„Danielle?... Danielle!“
Erschrocken fuhr sie aus ihren Gedanken hoch und hätte fast die Kaffeetasse umgestoßen, die noch unangerührt auf dem Veranda-Tisch stand. Matt, verschwitzt von seinem Morgenlauf und ziemlich außer Atem, hockte sich vor ihr nieder und umfasste liebevoll ihre Knie. „Du bist noch da? Musst du denn nicht zur Arbeit?“
„Nein“, erwiderte sie etwas zerstreut und lächelte. „Ich habe heute frei.“
„Davon hast du mir ja gar nichts erzählt“, wunderte er sich. „Ich hätte den Tag anders geplant, um Zeit für dich zu haben.“ Er blickte kurz zur Uhr. „Ich könnte Ronda anrufen und ihr sagen, dass ich heute später ins Büro komme. Was meinst du?“
„Genau aus diesem Grund habe ich es nicht erwähnt. Schließlich hast du im Augenblick eine Firma zu retten! Wenn du nicht für Ordnung sorgst, wird die HSE schneller untergehen als einst die Titanic.“
„Das wird sie wahrscheinlich sowieso.“
„Nicht, wenn du es verhinderst.“
„Ich wünschte, ich wäre so zuversichtlich wie du“, seufzte er und strich sich über die schweißnasse Stirn. „Ich weiß momentan gar nicht, wo ich anfangen soll in all dem Chaos, das Edward mir hinterlassen hat.“
„Wenn es einer schafft, dann du “, erwiderte Danielle voller Überzeugung und nickte ihm aufmunternd zu. „Ich werde in der Zeit, in der du weg bist, meine Sachen einräumen, bei Suki und Mitch vorbeischauen und anschließend mit Robyn einen kleinen Stadtbummel machen. Du siehst, mein Tag ist bereits verplant.“
„Und was ist mit dem Abend?“
„Den halte ich natürlich für dich frei. Wie wär`s, wenn ich uns etwas Leckeres koche?“
„Das wäre fantastisch!“
Als Matt ein paar Minuten später frisch geduscht und umgezogen die Treppe herunterkam, fand er Danielle noch immer auf der Veranda sitzend vor. Er trat hinter ihren Korbsessel und schlang zärtlich seine Arme um sie.
„Was hast du in LA am meisten vermisst? Mich... oder diesen Ausblick aufs Meer, von dem du dich anscheinend gar nicht losreißen kannst.“
Sie legte ihren Kopf an seine Wange.
„Die Sonnenuntergänge sind dort nicht dieselben wie hier.“
„Sie waren hier auch nicht halb so schön ohne dich“, flüsterte er und ließ seine Lippen spielerisch über ihren Hals wandern. „Du hast mir so wahnsinnig sehr gefehlt. Vielleicht sollte ich doch Ronda anrufen?“
Lachend befreite sie sich aus seiner Umarmung und stand auf.
„Nein, das wirst du nicht. Raus mit dir!“
Matt seufzte.
„Ich werde so schnell wie möglich zurückkommen, und dann führen wir unsere Unterhaltung genau an der Stelle weiter, an der wir eben aufgehört haben.“ Er küsste sie noch einmal zum Abschied, dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
Danielle sah ihm nach und ihr Lächeln verschwand.
´Das, was heute hier geschehen ist, wird Matt nie erfahren. Es sei denn, ich will, dass er es erfährt!´
Würde er sie immer noch so lieben, wenn es wirklich wahr wäre, dass...
Sie wagte gar nicht daran zu denken.
*
Fernando Antonio Cortez – ein stiller, streng gläubiger Mann mit breiten Schultern und einem freundlichen Lächeln. So hatten Stefano, Manuel und Marina ihren Vater aus frühester Kindheit in Erinnerung behalten. Er war erst seit drei Jahren tot, doch für Dolores war er bereits vor vielen Jahren gestorben, damals, als er sie und ihre drei kleinen Kinder verließ, um sein Leben einer anderen zu widmen, die er mehr liebte: der Kirche.
An jenem Tag war etwas in ihr zerbrochen, und sie hatte den Mann, den sie geliebt und dem sie drei Kinder geschenkt hatte, mit einer geradezu fanatischen Konsequenz aus ihrem Leben und ihrem Gedächtnis verbannt. Ihren Kindern erzählte sie, Gott hätte ihren Vater für immer zu sich geholt, und das war ja in gewissem Sinne noch nicht einmal gelogen.
Wenn sie in einer stillen Stunde dennoch ab und zu an ihn zurückdachte, dann nur voller Wehmut und Groll. Nein, sie konnte ihm nicht vergeben, nicht einmal über den Tod hinaus.
Und doch träumte sie in dieser Nacht von ihm...
Sie konnte sich nicht erinnern, ihren willensstarken, ausgeglichenen Mann irgendwann einmal wütend erlebt zu haben, nicht einmal an jenem schicksalhaften Tag, als er sie verließ. In ihrem merkwürdigen Traum jedoch erschien er ihr so deutlich wie nie zuvor und ging hart mit ihr ins Gericht. Er nannte sie eine engstirnige, verbitterte Frau mit verschrobenen Moralvorstellungen und warf ihr vor, ihren Kindern bereits seit vielen Jahren mit ihrem übertriebenen Misstrauen und ihren unbegründeten Vorurteilen das Leben unnötig schwer zu machen, und sie mit ihrem Verhalten einen nach dem anderen regelrecht aus dem Haus zu treiben, genauso, wie sie ihn damals vertrieben hatte.
Träume sind Schäume. Dieser jedoch war alles andere als das.
Am Morgen, nachdem sie schweißgebadet aufgewacht war, hatte sich jedes einzelne Wort von ihm in ihr Gedächtnis gebrannt.
Blass und geistesabwesend ging sie schließlich hinunter in der Küche, um das Frühstück zu bereiten und wäre beinahe über zwei große Gepäckstücke gestolpert wäre, die gleich neben der Tür im Hausflur standen.
.„Dios mio!“, schimpfte sie ungehalten, doch bevor ihr richtig klar wurde, was ihr da den Weg versperrt hatte, kam Stefano mit einer weiteren Reisetasche die Treppe herunter und küsste seine Mutter im Vorübergehen flüchtig auf die Wange.
„Entschuldige bitte, Mama, ich bringe das alles nur eben nach draußen in den Wagen!“
„Und was ist... das alles?“, erkundigte sich Dolores vorsichtig und maß ihren ältesten Sohn mit einem misstrauischen Blick. „Wo willst du mit den Sachen hin?“
Stefano warf die Tasche in seinen Wagen, den er vor dem Eingang geparkt hatte. Dann kam er zurück und nahm die Koffer auf.
„Claudia und ich verreisen“, sagte er beiläufig, ohne dabei in seiner Tätigkeit innezuhalten.
„Wie bitte?“ Dolores sah ihn so entsetzt an, als hätte er eben seinen endgültigen Auszug angekündigt. „Ja aber... Musst du denn nicht arbeiten?“
„Nein“, erwiderte Stefano und schloss draußen geräuschvoll die Klappe des Kofferraumes. „Ich habe Urlaub, und den werde ich gemeinsam mit Claudia verbringen. An einem Ort, wo sie sich von den Strapazen der letzten Wochen gut erholen kann.“
Madame Dolores stand wie vom Donner gerührt.
„Aber, du kannst doch nicht einfach...“
Stefano, bereits auf dem Weg nach oben, blieb auf dem Treppenabsatz stehen und drehte sich zu seiner Mutter um.
„Was kann ich nicht, Mama?“, fragte er und zog missbilligend die Stirn in Falten. „Mit Claudia verreisen?“
„Ja“, erwiderte Dolores erbost. „Immerhin ist sie die Frau deines Bruders!“
„Sie war die Frau meines Bruders. Sie ist nicht mehr mit ihm verheiratet“, stellte Stefano richtig. „Das ist ein entscheidender Unterschied.“
„Aber das gehört sich nicht“, unternahm Dolores einen weiteren verzweifelten Versuch, ihren Sohn von seinem Vorhaben abzubringen. „Und außerdem ist diese Frau nicht die Richtige für dich!“
Stefano kam langsam wieder die Stufen herunter. Dicht vor seiner Mutter blieb er stehen. Sein Gesicht hatte einen Ausdruck angenommen, der sie mit einem Mal sehr stark an seinen Vater erinnerte. Und an den Traum von letzter Nacht...
„Hör endlich auf damit!“, sagte er leise, dafür aber mit einer Entschlossenheit, die sie erschreckte. „Ich liebe Claudia, ob es dir passt oder nicht, und ich werde künftig sehr viel Zeit mit ihr verbringen, um herauszufinden, ob sie dasselbe für mich empfindet. Es wäre gut für uns alle, wenn du endlich akzeptierst, dass ich mein eigenes Leben führe. Hast du verstanden?“
Dolores kniff verbittert die Lippen zusammen.
„Rede nicht so mit deiner Mutter!“, brachte sie mühsam hervor.
Stefano schüttelte enttäuscht den Kopf.
„Du willst es nicht verstehen, oder? Na gut, ich werde jetzt ganz ehrlich zu dir sein: Es ist mir egal, was du darüber denkst. Und zwinge mich bitte nicht, zwischen dir und Claudia zu entscheiden. Diese Entscheidung würde dir sicher nicht gefallen!“ Damit drehte er sich um und ging davon.
Madame Dolores starrte ihm fassungslos nach.
So stand sie immer noch da, als Stefano Minuten später mit Claudia die Treppe herunterkam. Sie war nicht sicher, ob diese das Gespräch zwischen ihr und Stefano gehört hatte und maß die junge Frau mit einem angespannten Blick, doch Claudia ließ sich nichts anmerken. Sie hatte seit ihrem Unfall fleißig an ihrer Motorik gearbeitet und konnte bereits wieder recht gut laufen.
„Auf Wiedersehen, Madame Dolores“, sagte sie kühl und ging hinaus zum Wagen. Stefano küsste seine Mutter zum Abschied auf die Wange.
„Warte!“, rief Dolores eilig, als er Claudia nach draußen folgen wollte. „Wohin... Ich meine... Wo kann ich dich denn erreichen?“
Stefano drehte sich mit einem vielsagenden Lächeln um.
„Ich werde mich irgendwann melden. Und wenn du zwischendurch ein paar Tage nichts von uns hörst, sei unbesorgt, Mama. Claudia und mir geht es ganz sicher hervorragend.“
Madame Dolores stand da und starrte auf die Tür, die hinter ihm ins Schloss fiel. Erst als sie hörte, wie Stefanos Wagen aus der Einfahrt fuhr, ging sie langsam und schwerfällig in die Küche und sank, erschöpft wie nach einem verlorenen Kampf, auf einen der Stühle.
*
Lustlos knabberte Caroline an ihrem Toast.
Sie saß unten in der Küche, nachdem sie sich nach wer weiß wie langer Zeit ihr Frühstück selbst bereitet hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals hier gesessen zu haben, ohne dass Rosita in der Küche herumwerkelte.
Caroline hatte die Haushälterin entlassen müssen. Sie hatte kein Geld, um Rosi weiter zu bezahlen. Damit diese treue Seele jedoch nach so vielen Jahren nicht mit leeren Händen gehen musste, hatte sie ihr einige kostbare Stücke des Familienschmuckes überlassen, Stücke, die Sophia gehörten, und die sie nicht mitgenommen hatte, damit Caroline sie bekam. Wertvolle Dinge, an denen eine Menge Erinnerungen hingen. Rosita würde sie sicher verkaufen, um von dem Geld eine Weile leben zu können.
Caroline nippte an ihrem Kaffee und schüttelte sich. Er schmeckte bitter, und genauso war ihr auch zumute.
Was war nur geschehen?
Binnen weniger Stunden hatte sich ihr ganzes Leben verändert. Sie fühlte sich unsagbar allein und verlassen. Alles schien irgendwie aus der Bahn zu laufen. Mum, Dad und Rosita, sie alle waren feste Bestandteile ihres bisherigen Lebens gewesen. Nun waren sie weg.
Was war ihr geblieben?
Eine Villa, die sie so schnell wie möglich verkaufen musste, um sich von dem Geld eine neue Existenz aufzubauen.
Und Dean?
Ein Lächeln zog über Carolines Gesicht. Natürlich, sie hatte ja noch Dean.
Sie war nicht allein.
Er lag oben und schlief, nachdem er gestern Abend sehr spät nach Hause gekommen war. Die überraschenden Neuigkeiten, von denen er berichtete, hatten sie die halbe Nacht nicht schlafen lassen.
Jemand hatte das OCEANS gekauft. Eine Frau, die sehr reich war und die ihm angeboten hatte, auch weiterhin in der Bar zu arbeiten. Mehr wusste sie nicht über diese geheimnisvolle Eden Hollister.
Wer war sie? Wie war sie? Hässlich und fett oder schlank und attraktiv, nett oder arrogant und vielleicht außergewöhnlich intelligent? Nach Deans äußerst spärlichen Aussagen war sie wohl noch sehr jung. Er hatte sie sehr vage als „relativ uninteressant“ bezeichnet, ohne näher darauf einzugehen, was genau er damit meinte. Die Tatsache, dass er sich so bedeckt hielt, machte Caroline stutzig. Die Dame musste ihn ziemlich beeindruckt haben. Nun, sie würde sie ja heute kennenlernen, wenn Dean sich im OCEANS mit ihr traf, um ihr seine Entscheidung mitzuteilen.
Sie würde ihn einfach begleiten.
Caroline erhob sich und räumte ihre Tasse weg. Den angeknabberten Toast warf sie in den Mülleimer. Er schmeckte nicht annähernd wie sonst, wenn Rosita ihn nicht zubereitet hatte. Ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt, denn die Erkenntnis traf sie wie ein Faustschlag in den Magen:
Nie wieder würde etwas so schmecken, als wenn Rosita es zubereitet hatte.
Das Läuten des Telefons riss sie aus ihren trüben Gedanken.
„Ja bitte?“
„Caroline?“ Es war Matts Stimme. „Ich habe gute Nachrichten. Es gibt einen Interessenten für die Villa. Er wird sich heute Nachmittag bei dir melden.“
*
Den Albtraum noch immer vor Augen, der sie in der letzten Nacht gequält hatte, und der unangenehme Gedanke, dass sich Stefano ausgerechnet in die Frau verliebt zu haben schien, die am wenigsten in ihre Pläne passte, begann Madame Dolores irgendwann mechanisch damit, sich ein Frühstück aus Kaffee und Toast zu bereiten, als es an der Tür läutete.
Es war Marina.
„Hallo Mama, ich wollte auf dem Weg ins Medical Center kurz bei dir vorbeischauen...“ Als sie Dolores versteinertes Gesicht sah, unterbrach sie sich erschrocken. „Mama, was ist denn los? Geht es dir nicht gut?“
„Nein“, erwiderte Dolores kurz angebunden und ging zurück in die Küche.
Beunruhigt folgte ihr Marina.
„Was ist denn passiert?“
„Ich hatte einen Traum“, murmelte Dolores und setzte sich schwerfällig an den Tisch. „Vermutlich hatte er Recht.“ Sie stützte den Kopf in ihre Hand und starrte vor sich hin. Marina ließ sich, nichts Gutes ahnend, gegenüber ihrer Mutter nieder und griff beunruhigt nach deren Hand.
„Wovon sprichst du? Wen meinst du?“
Madame Dolores hob langsam den Kopf und sah ihrer Tochter in die Augen.
„Fernando, euer Vater. Ich habe von ihm geträumt.”
„Mama“, versuchte Marina ihre Mutter zu beschwichtigen, doch Dolores redete unbeirrt weiter. „Ich habe euch bevormundet. Ich habe mich ständig in euer Leben eingemischt und euch mit meinem Hass und meinen Vorurteilen unglücklich gemacht, nachdem er uns damals verlassen hat. Erst Manuel, dann dich. Und jetzt wollte ich Stefano ausreden, dass...“
Marina streichelte beruhigend ihre Hand.
„Du hast uns kein Unglück gebracht, Mama“, unterbrach sie ihre Mutter mit einem nachsichtigen Lächeln. „Du hast das getan, was jede Mutter tut: du wolltest deine Kinder beschützen, solange es möglich war. Vielleicht hast du es manchmal etwas übertrieben mit deiner Fürsorge, aber wir selbst haben auch Fehler gemacht. Große Fehler.“ Sie biss sich nachdenklich auf die Lippen und nickte dann entschlossen. „Aber wir sind inzwischen alt genug um damit klarzukommen. Und was Stefano betrifft, der lässt sich bestimmt nichts ausreden, was einmal in seinem Kopf drin ist!“
Dolores hob den Kopf und sah ihre Tochter an.
„Er ist mit dieser Claudia Raines in den Urlaub gefahren!“
„Mama“, erwiderte Marina und versuchte dabei wenigstens einigermaßen geduldig zu klingen. „Claudia heißt mit Nachnamen Cortez, und ich finde nichts verkehrt daran, dass Stefano sich in sie verliebt hat.“
„Du weißt davon?“
„Jeder, der Augen im Kopf hat, kann es sehen.“
Dolores senkte den Kopf und presste verbittert die Lippen aufeinander.
„Jeder“, murmelte sie. „Nur ich nicht.“
„Weil du es nicht sehen wolltest.“
„Ja, vielleicht.“
Marina lächelte nachsichtig.
„Denk an den Traum, von dem du mir eben erzählt hast. Er hat bestimmt einen tieferen Sinn. Stefano hat in letzter Zeit richtig glücklich ausgesehen. Und du willst doch immer, dass er glücklich ist. Genauso wie Manuel. Also akzeptiere die Dinge endlich, wie sie sind.“ Da sie keine Antwort bekam, stand sie auf, ging zu ihrer Mutter und legte ihr liebevoll die Hände auf die Schultern. „Manuel ist seinen eigenen Weg gegangen, auch wenn du mit seiner Entscheidung nie einverstanden warst. Stefano ist gerade dabei, seinen Weg zu finden. Lass die beiden endlich los, sie werden dir dafür dankbar sein.“
Madame Dolores hob den Kopf und sah ihre Tochter an.
„Wie geht es deinem Baby?“
Es war das erste Mal, dass sie diese Frage stellte.
Überrascht blickte Marina auf.
„Es geht ihm gut. Besser als mir“, erwiderte sie mit leiser, gepresster Stimme und wollte sich abwenden, doch Dolores fasste nach ihrer Hand und zwang sie, ihr in die Augen zu sehen.
„Ja, ich weiß. Und auch du wirst tun, was du tun musst“, nickte sie lächelnd und stand auf. Langsam wandte sie sich um und ging zur Hintertür. Nachdenklich blickte sie hinaus in den Garten, den sie in letzter Zeit ziemlich vernachlässigt hatte. „Ich glaube, ich muss mich endlich um die Dinge kümmern, die wirklich meine Hilfe benötigen. So, wie dieses verwilderte Stück Erde hier draußen.“ Sie öffnete die Tür und atmete tief durch. „Wenn du mich brauchst, ich bin in meinem Garten.“
*
Danielle klopfte an das Sprechzimmer von Dr. Suki Yamada und steckte vorsichtig den Kopf durch den Türspalt. Die Schwester am Empfang vom Medical Center hatte ihr verraten, dass gerade kein Patient anwesend war.
Die junge Ärztin saß am Schreibtisch und schrieb etwas in ihre Unterlagen. Erstaunt blickte sie hoch. Angesichts der unerwarteten Besucherin überzog sofort ein strahlendes Lächeln ihr Gesicht.
„Danielle!“ Erfreut sprang sie auf und lief zur Tür, um die Freundin zu umarmen. „Wie schön, dass du endlich wieder da bist! Lass dich ansehen...“ Prüfend sah sie ihr ins Gesicht. „Und, bist du glücklich?“
Danielle nickte lächelnd.
„Ja, das bin ich, Suki. Scheint so, als würde mein Leben langsam wieder in Ordnung kommen.“
„Los, setz dich.“ Suki zog sie zum Schreibtisch. „Möchtest du einen Kaffee?“
„Nein, danke. Ich will dich nicht lange aufhalten, sicher hast du noch eine Menge zu tun. Ich bin auf dem Weg zu Mitch und wollte nur eben schnell Hallo sagen.“
Suki warf einen Blick auf die Uhr.
„Die nächste Patientin kommt erst in einer Viertelstunde. Solange haben wir Zeit.“ Sie beugte sich vor und musterte Danielle gespannt. „Na komm, erzähl mir, was ist in den letzten zwei Tagen alles passiert? Mitch hat zwar schon einiges verraten, aber ich will es von dir hören. Ich platze sonst vor Neugier!“
Danielle lachte. Sukis ehrliche und unbeschwerte Art tat ihr gut. Sie lehnte sich entspannt zurück und begann zu erzählen...
*
Noch immer nachdenklich über das Gespräch mit ihrer Mutter machte sich Marina auf den Weg ins Medical Center, wo sie bei Dr. Yamada einen weiteren Vorsorgetermin hatte. Ihre anfänglich gute Laune war auf den Gefrierpunkt gesunken, hatte ihr doch das Verhalten ihrer Mutter ihre eigenen schwerwiegenden Fehler wieder deutlich vor Augen geführt. Ihr ganzes Leben war ein einziger Scherbenhaufen, und so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte sich einfach nicht auf ihr Baby freuen. Schon bald würde das kleine Wesen, das da in ihr heranwuchs, das Licht der Welt erblicken, obwohl es eigentlich niemand haben wollte, nicht einmal die eigene Mutter.
Das war bitter, und sie musste sich eingestehen, dass sie dieser Gedanke schmerzte.
„Vielleicht wäre es besser, aus Sunset City wegzugehen und irgendwo ganz neu anzufangen“, dachte sie voller Wehmut, als sie plötzlich, völlig in ihren eigenen Gedanken versunken, an der Eingangstür zum Medical Center mit jemandem zusammenstieß.
„Entschuldigung“, murmelte sie und blickte erschrocken auf, genau in zwei braune Augen, die ihr sehr bekannt vorkamen. Danielles Augen.
„Marina.“ Danielle trat einen Schritt zurück und musterte sie kühl. „Wie geht es Ihnen?“
Instinktiv legte Marina eine Hand wie schützend auf ihren bereits deutlich gewölbten Leib.
„Danke, es geht mir den Umständen entsprechend gut“, erwiderte sie und bemühte sich, ihrer Stimme einen einigermaßen festen Klang zu geben, während sie versuchte Danielles Blick standzuhalten. „Sie sind also wieder zurück?“
„Ja, ich bin wieder hier, weil Ihre kleine Intrige zum Glück nicht funktioniert hat. Matt hat mir alles erzählt.“
Marina presste beschämt die Lippen aufeinander.
„Es tut mir leid, Danielle. Was ich getan habe, war unverzeihlich“, sagte sie leise und senkte schuldbewusst die Augen. „Ich habe mich in meiner Panik in etwas verrannt, ohne an die Konsequenzen zu denken.“
„Ach ja?“ Danielle verzog missbilligend das Gesicht. „Ich glaube eher, Sie haben bei der ganzen Sache ausschließlich an die Konsequenzen gedacht! Sie hätten Matt völlig gewissenlos Masons Baby als sein eigenes großziehen lassen. Alle Achtung, meine Liebe, es gehört schon eine ganze Portion Kaltblütigkeit dazu, für den Rest seines Lebens mit so einer Lüge zu leben.“
„Danielle!“ Marina trat einen Schritt auf sie zu und hob beschwichtigend die Hände. „Glauben Sie mir, ich wollte niemandem absichtlich wehtun! Ich hatte nur furchtbare Angst, plötzlich ganz allein dazustehen, allein mit einem Baby.“
„Warum haben Sie Mason nicht gesagt, dass Sie ein Kind von ihm erwarten?“
Matts Ex-Frau schüttelte energisch den Kopf.
„Oh nein, er hätte niemals ein Kind gewollt. Er wäre sicher auch kein guter Vater gewesen. Und nun ist er tot.“
„Nein, das ist er nicht.“
„Wie bitte?“
„Mason ist nicht tot. Er ist nach seiner Flucht aus Sunset City eine Zeitlang in Südamerika untergetaucht, und vor ein paar Tagen kam er nach LA, wo er einen schweren Unfall hatte. Er liegt dort in der Klinik.“
Marina trat zurück und umklammerte mit beiden Händen so fest das Geländer, dass die Knöchel an ihren Händen weiß hervortraten.
„Oh mein Gott!“
Danielle bemerkte, wie in Sekundenschnelle alle Farbe aus dem Gesicht der jungen Frau gewichen war und sprang schnell hinzu, als Marina plötzlich gefährlich schwankte.
„Kommen Sie, es ist besser, Sie setzen sich erst einmal.“
Willenlos ließ sich Marina durch den Vorraum des Medical Centers zu einer der Besucher-Nischen führen. Mit zitternden Knien sank sie auf einen Stuhl, und vergrub ihr Gesicht fassungslos in beiden Händen, während Danielle die Schwester am Empfangstresen rasch um ein Glas Wasser bat. Erst nach einer Weile hob sie langsam den Kopf.
„Wie geht es ihm?“, fragte sie mit zitternder Stimme.
Danielle reichte ihr das Glas mit dem Wasser. Abschätzend betrachtete sie die junge Frau, während diese trank. Sollte sie ihr wirklich die Wahrheit sagen? Würde sie das in ihrem Zustand verkraften?
Dann jedoch erinnerte sie sich schmerzlich daran, dass Marina Cortez-Sheltons ungeborenes Kind bereits ganz andere Gefühlschwankungen seiner Mutter hatte verkraften müssen. Gegen den Dauerstress, dem dieses bemitleidenswerte Baby bereits im Mutterleib ausgesetzt wurde, waren die Nachrichten, die sie ihr jetzt zu verkünden hatte, schon fast positiver Natur.
„Hören Sie“, begann sie vorsichtig. „Mason ist nicht mehr in Lebensgefahr. Aber er hat eine sehr schwere Gehirn-Operation hinter sich, von der er sich erst langsam erholen muss.“
„Woher wissen Sie das alles? Ich meine, immerhin hat Mason Ihnen nachgestellt und Sie damals fast umgebracht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie oder Matt ihn jetzt in irgendeiner Klinik besuchen!“
„Doch, das tun wir. Außerdem arbeite ich in dieser Klinik und war dabei, als er eingeliefert wurde.“
Marina maß sie mit ungläubigem Blick.
„Eine Gehirn-Operation, sagen Sie? Und welche Auswirkungen hat diese Operation?“
Danielle wägte ihre folgenden Worte sorgfältig ab.
„Mason verhält sich... anders als früher. Wir müssen abwarten.“
„Hat er bei dem Unfall einen Schlag auf den Kopf bekommen?“, fragte Marina sarkastisch.
„Tja, Sie werden es nicht glauben, aber so verkehrt liegen Sie mit Ihrer Vermutung gar nicht“, erwiderte Danielle mit einem bedeutungsvollen Lächeln.
„Sagen Sie mir bitte die Wahrheit“, forderte Marina eindringlich. „Was ist los mit ihm? Immerhin ist er der Vater meines Babys.“
„Dann sollten Sie ihn vielleicht besuchen und ihm das sagen.“
„Das wird er nicht hören wollen.“
„Wer weiß, das kommt auf einen Versuch an. Vorher sollten Sie jedoch mit Masons Arzt sprechen und sich von ihm erklären lassen, was los ist.“ Sie erhob sich und nickte Marina zum Abschied zu. „Ich muss jetzt gehen.“
„Danielle, wo finde ich Mason?“
„Im CENTINELA Hospital am Airport. Er liegt dort auf der Intensivstation.“
*
Eden Hollister warf einen Blick auf ihre zierliche, vergoldete Cartier-Armbanduhr und zog leicht missbilligend die Augenbrauen hoch, als Dean hereinkam.
„Eines sollten wir zu Beginn unserer Geschäftsbeziehung gleich klarstellen, Dean: Ich hasse es, wenn jemand unpünktlich ist.“
Dean grinste, um den Anflug von Nervosität zu überspielen, der ihn bei ihrem Anblick erneut überfiel. Sie sah aus wie ein Model aus einem dieser Hochglanzmagazine von Chanel. Diesmal trug sie ein eng anliegendes, weißes Kostüm, ein vollendeter Kontrast zu der schwarzglänzenden Limousine mit Fahrer, die draußen vor der Bar auf sie wartete. Ihre elegante Hochsteckfrisur wirkte lässig, doch er war sich sicher, dass irgendein begnadeter Hairstylist sie erst vor kurzer Zeit mit viel Aufwand erschaffen hatte. Der zarte Duft, der von ihr ausging, als er neben ihr an der Bar Platz nahm, war geradezu betörend.
„Eine Geschäftsbeziehung, Eden?“, erwiderte er gespielt lässig. „Sind Sie sicher, dass wir beide so etwas haben?“
Seine Bemerkung ignorierend zog sie einige Papiere aus ihrer Tasche und breitete sie auf dem Tresen aus.
„Hier sind die Verträge, Dean“, sagte sie. „Sie brauchen nur zu unterschreiben. Ich hoffe, Sie sind mit dem Gehalt, dass ich zahle, zufrieden.“
Dean überflog den Vertrag und spielte mit dem goldglänzenden Stift, den sie ihm reichte.
„Ich fürchte, ich habe keine andere Wahl. Da gibt es nur noch eine Kleinigkeit, die Sie vergessen haben.“
„Und die wäre?“
„Ich habe das OCEANS nicht allein geführt, sondern gemeinsam mit meiner Ehefrau Caroline.“
Eden musterte ihn unbeeindruckt aus ihren grünen Raubtieraugen.
„Ihre Ehefrau“, wiederholte sie mit schleppender Stimme, während ein spöttisches Lächeln ihre Lippen umspielte. „Nun, als Sie das OCEANS leichtfertigerweise dazu benutzt haben, um damit die Kaution für die Freilassung von Edward Hamilton zu stellen, haben Sie da auch an die kleine Caroline gedacht? Nein, Sie haben ihre Anteile genauso mit verpokert wie Ihre eigenen. Das war sehr dumm von Ihnen, Dean, und ich habe es nicht nötig, für die Dummheiten anderer Leute zu bezahlen.“ Sie beugte sich vor und funkelte ihn an. „Ich engagiere Sie für das OCEANS, niemanden sonst.“
´Miststück!´, dachte Dean verärgert, doch bevor er etwas erwidern konnte, lehnte sie sich wieder zurück und lächelte, als sei alles in bester Ordnung. „Außerdem sind Sie seit gestern offiziell von Caroline Hamilton geschieden, soviel ich weiß. Sie sind ihr zu nichts verpflichtet.“
Dean klappte der Unterkiefer herunter.
„Woher zum Teufel wissen Sie das?“
„Vergessen Sie nicht, ich verkehre in Kreisen, in denen man so gut wie alles weiß, mein Lieber.“ Sie tippte mit einem ihrer tadellos manikürten Fingernägel auf die Papiere. „Unterschreiben Sie nun oder nicht?“
*
Ärgerlich stand Caroline am Fenster und starrte hinaus.
Irgendwann an diesem Nachmittag würde dieser Unbekannte, der sich für die Villa ihrer Eltern interessierte, hier auftauchen, und deshalb musste sie warten und konnte Dean nicht ins OCEANS begleiten. Dabei hätte sie zu gern diese mysteriöse Eden Hollister kennengelernt. Sie konnte es sich nicht logisch erklären, doch sie hatte kein gutes Gefühl, was diese Frau betraf. Zum ersten Mal vermisste sie fast schmerzlich den Einfluss ihres Vaters, über den sie sich früher so oft geärgert hatte. Nur ein einziger Anruf von Edward, und Caroline hätte alles über Eden Hollister gewusst, angefangen von ihren gesamten Lebensgewohnheiten bis hin zur Marke ihres Toilettenpapiers.
Aber Edward war nicht mehr da, und sie musste sich allein helfen.
Zuerst einmal musste sie unbedingt diese Villa loswerden, alles andere würde sich finden.
Sie dachte an das Telefongespräch mit Matt und fragte sich zum hundertsten Male, wer wohl der geheimnisvolle Interessent sein möge. Matt hatte ihr nichts verraten. Er meinte nur, wer auch immer es sei, sie solle vorbehaltlos an die Sache herangehen.
Das hatte sie auch vor. Schließlich brauchte sie das Geld nötiger denn je, und wer konnte schon sagen, ob und wann sich ein neuer Käufer finden würde. Wenn der Preis stimmte, der ihr geboten wurde, dann konnte die Villa haben, wer immer sie wollte. Es war ihr egal....
Entschlossen straffte sie die Schultern, als es kurz darauf an der Tür läutete. Stolz erhobenen Hauptes öffnete sie... und erstarrte.
„Oh mein Gott... Sie?“