Unruhig blickte Stefano zur Uhr.
„Und du weißt wirklich nicht, wo sie hingegangen sein könnte?“, fragte er seine Schwester zum wiederholten Male.
Mit einem resignierten Seufzen hob Marina die Schultern.
„Keine Ahnung. Ich hoffe nur, sie mischt sich nicht wieder in irgendwelche Angelegenheiten.“
Stefano sah sie nachdenklich an.
„Da ich momentan keine Angelegenheiten habe, wie du es so treffend nennst, gehe ich mal davon aus, dass du von deinen eigenen sprichst. Geht es um dich und Matt?“
„Darüber möchte ich nicht sprechen“, erwiderte sie abweisend und starrte aus dem Fenster. „Mama ist bestimmt nicht meinetwegen unterwegs. Vielleicht weiß sie inzwischen von Manuels Scheidung und versucht nun, Claudia umzustimmen.“
„Umstimmen? Wozu?“ Stefano lachte verächtlich. „Claudia war die Letzte, die das alles gewollt hat. Das weißt du so gut wie ich.“
„Mama scheint da etwas anderer Meinung zu sein.“ Marina atmete tief durch. „Vielleicht ist es ganz gut, dass sie Manuel verpasst hat.“
Stefano nickte bitter.
„Er hätte genauso gut den Nachtbus nach Tijuana nehmen können, aber er war ja nicht dazu zu bewegen, auf sie zu warten.“
Ungehalten drehte Marina sich um.
„Meine Güte, so lass ihn doch. Die Stadt liegt gleich hinter der Grenze und nicht auf einem anderen Erdteil. Er kann uns jederzeit besuchen, wenn ihm danach ist.“
„Das konnte er die letzten drei Jahre auch. Und... hat er es getan?“
„Ihr hättet euch eben aus seinem Leben heraushalten sollen.“
Die beiden funkelten sich einen Augenblick lang wütend an, als sich draußen plötzlich der Schlüssel im Schloss drehte. Wenig später betrat Dolores das Wohnzimmer.
Die gereizte Stimmung fiel ihrem wachsamen Auge sofort auf.
„Was ist denn hier los? Streitet ihr miteinander?“
„Manuel ist weg“, erwiderte Stefano, ohne auf ihre Frage einzugehen.
Dolores zog irritiert die Augenbrauen hoch.
„Weg? Was bedeutet das?“
„Das bedeutet, dass er und Claudia sich heute Morgen in der Dominikanischen Republik haben scheiden lassen. Kaum waren sie von dort zurück, ist Manuel nach Mexiko abgereist“, erklärte Marina. „Stefano ist der Meinung, er hätte auf dich warten sollen, aber ich frage mich, wozu. Er hatte dir bereits seit Jahren nichts mehr zu sagen.“
Dolores erbleichte. Sie presste die Hände vor den Mund, doch kein Laut kam über ihre Lippen. Schließlich wandte sie sich wortlos ab. Mit verlorenem Blick vor sich hin starrend ließ sie sich in einen der beiden Sessel sinken.
„Mein Junge“, murmelte sie erschüttert. „Jetzt habe ich ihn endgültig verloren.“
„So ein Unsinn, Mama.“ Marina begann unruhig im Zimmer auf und ab zu laufen. „Du hast ihn schon vor langer Zeit verloren! Haargenau an dem Tag, als du damals mit Stefano zusammen gegen ihn intrigiert hast. Und trotzdem ist Manuel nach Hause zurückgekehrt. Genauso wird es auch dieses Mal sein. Er kommt zurück. Irgendwann, wenn er seinen inneren Frieden gefunden hat.“
„Wo bist du eigentlich die ganze Zeit gewesen?“, fragte Stefano schließlich.
Dolores hob den Kopf und suchte den Blick ihrer Tochter, doch die hatte sich abgewandt.
„Ich war bei Matthew.“
Schlagartig fuhr Marina herum.
„Was?“
„Ich habe...“, begann Dolores, doch Marina fiel ihr empört ins Wort.
„Du hast es ihm erzählt, habe ich recht? Du kannst es einfach nicht lassen, dich überall einzumischen! Musstest wieder einmal Schicksal spielen! Oh mein Gott, Mama! Hast du denn aus der Sache mit Manuel überhaupt nichts gelernt?“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer.
„Wo willst du denn hin?“, rief ihr Madame Dolores verunsichert nach.
„An die frische Luft“, erwiderte Marina wütend. „Mir ist schlecht!“
Mit einem lauten Knall fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
„Was hast du Matt denn erzählt?“, fragte Stefano interessiert.
Dolores seufzte und strich sich mit der Hand über die Stirn.
„Ich mache alles falsch“, meinte sie resigniert, ohne auf seine Frage einzugehen. „Dabei meine ich es doch nur gut.“
„Ich weiß.“ Stefano legte ihr seine Hand auf die Schulter. „Aber du solltest uns endlich unsere Entscheidungen allein treffen lassen, Mama. Wir sind schließlich alle drei keine Kinder mehr.“
„Das ist wohl wahr“, nickte Dolores. „Ich muss euch endlich loslassen.“
Stefano wandte sich ab, als sein Diensthandy klingelte.
„Hier Cortez... Ja, ich höre... Was?... Wann war das?... Gibt es Verletzte?... Meine Güte!... Ja natürlich, ich bin in ein paar Minuten da!“
Er schaltete das Handy ab und griff nach seiner Jacke und dem Autoschlüssel.
„Ich muss nochmal weg. Kann länger dauern. Ihr braucht nicht auf mich zu warten.“
„Was ist denn passiert, Stefano?“, fragte Dolores beunruhigt.
„Das weiß ich selbst noch nicht so genau. Ich hoffe nur, es ist nicht so schlimm, wie es sich anhörte“, erwiderte er vage und verließ eilig das Haus.
*
Claudia kam recht schnell voran. Allerdings lagen überall noch einzelne Gesteinsbrocken von der vorangegangenen Explosion.
„Was die Natur doch für Schönheit schaffen kann, in tausenden von Jahren“, sinnierte sie, während sie den Felsen betrachtete, dessen verschiedene Schichten, die sich wie Adern durch das Gestein zogen, im Lichtkegel der Taschenlampe in den schönsten Farben schimmerten.
Sie hatte keine Angst, hier drinnen allein zu sein. Manuel und sie hatten solche Forschungsgänge geliebt. Was gab es Interessanteres, als Geheimnisse zu lüften, die vor ihnen vermutlich noch kein menschliches Auge erblickt hatte. Sie schluckte und verspürte einen bitteren Geschmack in ihrer Kehle. In Zukunft würde sie sich an solchen Dingen allein erfreuen müssen.
Als sie im Schein der Lampe nach oben blickte, entdeckte sie im Felsgestein über sich mehrere lange Risse.
„Höchste Zeit, die Decke abzustützen“, dachte sie und blieb einen Augenblick stehen. In diesem Gang hier, der durch die Sprengung der Nachbarhöhle freigelegt worden war, sollte morgen mit Hilfe eines erstklassigen Ultraschall-Wärme-Sensors festgestellt werden, ob sich weitere Hohlräume hinter den Rissen und Gesteinsschollen befanden. Wenn das nicht der Fall war, dann könnte man erwägen, diesen gut einhundert Meter langen Durchgang auszubauen.
Alex war heute nach L.A. gefahren, um das Gerät vom Institut für geologische Gutachten auszuleihen. Das würde die HSE zwar zusätzlich eine hübsche Stange Geld kosten, aber immer noch besser, als wenn sie mit ihren herkömmlichen Geräten noch tagelang herum suchten.
Seufzend ging Claudia weiter.
Wieder wanderten ihre Gedanken zu Manuel. Wie konnte er das hier nur alles aufgeben? Die Arbeit hatte ihm doch genauso viel bedeutet wie ihr, das war deutlich zu spüren gewesen. Alex hatte immer gemeint, Manuel sei in seinem Forscherdrang nicht zu bremsen. Aber vielleicht hatte er ja auch auf diese Art sein Schicksal herausfordern wollen?
Claudia trat auf etwas, das sich anders anfühlte, als die losen Steine, die vereinzelt hier herumlagen. Sie leuchtete auf die Stelle und entdeckte, dass es sich um einen Kugelschreiber handelte. Interessiert hob sie ihn auf.
„H & S Enterprises – Future“ war mit zierlicher Schrift in den golden glänzenden Stift eingraviert. Anscheinend eines von den etwas besseren Werbegeschenken der Firma. Er musste Alex wohl aus der Tasche gefallen sein. Sie steckte ihn ein und ging weiter. Es konnte nicht mehr weit sein, über die Hälfte des Weges hatte sie bereits hinter sich gelassen.
Da plötzlich hörte sie ein leises, fast unscheinbares Geräusch. In Höhlengängen gab es zuweilen die unterschiedlichsten Geräusche, das war nichts Besonderes, aber dieses hier war anders.
Es passte nicht hierher…
Claudia leuchtete mit der Lampe in die Richtung, aus der das Geräusch zu kommen schien: unweit von ihr, direkt von der gegenüberliegenden Felswand. Nach kurzem Suchen erfasste der Lichtkegel ihrer Lampe die geheimnisvolle Geräuschquelle, und ihre Nackenhaare stellten sich bei dem Anblick dessen, was sie sah, unwillkürlich auf.
Ein auf den ersten Blick eher unscheinbar aussehender, kleiner länglicher Kasten war dort im Fels angebracht worden. Ein leises, kaum hörbares Klicken war zu vernehmen, und bei genauerem Hinsehen entdeckte Claudia das Display auf der Vorderseite des Kastens. Darauf bewegten sich Zahlen, die letzte davon lief rasend schnell. Eine Minute... 40 Sekunden...
Für einen Augenblick schien ihr Herzschlag auszusetzen.
Ein Zeitzünder!
In etwas über einer Minute würde hier etwas geschehen, soviel war sicher. Sie dachte an die Geräusche des eilig davonfahrenden Wagens vorhin am Eingang der Höhle, und schlagartig wurde ihr klar, dass sich hier drin jemand in unlauterer Absicht zu schaffen gemacht hatte. Gleichzeitig war ihr bewusst, dass die verbleibende Zeit nicht reichen würde, um zurückzulaufen.
Panisch umklammerte sie die Taschenlampe und begann in dem fahlen Lichtkegel zu laufen, so schnell sie konnte. Vorwärts, in Richtung auf das OCEANS zu.
Mit sehr viel Glück würde sie es vielleicht gerade noch rechtzeitig schaffen...
*
Danielle tanzte mit John O`Malley.
„Und morgen reisen Sie wirklich schon ab?“, fragte sie nach einer Weile. Er nickte.
„Ja, man erwartet mich in L.A. Ich arbeite dort im Centinela-Airport-Hospital in der Notaufnahme. Da wird jede Arbeitskraft dringend gebraucht.“
„Nach meinem High-School-Abschluss wollte ich ursprünglich auch Medizin studieren“, lächelte Danielle.
„Und was hat Sie davon abgehalten?“
„Unglückliche Umstände. Ich habe zunächst eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht, weil gerade kein Studienplatz frei war. Als es dann soweit war, erkrankte mein Vater und ich musste auf der Ranch aushelfen. Durch eine Freundin kam ich etwas später zu BLUE SKY AIRLINES, und dort bin ich erst einmal geblieben, bis mich der Zufall nach Sunset City führte.“
„Der Zufall?“ John grinste. „Doch wohl eher die große Liebe!“
Danielle lachte.
„Wie das Leben so spielt.“
„Und wollen Sie später noch studieren?“, forschte John.
„Ich weiß nicht genau. Um ehrlich zu sein habe ich mit Matt bislang nicht darüber gesprochen“, erwiderte Danielle, und dabei fiel ihr ein, dass sie George Freemans morgige Einladung nach Los Angeles völlig vergessen hatte. Sie musste Matt unbedingt davon erzählen, damit er sich den Nachmittag freihielt. „Sind Sie eigentlich schon einmal mit dem Helikopter geflogen?“, fragte sie interessiert.
„Ein paar Mal schon, zu verschiedenen Noteinsätzen“, erwiderte John. „Ist nichts Besonderes.“
„Für mich schon“, lachte Danielle. „Matt und ich fliegen morgen in die Santa Monica Berge.“
„Mit dem Helikopter? Ich wusste gar nicht, dass die HSE einen besitzt.“
„Nein, nicht von Matts Firma aus. Der Helikopter gehört George Freeman. Er hat uns zu sich eingeladen.“
John blieb mitten im Song stehen und starrte sie entgeistert an.
„Der George Freeman, der Elektronik-Mogul?“
Danielle nickte lächelnd.
„Genau der.“
„Woher kennen Sie ihn?“
„Wir sind uns auf einem Flug von Tokio nach LA begegnet.“
Sie tanzten weiter, doch John O`Malley schien plötzlich irgendwie abwesend. Danielle vermutete, dass ihm ihre Bekanntschaft mit Freeman die Sprache verschlagen hatte und lächelte nachsichtig.
„Als ich Mister Freeman kennenlernte, wusste ich nicht, wer er war. Glauben Sie mir, John, er ist ein netter, großherziger Mann, der trotz seines beruflichen Erfolges und seines Reichtums erstaunlich normal geblieben ist. Er hat schon einige Enttäuschungen und Schicksalsschläge im Leben einstecken müssen.“
„Wer von uns hat das nicht“, murmelte der junge Arzt gedankenverloren.
Der Song war zu Ende.
„Würden Sie mich bitte entschuldigen?“, bat John höflich, und Danielle fiel auf, dass er trotz seiner Sonnenbräune plötzlich etwas blass wirkte.
„Ist Ihnen nicht gut?“, fragte sie besorgt.
„Nein, alles in Ordnung“, versicherte er und lächelte, als er ihren besorgten Blick sah. „Vielleicht etwas wehmütig wegen des Abschieds von dieser schönen Stadt. Ich werde mir draußen einen Augenblick die Beine vertreten. Danke für den Tanz, Danielle.“
Nachdenklich sah sie ihm nach.
„Kann es sein, dass meine Verlobte soeben fremden Männern nachschaut?“, raunte ihr eine wohlbekannte Stimme ins Ohr. Sie drehte sich um und lachte, als sie Matts schiefes Grinsen bemerkte.
„Keine Panik, schöner Mann! Ich war nur kurz in Gedanken, denn mir fiel eben ein, dass ich dir noch etwas Wichtiges erzählen muss.“
In diesem Augenblick erklang eine romantische Ballade und Matt zog Danielle in seine Arme.
„Okay, du kannst es mir nachher erzählen. Jetzt möchte ich unbedingt mit meiner zukünftigen Frau tanzen.“
*
Caroline betrat den Weinkeller und atmete tief durch.
Was war da eben geschehen, als sie Dean gegenüberstand? Sie hatte in seine Augen gesehen, und mit einem Mal war alles andere um sie herum unwichtig gewesen. Sogar der Streit mit ihrem Vater.
Sie hatte in diesem Moment plötzlich den heißen Wunsch verspürt, sich in Deans Arme zu werfen und ihn zu küssen, seine Lippen auf ihren zu spüren...
„Mein Gott, bist du noch bei Trost?“, schalt sie sich selbst und lehnte ihren Kopf an die kühle Wand. „Dean sieht in mir mit Sicherheit nur das kleine verwöhnte Mädchen, zu dem er nett sein muss, weil es sich seinetwegen mit ihrem Daddy zerstritten und den halben Laden finanziert hat!“
Von der anderen Seite des Kellers starrte sie wie ein schwarzer Schlund das große Loch in der Wand an, welches das OCEANS seit der Sprengung der Nachbarhöhle mit dem Strand verband. Ein einziges Mal war sie mit Dean hier unten gewesen, aber sie hatte sich nicht getraut, ihm dort hinein zu folgen. Jetzt würde sie es ohne zu zögern tun.
Wie magisch angezogen ging sie hinüber und kletterte über die losen Steine hinein ins Dunkel. Sie tastete sich vor, soweit der Lichtschein vom Keller reichte.
Morgen würde sie Dean fragen, ob er mit ihr durch den Höhlengang bis zum Meer gehen würde.
Aber jetzt musste sie wieder nach oben, hinein in den Lärm der Bar, wo ihr Vater inmitten ihrer neuen Freunde saß und feierte und seine einzige Tochter ignorierte, als sei sie unsichtbar.
„Du wirst mir diesen Abend nicht verderben, Daddy“, sagte sie wütend und wollte eben zurück in den Keller klettern, als sie noch ein letztes Mal zurückblickte und urplötzlich wie von Ferne irgendwo in dem undurchdringlichen Dunkel einen schwachen Lichtschein bemerkte. Er bewegte sich, blieb kurz weg und kam wieder, doch bevor Caroline näher darüber nachdenken konnte, was auch immer sie da zu sehen glaubte, gab es mit einem Mal von irgendwoher einen ohrenbetäubenden Knall, der ringsum alles erzittern ließ. Die Wände, der Fußboden, alles schien sekundenlang zu beben, dann hörte Caroline ein furchterregendes Krachen und Bersten, und alles, was sie umgab, schien in Bewegung zu geraten. Sie hörte einen markerschütternden Schrei, der im Toben dieser Urgewalten unterging, aber sie begriff nicht mehr, dass es ihr eigener war, denn unmittelbar danach traf sie etwas am Kopf und es wurde es dunkel um sie herum...
*
„Ich habe eine Überraschung für dich“, wisperte Danielle geheimnisvoll ins Ohr ihres Tanzpartners, während sie sich beide engumschlungen auf der gut gefüllten Tanzfläche zu einem romantischen Song bewegten. „Hast du morgen etwas Zeit?“
Matt lächelte.
„Ich nehme mir alle Zeit der Welt für dich.“
„Würdest du mich am Nachmittag bei Mitch abholen?“
„Natürlich. Aber…“ Er sah erstaunt auf „Du machst mich neugierig!“
„Ich werde nichts verraten. Nur so viel: wir machen einen Ausflug. Ich möchte dir jemanden vorstellen, den ich sehr schätze, und ich denke, wir werden einen sehr schönen Abend miteinander verbringen.“
„Hört sich gut an! Obwohl…“
„Obwohl was?“
Er zog sie dicht zu sich heran.
„Obwohl ich viel lieber allein mit dir wäre“, raunte er. „Aber dafür gehört der heutige Abend ganz uns. Jetzt und später!“
Sie lächelte verschmitzt.
„Wollen Sie mich etwa verführen, Mister Shelton?“
„Aber natürlich will ich das“, ging er auf ihren Tonfall ein. „Ich habe schon seit Stunden nichts anderes im Sinn.“
„Das klingt wirklich verheißungsvoll“, flüsterte sie.
Matt beugte sich hinunter, um sie zu küssen, doch bevor sich ihre Lippen berührten, gab es ein Geräusch, das alle in der kleinen Bar schlagartig verstummen ließ. Es grollte und rumpelte, alles ringsum schien zu wackeln und zu beben. Das unheilvolle Geräusch schwoll sekundenschnell an und entlud sich in einem ohrenbetäubenden, unterirdischen Knall...
In der Bar saß niemand mehr auf seinem Platz. Die Musik und das laute Stimmengewirr verstummten, einige Gäste schrien erschrocken auf, die Tanzenden hielten inne und blickten sich fassungslos um. Ringsum hatte alles sekundenlang gebebt, Flaschen waren umgefallen und Gläser gesprungen. Die Beleuchtung flackerte verdächtig.
„Was war das?“, fragte Danielle ängstlich und hielt Matts Hand.
„Ein Beben war das nicht“, mutmaßte er. „Eher eine unterirdische Explosion!“
Eine dicke Staubwolke drang aus dem Lagerraum hinter der Theke.
„Die Höhle!“, flüsterte Suki, die neben ihnen stand, atemlos. „Könnte es vielleicht möglich sein, dass…“
In diesem Augenblick kam Dean die Kellertreppe heraufgestürzt. Er bahnte sich einen Weg durch die Menge und sah sich suchend um.
„Der unterirdische Gang zum Strand ist zusammengestürzt! Schnell, ich brauche unbedingt Hilfe! Caroline ist irgendwo dort unten!“
Edward, der bisher eigenartigerweise in diesem ganzen panischen Chaos ziemlich ruhig wirkte, sprang entsetzt auf.
„Was sagen Sie da? Wo ist meine Tochter?“
„Sie wollte Wein aus dem Keller holen, als es passierte! Ich kann sie nirgends finden, alles ist verschüttet!“
Bevor es jemand verhindern wollte, hatte sich Edward mit einem Wutschrei auf Dean gestürzt und ihn am Kragen seines Hemdes gepackt.
„Das ist alles deine Schuld, du Bastard!“, schrie er völlig außer sich. „Wenn Cary irgendetwas passiert ist, dann Gnade dir Gott!“
Matt und Luke, die ihm am nächsten standen, sprangen geistesgegenwärtig hinzu und hielten Edward gewaltsam zurück.
„Verdammt, Edward!“, rief Matt ärgerlich. „Reiß dich zusammen! Wir wissen doch noch gar nicht genau, was geschehen ist! Dean kann so wenig wie jeder andere etwas dafür, dass der Gang eingestürzt ist.“
Ungeachtet seiner Worte versuchte Edward sich loszureißen, um sich erneut auf Dean zu stürzen.
„Ich bring dich um, Lockwood!“
„Beruhigen Sie sich, Mister Hamilton“, mahnte nun auch Luke, der Edwards Arm mit eisernem Griff festhielt. „Wir werden uns erst einmal unten umsehen!“
„Lasst mich gefälligst los! Ich will zu meiner Tochter“, schnaubte Edward wütend.
„Du wirst dich erst einmal beruhigen“, befahl Matt. „Du hilfst Cary nicht, wenn du hier nur herumbrüllst.“
Dean atmete tief durch und kämpfte zitternd um seine Fassung.
„Jemand soll die Feuerwehr rufen. Und einen Notarztwagen. Wir brauchen jede Hilfe!“ Damit wandte er sich ab und lief über die staubbedeckte Treppe wieder nach unten.
„Ich habe bereits angerufen“, verkündete Suki, die hinzukam. „Ich habe auch meine Arzttasche aus dem Wagen draußen geholt. Ich werde mit hinuntergehen, falls die Helfer Caroline finden...“
„Lassen Sie mich das machen, Suki.“ John O`Malleys Stimme duldete keinen Widerspruch. „Geben Sie inzwischen Mister Hamilton etwas zur Beruhigung. Ich rufe Sie, sobald wir seine Tochter finden.“ Er öffnete den Notfallkoffer und zog in aller Eile eine Spritze auf, die er Suki reichte. Dann eilte er hinter den anderen her in den Keller.
„Oh bitte“, wimmerte Edward plötzlich wie ein Kind und sank auf einen Stuhl. „Mein kleines Mädchen... meine Cary! Was habe ich nur getan!“
Danielle, die Matt ebenfalls nach unten folgen wollte, blieb wie angewurzelt stehen.
„Wie meinen Sie das, Edward?“, fragte sie irritiert.
„Ich... ich... wollte doch nur... ich habe doch nicht...“
„Sie haben Ihre Tochter wegen einer Kleinigkeit verstoßen, und vorhin, als Sie hereinkamen, da haben Sie sie absichtlich ignoriert, das haben Sie getan“, fuhr sie ihn ungehalten an.
„Lass gut sein, Danielle“, unterbrach Suki sie. „Damit hilfst du Caroline jetzt auch nicht weiter.“ Sie wandte sich an Edward. „Machen Sie den Arm frei, Mister Hamilton, ich gebe Ihnen etwas zur Beruhigung.“
„Nein! Ich will nichts! Lassen Sie mich in Ruhe!“ Er sprang auf, stieß Suki unsanft bei Seite und rannte zum Ausgang.
„Wo wollen Sie hin?“, rief die junge Ärztin ihm nach.
„Zum Strand“, erwiderte er atemlos und erklomm die Treppe mit drei Sätzen. „Vielleicht gelangt man von dort aus in den Gang...“
Danielle und Suki sahen sich ratlos an.
„Eigentlich gar keine so schlechte Idee“, meinte Suki achselzuckend. „Vielleicht sollte ich noch einmal anrufen und eine Einheit der Polizei oder Feuerwehr zum Strand schicken, damit sie von dort aus versuchen, sich nach innen vorzuarbeiten.“
„Tu es einfach, Suki“, stimmte Danielle eilig zu. „Das kann auf keinen Fall schaden. Wir dürfen nichts unversucht lassen, um Caroline da herauszuholen!“
*
Die Verlobungsparty im OCEANS hatte durch den Einsturz des unterirdischen Höhlenganges ein jähes Ende gefunden. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, dass Caroline Hamilton bei einem plötzlichen Höhleneinsturz irgendwo im Kellergang verschüttet worden war. Ringsum wimmelte es nur so von Feuerwehr und Polizei, und jeder versuchte irgendwie zu helfen. Sogar Alex war verständigt worden und eilte so schnell wie möglich zum Unglücksort.
Draußen vor der Bar stand bereits ein Rettungswagen bereit, und die Sanitäter warteten gespannt darauf, wann von unten endlich eine Nachricht kam, dass man die Vermisste gefunden hatte.
Die Einsatzkräfte arbeiteten sich vom Keller des OCEANS aus mühsam vor. Glücklicherweise hatten sich in diesem Teil des Ganges keine allzu großen Gesteinsbrocken gelöst, so dass die Helfer eine Kette bildeten und in fieberhafter Eile Steine und Schutt nach oben beförderten, um auf diese Art zu Caroline vorzudringen. Trotzdem musste alles Meter für Meter abgesichert werden, denn jede Sekunde konnte noch mehr von dem Gang zusammenbrechen und weitere Menschen unter sich begraben.
Dean war unter den ersten, die sich in dem noch vorhandenen Gang vorarbeiteten. Er ließ sich durch nichts davon abbringen, selbst nach seiner Partnerin zu suchen. Die Feuerwehrleute hatten ihn nicht zurückhalten können, die Hindernisse mit bloßen Händen aus dem Weg zu räumen. Schließlich gaben sie ihm zu seiner eigenen Sicherheit einen Helm, an dem eine Lampe befestigt war, damit er etwas sehen konnte. Immer wieder rief er Carolines Namen und lauschte in den kurzen Atempausen vergeblich auf ein Zeichen von ihr.
Die Gedanken kreisten unaufhörlich in seinem Kopf, während er sich ohne Unterbrechung Stück für Stück vorarbeitete. Er konnte es nicht verstehen. Warum war sie bloß hier hineingegangen? Sie hatte doch Angst vor der Höhle gehabt! Er selbst war erst gestern aus Neugier vom Keller aus ein ganzes Stück in den Gang geklettert, aber Caroline hatte sich nicht getraut ihm zu folgen.
Aus unerklärlichen Gründen musste sie sich vorhin dennoch dazu überwunden haben, sonst hätte man sie nach dem Unglück im Weinkeller auffinden müssen. Einen anderen Ausgang gab es nicht.
War ihr Vater vielleicht der Grund dafür? Sie war furchtbar durcheinander gewesen, als er unerwartet hier aufgetaucht war und sie behandelt hatte, als sei sie Luft für ihn. Zum Teufel mit Edward Hamilton! Er hatte seine eigene Tochter verstoßen, weil sie es wagte, sich ein einziges Mal seinen Interessen zu widersetzen! Und nach dem Einsturz war er auch noch auf ihn losgegangen, um ihm die Schuld für etwas zu geben, wofür nun wirklich niemand etwas konnte.
Dean fluchte leise und kämpfte sich verbissen weiter durch Steine und Geröll.
„Caroline!“, rief er und lauschte wieder kurz.
Nichts...
„Los weiter!“, keuchte er und hustete, weil der feine Staub ihm in Mund und Nase drang. Der Feuerwehrmann, der sich vor ihm befand, hielt ihn zurück.
„Warte... ich muss das hier erst sichern!“
Als er einen Schritt vortrat, stutzte er plötzlich und bedeutete den Leuten hinter sich durch eine Handbewegung, stehen zu bleiben. Er bückte sich und schob im Lichtkegel der Lampen hastig etwas von dem losen Geröll beiseite. Eine Hand kam zum Vorschein, ein Arm, kurz darauf ein Kopf und verstaubtes blondes Haar.
„Ich habe sie!“, rief er und leuchtete die Fundstelle aus.
Caroline lag reglos an der Seite unter einem größeren Felsvorsprung, der dem Erdrutsch standgehalten hatte. Sofort ließ sich Dean neben ihr auf die Knie fallen und begann in fieberhafter Eile, die Steine und den Sand um sie herum wegzuräumen, bevor er nach ihrem Hals griff und mit angehaltenem Atem ihren Puls suchte.
„Sie lebt“, rief er schließlich mit einem Seufzer der Erleichterung. „Schnell, helft mir!“
„Vorsichtig...“, mahnte einer der Männer hinter ihm und drehte sich dann zu den anderen um. „Gebt den Sanitätern Bescheid, dass wir Miss Hamilton gefunden haben. Sie sollen sich bereithalten. Wir bringen sie so schnell wie möglich hinaus!“
*
Völlig außer Atem war Edward an der Absperrung zur mittleren Felsenhöhle angekommen. Fassungslos starrte er auf das Ausmaß des Einsturzes. Den Eingang der Höhle, deren unterirdischer Gang den Stand von hier aus mit dem OCEANS verbunden hatte, gab es nicht mehr. Da wo er gewesen war, schien der Felsen von oben her in sich zusammengesunken zu sein. Einzelne Felsbrocken, Staub und Gestein hatten sich mit dem feinen Sand des Strandes vermischt.
Wer auch immer sich in dieser Höhle befunden hatte, konnte das nicht überlebt haben.
Mit zitternden Händen tastete Edward an der eingestürzten Wand entlang, so als wolle er dadurch erreichen, dass der Felsen sich auftat und Caroline wieder freigab. Schließlich sank er in die Knie und begann hemmungslos zu schluchzen.
„Cary... das wollte ich doch nicht! Wie um alles in der Welt hätte ich denn wissen sollen, dass du da unten bist! Oh Gott, ich allein bin schuld an allem! Ich habe dich umgebracht...“
So fand ihn Stefano, der mit einigen Einsatzkräften den Strand sichern wollte.
„Mister Hamilton“, rief er und eilte zu ihm hinüber. „Stehen Sie auf, wir müssen sofort weg hier! Jeden Augenblick kann noch mehr einstürzen!“
„Lasst mich in Ruhe“, wehrte sich Edward wie von Sinnen und heulte wie ein kleines Kind. „Ich muss zu meiner Tochter!“
„Die Rettungskräfte suchen vom OCEANS aus nach ihr“, versuchte ihn Stefano zu beruhigen. „Von hier aus können Sie gar nichts tun. Kommen Sie bitte mit!“
„Nein! Ich werde hier nicht weggehen“, schluchzte Edward eigensinnig. „Ich bin schuld an allem!“
Die übrigen Männer sahen einander verständnislos an.
Stefano hob ratlos die Schultern.
„Keine Ahnung, was er meint. Soviel ich weiß, hatten die beiden in letzter Zeit ein paar familiäre Probleme. Man hat da so einiges gehört. Nun gibt er sich vermutlich aus Angst um seine Tochter selbst die Schuld für das, was geschehen ist.“ Er trat erneut auf Edward zu, der mit glasigen Augen auf den Felsen starrte, und packte ihn an den Schultern. Mit sanfter Gewalt zwang er ihn, ein paar Schritte zurückzutreten.
„Kommen Sie, wir fahren jetzt zurück zum OCEANS, denn dort werden wir zuallererst erfahren, ob man Caroline inzwischen gefunden hat. Hier können wir absolut nichts tun.“
„Sie verstehen nicht, Detektiv...“, murmelte Edward und ließ sich widerstandslos zum Streifenwagen führen, „Sie können nicht wissen, was ich getan habe!“
„Schon gut“, erwiderte Stefano beruhigend und gab einem seiner Kollegen ein Zeichen. Dieser öffnete die Wagentür.
„Nein!“, rief Edward plötzlich und riss sich los. „Ich muss das jetzt loswerden! Hören Sie mir zu! Ich habe es getan… ich habe veranlasst...“
In diesem Moment meldete sich Stefanos Kollege aus dem OCEANS über Funk:
„Wagen 114 Officer Spencer an 113 Detektiv Cortez! Hörst du mich?“
Stefano hob die Hand und bedeutete Edward damit, still zu sein. Schnell griff er nach dem Sprechgerät.
„Hier Cortez. Gibt’s was Neues, Spenc?“
„Unsere Leute haben Caroline Hamilton gefunden. Sie lebt!“
*
Sophia saß in ihre Penthouse-Suite auf dem Sofa, hatte die Beine hochgelegt und blätterte gelangweilt in einer Illustrierten, als sich plötzlich der Sicherheitsdienst des PAZIFIC INN über die Sprechanlage meldete.
„Was gibt es denn?“, fragte sie etwas unwirsch. Seit Edward Caroline aus dem Haus geworfen hatte, war sie nicht an Besuch interessiert. Im Gegenteil, sie hoffte die ganze Zeit über, ihr Gatte möge sich endlich besinnen und Cary bitten, zurückzukommen, aber er verhielt sich unerbittlich stur und abweisend. Sophia kannte seinen Charakter und wusste, dass sie in diesem Falle machtlos war. Es tat weh, dass sie ihre Tochter nur heimlich treffen und anrufen konnte, ohne gleich eine Riesenszene mit ihrem Ehemann heraufzubeschwören, und solange dieser Zustand anhielt, wollte sie auch niemand anderen hier sehen.
„Ma`m“, klang die Stimme des Sicherheitsbeamten aus dem Lautsprecher „Hier ist ein Herr, der Sie dringend sprechen möchte. Allerdings weigert er sich hartnäckig, mir seinen Namen zu nennen. Er meint, er sei ein guter Freund, der Sie gern mit seinem Besuch überraschen würde. Wenn Sie wünschen, begleite ich ihn zu Ihrer persönlichen Sicherheit nach oben.“
Sophia hob erstaunt die linke Augenbraue, eine typische Reaktion, die sich immer dann zeigte, wenn sie erstaunt war oder angestrengt über etwas nachdachte. Ein guter Freund? Wer konnte das sein?
Nach kurzer Überlegung siegte die Neugier.
„In Ordnung, Tyler. Kommen Sie herauf und bringen Sie den geheimnisvollen Besucher bitte mit.“
Sie stand auf und besah sich einen Augenblick lang in dem großen Wandspiegel. Obwohl sie sich durch den Ärger in der Familie zurzeit alles andere als ausgeglichen fühlte, war sie dennoch mit ihrem Spiegelbild zufrieden. Ihr mahagonifarbenes, dunkles Haar fiel seidig glänzend auf die Schultern, und ihre schönen grünen Augen waren wie immer dezent, aber absolut perfekt geschminkt. Sie trug einen smaragdgrünen Hausanzug, der ihre noch immer mädchenhaft schlanke Figur umschmeichelte und hervorragend zu ihrem Haar und ihren Augen passte.
Sophia atmete tief durch und setzte ihr sorgsam einstudiertes verbindlich höfliches Lächeln auf. Wer auch immer der geheimnisvolle Besucher sein möge, sie war bereit, ihn zu beeindrucken.
Der Lift öffnete sich und Tyler trat heraus, gefolgt von einem elegant gekleideten Mann im besten Alter, der mit einem unwiderstehlichen Lächeln auf Sophia zutrat.
„Ron?“, fragte sie atemlos und kniff ungläubig die Augen zusammen. „Ron Austin?“
Anstatt einer Antwort drehte sich der Besucher zu dem Beamten um und nickte ihm kurz, aber unmissverständlich zu.
„Vielen Dank, Tyler, Sie können jetzt gehen.“
Etwas verärgert blickte der Security-Mann zu Sophia hinüber. Was bildete dieser Kerl sich eigentlich ein! Als ob er berechtigt wäre, ihm Anweisungen zu geben!
„Ist schon gut, Tyler, es ist alles in Ordnung“, nickte ihm Sophia freundlich zu, als hätte sie seine Gedanken erraten. „Haben Sie vielen Dank.“
Nachdem der Mann den Raum verlassen hatte, trat Ron auf Sophia zu und ergriff ihre Hände.
„Meine Güte, mir kommt es so vor, als wärst du noch schöner geworden“, meinte er charmant, und sein Lächeln brachte sofort wieder jene Gefühle bei ihr zum Vorschein, die sie seit ihrem letzten Besuch in Los Angeles konsequent auf Eis gelegt hatte.
„Wie hast du mich gefunden?“, fragte sie verwirrt, entzog ihm ihre Hände und trat einen Schritt zurück. Eine absolut dumme Frage, dachte sie, jeder hier in Sunset City wusste, wo sich die Hamiltons derzeit aufhielten.
Einen Augenblick lang sahen sie einander schweigend an.
„Ähm… setz dich doch.“ Etwas nervös wies Sophia auf das Sofa hinter sich. Ron folgte der Einladung und nahm lächelnd Platz, während er sie erwartungsvoll ansah. Um etwas Distanz zwischen ihnen zu schaffen, setzte sich Sophia ihm gegenüber in den Sessel.
„Kann ich dir irgendetwas anbieten? Einen Cognac, einen Orangensaft, oder ein Glas Wasser...“
„Mache ich dich nervös, Sophia?“, fragte er ruhig. „Das tut mir leid, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.“
„Nun, das hätte allerdings sehr leicht der Fall sein können, wenn mein Mann hier gewesen wäre. Zum Glück hat er heute Abend noch dringende Termine.“
„Glaubst du, ich wäre hergekommen, wenn ich das nicht wüsste?“
„Ja.. nein… ich weiß nicht...“, stotterte sie.
Ron stand auf, kam zu ihr herüber und ergriff erneut ihre Hände. Sie wehrte sich nicht, als er sie sanft aus dem Sessel hochzog und in die Arme nahm. „Ich wusste, dass du allein zu Hause bist. Ich bin heute Morgen hier im PAZIFIC INN abgestiegen und konnte es einfach nicht länger ertragen, so nah bei dir zu sein, ohne dich sehen zu können.“
„Was tust du denn in Sunset City?“, fragte sie leise, längst gefangen in seinem Blick, der sie nicht losließ.
„Ich bin geschäftlich hier.“
„Geschäftlich?“
„Eine geschäftliche Transaktion mit der Firma deines Gatten. Leider habe ich ihn heute noch nicht in seinem Büro angetroffen, um mit ihm zu reden. Aber egal, ich bin nicht in Eile. Im Gegenteil, denn auf diese Art habe ich die Gelegenheit, etwas länger in deiner Nähe zu sein.“
„Aber du bist Modedesigner, während er…“
„Eine Ferienanlage baut, schon klar“, ergänzte er lächelnd. „Allerdings möchten viele Gäste auch während ihrer Ferien nicht auf Informationen über die neueste Mode verzichten. Und da komme ich ins Spiel.“ Während er sprach, war er ihr ganz nah gekommen und sein Mund konnte ihren fast berühren. Wie hypnotisiert öffneten sich Sophias Lippen.
Das Läuten des Telefons ließ sie beide zusammenfahren. Wie ein Kind, das befürchtete, bei etwas Verbotenem ertappt zu werden, löste sich Sophia hastig aus Rons Umarmung
„Entschuldige mich...“ Eilig nahm sie den Hörer an sich. „Ja bitte?... Ja, ich bin selbst dran... Was sagen Sie, Detektiv? ... Nein! Oh nein, bitte, das muss ein Irrtum sein! Wann ist das passiert? ... Oh mein Gott! Ich komme sofort hin!“
Mit zwei Schritten war Ron bei ihr und hielt sie fest, als sie taumelte. Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren.
„Es hat einen Unfall gegeben! Eine der Strandhöhlen ist eingestürzt. Meine Tochter…Caroline, sie war dort unten...“ Ihre Stimme brach, und sie begann hysterisch zu schluchzen. „Sie bringen sie soeben ins Memorial. Ich muss sofort hin!“
Ron schluckte und nickte dann entschlossen.
„Ich begleite dich.“
*
Noch immer standen die Gäste der Verlobungsparty vor dem OCEANS.
Der Jubel, als die Nachricht, dass Caroline gefunden worden sei, aus dem Keller nach oben drang, war erneut einer bedrückenden Stille gewichen.
Nahezu ehrfürchtig bildeten die Anwesenden eine Gasse für die Sanitäter und beobachteten stumm, wie der Rettungswagen kurz darauf mit Caroline, Suki Yamada und John O`Malley an Bord in Richtung Klinik davonraste. Ein paar Minuten später sammelten sich auch die Feuerwehrleute zum Rückzug. Ihre Aufgabe war erfüllt, mehr konnten sie im Moment nicht tun.
„Geht nach Hause Leute“, sagte Matt, der seinen Arm schützend um Danielles Schultern gelegt hatte. „Caroline ist in den besten Händen. Morgen werdet ihr alle erfahren, wie es ihr geht.“
„Matt hat Recht“, stimmte Luke zu und legte Dean seine Hand auf die Schulter. „Gehen wir heim. Du auch, mein Freund. Wir können hier nichts mehr tun. Morgen beginnen wir damit die Bar wieder aufzuräumen. Ich befürchte, du wirst ohnehin ein paar Tage schließen müssen, bis alles wieder richtig gesichert ist.“
Dean sah total fertig aus. Sein Gesicht war noch immer staubig und seine Sachen schmutzig von der Rettungsaktion. Trotzdem schüttelte er entschlossen den Kopf.
„Ich werde zu Caroline in die Klinik gehen und abwarten, was die Ärzte sagen.“ Er löschte das Licht im OCEANS und verschloss die Tür. „Sobald es etwas Neues gibt, melde ich mich.“
„Ich fahre dich hin“, bot Mitch an und öffnete die Tür seines Chevy, der schräg gegenüber geparkt stand.
„Wir sollten auch mitfahren“, meinte Matt und griff nach Danielles Hand, doch sie hielt ihn zurück.
„Bitte sei mir nicht böse“, sagte sie leise. „Aber ich würde lieber mit den anderen nach Hause gehen. Robyn scheint mir nach dem ganzen Schreck ziemlich durcheinander. Außerdem ist sie extra wegen mir hierher geflogen, und ich fürchte, ich war vorhin doch ein bisschen streng mit ihr.“
Matt nickte verständnisvoll.
„Aber natürlich. Du solltest dich ein wenig um deine Schwester kümmern. Sie steht dort drüben neben Randy und sieht aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.“ Er zog sie an sich und küsste sie. „Ich hätte diese Nacht zwar viel lieber mit meiner zukünftigen Frau verbracht, aber heute scheint irgendwie alles anders zu verlaufen als geplant. Wir sehen uns morgen, Liebling!“
Danielle lächelte.
„Ich verspreche dir, wir holen alles nach, was wir heute versäumt haben.“
„Das werden wir. Morgen, übermorgen und für immer. Und nun los, kümmere dich um Robyn.“ Er zwinkerte ihr zu. „Ich werde am Nachmittag pünktlich da sein und bin schon gespannt, was das für eine Überraschung ist, die du dir ausgedacht hast.“
Danielle nickte.
„Sie wird dir gefallen, glaub mir. Bis morgen!“
*
Gut verborgen hinter den Dünen stand ein dunkel gekleideter Mann mit einem Fernglas und beobachtete interessiert das Geschehen vor dem OCEANS. Sein besonderes Interesse galt den beiden Menschen, die sich dort eben zärtlich verabschiedeten. Ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht, als er sah, wie der Mann mit zwei anderen in einen Wagen stieg und in Richtung Sunset City Memorial fuhr, während die junge Frau mit einigen anderen Leuten gemeinsam die entgegengesetzte Richtung einschlug.
„Dumm gelaufen, Bruderherz“, murmelte er und ließ das Fernglas sinken.
Der fahle Schein der Strandlaternen beleuchtete sein Gesicht, und das Mondlicht spiegelte sich gespenstig in seinen kalten Augen. „Das heute wäre definitiv deine letzte Chance auf eine Nacht mit Danielle gewesen. Aber du hast es vermasselt, wie immer.“
Zufrieden ging Mason Shelton-Castillo zurück zu seinem Wagen.
Sein Plan stand fest...
*
Es dauerte nur ein paar Minuten, dann hatte sich die kleine Menge zerstreut, und die Straße lag wieder ruhig und friedlich da, als wäre überhaupt nichts geschehen.
Auch in der Bar selbst war es still. Dunkelheit hüllte den riesigen Raum ein, wo eben noch fröhlicher Lärm, Licht und Musik gewesen war.
Langsam legte sich der feine Staub auf Tische, Stühle, auf den Tresen und die Treppe, die nach unten führte.
Die gespenstische Stille wirkte fast bedrohlich und wurde nur ab und zu unterbrochen von einem leisen, kaum hörbaren Klopfen, das in immer größer werdenden Abständen aus dem eingestürzten Gang im Keller drang und irgendwann verstummte...