Sieben
Ich funkle ihn wütend an, aber eigentlich finde ich die Art, wie er mich neckt, ganz niedlich. Ich will mich beschweren, fühle mich aber gerade so gut, dass ich es bei einem einfachen Satz belasse.
„Ganz, ganz dünnes Eis, Felix“, sage ich.
Ihm die Zähne zeigend, grinse ich.
„Ja, danke, gib mir jetzt bitte einfach eine Kippe“, setze ich rasch hinterher.
Felix lacht sein Lachen und reicht mir eine Zigarette. Wobei er mit ihr eher wild vor meinem Gesicht herumfuchtelt, damit ich sie nicht kriegen kann.
„Hey!“, beschwere ich mich.
Ich rolle mit den Augen, obwohl ich es gar nicht so meine.
Der Blonde schneidet eine Grimasse in meine Richtung und grinst mich breit an.
Wir albern ein wenig herum: Ich versuche, die Zigarette aus seiner Hand zu ergattern, mich nach vorn lehnend und ihn dabei am Oberkörper berührend, bis er mir eine Zigarette großspurig zwischen die Lippen steckt.
Ich presse sie zusammen, um sie so halten zu können.
Mir mit schönen blauen Augen entgegenblinzelnd, streckt er vorsichtig die Hand aus. Zaghaft berühren seine Finger meine Wangen, sanft darüber streichend.
Ein warmes Gefühl durchfährt meinen Körper. Ich mag seine Berührung, finde Gefallen an ihr.
Ein paar Mal die Lider aufschlagend, verharre ich so, ohne mich zu bewegen, in der Angst ihn verscheuchen zu können, wie eine schüchterne, misstrauische Straßenkatze. Meine Mundwinkel zucken, doch ich kann nicht lächeln.
Ich sehe ihn nur an. Vielleicht starre ich ihn auch nur an.
Auch Felix sieht ernst aus: Sein linker Mundwinkel hebt sich etwas. Seine Berührung gibt mir ein merkwürdiges Gefühl von Sicherheit. Mein Herz schlägt unfassbar schnell in meiner Brust.
Die Atmosphäre zwischen uns hat sich völlig geändert: Sie ist geladen, vollkommen anders. In regelmäßigen Abständen streicht sein Daumen über meine Wange.
Die Kälte ist schon seit einiger Zeit aus meinen Knochen verschwunden.
Ich will die Zigarette aus meinem Mund nehmen und mich schlagartig nach vorn beugen, seine Wangen mit meinen Händen umfassen, mich nach vorn beugen und ihn küssen, um herauszufinden, ob seine Lippen so warm und weich sind, wie sie aussehen und ob er nach Bier schmeckt oder noch nach etwas Anderem.
Doch ich tue es nicht, wage es nicht.
Und Felix zieht seine Hand von meiner Wange zurück, auf meine Lippen sehend, ehe er sich anwendet.
Dieser prickelnde, aufregende und nicht weniger wunderbare Moment ist so schnell vorbei, wie er angefangen hat. Die Hitze schießt in mein Gesicht und ich drehe den Kopf, leise durchatmend, weg.
Gott.
„Hier“, er reicht mir sein rotes Clipper Feuerzeug, was ich mit unruhigen, fast zittrigen Fingern annehme.
Erst beim dritten Versuch kriege es hin, das Feuer zu entflammen und die Zigarette anzuzünden. Mein Herz rast noch immer heftig in meiner Brust. Ein paar Sekunden lang denke ich sogar, meinen Herzschlag in meinen Ohren pochen zu hören. All die Gedanken, die vorher nicht da waren, beginnen wild durch meinen Schädel zu rasen und ich weiß, wenn ich sie jetzt reinlasse, sie zu lasse, kann ich nicht mehr damit aufhören, sie zu denken.
Nachdem ich den Rauch in die kalte Abendluft ausgestoßen habe, beiße ich die Zähne fest aufeinander, mir mit der freien Hand durch die Haare fahrend.
Scheiße.
Verfickte Drecksscheiße.
„Mia?“
Ich bin froh, dass Felix Stimme mich aus dem heftigen Sog der Gedanken reißt, die drohen mich mit ihnen zu ziehen.
Seine Stimme klingt ganz zaghaft, zurückhaltend.
„Ist alles okay bei dir?“
Den Blick weiterhin nach vorne gerichtet, nicke ich.
„Alles Bestens“, lüge ich.
Vielleicht versuche ich auch einfach, mir das selbst einzureden.
Es ist alles gut.
Es wird nichts passieren.
Es geht mir gut.
„Sicher?“
Ich wage es, den Kopf zu meiner Linken zu drehen und Felix ins Gesicht zu sehen. Seine Stirn ist leicht gerunzelt: Da ist diese kleine, niedliche Falte zwischen seinen Augenbrauen. Ich mag nicht, dass sie meinetwegen dort ist.
Ich zwinge ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. Anschließend nicke ich wortlos.
„Du siehst nur so blass aus auf einmal...“, stellt er fest.
Er presst die Lippen aufeinander, als seine Augen über mein Gesicht wandern.
Mich leise räuspernd, ziehe ich an der glühenden Kippe zwischen meinen Fingern.
„Mir geht’s gut“, versichere ich ihm.
Ich bewege mich und versetze ihm einen freundschaftlichen, sanften Stoß mit meiner Schulter. Ein Schmunzeln zieht sich über seine Lippen.
Der Blonde nickt, doch ich sehe anhand seines Gesichtsausdrucks genau, wie skeptisch er wirklich ist.
Ein paar Sekunden lang funkelt ein fragender Ausdruck in seinen Augen und als ich genau so fragend zu ihm hoch blinzle, legt er den Arm um meine Schulter.
Einfach so.
Und ich finde es schön.
Ohne weiter darüber nachzudenken, lehne ich den Kopf an seine Schulter, die Zigarette wegschnipsend.
Mit geschlossenen Augen erlaube ich mir ein leises, doch tiefes Ausatmen.
Seine Nähe gibt mir Komfort, strahlt eine gewisse und sehr angenehme Art von Ruhe aus. Ich genieße seine Nähe und fühle wie mein Körper sich nach und nach völlig entspannt.
„Mia?“, sagt er.
„Hm?“, erwidere ich und irgendetwas an dieser Situation fühlt sich unendlich intim an.
„Ich kenne dich zwar nicht sonderlich gut, aber ich kann dich gut leiden.“
Noch immer an ihn gelehnt, öffne ich die Augen und sehe in die Dunkelheit vor uns. Ein ehrlich gemeintes, warmes Lächeln, das er ohnehin nicht sehen kann, zieht sich über meine Lippen.
„Ich kann dich auch gut leiden, Felix.“
Absurd und ein bisschen lustig – die ganze Situation.
Das ich hier mit ihm sitze und mich so gut mit ihm verstehe, obwohl ich ihn vorher noch nie gesehen habe.
Absurd, aber vor allem schön.
Ich bin froh.
Zumindest in diesem Moment.