Bereits am Abend nach ihrem verhängnisvollen Sturz durfte Claudia das Krankenhaus wieder verlassen. Nachdem Doktor Mendes mit ihren Werten zufrieden war und zudem erfreut festgestellt hatte, dass die Patientin endlich ihre Amnesie überwunden zu haben schien und sich an die Geschehnisse in der Höhle rund um den Einsturz erinnern konnte, stand ihrer Entlassung nichts mehr im Wege. Stefano holte sie ab und fuhr mit ihr zu sich nach Hause.
Dort angekommen, begegneten sie Matt, der gerade in diesem Augenblick in seinem Wagen vom Grundstück fuhr. Die beiden Männer winkten einander kurz zu, bevor Matt das Tor passierte und auf die Straße abbog.
„War das eben Matt Shelton?“, fragte Claudia verwundert, während Stefano ihr beim Aussteigen half. Nicht minder erstaunt nickte er.
„Ich frage mich, was er hier gewollt hat.“
„Oh, das könnte ich mir gut vorstellen“, murmelte Claudia und dachte zum wiederholten Male an das Gespräch zwischen Marina und ihrer Mutter, das sie heute Morgen zufällig belauscht hatte, und das eigentlich der Grund für diesen dummen Sturz gewesen war. Sie hatte Stefano bisher noch nichts davon erzählt, weil sie nicht so recht abzuschätzen vermochte, wie er darauf reagieren würde. Schließlich ging es hier um seine Schwester.
„Was meinst du?“, fragte er auch prompt, während er seinen Arm fest um ihre Taille legte, um sie zu stützen, als sie langsam Schritt für Schritt zum Haus hinübergingen.
Claudia wurde zum wiederholten Mal bewusst, wie sehr sie seine Berührung genoss. Irritiert über ihre Gefühle verdrängte sie diesen Gedanken und versuchte sich schnell wieder auf das eigentliche Gesprächsthema zu konzentrieren.
„Vielleicht wollte Matt zu Marina. Immerhin erwartet deine Schwester ein Kind von ihm, wenn ich das richtig verstanden habe.“
„Ja leider. Ich kann es kaum glauben. Und ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache“, seufzte Stefano.
„Wieso? Ich dachte, die beiden waren früher mal miteinander verheiratet“, forschte Claudia vorsichtig. Er winkte lachend ab.
„Das ist richtig, sie waren verheiratet. Ein wenig spät, um jetzt eine Familie zu gründen.“
„Vermutlich lieben sie einander immer noch.“
Jetzt schüttelte Stefano entschieden den Kopf.
„Ich kenne Matt. Für ihn ist damals eine Welt zusammengebrochen, als Marina ihn wegen seines Bruders verlassen hat. Aber inzwischen hat er mit ihr und mit der Vergangenheit abgeschlossen, und zwar spätestens an dem Tag, als er diese Kleine aus Oklahoma kennenlernte, Danielle Belling. Die beiden waren so glücklich, und ich kann mir bis heute nicht erklären, warum er dennoch entgegen all seinen Prinzipien wieder etwas mit meiner Schwester angefangen haben sollte.“
Sie waren stehengeblieben, und Stefano sah Claudia lächelnd an, während er sanft den Druck seines Armes, mit dem er sie umfasst hielt, verstärkte.
„Aber das soll nicht unsere Sorge sein. Wichtig ist, dass es dir bald wieder richtig gut geht. Na komm, gehen wir hinein.“
Claudia überließ sich nur zu gern seiner Führung und setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Dennoch sie wollte das Thema noch nicht so schnell fallen lassen. Die Gelegenheit war günstig, und allem Anschein nach schien Stefano zu all dem eine ganz gesunde Meinung zu vertreten. Vielleicht sollte sie ihm doch erzählen, was sie inzwischen wusste.
„Hör mal, Stefano, ich habe da heute Morgen zufällig...“, begann sie, hielt jedoch mitten im Satz erschrocken inne, als die Haustür aufflog und Madame Dolores heraustrat.
„Ah, da seid Ihr ja endlich“, rief sie. „Ich habe euch bereits erwartet. Kommt herein, ich habe ein kleines Abendessen vorbereitet.“ Sie lächelte, doch ihre Augen blitzten warnend auf, als sie Claudias Blick begegnete. „Es freut mich, dass dir nichts Ernsthaftes geschehen ist, meine Liebe. Das Ganze hätte wirklich sehr böse enden können.“
*
Nachdenklich betrat Suki das Haus und warf ihre Tasche achtlos auf einen der Stühle. Aufstöhnend ließ sie sich aufs Sofa fallen und rieb sich die Stirn.
„Verflixt nochmal, wenn ich ihm doch einfach sagen könnte, was ich vermute“, seufzte sie leise, hielt jedoch kurz darauf nachdenklich inne. „ Aber vielleicht weiß er es ja bereits...“
„Was willst du mir sagen? Und was weiß ich bereits?“, ertönte Mitchs Stimme zärtlich an ihrem Ohr. Er war unbemerkt hinzugekommen und hatte ihr kurzes Selbstgespräch gehört. Lächelnd trat er dicht an sie heran und legte seine Arme liebevoll um ihre Schultern. „Lass mich raten, Shugar, du wolltest mir sagen, dass du mich liebst und begehrst wie keinen anderen auf der Welt, und dass du es kaum noch schaffst, die Finger von mir zu lassen. Aber dann hast du dir überlegt, dass ich das alles vielleicht bereits weiß.“
„Träum weiter“, lachte Suki und befreite sich aus seiner Umarmung. „Aber du hast Recht, ich muss wirklich dringend etwas mit dir bereden.“
„Okay.“ Er setzte sich ihr gegenüber in den Sessel. „Ich höre?“
Sie musterte ihn aufmerksam.
„Versprich mir, dass du nicht gleich wieder wütend wirst, wenn ich davon anfange.“
Er verzog das Gesicht wie ein kleiner Junge, dem man sein Spielzeug weggenommen hatte.
„Hey! Als ob ich schon jemals wütend war! Und schon gar nicht auf meine zukünftige Frau. Also Schatz, was bedrückt dich?“
„Es geht um Matt. Findest du nicht auch, er sollte endlich wissen, wo er Danielle finden kann?“
Mitch stutzte.
„Wie kommst du darauf? Hast du Matt getroffen?“
„Er war in der Klinik und ich habe mit ihm gesprochen“, verriet Suki. „Er tut mir leid.“
Mitch zeigte sich skeptisch.
„Warum sollte er Danielle finden wollen, nach allem, was geschehen ist?“
„Weil er sie liebt, und zwar mit jeder Faser seines Herzens.“
„Wenn das so ist, warum hat er ihr dann so wehgetan und ihr gesagt, er hätte sich für Marina entschieden?“
„Tja also, das versuche ich auch gerade herauszubekommen. Irgendetwas stimmt an der ganzen Sache nicht.“
Mitch lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
„Suki! Bitte gib mir keine Rätsel auf, sag mir einfach, was du zu sagen hast.“
Sie nickte entschlossen.
„Okay. Nehmen wir mal an, ich hätte da einen Weg gefunden, um Matt das, was ich vermute, mitzuteilen, ohne dass ich meine Schweigepflicht verletzen musste. Warum halten wir es mit dem Versprechen, das du Danielle gegeben hast, nicht einfach genauso?“
Mitch zog die Stirn in Falten.
„Und wie stellst du dir das vor?“
„Zum Beispiel könnte ich ihm sagen, wo Danielle zu finden ist. Schließlich weiß ich ebenfalls ihre Adresse, und ich habe niemandem etwas versprochen.“
Mitch sah sie lange an und schüttelte dann entschieden den Kopf.
„Nein. Darauf lasse ich mich nicht ein. Aber ich werde selbst mit ihm reden.“
Suki atmete befreit auf.
„Wann?“
„Sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt.“
*
Claudia und Stefano betraten die gemütliche Wohnküche, aus der es verführerisch duftete.
„Ich habe für euch gekocht“, erklärte Dolores bedeutungsvoll, während Stefano Claudia einen der Stühle an dem großen Esstisch zurechtrückte. „Was haltet ihr davon, dass wir uns zur Feier des Tages ausnahmsweise ein gutes Glas Wein genehmigen und darauf anstoßen, dass Claudia nichts Schlimmeres passiert ist“, fuhr sie fort. „Würdest du bitte eine Flasche aus dem Keller holen, Stefano?“
Er nickte, sichtlich erleichtert über die scheinbar friedliche Stimmung.
„Natürlich, sofort, Mama! Eine gute Idee.“ Er warf Claudia einen liebevollen Blick zu, der den wachsamen Augen seiner Mutter natürlich nicht entging. „Ich bin gleich zurück.“
Kaum war die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen, verschwand das Lächeln schlagartig aus Dolores Gesicht. Geradezu feindselig musterte sie ihre ehemalige Schwiegertochter.
„Schluss mit dem Theater. Sag mir jetzt, was hast du wirklich heute Morgen dort oben an der Treppe gemacht hast? Spionierst du uns nach?“
„Wie bitte?“ Claudia spürte, wie ihr alles Blut aus dem Gesicht wich. „Madame Dolores, ich kann Ihnen versichern...“
„Ich glaube dir kein Wort! Du hast gelauscht, als ich mich mit meiner Tochter unterhalten habe. Was solltest du denn sonst auf dem Flur gewollt haben?“ Sie schnaufte böse. „Aber ich warne dich, was auch immer du glaubst gehört zu haben, stimmt nicht! Im Ernstfall stünde dein Wort gegen meines, und mir wird man glauben, denn ich bin eine angesehene Persönlichkeit hier in Sunset City! Du würdest dich mit irgendwelchen Behauptungen nur lächerlich machen. Außerdem ist dein Gesundheitszustand nicht der allerbeste, und nach einem Sturz, bei dem man so unglücklich mit dem Kopf aufschlägt, bildet man sich so manche Dinge ein.“
Claudia glaubte sich verhört zu haben, aber sie spürte, wie ihr Respekt und ihre anfängliche Scheu vor dieser Frau allmählich einer ohnmächtigen Wut wich.
Jetzt war es genug!
Madame Dolores fand das nicht. Sie setzte noch eins oben drauf:
„Glaub mir, meine Liebe, ich kann sehr gut Gedanken lesen. Und ich weiß, was du vorhast, und warum du noch immer hier bist. Aber ich werde weder zulassen, dass du meiner Tochter mit irgendwelchen erfundenen Lügen schadest, noch werde ich tatenlos zusehen, wie du nun auch noch Stefano ins Unglück stürzt!“
Mit dem eben Gehörten war Claudias Toleranzgrenze deutlich überschritten. Sie atmete tief durch, und obwohl ihre Knie unter der ungewohnten Belastung noch immer zitterten, stand sie langsam auf. Diesmal fiel es ihr nicht schwer, Dolores` berühmt berüchtigtem magischen Blick standzuhalten.
„Was wollen Sie mir eigentlich noch alles unterstellen?“, fragte sie gerade heraus.
Die Antwort kam prompt.
„Wenn du nicht gewesen wärst, dann befände sich Manuel jetzt nicht in Mexiko!“
Claudia lächelte bitter und nickte.
„Ja, vielleicht. Aber wenn ich nicht gewesen wäre, dann hätte er auch sein Elternhaus niemals wieder betreten. Ich habe ihn erst davon überzeugen müssen, endlich zu vergeben und auf seine Familie zuzugehen. Und eines können Sie mir glauben, Madame Dolores: Hätte ich zu dieser Zeit schon den Grund dafür gekannt, warum er damals den Kontakt zu Ihnen und seinen Geschwistern abbrach, dann hätte ich ihm bestimmt nicht geraten, hierher zurückzukommen.“
„Du Hexe!“, entfuhr es Dolores.
Claudias Augen verengten sich.
„Ich bin bestimmt keine Hexe. Jedenfalls nicht so wie Sie. Aber Vorsicht, ich weiß mich auch ohne Kristallkugel zu wehren, wenn man mich zu Unrecht angreift.“
„Ist das eine Drohung, meine Liebe?“, fragte Dolores lauernd.
Claudia straffte die Schultern.
„Nein, das ist ein Versprechen. Lassen Sie es besser nicht darauf ankommen.“
In diesem Augenblick kam Stefano mit dem Wein zurück. Er spürte die angespannte Atmosphäre zwischen den beiden Frauen sofort.
„Etwas nicht in Ordnung?“, fragte er vorsichtig.
Claudia nickte.
„Allerdings. Würdest du mich bitte ins PAZIFIC INN bringen? Ich nehme mir dort so lange ein Zimmer, bis meine Arbeit in Sunset City erledigt ist.“
„Ja aber, was ist denn passiert?“
„Nichts, worüber es sich lohnen würde zu reden. Zumindest vorerst nicht.“
Claudia warf Madame Dolores einen bedeutungsvollen Blick zu. „Ich bin in diesem Hause nicht willkommen, also werde ich gehen.“
Als Stefano das verkniffene Gesicht seiner Mutter sah, schien er sehr schnell zu begreifen.
„Mama? Hast du etwas dazu zu sagen?“
Dolores hob nur gleichgültig die Schultern und wandte sich zum Herd um.
„Das Essen wird kalt“, sagte sie, als sei nichts gewesen und machte sich an den bereitgestellten Töpfen und Schüsseln zu schaffen.
„Mama!“, wiederholte Stefano mit Nachdruck und stellte die Weinflasche unsanft auf den Tisch. Claudia legte sofort beschwichtigend die Hand auf seinen Arm.
„Nicht...“
Stefano sah, dass sie zitterte und nickte verärgert.
„Ich weiß zwar nicht, was eben hier vorgefallen ist, aber anscheinend hat meine Mutter es wieder einmal geschafft, die Stimmung gründlich zu verderben.“ Er legte den Arm um Claudia und führte sie zur Tür. „Komm mit, wir fahren. Deine Sachen hole ich später.“
Dolores fuhr herum.
„Stefano! Du kannst doch jetzt nicht gehen, Junge! Was ist mit dem Essen?“
„Lass es dir schmecken“, erwiderte er ungerührt. „Mir ist der Appetit vergangen.“
*
„Waaas? Das darf ja wohl nicht wahr sein!“
Alex schaute ungläubig von einem zum anderen. Das, was er soeben von Claudia und Stefano zu hören bekommen hatte, war schier unvorstellbar.
Und doch...
Claudia hatte ihn, nachdem sie im PAZIFIC INN eingecheckt und ihr Zimmer bezogen hatte, zu sich gebeten, um ihm die notwendigen Neuigkeiten mitzuteilen. Er hatte sich zunächst gefreut, dass ihre Erinnerung an jene verhängnisvolle Nacht in der Höhle wieder zurückgekehrt war, doch was eben diese Erinnerungen für brisante Details in sich bargen, war geradezu sensationell. Es war kein einfacher Einsturz gewesen, und sein Team hatte bei den Messungen auch keinen Fehler gemacht, obwohl er und seine Mitarbeiter das Gefühl nicht loswerden konnten, dass eben diese Variante ihren Auftraggebern anscheinend am gelegensten gekommen wäre.
Nein, all das traf nicht zu.
Jemand hatte die Höhle sprengen lassen, bewusst, vorsätzlich und ohne Rücksicht auf Verluste. Und Alex ahnte ganz genau, wer dieser Jemand war.
Er lehnte sich zurück und atmete tief durch.
„Was wollt ihr jetzt tun?“
Claudia hob ratlos die Schultern.
„Keine Ahnung. Aber der Verantwortliche sollte keinesfalls ungeschoren davonkommen!“
„Und wer dieser Verantwortliche ist, steht ja außer Frage“, schnaufte Alex böse.
„Edward Hamilton. Er ist immerhin derjenige, der die ganze Zeit über mit allen erdenklichen Mitteln versucht hat, die Kosten für die Messungen so gering wie möglich zu halten, und der ständig hinterrücks gegen unsere Arbeit intrigiert hat. Außerdem war ihm das OCEANS sowieso ein Dorn im Auge, nachdem sein Versuch, es zu übernehmen, fehlgeschlagen ist. Seitdem bekannt wurde, dass die Höhle die Bar mit dem Strand verband, wollte er es unbedingt besitzen. Und wenn er es nicht bekommen konnte, dann sollten es andere auch nicht haben.“
„Das ergibt einen Sinn“, nickte Stefano. „Nur müssten wir ihm das erst einmal beweisen. Und so ein aalglatter Typ wie er hat bestimmt keine Spuren hinterlassen.“
„Vielleicht doch.“ Claudia hielt triumphierend den Kugelschreiber hoch. „Den hier habe ich in der Höhle gefunden, auf dem Boden direkt vor der Zeitschaltuhr. Er muss jemandem aus der Tasche gefallen sein. Es ist einer mit vergoldeter Spange, ein Werbegeschenk der HSE an besonders gute Kunden.“
„Interessant.“ Alex betrachtete den Stift von allen Seiten und sah Claudia dann bedeutungsvoll an. „Darf ich ihn vorübergehend behalten? Er ist zwar kein direkter Beweis, dass Hamilton die Sprengung veranlasst hat, aber er wird mir vielleicht helfen, ihn ein wenig aus der Reserve zu locken.“
„Und wie stellen Sie sich das vor?“, fragte Stefano gespannt.
Alex grinste.
„Tja also... ich habe da so eine Idee. Aber dazu brauche ich Ihre Hilfe, Stefano.“
*
„Mr. Hamilton? Alex Franklyn möchte Sie dringend sprechen!“
Edward verzog unmutig das Gesicht. Was wollte denn dieser Archäologen-Chef schon wieder von ihm?
Und überhaupt, war der mit seinem Team nicht bald mit der lästigen Höhlenschnüffelei fertig? Die Sache wurde ihm nämlich allmählich zu heiß!
Aber es half nichts. Er durfte keinen Verdacht erregen und musste vorerst gute Miene machen. Widerwillig drückte er auf den Knopf der Wechselsprechanlage.
„Schicken Sie ihn herein, Liz.“
Sekunden später stand Alex vor Edwards Schreibtisch.
„Entschuldigen Sie den spontanen Überfall, aber das, was ich mit Ihnen zu bereden habe, ist außerordentlich wichtig und duldet keinen weiteren Aufschub.“
Edward zog die Stirn in Falten, wies Alex jedoch an, sich zu setzen.
„Okay, machen Sie es kurz, ich bin etwas in Eile.“
Alex nestelte in seiner Jackentasche herum und zog Claudias Kugelschreiber hervor, mit dem er sofort Edwards Aufmerksamkeit auf sich lenkte, so dass dieser nicht bemerkte, wie sein Gast zur gleichen Zeit mit geübtem Griff einen kleinen Gegenstand unter der Tischplatte des Schreibtisches befestigte.
„Kommt Ihnen dieser Stift irgendwie bekannt vor?“
Edward verzog keine Miene, während er den Kugelschreiber eingehend betrachtete.
„Was ist damit?“
„Ist das ein Werbegeschenk Ihrer Firma?“
„Ja, aber nur an besondere Kunden.“
„Das ist gut, das schränkt den Kreis der Verdächtigen ein wenig ein.“
„Wie bitte? Welche Verdächtigen?“, rief Edward ungeduldig. „Wovon reden Sie, Mann?“
Alex beugte sich etwas vor.
„Von dem Einsturz der Strandhöhle, Sir. Oder sollte ich eher sagen, von der Sprengung der Höhle?“
In Edwards Gesicht regte sich kein Muskel.
„Sprengung? Waren Sie zu lange in der Sonne?“
„Ich kann Sie beruhigen, mein Verstand ist glasklar. Die Strandhöhle wurde vorsätzlich in die Luft gejagt, und ich wüsste nur zu gerne, wer den Auftrag dazu erteilt hat.“
„Anscheinend haben Sie zu viel Fantasie“, knurrte Edward. „Wer zum Teufel sollte denn so etwas tun?“
„Jemand, dem der Einsturz finanziellen oder anderen Nutzen bringt. Oder, um es anders auszudrücken, jemand, dem es nicht gefallen hat, dass das OCEANS durch die Verbindung zum Strand vielleicht zu einer neuen gewinnbringenden Touristenattraktion werden könnte, ohne dass die HSE am Gewinn beteiligt ist.“
„Jetzt reicht es aber!“
Erbost sprang Edward auf und hieb mit der Faust auf die Schreibtischplatte. „Was versuchen Sie mir hier eigentlich zu unterstellen, Franklyn?“
„Ich?“ Erstaunt blickte Alex ihn an. „Ich habe doch niemanden etwas unterstellt, am allerwenigsten Ihnen, Edward! Ich habe nur versucht, Gründe für die Tat zu finden.“
„Gründe, die eigenartigerweise alle mit mir oder meiner Firma in Verbindung stehen!“, fauchte Edward und hieb auf den Knopf der Wechselsprechanlage.
„Elisabeth, Mr. Franklyn möchte gehen.“ Er maß Alex mit vernichtendem Blick. „Sie sind von mir und meinem Partner engagiert worden, damit Sie im Interesse der Firma arbeiten!“
„Aber genau das versuche ich ja zu tun, indem ich den Dingen auf den Grund gehen will“, erwiderte Alex unbeirrt, als Elisabeth auch schon hereingeeilt kam.
„Mister Franklyn, ich werde Sie jetzt hinausbegleiten“, sagte sie mit sehr viel Nachdruck in der Stimme. „Es sei denn, Sie zwingen mich dazu, den Sicherheitsdienst zu informieren, damit...“
„Sparen Sie sich die Mühe, Elisabeth“, unterbrach Alex sie mit liebenswürdiger Gelassenheit. „Ich wollte ohnehin gerade gehen.“
Er erhob sich und nickte Edward zu.
„Auf Wiedersehen. Tut mir leid, dass Ihnen die Sicherheit der Firma und Ihrer Mitmenschen so wenig am Herzen liegt. Ich habe es nur gut gemeint.“
Edward funkelte ihn böse an.
„Für die Sicherheit der HSE kann ich sehr gut allein sorgen. Aber ich warne Sie, wenn Sie noch einmal Ihre Kompetenzen derart überschreiten, werde ich entsprechende Maßnahmen gegen Sie einleiten. Danach werden Sie sich wünschen, mich niemals kennengelernt zu haben!“
„Soll das eine Drohung sein?“
„Das können Sie auffassen, wie Sie wollen. Aber ich lasse mir nicht von Leuten wie Ihnen auf der Nase herumtanzen. Guten Tag!“
*
„Na, der war vielleicht wütend“, feixte Alex, der sich kurz darauf mit Stefano in Claudias Zimmer im PAZIFIC INN traf. „.Ich hatte am Schluss das Gefühl, mitten in ein Wespennest gestochen zu haben!“
Stefano nickte.
„Tja, das wird den Herrschaften erst einmal zu denken geben. Obwohl ich mir nicht sicher bin, in wie weit die Sekretärin in die Sache eingeweiht ist. Aber vielleicht können wir durch das Abhörgerät ein paar entsprechende Telefonate mithören und aufnehmen. Haben Sie es so platziert, wie ich es gesagt hatte?“
„Klar. Unter der Tischplatte. Ging ganz problemlos. Er war so sehr von dem Kugelschreiber abgelenkt, dass er es überhaupt nicht mitbekommen hat.“ Alex packte seinen Laptop aus, holte ein weiteres kleines Gerät aus seiner Tasche und verband beides mit geübten Handgriffen. Dann reichte er Stefano ein Head-Set.
„Damit wird automatisch jedes Wort aufgezeichnet, das in Edwards Büro gesprochen wird.“
„Ich frage mich allmählich ernsthaft, wer von uns beiden der „Bulle“ ist“, meinte Stefano kopfschüttelnd.
„Wieso?“, erwiderte Alex gleichmütig. „Alles ganz legal aus dem Internet.“
Stefano grinste schief.
„Die Zeiten, in denen die Polizei Sonderbefugnisse hat, sind anscheinend so gut wie vorbei.“
„Fragt sich nur, wie wir ohne Probleme wieder an das Gerät in Edwards Büro herankommen“, gab Alex schließlich zu bedenken, nachdem er alles noch einmal getestet hatte. „Mich lässt man gar nicht erst nach oben, nachdem ich mich heute derart unbeliebt gemacht habe.“
Stefano überlegte kurz und grinste dann.
„Durch Matt.“
„Edwards Geschäftspartner?“, Alex blinzelte skeptisch. „Aber was ist, wenn der selber mit in der Sache drin steckt?“
Stefano schüttelte den Kopf.
„Nein, ich kenne meinen ehemaligen Schwager. Er mag seine Fehler haben, aber er würde sich nie auf etwas Derartiges einlassen. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Matt ist in Ordnung.“
„Umso besser. Rufen Sie ihn an?“
„Geht klar. Wenn alles klappt, haben wir das Gerät spätestens heute Abend zurück. Und bis dahin hören wir fleißig zu, was in Edwards Büro für Geheimnisse ausgeplaudert werden.“
*
Santa Rosa Island
George Freeman hatte vorgeschlagen, den geplanten Bootsausflug etwas auszudehnen und das Wochenende in seinem Ferienhaus auf Santa Rosa zu verbringen. Da dies die ersten gemeinsamen freien Tage für John und Danielle waren, stimmten beide spontan zu. Heraus aus den engen Mietwohnungen, heraus aus der hektischen Vorstadt mit ihrem Alltagsstress! Nachdem sie beide ihre Schicht beendet hatten, packten sie eilig ein paar Sachen zusammen.
Die Überfahrt nach Santa Rosa Islands verlief problemlos und harmonisch.
George Freemans modernes Ferienhaus lag direkt am Meer, mit einer großen blumenumrankten Sonnenterrasse, Personal und den allerbesten Voraussetzungen für ein rundherum gemütliches Wochenende mitten im Luxus.
Nach ihrer Ankunft saßen John und Danielle gemeinsam mit George und Roger auf der Terrasse und aßen zu Abend.
Während die drei Männer mit einem Glas Wein auf ein paar erholsame Stunden anstießen, hatte sich Danielle abgewandt. Sie stand gedankenverloren am Geländer und starrte hinaus aufs Meer, wo am Horizont glutrot die Sonne versank. Dieses Naturschauspiel beschwor Erinnerungen herauf, die so wunderschön und schmerzlich zugleich waren, dass sie es kaum ertragen konnte.
Sie schrak aus ihren Gedanken, als sie eine Bewegung neben sich wahrnahm. George Freeman war unbemerkt hinzugetreten und sah sie forschend an.
„Alles in Ordnung, Danielle? Sie sehen traurig aus.“
Sie atmete tief durch und versuchte vergeblich, die trüben Gedanken abzuschütteln.
„Alles bestens, George. Sie haben ein wundervolles Haus, so romantisch.“
Er nickte.
„Ja, es war der Lieblingsplatz meiner Frau. Wir waren sehr oft hier.“
´Genau wie Matt und ich auf Paradise Island´, dachte Danielle wehmütig. ´Wir wären ganz sicher jedes Wochenende hingefahren.´
„Wie mir John eben verraten hat, haben Sie sich nun doch entschlossen, sich Ihren Traum zu erfüllen.“
„Was meinen Sie?“
„Die Einschreibung an der medizinischen Universität.“
„Oh... ja, das habe ich.“
„Das freut mich, Danielle. Sie werden eine gute Ärztin, davon bin ich fest überzeugt.“
Sie lächelte.
„Danke, George. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.“
„Nun, Sie gehen ihn ja nicht allein. Ihr Verlobter steht Ihnen doch sicher in jeder Beziehung zur Seite.“
„Mein Verlobter“, wiederholte sie nachdenklich und starrte auf die Wellen, die sich stetig am Ufer brachen.
„Was ist los?“, forschte George. „Habt ihr beiden Probleme miteinander?“
„Probleme?“ Fast erschrocken sah sie ihn an. „Wie kommen Sie darauf?“
„Nun, man macht sich so seine Gedanken. Ihr geht sehr freundschaftlich miteinander um, aber ihr wirkt auf mich nicht wie ein Liebespaar. Außerdem steht Ihr Gepäck nicht im selben Zimmer wie das von John. Etwas verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Verliebte normalerweise nicht die Finger voneinander lassen können. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, ihr zwei seid nur...“
„Freunde“, ergänzte Danielle spontan und nickte dann heftig. „Gut beobachtet!“ Sie hob langsam den Kopf und sah ihrem Gastgeber in die Augen. „Schluss mit dem Versteckspiel“, sagte sie mit fester Stimme. „John und ich sind kein Liebespaar, George. Wir sind nie eines gewesen. Wir sind gute Freunde, und ich bin froh, dass er an meiner Seite ist, denn er hilft mir durch eine sehr schwere Zeit.“
Erwartungsvoll und ängstlich zugleich blickte sie ihn an. Sie hatte eine gewisse Überraschung erwartet, aber stattdessen lächelte er nur.
„Ja, ich weiß.“
„Haben Sie nachgeforscht?“
Er schüttelte den Kopf.
„Ich mag zwar alt sein, und vielleicht schon hin und wieder ein wenig senil, aber ich bin nicht blind.“
„Sind Sie jetzt enttäuscht?“
Er lachte und legte den Arm um ihre Schultern.
„Kommen Sie Danielle, lassen Sie uns ein Stück zusammen am Strand entlang gehen. Die frische Luft ist Balsam für mein Herz. Und außerdem möchte ich endlich die wahre Geschichte von Danielle Belling hören.“
„Meine Geschichte?“ Danielle verzog skeptisch das Gesicht. „Die ist leider zurzeit alles andere als amüsant, George.“
„Das Leben besteht nicht nur aus Sonnenschein. Diese Lektion habe ich bereits frühzeitig gelehrt bekommen. Aber wie sagt man so schön: Nach jeder noch so dunklen Nacht folgt garantiert ein neuer, heller Tag.“
*
Die Sonne versank bereits langsam am Horizont, als Matt das PAZIFIC INN betrat, mit dem Lift hinauf in die dritte Etage fuhr und an eine der Zimmertüren klopfte. Stefano öffnete ihm.
„Warum treffen wir uns eigentlich hier im Hotel, und nicht bei dir zu Hause?“, erkundigte sich Matt bei seinem ehemaligen Schwager, während er den gemütlichen Wohnraum betrat und Claudia begrüßte, die in einem Sessel am Fenster saß. „Befürchtest du, dass mir deine Mutter an die Gurgel geht, wenn sie mich sieht?“
„Keine Ahnung, was meine Mutter denkt und tut. Ich jedenfalls brauche dringend eine Auszeit, weil sie sich permanent in alles einmischt“, erwiderte Stefano zerknirscht und setzte sich an den Laptop. „Hast du die „Wanze“?“
Matt fasste in seine Jackentasche und holte das kleine Abhörgerät heraus.
Stefano atmete sichtlich auf und wollte schon danach greifen, doch Matt zog seine Hand zurück.
„Einen Moment“, sagte er. „Du bekommst sie, allerdings nur unter einer Bedingung.“
„Und die wäre?“, fragte Stefano argwöhnisch.
Matt lehnte sich lächelnd zurück.
„Wenn Edward wirklich schuldig ist, möchte ich das nicht erst von der Staatanwaltschaft erfahren. Schließlich geht es bei der Sache nicht nur um ihn, sondern auch um den guten Ruf der Firma, die ich selber mit aufgebaut habe. Wenn mein Partner Mist gebaut hat, soll er gefälligst auch dafür geradestehen. Aber ich bin nicht bereit, ihn auf einen bislang unbegründeten Verdacht hin ans Messer zu liefern und damit gleichzeitig auch meine eigene Existenz zu gefährden.“
„Ich werde dich auf dem Laufenden halten“, versprach Stefano vage.
Matt schüttelte den Kopf.
„Tut mir leid, aber so läuft das nicht. Ich habe für dich und Alex Franklyn die Kastanien aus dem Feuer geholt, also will ich hören, was du aufgezeichnet hast. Und zwar jetzt sofort!“
Stefano verzog unwillig das Gesicht.
„Ich weiß nicht...“
Matt hielt das Abhörgerät in seiner Hand.
„Ich möchte dasselbe wie du: die Wahrheit herausfinden.“
„Mit der Wahrheit ist das so eine Sache“, mischte sich Claudia ein und sah Matt bedeutungsvoll an. „Was ist, wenn Sie etwas zu hören bekommen, das Ihnen nicht gefällt?“
„Das Risiko gehe ich ein.“
„Okay“, nickte Stefano nach kurzer Überlegung. „Einverstanden.“
„Also sollten wir nicht länger zögern, sondern uns die Aufnahmen endlich anhören“, schlug Matt vor. „Hoffen wir, dass wir ein paar Antworten auf unsere Fragen erhalten.“
Stefano nickte und startete die Wiedergabe der Aufnahme.
„Kann ich noch etwas für Sie tun?“, ließ sich Elisabeth glasklar vernehmen.
„Ähm... ich hoffe, dass ich mich auf Ihre Diskretion verlassen kann?“ Das war unverkennbar Edwards sonore Stimme.
Darauf wieder seine Vorzimmerdame:
„Sie können sich immer auf meine Diskretion verlassen, Sir. Das wissen Sie doch.“
„Das wollte ich hören. Danke Liz, Sie können gehen. Ich muss noch einen dringenden Anruf machen und möchte bis auf Weiteres nicht gestört werden.“
Eine Tür klappte, dann hörte man, wie Edward sich räusperte und eine Nummer eintippte.
„Ich bin es... Es gibt ein Problem... Dieser Archäologe ... Ja genau, der die Überprüfung der Strandhöhlen leitet, der war vorhin bei mir und hat ein paar Fragen gestellt, die mir gar nicht gefallen haben ... Was heißt hier, das ist mein Problem? Das sehe ich etwas anders... Das weiß ich auch nicht, aber sie werden sich mit Sicherheit ihren Teil zusammenreimen. Diese Kleine, die in der Höhle verschüttet war, die kann sich anscheinend wieder an jede Einzelheit erinnern, und wer weiß, was genau sie alles gesehen hat! ... Nein, das hat er nicht gesagt, aber wo sonst sollte er seine Informationen haben?... Natürlich müssen wir uns darum kümmern ... Es läuft wie immer, ihr erledigt die Sache so perfekt wie möglich, und ich schreibe den Scheck ... Ja, verdammt, von mir aus auch Barzahlung! Und wartet damit noch einen Tag, ich will mir meine Einweihungsparty nicht mit irgendwelchen Hiobsbotschaften verderben! Danach lasst ihr die lästige Zeugin diskret verschwinden... Und noch etwas - Es wäre hilfreich, wenn ihr beide im Anschluss daran erst einmal für eine Weile untertaucht, bis sich hier alles beruhigt hat. Mit der Summe, die ich zahle, dürfte das kein Problem sein ... Natürlich zahle ich pünktlich, was soll die dumme Frage ... Erledigt euren Job, dann kann gar nichts schiefgehen. Wir hören voneinander.“
Das Telefonat war beendet. Sekunden später ertönten Schritte und die Tür fiel ins Schloss.
Edward hatte den Raum verlassen.
Stefano schaltete das Gerät ab und erdrückende Stille breitete sich im Zimmer aus, während Matt, Claudia und er einander vielsagend anblickten.
Claudias Gesicht war kreidebleich.
Stefano presste die Lippen zusammen.
„Verdammt, so war das nicht gedacht! Claudia sollte zu allerletzt in die Sache mit hineingezogen werden.“
„Ich könnte versuchen, Edward zur Rede zu stellen und ihn zur Vernunft zu bringen“, schlug Matt schließlich vor.
Stefano schüttelte energisch den Kopf.
„Wach auf, Mann! Edward Hamilton kann man nicht zur Vernunft bringen, das müsstest du als sein Geschäftspartner doch wohl am allerbesten wissen! Den muss man mit härteren Bandagen bekämpfen.“
Matt schüttelte fassungslos den Kopf.
„Ich habe immer geahnt, dass Edward in vielerlei Hinsicht nicht ganz ehrlich ist. Aber was er hier hinter meinem Rücken abzieht, ist das Allerletzte. Er nimmt mit seinen Aktionen billigend in Kauf, dass Menschen verletzt werden. Er geht sogar über Leichen.“
„Du hast das nicht gewusst?“, fragte Stefano argwöhnisch.
„Was denkst du denn? Glaubst du, ich hätte mich auf eure Abhöraktion eingelassen, wenn ich selbst in der Sache mit drinstecken würde?“
„Nein, sicher nicht.“
„Und was schlägst du nun vor?“
„Du wirst erst einmal gar nichts tun.“ Stefano wies auf das Abhörgerät. „Wir haben den Beweis, den wir brauchen, um Hamilton festzunageln. Allerdings befürchte ich, dass mein Boss mir liebend gern den Hals umdrehen wird, weil diese Aktion hier nicht mit ihm abgesprochen war. Außerdem…“ Er blickte Matt vielsagend an.
„Da wäre noch eine andere Sache. Wenn ich diese Informationen weitergebe und alles erst einmal ins Rollen kommt, dann wird die Staatsanwaltschaft vor dir als Firmen-Mitinhaber mit Sicherheit auch nicht Halt machen.“
„Ich habe nichts zu verbergen“, erwiderte Matt, und der Detektiv nickte erleichtert.
„Dann hast du auch nichts zu befürchten. Morgen ist die Einweihungsparty bei den Hamiltons. Das wäre eine günstige Gelegenheit für uns, um zuzuschlagen und ihn uns zu greifen. Aber bis dahin darf er nicht ahnen, was da gegen ihn läuft. Also lass dir wenn möglich nichts anmerken.“
„Ich gebe mir Mühe, auch wenn es mir nicht leicht fällt.“ Matt schüttelte den Kopf., als könne er noch immer nicht fassen, was er gerade erfahren hatte. „Edward war jahrelang mein Mentor, mein Vertrauter. Fast schon ein Freund, zumindest dachte ich das. Nun muss ich erfahren, was er hinter meinem Rücken abgezogen hat.“
„Es wird nicht leicht“, erwiderte Stefano und legte ihm seine Hand auf die Schulter. „Aber für das, was er getan hat, muss er zur Verantwortung gezogen werden. Wenn das alles stimmt, hätte er um Haaresbreite sogar seine eigene Tochter auf dem Gewissen gehabt.“
Matt nickte betroffen.
„Nicht auszudenken, was durch die Sprengung alles noch hätte geschehen können“, erwiderte er und dachte dabei an seine Verlobungsfeier mit Danielle und die dadurch vollbesetzte Tanzbar. Nein, das was Edward sich hier geleistet hatte, war durch nichts zu entschuldigen und musste geahndet werden.
Er stand auf und deutete mit einer Kopfbewegung auf Claudia, die bislang schweigend und zusammengesunken in ihrem Sessel hockte. „Sie sollte vorübergehend Personenschutz erhalten.“
„Den hat sie bereits“, nickte Stefano und reichte seinem ehemaligen Schwager die Hand. „Ich werde persönlich dafür sorgen, dass ihr nichts geschieht.“
Als sich Matt von Claudia verabschieden wollte, fiel ihm noch etwas ein.
„Was haben Sie vorhin damit gemeint, als Sie sagten, mit der Wahrheit sei es so eine Sache?“
„Ach, nichts Spezielles“, erwiderte sie ausweichend und dachte insgeheim an das Gespräch zwischen Dolores und Marina, das sie heimlich gehört hatte. „Es gibt leider immer wieder Leute, die es meisterhaft verstehen, die Wahrheit so lange zu ihren Gunsten zu verbiegen, dass ihnen am Ende selbst nicht mehr richtig bewusst ist, dass daraus schon lange eine faustdicke Lüge geworden ist. Sie schaden anderen, ohne über die Konsequenzen nachzudenken.“
„Das ist leider wahr“, nickte Matt, in der Annahme, sie spräche von Edward Hamilton. „Allerdings habe ich soeben die Bestätigung dafür bekommen, dass mein Geschäftspartner zu der weitaus schlimmeren Sorte gehört. Was er tut, das tut er ganz bewusst und skrupellos, ohne Rücksicht auf Verluste. Das mag aus meinem Mund vielleicht eigenartig klingen, aber auch, wenn ich schon immer eine dunkle Seite an ihm vermutet habe, dann doch nicht in diesem Ausmaß. Und wenn das stimmt, was ihr ihm hier zur Last legen, dann habe ich auch kein Mitleid mit ihm. Dann muss er bestraft werden.“
*
Santa Rosa Island
Das Boot schaukelte träge auf den sanften Wellen. Das Hauptsegel bauschte sich im Nachtwind wie ein riesiger Vogel, der flugbereit seine Schwingen ausbreitete.
Danielle stand an der Reling und blickte aufs Meer hinaus. Ihr Herz flatterte vor lauter Glück mit dem Segel um die Wette.
Sie hörte ihn hinter sich aus der Kajüte kommen und drehte sich langsam um.
Er kam auf sie zu, in der Hand zwei halbgefüllte Champagnergläser, von denen er ihr eines reichte.
„Auf uns, Danielle. Auf unsere Liebe...“
Sie nippte nur an ihrem Glas, sie war viel zu aufgeregt zum Trinken, und sie spürte sofort, wie selbst dieser winzige Schluck Champagner ihren Verstand zu benebeln begann. Er lächelte und stellte die Gläser weg. Dann trat er zu ihr an die Reling und schlang die Arme um sie.
„Bist du glücklich?“, raunte er ihr leise ins Ohr.
Sie nickte und seufzte wohlig, als sie spürte, wie seine Lippen sacht über ihren Hals strichen. Genießerisch legte sie den Kopf zurück und schloss die Augen. Wenig später berührte sein Mund ihre Lippen, zuerst nur ganz vorsichtig, dann jedoch übermannte ihn die Leidenschaft und er zog sie fest in seine Arme, während er mit seiner Zunge ihren Mund erforschte und Gefühle in ihr weckte, die sie innerlich erbeben ließen. Ihr Körper vibrierte unter seinen streichelnden Händen, und sie drängte sich dichter an ihn.
Mit einer schnellen kraftvollen Bewegung nahm er sie auf seine Arme und trug sie hinüber zur Kabinentür. Im goldenen Mondlicht sah sie sein Gesicht.
„Matt...“, flüsterte sie voller Sehnsucht.
Da veränderte sich plötzlich sein zärtliches Lächeln. Zurück blieb ein überlegenes, hämisches Grinsen.
„Nicht Matt... sondern Mason“, erwiderte er mit kaltem Blick, und Danielle hatte das Gefühl, als ob ihr das Blut in den Adern gefror.
„Danielle! Komm schon, wach auf, du hast nur geträumt!“
Sie schlug die Augen auf und sah in Johns besorgtes Gesicht.
„Ich habe dich nebenan schreien gehört und dachte, dir sei etwas passiert“, sagte er und strich beruhigend über ihre zitternden Schultern. Sie schluckte und brachte nur ein heißeres Flüstern zustande.
„Mason ist wieder da!“
Irritiert starrte John sie an.
„Hattest du mir nicht erzählt, Matts Zwillingsbruder sei tot?“
Danielle strich sich nervös mit der Hand über die schweißnasse Stirn und versuchte sich zu orientieren. Ja, sie war hier auf Santa Rosa Island, in Georges Strandhaus. Sie war eingeschlafen und hatte geträumt. Einen so schönen Traum, doch dann plötzlich...
Sie versuchte, die Erinnerung daran aus ihrem Gedächtnis zu verdrängen.
„Ja! Ja, natürlich, du hast recht. Mason ist tot. Ich hatte nur einen Albtraum. Aber es war alles absolut real.“
Sie sah aus wie ein verängstigtes Kind, und John zog sie schweigend in die Arme. So saßen sie eine ganze Weile nur da. Seine Hände streichelten über ihr Haar, und Danielle fühlte sich langsam wieder sicher und geborgen. Aber diese innere Spannung wollte trotz allem einfach nicht weichen. Da war immer noch dieser schreckliche Traum und Matts Gesicht, das sie überdeutlich vor sich sah, und das doch nicht seines war, denn in dem Augenblick, als es sich zu diesem hässlichen Grinsen verzog, wusste sie, dass es Mason war und nicht Matt, der sie hielt.
Würde das jemals aufhören?
´Lass dich einfach fallen´, wisperte eine innere Stimme. ´Da ist jemand, dem du wichtig bist. Du kannst dich auf ihn verlassen, er wird immer für dich da sein...´
Sie hob den Kopf und sah in Johns Gesicht. Seine Augen waren ihr ganz nah. Sie waren blau mit kleinen grauen Fünkchen. Wärme, Vertrauen, Geborgenheit fand sie in seinem Blick. Doch sie fand noch mehr darin.
Zuneigung, Sehnsucht, stilles Verlangen.
John schien ihre Gedanken zu spüren. Er beugte sich leicht vor und seine Lippen berührten behutsam ihren Mund.
Danielle schloss die Augen und ließ es geschehen. Für einen kurzen Moment erwiderte sie seinen Kuss sogar, doch im nächsten Augenblick stieß sie ihn zurück.
„Nein!“, rief sie schweratmend und hob abwehrend die Hände. „Nein, das sollten wir nicht tun. Das ist nicht richtig!“
„Doch, das ist es, Danielle“, erwiderte John leise. „Du empfindest doch auch etwas für mich, das kann ich spüren.“
Sie sah ihn schuldbewusst an.
„Ja, das stimmt. Ich mag dich wirklich sehr, aber meine Gefühle für dich sind nicht so, wie du sie dir wünschst. Als wir uns eben geküsst haben, da habe ich dabei an Matt gedacht. Ich kann nichts dagegen tun, John.“
„Das macht mir nichts aus“, log er und versuchte zu lächeln, doch Danielle schüttelte entschieden den Kopf.
„Das hast du nicht verdient. Du bist mein bester Freund, und ich möchte dich nicht verlieren. Aber das zwischen uns würde nicht funktionieren. Ich bin noch nicht über die Trennung von Matt hinweg, und ich weiß auch nicht, ob ich das jemals sein werde.“
„Ich kann warten“, erwiderte er gespielt fröhlich und zwinkerte ihr zu. „Wir haben doch alle Zeit der Welt.“
Danielle umarmte ihn und küsste ihn auf die Wange.
„Tu das bitte nicht, John. Ich möchte dich nicht verletzen.“
„Das könntest du gar nicht. Egal, was du tust.“
Er lächelte, doch sein Herz lag schwer wie Blei in seiner Brust, als er wenig später zurück in sein Zimmer ging.
*
„Du musst dir keine Sorgen machen, Claudia, dir wird nichts geschehen“, sagte Stefano leise und legte beruhigend seine Hand auf ihren Arm. „Ich bleibe hier. Du hast ja gehört, vor der Party wollen sie sowieso nichts unternehmen. Und danach wird der Staatsanwalt garantiert dafür sorgen, dass Edward seinen Auftrag zurückzieht. Er hat gar keine andere Wahl.“
Claudia nickte und legte müde ihren Kopf an seine Schulter.
„Ich habe keine Angst. Ich war nur erschrocken, wie ein Mensch so skrupellos sein kann. Er weiß doch nicht einmal genau, ob Alex die Informationen wirklich von mir hatte.“
Einen Moment lang standen sie beide nur schweigend da und jeder hing seinen Gedanken nach.
„Übrigens, hast du vorhin eigentlich jemand Bestimmten gemeint, als du mit Matt über Wahrheit und Lüge gesprochen hast?“, fragte Stefano nach einer Weile. Claudia hob den Kopf und sah ihn mit großen Augen an.
„Ja, allerdings. Das habe ich.“
„Möchtest du darüber reden?“
Sie nickte kaum merklich.
„Ich möchte schon, aber ich bin nicht sicher, ob du es wirklich hören willst. Es geht nämlich um deine Mutter und um Marina.“
„Was ist mit Ihnen?“
„Ich habe ein Gespräch zwischen den beiden belauscht.“
„Und worüber?“
Claudia zögerte.
„Es wird dir nicht gefallen, Stefano.“
Er nickte lächelnd.
„Nur zu, das wäre nicht das erste Mal!“
„Okay.“ Sie atmete tief durch. „Dann hör zu...“