Zwölf
Den Kopf an Felix Schulter lehnend, sitzen wir nebeneinander auf dem Klettergerüst. Unsere Beine baumeln noch immer im ungleichen Takt. Ich recke den Kopf. Um die vereinzelten Sterne über uns betrachten zu können. Der Himmel ist fast schwarz.
Sie leuchten hell und deutlich.
Es ist wirklich unfassbar schön.
Wir trinken unser Bier, sitzen eng umschlungen nebeneinander. Doch die Kälte vom Anfang des Abends findet keinen Weg mehr in meinen Körper und meine Knochen hinein.
Ich scheine von innen heraus zu glühen.
„Weißt du, was ich mich frage?“, beginne ich mit leiser Stimme, die Augen auf den Horizont gerichtet.
Fragend hebt Felix die Augenbrauen, da es offensichtlich eine rhetorische Frage war, auf die er nicht wirklich antworten kann.
„Wieso denken Menschen eigentlich, dass es in Ordnung ist, loszugehen und andere zu verletzen?“
Felix betrachtet mich ganz genau: Ich spüre es.
Als ich ihm den Kopf zu drehe, schaut er erst auf meine Lippen, als ich spreche, dann folgt er meinen Augen. Jedem meiner Worte lauscht er genau.
„Das kann doch nicht in Ordnung sein...“, murmle ich.
Ich schlucke schwer.
„Ich meine, man geht doch nicht einfach in dem Willen los, jemanden mutwillig wehzutun, meinst du nicht?“
Ich weiß nicht ganz wieso, aber mein Herz schlägt plötzlich noch schneller. Es hämmert nervös in meiner Brust. Ich stoße leise Luft aus.
Felix senkt den Blick, als würde er darüber nachdenken. Dann, fast etwas zögerlich, greift er nach meiner Hand, seine Finger mit meinen verschränkend.
„Ich glaube, manche Menschen sind einfach Arschlöcher“, antwortet er dann.
Eine Bewegung durchfährt seinen Körper: Er zuckt mit den Schultern.
„Und manche Menschen denken eben nicht empathisch oder wollen helfen. Die denken, es wäre eben in Ordnung, anderen weh zu tun, um sich selbst besser zu fühlen. Hauptsache man selbst ist nicht das arme Schwein, dem es so beschissen geht.“
Gedankenverloren lausche ich seinen Worten. Die leere Bierflasche rutscht mir aus den Fingern und landet einige Sekunden später mit einem dumpfen Geräusch im Sand.
„Mist...“, murmle ich.
Ich streiche mir mit den Fingern über die Augen. Still nicke ich.
Felix zieht mich etwas näher an sich. Seine Finger streichen über meinen Handrücken. Wie er mich hält, ist merkwürdig beruhigend. Ihn einfach neben mir zu haben.
Den Kopf etwas anhebend, hebe ich den Blick, sodass ich ihn ansehen kann. Er erwidert den Blick mit seinen schönen Augen. Seine blonden Haare fallen ihm wirr ins Gesicht und wollen wohl einfach nicht richtig liegen zu wollen.
Ich sehe ihn an und ich glaube, ich sehe ihn wirklich.
Auch wenn ich ihn nicht kenne.
Ich habe das Gefühl, ich kann einfach verstehen, wer er ist und wie er ist – einfach so. Ich glaube, er hat eine sanfte, eine gute Seele.
Ich betrachte ihn deutlich.
Die markanten Gesichtszüge, die hohe Stirn, die Ohren, die etwas einen Ticken abstehen und auch die kleinen Leberflecke, die auf seinem Kinn und seiner linken Wange verteilt sind. Ich lächle.
Er ist attraktiv.
Irgendwie gefällt mir alles an ihm, auf Anhieb.
Auch die Art, wie er spricht, wie er sich bewegt, wie er mit seinen Fingerspitzen über meine Finger streicht und seine schlanken Finger sich anfühlen.
Weil er einfach genauso ist, wie er ist.
„Es war eine gute Idee, sich in meinen Hauseingang zu setzen“, stellt Felix schmunzelnd fest.
Er muss meinen Blick bemerkt haben, natürlich. Immerhin habe ich ihn unverhohlen angestarrt. Unwillkürlich lächle ich.
„Freut mich zu hören.“
Und damit lehne ich mich zu ihm: Ich drücke meine Lippen auf seine, ihm am Kragen seines Hoodies packend und ihn fest an mich ziehend.
Augenblicklich schließt sich seine Hand geborgen um meine Wange, als er den Kuss leidenschaftlich erwidert.
„Ich wünschte, diese Nacht würde niemals enden“, wispert er warm, an meine Lippen.
Ich weiß nicht, ob es der Alkohol ist, der aus ihm spricht und die Überschwänglichkeit, die er auslöst oder ob das die Wahrheit ist. Dennoch lächle ich sanft: Es fühlt sich fast etwas bitter an.
„Das Problem an guten Dingen ist, dass sie enden müssen“, gebe ich zurück. „Dass sie meistens vergänglich sind.“