Plötzlich war es da.
1440 Euro wurden auf mein Konto überwiesen. Auf Ihres, deines und Eures auch. 1440 Euro waren es in den Staaten der Europäischen Union, in denen der Euro Zahlungsmittel war. Jeder Mensch, der dort lebte, bekam 1440 Euro auf sein Konto. In den USA erhielt jeder 1497 Dollar und in Russland schenkte die Entität, die die Menschen »Väterchen Geld« nannten, jedem 90 677 Rubel. Die Basis waren 1440 Euro und außerhalb der Eurozone erhielten die Menschen ihr Geld entsprechend dem Wechselkurs.
Wenige Wochen, ehe die Christenheit den Geburtstag des Erlösers beging, schenkte eine unbekannte Entität jedem der nunmehr acht Milliarden Menschen auf der Welt den Gegenwert von 1440 Euro. Für den Monat November. Schon kurze Zeit später, am 30. 11. würde die Auszahlung für den Monat Dezember erfolgen und an jedem Letzten der folgenden Monate bekam jeder Mensch das Geld, das er zum Leben brauchte. So stand es in der E-Mail mit dem Betreff »unsere Zukunft - Geld«, die sich in jedem E-Mail-Postfach des Planeten fand und die die meisten Empfänger für einen Scherz hielten. Bis sie die Eingänge und den Kontostand ihres Bankkontos überprüften.
Natürlich gab es Probleme. (Noch) hatte nicht jeder Mensch ein Bankkonto und die Ärmsten der Armen, die das Geld am dringendsten brauchten, hatten oft keine Bankkonten und keinen Zugang zum Internet. Es gab Lösungen und Internetcafés und findige Vertreter aufstrebender Banken schwärmten aus, um Millionen neuer Kunden zu gewinnen.
Bald feierte die Christenheit die Geburt ihres Erlösers, den die Moslems als einen Propheten anerkannten und der Jude und eifriger Teilnehmer eines Debattierclubs gewesen war. Jemand hatte allen Menschen auf der Welt ein Weihnachtsgeschenk gemacht. Nach Prüfung ihrer Kontoeingänge, erneutem und vollständigen Lesen der Begleitmail schreckten selbst hartgesottene Betrüger davor zurück, ihrem Mitmenschen dieses Geschenk wegzunehmen. Mit einem Gottesgeschenk trieb man erst dann Schindluder, wenn man sich absolut sicher war, dass Gott tot war.
Jeder erhielt 1440 Euro im Monat. Erwerbslose und Erwerbsunfähige und Kleinrentner erhielten sie ebenso wie ihre ehemaligen Sachbearbeiter. Die Sachbearbeiter waren ehemalig, denn Jobcenter und Sozialämter existierten nicht mehr. Jobbörsen verteilten die Arbeit, die es gab und von der die Menschen nicht leben konnten und es nicht mehr mussten. Das Geld zum Leben erhielten sie, ohne zu arbeiten und arbeiten gingen sie, um ein Taschengeld zu haben, sich teure Wünsche zu erfüllen oder weil ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fiel.
Im Berliner Regierungsviertel zwischen Brandenburger Tor und Hauptbahnhof lungerten die Journalisten herum, um Politiker und Entscheidungsträger abzufangen und nach ihrer Meinung zum nationalen und globalen Geldsegen zu fragen. Der Finanzminister von den Liberalen machte ein Gesicht wie ein verlassener Ehemann. Das Geld hatte sich selbstständig gemacht und ging eigene Wege, ja es ging auf Abwege. Das Geld war ihm untreu geworden und ging fremd! »… kein Kommentar …«, entrang sich den mürrisch zusammengepressten Lippen unseres Finanzministers. Sein Kanzler von den Sozialdemokraten dachte an den Philosophen Wittgenstein und schwieg über Dinge, zu denen er (noch) nichts zu sagen hatte. Er schwieg weise und staatsmännisch und sein Rivale in der Opposition hätte es auch tun sollen.
»Herr Maerz, was machen Sie mit Ihren 1440 Euro?«, rief ein wagemutiger Reporter ohne Grenzen dem Oppositionsführer von den Konservativen zu.
»*******!«
Ratlos sahen sich der Reporter und seine Kollegen an. Sie hatten ihre Schlagzeile – nicht! Das gute alte deutsche Kraftwort roch und war nicht jugendfrei.
»Die hätten lieber den Umweltminister zum neuen Vorsitzenden machen sollen«, sagte eine junge Journalistin.
»Ach, den haben sie unter der alten Kanzlerin selbst abgeschossen«, schimpfte ein alter Hase, »und die Liberalen haben ihnen dabei geholfen.«
»Das haben sie nun davon.«
»Geld.«
Die Runde grölte.
»Eine ganze Menge.«
Jemand holte sein Tablet hervor, tippte ein und ließ rechnen. »Bei acht Milliarden Menschen sind das allein in diesem Monat … umgerechnet elfeinhalb Billionen Euro. Pro Jahr sind es fast 140 Billionen Euro!«
Die Runde raunte ehrfürchtig.
Bis auf eine.
»Geld kann man nicht essen!«, rief die junge Journalistin.
Alle sahen sich an.
»Auch wieder wahr!«, meinte der alte Hase.
»Ob bei den Grünen wer ist?«
»Wennich, gehen wa zu Fridays for Future.«
Die Reporterrunde grölte.
›Diese alten Säcke!‹, dachte die Journalistin erbittert. Vielleicht sollte sie gleich zu Fridays for Future gehen. Was machte sie nur mit den 1440 Euro? Sie konnte versuchen, aus ihrer Zweck-WG in eine eigene Wohnung zu ziehen. Oder nach Tunesien gehen – das Geld war ihr auch dort sicher.
Jeder Mensch erhielt im Monat 1440 Euro, die er nicht essen, anziehen oder als Heizmaterial verwenden konnte.
Jedes Jahr erhielt die Menschheit 140 Billionen Euro.
Das Geld wurde an alle Menschen ausgezahlt.
Monat für Monat.
Der Milliardär erhielt es ebenso wie der Ärmste der Armen, der sich endlich satt essen konnte und im Internetcafé Onlinebanking lernte. Die stets auf der Lauer liegenden Betrüger waren verunsichert. Vielleicht kam das Geld von Gott und wenn sie es dem Ahnungslosen klauten, mochte das schlimme Folgen haben. Es genügte, wenn sie ganz irdisch und materialistisch von ihren Mitmenschen erwischt wurden. »Er stiehlt unser Geld!«
Die Menschen konnten ihr Geld nicht essen, aber es sagte ihnen, dass es für alle genug zu essen gab.
Die Menschen konnten ihr Geld nicht anziehen und ein »Bankkonto« genannter Datensatz ließ sich auch nicht als Heizmaterial verwenden. Ihr Geld sagte ihnen, dass sie aus ihrem Leben und der Zukunft etwas machen konnten. Sie hatten die Wahl und waren für die Folgen ihrer Entscheidung selbst verantwortlich. Die zu einem sinnlosen Krieg einberufenen Soldaten konnten sich nun ihre Uniformen, Waffen und Ausrüstung selbst kaufen. Sie konnten auch zu Hause bleiben und sich vom Klempner einen Kostenvoranschlag für eine Toilette in der Wohnung machen lassen. Oder auswandern. Ihr Geld bekamen sie überall. Vielleicht bekamen sie auch einen neuen Präsidenten. Der sie bat, zu Hause zu bleiben und aus ihrem Land etwas zu machen.
Im Berliner Regierungsviertel bekam der Finanzminister die Lippen auseinander und rief die Menschen dazu auf, weiterhin zur Arbeit zu gehen, weil man Geld nicht - den Spruch hatte er von den Grünen geklaut!
Der frühere Umweltminister und neue Vorsitzende der Konservativen rief die Bürger dazu auf, zu Anbietern von Strom aus erneuerbaren Energien zu wechseln, auch wenn die teurer wären. Waren sie das noch? In der Reporterrunde murrte es. Jetzt laberten alle so salbungsvoll und das naive Küken war weg und führte mit ihrer Traumfrau und deren Mann in Tunesien eine Ehe zu dritt. Ihr Geld bekam sie auch da unten. Das meiste investierte sie in ein Unternehmen, das in der noch reichlich vorhandenen Wüste ein Solarkraftwerk bauen wollte.
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um das Recht auf Leben und Teilhabe an der Gesellschaft. Hier eine Website zum weltweiten bedingungslosen Grundeinkommen:
http://www.globalincome.org/Deutsch/Deutsch.html