dann ist sie wohl generell kein besonders netter Mensch. Wenn man dann auch noch das Fremdgehen bedenkt.
„Ich habe halt Augenringe“, stellt er achselzuckend fest. „Das ist nur eine Feststellung.“
Ich stoße ihn an.
„Heißt aber nicht, dass sie deine Augen weniger schön machen.“
Nun lächelt er noch breiter. Berührt?
Ich kann es nicht einschätzen, aber das ist die Emotion, die ich am ehesten aus seinem Gesicht herauslesen kann.
Felix atmet leise ein und lauter wieder aus, den Mund öffnend, als würde er etwas erwidern wollen, doch wir müssen aussteigen und die U-Bahntüren öffnen sich bereits, weswegen ich ihn rasch an der schlanken, großen Hand auf die Beine ziehe. „Wir müssen raus...“, stelle ich drängend fest.
Nachdem wir die Bahn verlassen haben, sehe ich zu Felix hinauf.
Seine blauen Augen funkeln mir entgegen.
Voller Neugier.
Voller Vorfreude und vor allem voller Zuneigung.
Und diese Begeisterung macht seine Augen nur noch schöner für mich.
Mein Magen zieht sich zusammen.
„Also...?“, setzt er fragend an, vermutlich um mich abermals zu fragen, wo wir denn jetzt endgültig landen werden.
Ich unterbreche ihn mit einem bestimmten Kopfschütteln.
„Keine Sorge“, sage ich schelmisch. „Wir sind in weniger als fünf Minuten da.“