Mister und Misses Hamilton hätten mit Sicherheit sehr gut in ein Wachsfigurenkabinett gepasst, als sie nach Carolines Ankündigung wie versteinert dastanden und ihre Tochter sowie deren Ehemann anstarrten, als kämen beide geradewegs von einem anderen Planeten.
„Ge-hhei...“, brachte Sophia nur heraus, während ihr Unterkiefer langsam nach unten klappte.
Annullieren! Das war das einzige Wort, das Edward nach den ersten Schrecksekunden durch den Kopf schoss. Sofort annullieren!
Doch er kam nicht mehr dazu, es auszusprechen, denn zu seinem Unglück war ausgerechnet Cloe die äußerst brisante Neuigkeit zu Ohren gekommen.
„Oh mein Gott! Herzlichen Glückwunsch!“, schmetterte sie derart lautstark durch den Raum, dass sich alle anwesenden Gäste erstaunt nach ihr umblickten. Sie eilte auf Caroline zu, um die junge Frau freudestrahlend in die Arme zu schließen. „Das ist ja vielleicht eine Überraschung, Schätzchen!“ Anerkennend nickte sie der Tochter ihrer Freundin zu. „Ich muss schon sagen, einen strammen Burschen hast du dir da ausgesucht!“
Sie drehte sich zu Dean um und umarmte auch ihn.
„Und Sie, junger Mann, Sie sind daran schuld, dass alle Junggesellen von Sunset City in Zukunft schlaflose Nächte haben werden, weil Sie ihnen das schönste Mädchen der Stadt einfach vor der Nase weggeschnappt haben!“
„Vielen Dank, Cloe“, erwiderte Caroline mit einem vorwurfsvollen Seitenblick auf ihre immer noch unbeweglich dastehenden Eltern. „Wenigstens eine Person in diesem Haus, die sich mit uns freut.“
Cloe stutzte und folgte ihrem Blick. Über den Rand ihrer Sonnenbrille hinweg beäugte sie Sophia und Edward kritisch und zog die Stirn in Falten.
„Hey, ihr Partylöwen! Eure Tochter hat euch eben verkündet, dass sie geheiratet hat! Das sollte eigentlich ein Grund zum Jubeln sein! Wenn man euch zwei Trauerweiden allerdings sieht, könnte man eher denken, dass ...“
„Halt die Klappe Cloe!“, fiel ihr Edward äußerst ungnädig ins Wort. „Geh und hol dir einen Drink!“
Cloe musterte ihn einen Augenblick lang stumm und lächelte dann in ihrer unerschütterlich optimistischen Art.
„Sieh an, sieh an... unser charmanter Gastgeber. Dein Wunsch sei mir Befehl, Prinz Charming!“ Sie drehte sich gekonnt auf dem Absatz ihrer hochhackigen Pumps um und ging zurück zu den übrigen Gästen, denen sie natürlich nicht länger vorenthielt, was es neben der Hauseinweihung zusätzlich noch zu feiern gab.
„Das hast du ja wieder toll hinbekommen“, fauchte Sophia ihren Ehemann an. „Du hast sie beleidigt!“
„Diese unmögliche Person kann man gar nicht beleidigen“, erwiderte Edward abfällig und zerrte zornig an seiner Krawatte. Sophia versuchte möglichst damenhaft ihre Wut zu zügeln.
„Diese unmögliche Person, wie du sie nennst, mein Lieber, ist zufällig eine meiner besten Freundinnen!“ Sie raffte ihr Kleid und schritt hoch erhobenen Hauptes eilig in den Salon. „Cloe, warte bitte!“
„Na toll!“ Caroline maß ihren Vater mit vorwurfsvollem Blick und verschränkte abwartend die Arme vor der Brust. „Nun Daddy, willst du uns nicht wenigstens endlich gratulieren?“
„Gratulieren? Wozu?“, fauchte er unerbittlich. „Zum größten Fehler deines Lebens?“
„Daddy!“, rief sie entrüstet, doch sein Gesicht blieb unversöhnlich.
„Hast du ihn einen Ehevertrag unterzeichnen lassen?“, fragte er mit einem vernichtenden Seitenblick auf Dean und beantwortete gleich selbst seine Frage. „Natürlich nicht…“
„Ich will Ihr Geld nicht, Mister Hamilton“, erklärte Dean sofort mit Nachdruck.
„Aber ich will mein Geld“, erklärte Caroline beleidigt. „Und bevor du mir, wie angedroht, alle Konten sperren lässt, teile ich es von nun an lieber mit meinem Ehemann.“
„Dann teilt mal schön, solange ihr noch etwas zum Teilen habt“, knurrte Edward sarkastisch und zerrte ein weiteres Mal ungeduldig an seiner Krawatte. „Entschuldigt mich jetzt bitte, ich muss mich um meine Gäste kümmern. Wir reden später.“ Mit diesen Worten ließ seine Tochter und deren frischgebackenen Ehemann einfach stehen und mischte sich unter die anwesenden Besucher.
Caroline starrte ihm fassungslos nach und drehte sich dann zu Dean um.
„Es tut mir so leid...“, begann sie, doch er legte ihr sacht einen Finger auf den Mund.
„Schscht. Ganz ruhig“, sagte er zärtlich und lächelte verschmitzt. „Wir haben doch beide gewusst, dass sich die Begeisterung deines Vaters in Grenzen halten würde, nicht wahr? Ich kann damit leben. Fragt sich nur, ob du es auch kannst, Baby.“
„Oh ja“, erwiderte Caroline voller Überzeugung und streckte trotzig das Kinn vor. „Und ob ich das kann!“ Sie forderte Luke und Robyn, die ob dieser grotesken Szene noch immer peinlich berührt an der Seite standen, mit einem Kopfnicken auf, ihr zu folgen, hakte sich bei Dean ein und schritt stolz in den Salon, um die ersten Glückwünsche der überraschten Gäste entgegenzunehmen.
*
„Es tut mir leid, Cloe!“ Sophia fasste nach dem Arm ihrer Freundin und zwang sie auf diese Weise stehenzubleiben. „Edward meint es nicht so.“
Cloe lachte amüsiert.
„Das solltest du vielleicht eher deiner Tochter sagen, meine Liebe“, erwiderte sie kühl. „Mich bringt man nicht so leicht aus der Fassung, ich habe ein dickes Fell. Aber Caroline und ihr überaus charmanter Ehemann sind diejenigen, die ihr mit eurem merkwürdigen Verhalten vor den Kopf gestoßen habt.“
Sophia nickte schuldbewusst.
„Ja, ich weiß. Ich werde später mit Caroline sprechen, wenn Edward sich beruhigt hat.“
„Später?“ Cloe umfasste Sophias Schultern und zwang sie auf diese Art, sie anzusehen. „Soll ich dir mal etwas sagen? Wenn ich eine so großartige Tochter hätte, und die wäre heute hier aufgetaucht und hätte mir gesagt, dass sie den Mut gehabt hat, auf ihr Herz zu hören und der Liebe eine Chance zu geben, dann wäre ich vor Stolz und vor Freude auf den Tisch gesprungen und hätte es laut verkündet! Aber nein, die Familie Hamilton muss die Sache erst einmal auf höchstem Niveau dramatisieren. Und warum? Weil Seine Durchlaucht, König Edward, nicht vorher um Erlaubnis gefragt worden ist.“ Sie schnaufte verächtlich. „Mein Gott, Sophia, nichts ist schlimmer als so ein egoistischer, engstirniger Familientyrann!“
„Ach Cloe, so schlimm ist er nun auch wieder nicht“, seufzte Sophia, griff sich vom Tablett eines vorübereilenden Kellners ein volles Sektglas und stürzte es in einem Zug hinunter.
„Wow“, kommentierte Cloe trocken. „Das hast du jetzt gebraucht!“
Die Freundinnen sahen sich einen Augenblick lang schweigend an und brachen dann in lautes Gelächter aus.
„Wieso läufst du eigentlich die ganze Zeit über mit dieser unmöglichen Sonnenbrille herum?“, fragte Sophia, als sie sich beide einigermaßen beruhigt hatten.
Cloe sah sich vorsichtig um. Nachdem sie sicher war, dass keiner der Gäste sie beobachtete, lüftete sie wortlos die Brille.
„Oh... oh...“, brachte Sophia angesichts der in allen erdenklichen Farben der Natur schillernden Augenpartie heraus, die unter der Brillen-Tarnung zum Vorschein kam. „Bist du vor eine parkende Limousine gerannt?“
Cloe grinste.
„Eine parkende Faust trifft es eher.“
„War er das, dein neuer Lover?“
„Ronald Austin?“ Cloe schüttelte entrüstet den Kopf. „Ich bitte dich, Sophia! Du kennst ihn doch auch, der würde nie im Leben eine Frau schlagen! Nein, diese nette Kleinigkeit habe ich jemand ganz anderem zu verdanken.“
Sophia nickte.
„Ah ja, verstehe. Estelle Austin hat Wind von eurer Affäre bekommen und fordert nun mit schlagkräftigen Argumenten ihren Ehemann zurück.“
„Wieder falsch, meine Liebe. Auf Estelle wäre ich vorbereitet gewesen. Nicht vorbereitet dagegen war ich auf eine Konkurrentin, die anscheinend der Meinung ist, sie habe ältere Rechte auf Ron.“
Sophia zog überrascht die Augenbrauen hoch.
„Und wer sollte das sein?“
„Schätzchen, das errätst du nie!“
„Komm schon, spuck es endlich aus!“
„Okay, okay. Ron hatte eine Suite im HILTON in Bel Air gebucht, als diese Kampfmaschine plötzlich mitten in der Nacht vor unserer Tür aufgetaucht ist. Bevor ich begriff, dass es sich nicht um den Zimmerservice handelte, hat sie ausgeholt und mir dieses Ding verpasst. Ich solle meine Krallen von Ron lassen, meinte sie, während ich ein wahres Sternenfeuerwerk vor meinen Augen tanzen sah. Dann rauschte sie davon, und der Spuk war vorbei.“
Sophia verdrehte ungeduldig die Augen.
„Cloe... Wer war sie?“
„Deine alte Freundin Kelly Morano!”
*
Nachdem sich Edward zur Beruhigung seiner immer noch zum Zerreißen gespannten Nerven einen Cognac an der Bar genehmigt hatte, war er, zumindest nach außen hin, fast wieder der Alte. Geschmeidig lächelnd und durch und durch ein perfekter Gastgeber und Gentleman plauderte er mit seinen Gästen, zeigte sich gespielt zufrieden über die Heirat seiner Tochter und begrüßte auch zwei verspätete Neuankömmlinge galant und mit der ihm eigenen Herzlichkeit.
„Oh, unser kühner Firmen-Pilot Mitch Capwell! Herzlich willkommen! Dr. Yamada, Sie sehen ganz bezaubernd aus!“
Die Männer reichten sich die Hand, während Suki, die in ihrem wundervollen dunkelroten Chanelkleid in der Tat hinreißend aussah, dem Gastgeber geschmeichelt lächelnd zunickte.
„Vielen Dank.“
Mit einer einladenden Handbewegung wies Edward ins Innere des Hauses.
„Amüsiert euch gut und fühlt euch wie zu Hause.“
„Danke, das werden wir“, erwiderte Mitch, übergab der herbeieilenden Rosita das mitgebrachte Blumenbudget und nahm Sukis Arm. „Bitte gib mir Bescheid, falls du Matt irgendwo siehst“, raunte er ihr zu.
Sie blickte sich mit einem aufgesetzten Lächeln sogleich suchend um.
„Wir werden ihn schon finden.“
*
Matt war eine Weile ziellos herumgeschlendert und hatte mit diesem und jenen Gast ein paar flüchtige Worte gewechselt, bevor er beschloss, sich für eine Weile aus dem Partytrubel zurückzuziehen. Er trat hinaus auf die dezent beleuchtete Veranda und stellte erleichtert fest, dass diese bisher noch menschenleer war.
Mit dem Glas in der Hand lehnte er sich ans Geländer und genoss die Ruhe und den erfrischend kühlen Nachtwind. Es war eine herrliche sternenklare Nacht, und sofort drifteten seine Gedanken in eine bestimmte Richtung.
Danielle... Wo mochte sie jetzt sein? Fühlte sie sich auch so allein wie er? Stand sie vielleicht auch irgendwo draußen und starrte in den von Milliarden Sternen erleuchteten Himmel?
Da, eine Sternschnuppe!
„Komm zu mir zurück, Danielle“, flüsterte er in die Nacht hinaus. „Das ist der einzige Wunsch, den ich habe.“
„Hier steckst du also!“
Erstaunt drehte Matt sich um.
Im eleganten dunklen Anzug lehnte Mitch am Türrahmen und grinste etwas unbeholfen. Zum ersten Mal seit ihrer Auseinandersetzung standen sich die beiden Freunde wieder gegenüber.
„Was willst du?“, fragte Matt abweisend.
Mitch musterte ihn nachdenklich.
„Suki hatte recht, du siehst nicht besonders gut aus.“
„Vielen Dank. Es geht mir auch nicht besonders.“
„Matt, hör mal, ich...“
„Lass gut sein, Mitch, bemüh` dich nicht“, unterbrach Matt ihn und wandte sich ab. „Ich komme schon klar.“
Mitch war mit zwei Schritten bei ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Matt! Bitte glaub nicht, dass mir unsere Freundschaft nichts bedeuten würde. Es ist nur so, dass ich Danielle Diskretion versprochen habe, und wie du weißt, pflege ich meine Versprechen zu halten. Alles andere wäre gegen meine Prinzipien.“
Matt lächelte bitter.
„Ja, das weiß ich. Was ich allerdings nicht verstehe, ist die Tatsache, dass du als mein bester Freund dich von mir abgewandt hast, ohne mir auch nur die Spur einer Chance zu geben, mich zu rechtfertigen. Genauso wie Danielle. Sie ist ohne ein Wort einfach weggegangen, und alles, was ich will, ist noch einmal mit ihr zu reden, um ein paar Dinge zwischen uns klären.“
Mitch zog erstaunt die Augenbrauen zusammen.
„Aber du hast doch mit ihr geredet! Du hast ihr auf eine sehr unschöne Art zu verstehen gegeben, dass eure Beziehung für dich offiziell beendet ist, und sie für dich neben Marina nur...“
Matt unterbrach ihn, indem er abwehrend die Hände hob.
„Okay, sie hat erfahren, dass Marina ein Kind von mir erwartet, aber das ist doch noch lange kein Grund, einfach wegzulaufen, ohne mit mir darüber zu reden!“
„Und was ist mit deinem Besuch bei ihr, als du ihr sagtest, dass du dich für Marina entschieden hättest? Das war übrigens nicht das einzige, was du gesagt hast. Sie war derart schockiert über dein Verhalten, dass sie nur noch weg wollte.“
„Wovon zum Teufel redest du? Danielle war bereits fort, als ich sie an jenem Tag abholen wollte, und du hast mich behandelt wie einen Schwerverbrecher, anstatt mir zu helfen und mir zu sagen, wo ich sie finden kann!“
Verwirrt schüttelte Mitch den Kopf.
„Aber du warst doch vorher schon einmal da, und danach war sie völlig außer sich!“
„Nein, nicht an diesem Tag.“ Ungläubig starrte Matt seinen Freund an. „Hat sie das etwa behauptet?“
„Ja, verdammt nochmal!“ Mitch fuhr sich nervös mit den Fingern durch sein widerspenstiges blondes Haar. Matt schüttelte ratlos den Kopf.
„Das verstehe ich nicht. Ich bin von der Firma aus direkt zu ihr gefahren, da war sie bereits weg. Ich habe Danielle an jenem Tag überhaupt nicht gesehen!“
„Eigenartig.“ Mitch trat an die Brüstung der Veranda und starrte hinaus in die Dunkelheit. Er konnte sich nicht erklären, wieso Matt etwas Anderes behauptete als Danielle. Warum sollte einer von beiden lügen?
„Aber egal, wie dem auch sei“, versuchte er einzulenken. „Suki und ich sind jedenfalls der Meinung, dass du mit Danielle unbedingt noch einmal in Ruhe über alles reden solltest. Und deshalb werde ich um unserer Freundschaft willen gegen alle persönlichen Regeln verstoßen und dir sagen, wo du sie findest!“
Vieles von dem, was Mitch ihm vorwarf, war Matt noch unklar, doch er stellte keine weiteren Fragen, sondern atmete tief durch und nickte erleichtert. Wenn dieser unfähige Privatdetektiv, den er heimlich engagiert hatte, anscheinend nicht in der Lage war, Danielle ausfindig zu machen, so würde er jetzt wenigstens von Mitch endlich erfahren, wo er sie finden konnte.
„Also gut. Wo ist sie?“
„Warte Mitch“, erklang plötzlich eine Stimme hinter ihnen, und beide fuhren erstaunt herum. An der Verandatür stand Marina und sah mit großen Augen von einem zum anderen.
Matt straffte die Schultern.
„Marina! Was tust du hier?“
„Stefano hat mich angerufen“, erwiderte sie und legte wie schützend die Hände über ihren Bauch. „Hast du noch nicht mit ihm gesprochen?“
„Worüber?“, fragte Matt irritiert.
Sie schwieg und nagte nervös an ihrer Unterlippe. Nach kurzem Zögern wandte sie sich an Mitch.
„Bitte lass mich kurz mit Matt allein, ich habe ihm etwas sehr Wichtiges zu sagen. Ich glaube, danach wird es dir leichter fallen, das Versprechen zu brechen, dass du Danielle gegeben hast.“
*
Danielle hatte soeben ihre Wohnungstür aufgeschlossen, als sich die Tür der Nachbarwohnung öffnete. Misses Housman, eine nette, alleinstehende Dame um die Achtzig, kam herausgeschlurft. Sie war klein und zierlich und hatte es stets im Kreuz, weshalb sie immer etwas gebückt ging.
„Miss Belling?“
Danielle mochte die alte Dame, auch wenn diese zuweilen etwas neugierig war. Immerhin war sie die Einzige hier in diesem Haus, die man ab und zu einmal zu sehen bekam, und die sich für ihre Nachbarn interessierte.
„Hallo Mrs. Housman“, grüßte sie freundlich. „Ich hoffe, ich habe Sie nicht aufgeweckt.“
„Nein Kindchen, ich habe noch nicht geschlafen. In meinem Alter braucht man nicht mehr so viel Schlaf. Ich wundere mich nur, dass Sie schon zurück sind! Sagten Sie nicht, Sie wären das ganze Wochenende verreist?“
„Es ist leider etwas dazwischengekommen“, erklärte Danielle. „Ich muss arbeiten.“
„Oh, das ist schade.“ Misses Housman schob ihre Brille, die ihr auf die Nase gerutscht war, ein Stück höher und blinzelte unter ihren grauen Löckchen hervor. „Sie hatten heute Besuch, meine Liebe. Ein junger Mann. Er war gestern Abend schon einmal da, und vor ein paar Stunden hat er sehr lange vor Ihrer Tür gewartet. Ich bin dann hinausgegangen und habe ihm gesagt, Sie seien verreist und kämen erst morgen wieder.“
Danielle zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
„Ein junger Mann? Hat er irgendetwas gesagt?“
„Er war sehr nett und höflich und hat sich bei mir bedankt. Er meinte, er käme noch einmal vorbei, wenn Sie zurück sind. Dann ist er gegangen.“
„Wie sah er denn aus?“
Misses Housman verzog nachdenklich das Gesicht.
„Er war groß und schlank, mit dunklem Haar. Wenn ich es mir recht überlege, er sah wirklich gut aus. Wie aus der TV-Werbung. Ein äußerst attraktiver Mann!“
´Matt!´, dachte Danielle, und ihre Herzfrequenz stieg bedrohlich an, ohne dass sie auch nur das Geringste dagegen tun konnte.
„Vielen Dank, Misses Housman“, sagte sie betont ruhig und rang sich mühevoll ein freundliches Lächeln ab. „Wer immer das auch war, er wird sich sicher wieder melden. Gute Nacht!“ Sie schloss schnell die Tür hinter sich, um den neugierigen Blicken der Nachbarin zu entgehen.
„Er war hier! Er hat nach mir gesucht“, flüsterte sie und lehnte sich verträumt lächelnd an den Türrahmen.
Doch wenige Augenblicke später verdüsterte sich ihre Miene wieder.
Weswegen sollte Matt sie suchen? Er hatte sich doch klar und deutlich für Marina entschieden! Sicher war nur irgendein Vertreter an der Tür gewesen, oder jemand vom Krankenhaus, der ihr sagen wollte, dass sie zum Dienst kommen sollte.
„Hör endlich auf zu träumen, Belling“, schalt sie sich verärgert und begann zielstrebig, ihre Sachen für den Nachtdienst in der Klinik zusammenzupacken, wobei sie den unbekannten Besucher hartnäckig aus ihren Gedanken zu verdrängen versuchte.
*
Nachdem Mitch die Veranda verlassen hatte, wandte sich Marina an Matt und sah ihn zunächst schweigend an. Allerdings vermochte sie seinem prüfenden Blick nicht lange Stand zu halten und senkte schuldbewusst die Augen. Er konnte deutlich spüren, wie nervös sie war.
„Wo bist du gewesen?“, fragte er. „Ich muss dringend über einige Dinge mit dir reden!“
„Entschuldige“, murmelte sie leise. „Ich bin einfach verschwunden, weil ich mir eingeredet habe, dass sich damit alle meine Probleme von allein lösen würden. Aber das ist Unsinn. Ich habe dadurch alles nur noch viel schlimmer gemacht. Stefano hat mir die Augen geöffnet.“
„Von welchen Problemen sprichst du? Und was hat dein Bruder damit zu tun?“
„Es geht um mein Baby.“
Er sah sie an.
„Du meinst, unser Baby.“
Marina atmete tief durch und nahm all ihren Mut zusammen.
„Nein Matt. Mein Baby, nicht deines. Ich habe dich angelogen.“
Die Stille, die darauf folgte, schien geradezu erdrückend.
Matt schaute seine Ex-Frau an, als würde er sie zum ersten Mal in seinem Leben sehen, und dieser Blick traf sie mitten ins Herz.
„Sag doch bitte etwas“, wisperte sie schließlich mit tränenerstickter Stimme, doch er drehte sich wortlos um und starrte hinaus in die Nacht. Seine Hände umklammerten das Geländer so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.
„Ich habe es geahnt“, flüsterte er schließlich kopfschüttelnd. „Ich konnte nichts für dieses Kind empfinden. Ich hatte die ganze Zeit über das Gefühl, dass du mich belügst.“ Abrupt drehte er sich wieder zu ihr um.
„Warum?“, herrschte er sie an. „Nenn mir einen einzigen verdammten Grund, warum du mir das angetan hast?“
Marina stand da wie ein Häufchen Unglück.
„Weil ich dich zurückhaben wollte. Ich wollte, dass alles so wird wie früher.“
„Mit so einer Lüge wolltest du mich halten?“ Er strich sich fassungslos über die Stirn.
„Matt, bitte hör mir zu!“
„Nein, du wirst mir zuhören!“ Er war mit zwei Schritten bei ihr, packte sie fest bei den Schultern und sah ihr in die Augen. „Du hast unsere Ehe zerstört, indem du bei Nacht und Nebel einfach mit meinem Bruder durchgebrannt bist. Ich habe lange, sehr lange gebraucht, bis ich den Schmerz darüber einigermaßen verwunden hatte. Und als ich Danielle kennenlernt habe, und mir mein Leben endlich nach Jahren wieder lebenswert erschien, da kommst du plötzlich zurück und glaubst, alles wäre wie früher. Und als das nicht funktioniert hat, hast du mich dazu gebracht, mit dir...“
„Nein!“, rief Marina verzweifelt. „Nein Matt, auch das war eine Lüge!“
Er zog erstaunt die Augenbrauen hoch und sie nickte verzweifelt.
„Ich habe dir an dem Abend ein starkes Schlafmittel in den Champagner getan. Ich wusste damals bereits, dass ich schwanger war, und du solltest glauben, dass...“
„Ich fasse es nicht! Wie hinterhältig muss man eigentlich sein, um auf eine solche abartige Idee zu kommen? Du hast wirklich sehr schnell von meinem Bruder gelernt, dass muss ich dir lassen.“ Er sah sie an und kniff nachdenklich die Augen zusammen. „Von wem bist du nun eigentlich schwanger, Marina?“
Sie wand sich unter seinem festen Griff.
„Du tust mir weh“, flüsterte sie und wagte nicht ihm in die Augen zu sehen.
Matt begriff und verzog schmerzlich sein Gesicht.
„Oh nein. Das kann doch nicht wahr sein! Natürlich, jetzt geht mir ein Licht auf! Ein Zwilling sieht aus wie der andere. Du wolltest, dass ich Masons Baby als mein eigenes großziehe!“ Er ließ sie so abrupt los, dass sie rückwärts taumelte und sich an einem der Tische halten musste. Er selbst trat ebenfalls einen Schritt zurück. Angewidert schüttelte er den Kopf. „Das ist so krank!“
„Matt!“ Marina streckte ihre Hand nach ihm aus, doch er wich noch weiter zurück und seine Augen blitzten voller Verachtung.
„Ich glaube, ich brauche jetzt einen Drink.“ Er griff nach dem noch vollen Glas, das er vorhin achtlos beiseitegestellt hatte und stürzte den Inhalt wahllos hinunter. Er spürte weder das darauffolgende Brennen in seiner Kehle, noch hörte er, wie Marina leise die Veranda verließ. Er war wie betäubt.
Minutenlang starrte er in die Dunkelheit, und dann plötzlich, ohne dass er etwas dagegen tun konnte, begann er hysterisch zu lachen, während ihm gleichzeitig Tränen über die Wangen liefen. Er kam erst wieder zu sich, als ihm jemand mit festem Griff die Hände auf die Schultern legte.
„Matt?“
Er drehte sich um und sah sich erneut Mitch gegenüber.
„Matt, was ist los?“
„Es war alles ein Irrtum, Mitch“, erwiderte dieser und wischte sich übers Gesicht. „Eine riesengroße, gemeine Lüge, auf die ich wie ein dummes Kind hereingefallen bin. Aber jetzt, mein Freund, jetzt will ich nur noch eines: Ich möchte endlich wissen, wo ich Danielle finde!“
*
„Du solltest die Hochzeit unserer Tochter endlich offiziell verkünden, Edward“, forderte Sophia ihren Ehemann zu später Stunde ungeduldig auf. „Das bist du ihr schuldig! Die Leute reden sonst.“
„Die reden sowieso schon“, erwiderte er total sauer. Als er Sophias warnenden Blick sah, fügte er sich grollend. „Na schön! Wenn dir so viel daran liegt.“
Er nahm sich ein gefülltes Champagnerglas und gab der Band ein Zeichen. Die hörte augenblicklich auf zu spielen und sofort trat Stille ein.
„Liebe Gäste“, begann Edward. „Heute ist für die Familie Hamilton ein ganz besonderer Abend, den keiner von uns so schnell vergessen wird.
Nicht nur die Einweihung unseres neuen Hauses gilt es zu feiern, auch ein anderes wichtiges Ereignis hat uns alle überrascht...“
Der Türgong unterbrach seine Rede. Kurz darauf kam Rosita hereingeeilt und flüsterte Sophia aufgeregt etwas zu.
Sekunden später betraten zwei Polizisten in Uniform, sowie ein Detektiv des Police Departement, gefolgt von Chief Henderson den Salon.
„Guten Abend allerseits“, grüßte der Detektiv pflichtbewusst. „Wir bitten die späte Störung zu entschuldigen, Herrschaften.“
„Darf ich fragen, was dieser Überfall zu bedeuten hat?“, fragte Edward sichtlich erbost.
„Das werden wir Ihnen sofort erklären, Sir.“ Der Detektiv gab den beiden Polizisten ein Zeichen, worauf diese sich links und rechts neben dem Hausherrn postierten.
„Was zum Teufel...“, begann Edward wütend, doch Chief Henderson, der Chef des örtlichen Police Department, unterbrach ihn ungerührt und mit lauter Stimme:
„Mister Hamilton, ich verhafte Sie hiermit wegen mutwilliger Zerstörung von öffentlich geschütztem Gelände, wegen des Verdachtes auf schwere Körperverletzung in zwei Fällen und wegen Anstiftung zum Mord.“
„Waaas?“ Edward glaubte sich verhört zu haben. Sophia war mit wenigen Schritten bei ihrem Mann.
„Was soll das heißen, Detektiv?“, fragte sie entsetzt. „Ich verstehe das nicht! Was genau wirft man meinem Mann vor?“
„Die Unterschlagung von Plänen, die besagen, dass in Wirklichkeit mehr Strandhöhlen vorhanden sind als angegeben, was zur Gefährdung öffentlicher Sicherheit und schließlich zum Einsturz einer Höhle geführt hat“, begann der Detektive aufzuzählen und ließ Edward dabei nicht aus den Augen. „Weiterhin der illegale Auftrag zur Sprengung jener Strandhöhle, die den Strand mit dem OCEANS verband. Hinzu kommt noch...“
„Moment mal… du warst das?“ Fassungslos starrte Caroline ihren Vater an. „Du hast die Höhle sprengen lassen, in der ich verschüttet wurde?“
Bevor ihn jemand zurückhalten konnte, hatte sich Dean einen Weg durch die Menge gebahnt und packte Edward wütend am Jackett.
„Sie elender Mistkerl! Sie hätten um ein Haar Ihre eigene Tochter umgebracht!“
„Dean... nicht!“, schrie Caroline erschrocken, und die bereitstehenden Officer konnten gerade noch verhindern, dass die beiden Männer aufeinander losgingen. Gewaltsam zerrten sie Dean von Edward weg. Der Immobilienmogul rückte erschrocken und unangenehm berührt seine Krawatte zurecht. Das Ganze war wirklich oberpeinlich!
Durch die schweren Anschuldigungen gefährlich in die Enge getrieben, ging er zum Gegenangriff über.
„Ich verlange, dass Sie sofort mein Haus verlassen!“, herrschte er Chief Henderson und seine Kollegen an. „Wir befinden uns hier auf einer privaten Feier und Ihr Auftritt ist absolut unsinnig und lächerlich!“
„Was hier unsinnig ist und was nicht, wird sich noch klären“, erwiderte Henderson ungerührt. „Machen Sie keine Schwierigkeiten, Sir, und folgen Sie uns jetzt aufs Revier.“
„Ich denke nicht daran!“, brüllte Edward außer sich vor Wut. „Verschwinden Sie auf der Stelle, oder ich sorge dafür, dass Sie ab morgen die Gosse vor dem Revier kehren!“
„Schluss jetzt!“, donnerte Henderson nun seinerseits und wandte sich an seine Kollegen. „Klärt ihn über seine Rechte auf, damit wir endlich gehen können.“
„Mich braucht niemand über meine Rechte aufzuklären!“
Ungeachtet dessen ratterte der zuständige Officer der Aufforderung seines Vorgesetzten folgend monoton den gewünschten Text herunter.
„Sie haben das Recht zu schweigen, Sie haben das Recht...“
Edward hörte gar nicht hin. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken wild durcheinander, während sich die Handschellen unerbittlich um seine Handgelenke schlossen.
„Gehen wir!“ Der Officer packte seinen Arm.
Mit einem energischen Ruck befreite sich Edward aus seinem Griff.
„Fassen Sie mich nicht an“, fauchte er und blickte wütend in die Gruppe der Uniformierten. „Das werdet ihr mir büßen, verdammt!“
Fassungslos starrten alle auf die Tür, als der Gastgeber von den Polizisten nach draußen geführt wurde. Man hätte eine Stecknadel fallen hören, so still war es plötzlich im Raum.
Chief Henderson trat auf Matt zu, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte.
„Mr. Matthew Shelton? Ich muss Sie bitten, uns ebenfalls zu begleiten. Als Geschäftspartner von Mr. Hamilton benötigen wir Ihre Aussage und haben einige wichtige Fragen an Sie.“
„Kann das nicht warten?“, fragte Matt etwas ungehalten. „Ich habe noch eine dringende Verabredung!“
„Tut mir leid, aber ich muss darauf bestehen“, erwiderte der Chief streng und blickte in die Runde. „Ist eine Miss Rodriges anwesend?“
„Sie hat die Party bereits verlassen, Sir“, erwiderte Rosita eilig.
„Na gut, dann befragen wir sie morgen. Gehen wir, Mr. Shelton.“
Mit einer Handbewegung bedeutete der Detektiv Matt, ihm vorauszugehen.
„Einen Augenblick bitte!“
Matt trat zu Sophia, die bleich wie ein Gespenst an der Wand lehnte.
„Kommst du klar?“, fragte er sie leise und sie nickte mechanisch.
„Ich habe ja Caroline.“ Hilfesuchens blickte sie sich nach ihrer Tochter um. „Du bleibst doch, oder?“
Caroline nickte.
„Natürlich bleiben wir bei dir, Dean und ich“, erwiderte sie mit fester Stimme. „Du kannst ja nichts dafür!“ Dann wandte sie sich an die umstehenden Gäste.
„Meine Herrschaften, ich darf Sie jetzt im Namen meiner Eltern bitten zu gehen. Die Party ist zu Ende!“
Matt folgte Henderson nach draußen.
„Wie lange wird das alles denn dauern?“, fragte er vorsichtig.
Der Beamte hob die Schultern.
„Das kommt auf die Umstände an“, erwiderte er vage. „Wenn Mr. Hamilton sich kooperativ zeigt, wird sich alles relativ schnell klären.“
´Der zeigt sich mit Sicherheit alles andere als kooperativ!´, dachte Matt resigniert und malte sich in Gedanken wehmütig aus, wie dieser verrückte Abend für ihn hätte enden können.
´Warte auf mich, Danielle´, bat er insgeheim sehnsüchtig. ´Ich bin so bald wie möglich bei dir, und dann klären wir endlich alle Missverständnisse zwischen uns!´
*
Kurz vor Mitternacht betrat Mason sein Hotelzimmer. Die Beleuchtung ließ er aus. Die Laternen der Strandpromenade draußen tauchten den dunklen Raum in ein spärliches Licht, doch das genügte ihm.
Er zog sein Jackett aus und warf es achtlos auf die Couch. Dann ging er zum Fenster und öffnete es weit. Während die kühle Nachtluft ins Zimmer strömte, atmete er tief durch und starrte zufrieden lächelnd in die Nacht hinaus.
Ein leises Klopfen an der Tür ließ ihn herumfahren.
„Ja bitte?“
Cynthia trat ein und blinzelte in die Dunkelheit.
„Mason?“
„Was willst du?“
„Warum stehst du hier im Dunkeln?“
„Das geht dich nichts an.“
„Soll ich das Licht einschalten?“
„Nein.“
Er hörte, wie sie beleidigt die Luft einsog.
„Wo warst du den ganzen Tag? Ich konnte dich nirgends erreichen!“, meinte sie vorwurfsvoll.
Langsam begann sie wirklich lästig zu werden.
„Ich kann dich erreichen, wenn ich dich brauche. Also, was gibt es Wichtiges?“
Cynthia würgte mühsam ihren Ärger hinunter.
„Ich komme soeben von der Hamilton-Party. Noch habe ich zwar keine konkreten Beweise, aber ich spüre, dass in der Firma etwas vorgeht.“
„Und was genau?“
„Keine Ahnung, aber Matthew war heute Vormittag in Edwards Zimmer und hat irgendwas gesucht. Ich habe das Gefühl, er misstraut ihm und sucht nach Beweisen, um seinen Partner festzunageln.“
„Ich würde Edward Hamilton auch keinen Meter weit trauen“, erwiderte Mason sarkastisch. „War das alles?“
„Ja.“
„Dann sehen wir uns morgen. Gute Nacht, Cynthia!“
Sie hörte den Nachdruck in seiner Stimme, blieb einen Augenblick lang zögernd stehen und verließ dann wortlos das Zimmer.
Mason drehte sich wieder um, massierte mit den Fingerspitzen seine inzwischen fast schon pausenlos schmerzenden Schläfen und starrte weiter hinaus in die Nacht.
Wen, zum Teufel, interessierte die Firma!
Im Augenblick gab es weitaus wichtigere Dinge für ihn.
„Du läufst nicht länger vor mir davon, Danielle Belling! Irgendwann wirst du von deinem verdammten Wochenendtrip zurückkommen, und dann werde ich da sein.“