ANNA
Beim Anblick von Nathan's leblosen Körper wird mein Herz schwer wie Blei. Ich kann nicht zulassen, dass er wegen mir stirbt. Wegen der Tatsache, dass er mir wieder einmal das Leben gerettet hat. Sein Züge wirken, als würde er schlafen und dennoch kann ich erkennen das er Schmerzen spüren muss. Denn seine Zähne sind so fest zusammengepresst, dass nicht einmal ein Blatt Papier dazwischen passen würde. Die Jungs befördern seinen Körper in das Innere des Hauses, um ihn in eine angenehmere Position bringen zu können. Wobei ich mir sicher bin, dass er es kaum spüren wird. Nicht in diesem Zustand. Melina hält noch immer seine Hand obwohl sie noch genauso überhitzt ist wie vorhin. Ich hingegen kann mich nicht bewegen und verharre noch immer ratlos in diesem kleinen Garten und überlege was ich nun tun kann. Doch mir kommt nur dieser eine kranke Gedanke und da ich jetzt alleine bin, kann ich ihn auch verwirklichen. Keiner wird mich aufhalten, weil jeder damit beschäftigt sein wird Nathan beim sterben zu begleiten. Doch er wird nicht sterben. Nicht, solange ich meine verdammten Kräfte dazu bringen kann, mir zu gehorchen. Also verschwinde ich so schnell ich kann von diesem Ort, um zur Lösung zu gelangen, die nun so klar vor uns liegt und dennoch so unnahbar scheint. Ich muss zu Alex und ihn irgendwie dazu bringen mir sein Blut zu geben. Meine Kräfte haben ihn schon einmal fast aufgehalten und für Nathan werde ich noch einen Versuch wagen.
Meine Füße tragen mich so schnell sie können zu der Straßenkreuzung, nicht weit entfernt von Alex's Haus. Dort angekommen brauche ich nur eine Hand zu heben, als ein Taxi an mir vorbeifährt. Es hält einige Meter entfernt und mit einem kurzen Blick zurück steige ich in den gelben Wagen. Die einzigen Worte, die ich mit dem Fahrer austausche ist der Name meines Zieles. St.Patrick's Cathedral.
Nach nur wenigen Minuten hält er vor dem riesigen Gebäude und ich versuche meine letzten Geldscheine aus meiner Hosentasche zu ziehen. Nur mit Mühe kann ich die genannte Summe bezahlen. Vielleicht hätte ich daran denken sollen, bevor ich in das Taxi gestiegen bin. Die finstere Miene des Fahrers begleitet mich und als ich die Tür hinter mir zufallen lasse, fährt er mit quietschenden Reifen davon. Vielleicht wäre ich auch angepisst, wenn mir jemand zwanzig Dollar zusammenkratzen muss und ich dann meine Zeit dafür aufwenden muss zu warten. Doch jetzt habe ich andere Sorgen. Was mache ich hier? Wer weiß, ob er noch hier ist? Es ist bereits zwei Uhr morgens und ich bin mir nicht sicher, was mich dort erwarten wird. Was, wenn meine Magie nicht wirkt? Dann bin ich ihm ausgeliefert. Aber für Nathan muss ich es versuchen. Ich kann nicht einfach hilflos mitansehen wie er langsam aber sicher sterben wird. Nach einem weiteren tiefen Atemzug bewege ich mich die Treppen nach oben und halte kurz bevor ich die schwere Tür öffne inne um mich zu sammeln. Ich werde das schaffen. Immer wieder wiederhole ich diese Worte in meinen Gedanken. Auch wenn eine andere Stimme in meinem Kopf vom Gegenteil spricht, ist die Stimme die mich glauben lässt, es zu schaffen deutlicher und lauter.
Ängstlich öffne ich die Tür zu diesem bizarren Ort. Dieses Mal ist es jedoch nur diese Tür, die ein knarrendes Geräusch von sich gibt. Keine Musik die aus den Boxen dröhnt. Keine Menschenmenge die feiert. Was zum Teufel? Meine Blick muss aussehen, als würde ich gerade vor den Trümmern meines Lebens stehen. Denn es ist alles verschwunden und somit auch Alex. Meine Chance, ihn hier zu finden ist vollkommen zerstört. Wie ist das möglich? Wo ist diese Scheiß-Party?
Mit langsamen Schritten bewege ich mich in den vorderen Teil der Kirche. Der weiße Altar mit dem roten Teppich davor, schreit förmlich näher zu kommen. Das Geräusch meiner Schritte prallt an den Wänden ab und kommt als leises Echo wieder zurück. Es wirkt alles so kalt und leer. Als würde etwas fehlen.
An der vordersten Reihe der Sitze angelangt, schaffe ich es nicht mehr weiter zu gehen und entschließe mich dazu, meinen Gedanken eine Auszeit zu gönnen und mich auf eine der Bänke niederzulassen. Einigen stille Minuten vergehen, in denen ich nun diese, jetzt so leere Kirche auf mich wirken lasse und meine Gedanken zu Alex abschweifen. Wie soll ich jetzt Alex finden? Und wenn ich ihn finde, wie komme ich dann zu seinem Blut, ohne dass er mich umbringt?
Ein leises Flüstern reißt mich jedoch aus meinen Gedanken. Erschrocken springe ich auf und sehe mich um. Ich war doch die einzige Person hier? Oder? Vorhin habe ich keinen anderen gesehen. Mein Blick schweift panisch in diesem riesigen Gebäude hin und her. Doch ich kann Niemanden erkennen. Aber ich habe es mir auch nicht eingebildet und dann plötzlich wieder diese Stimme. Leise und doch klar flüstert sie etwas.
"Anna."
Immer wieder höre ich meinen Namen und dennoch kann ich Nichts und Niemanden erkennen. Mein Herz pocht wie wild in meinem Brustkorb und mein Körper macht sich für einen Angriff bereit. Mein Blick schweift über die Bänke hin zum Altar und dann ein Zucken in meinem Augenwinkel. Doch, auch wenn ich schnell reagiert hätte, habe ich keine Chance dem dumpfen Schlag auf meinem Hinterkopf zu entkommen. Benommen sinke ich zu Boden und versuche irgendwie mit dem stechende Schmerz klarzukommen, der sich in mir breit macht. Als hätte ich die schlimmsten Migräneanfälle. Eine kalte Hand packt mich an meinen Haaren und zerrt mich nach sich. Als ich wieder etwas zu mir komme, versuche ich mich mit Händen und Füßen zu wehren. Doch ich bin zu schwach und bevor ich meine Kräfte einsetzen kann, spüre ich etwas Kaltes, das sich um meine Handgelenke legt. Mein Sicht ist noch immer verschwommen und ich kann das Gesicht des Mannes, der mich nach sich zerrt, nicht erkennen. Der Boden über den ich gezerrt werde fühlt sich genauso kalt an, wie die Hand dieses Mannes. Gerade als meine Sicht wieder klarer wird kann ich eine andere Stimme wahrnehmen. Ebenfalls eine männliche Stimme.
"Eine Bathory und doch so naiv. Salivana hatte recht, dass du dumm bist und nochmals hier her kommen würdest. Wo du doch auch wissen müsstest, dass dein Blut noch meilenweit zu riechen ist."
Die Stimme des zweiten Mannes ist mir ebenfalls so unbekannt, wie die des anderen und doch scheinen sie meinen Namen zu kennen und zu wissen welches Blut in meinen Adern fließt. Als mein Blick klarer wird und sich einer der Typen über mich beugt, um die Hände über meinem Kopf an einem Haken zu befestigen, kann ich endlich die Gesichter zu den Stimmen sehen. Sie kommen mir bekannt vor und nach weiteren Sekunden, die ich durch mein Gedächtnis stöbere, weiß ich woher ich sie kenne. Es sind diese zwei Typen, die mich am Eingang zu dieser Kirche angerempelt haben. Und nun bin ich mir auch sicher, dass die beiden von Salivana angeheuert worden sind.
"Was wollt ihr?"
Lautes Gelächter hallt in dem kleinen kapellenähnlichen Raum, der sich ebenfalls in dieser Kirche befinden muss. Sie scheinen sich köstlich über meine Frage zu amüsieren und blicken auf mich herab, als sei ich der letzte Abschaum. Doch mittlerweile scheine ich diesen Blick abwehren zu können. Denn sie sind nicht die Ersten die mich so anstarren. Ich habe es so satt die Schwache zu sein. Darum versuche ich die ganze Zeit über, meine Kräfte zu entfachen. Versuche, die beiden einfach zu verbrennen. Doch ich kann nicht. Irgendetwas haben sie mit mir gemacht, damit ich meine Macht nicht ausüben kann.
"Es sind die Armreifen Kleines. Sie verhindern, dass du deine Magie an uns anwenden kannst. Ist das nicht genial? Jetzt können wir alles mit dir machen was wir wollen. Ich wollte schon immer mal meinen Schwanz in einer Hexe versenken."
Mein Blick fällt auf die metallischen Ringe an meinen Handgelenken. Es sind nur zwei Ringe und deswegen sollte ich meine Kraft nicht einsetzen können?
Das dreckige Grinsen des größeren Typen mit dem Vollbart frisst sich bis in meine Knochen und ich kann kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Dieses Mal wird mir niemand helfen können und ich bin ihnen vollkommen ausgeliefert. Langsam kommt er auf mich zu und sein kalter ekelerregender Atem legt sich auf mein Gesicht als er sich vor mich hockt.
Um seinem Blick zu entkommen drehe ich meinen Kopf zur Seite. Doch seine dreckigen Finger umgreifen fest mein Kinn und drehen mein Gesicht wieder zu seinem, damit ich ihn direkt anstarren muss. Die leblos grauen Augen starren mich mit Belustigung an. Diese Augen spiegeln das Böse wieder und lassen mich noch mehr Angst davor haben, was jetzt auch immer kommen wird. Am besten wäre es wohl, wenn er mich einfach umbringen würde, dann müsste ich diese Grausamkeit nicht über mich kommen lassen. Auch, wenn ich weiß, dass ich keine Chance gegen ihn habe, versuche ich mich weiter zu wehren. Versuche mit meinen Füßen nach ihm zu treten und meinen Kopf wieder weg zu drehen. Doch er hält mit eisernen Griff noch immer mein Kinn, als sich seine Augen verändern und die langen Eckzähne zum Vorschein kommen. Ein Vampir. Wie konnte es auch anders sein. Je mehr ich mich zu wehren scheine, desto mehr Spaß scheint er zu haben. Die Berührung seiner Finger ätzt sich förmlich in meine Haut und als er seine Zunge an meiner Wange hinaufgleiten lässt würde ich am liebsten die Reste meiner letzten Mahlzeit heraufwürgen. Langsam wandern seine Finger an meinem Nacken zu meiner Brust. Das Gefühl jetzt gleich sterben zu wollen wird mit jedem Zentimeter, den sich diese Berührung in meine Haut brennt, größer. Heiße Tränen laufen über die Stelle, in die sich seine ekelerregende Zunge in meine Haut gebrannt hat. Damit ich es nicht noch weiter mitansehen muss und um auch davor zu flüchten, presse ich meine Lider aufeinander und versuche mich in eine andere Welt zu flüchten.
"Ich hasse dieses verdammte Blut und ich hasse dich."
Was? Die Stimme die ich höre klingt wie der Teufel und die Hoffnung höchstpersönlich. Alex. Sofort öffne ich meine Augen und starre in seine Richtung. Auch die beiden Typen scheinen überrascht über seinen Auftritt zu sein und dieser schmierige Typ lässt von mir ab. Doch für wie lange? Nun hat Salivana wohl auch Unterstützung von Alex, um mich umbringen zu lassen. Er wird mich töten. Einfach so. Ohne mit der Wimper zu zucken.
Doch sein Blick auf die beiden Typen lässt mich erahnen, dass er ebenfalls nicht mit deren Anwesenheit gerechnet hat und als er dann den ersten Typen in schwindelerregender Geschwindigkeit das Genick bricht und seinen leblosen Körper einfach gegen die Wand wirft, bin ich mir sicher. Er wird mich vor diesen grausamen Dingen bewahren, die diese Beiden mir angetan hätten. Doch er wird mich nicht davor bewahren zu sterben und zwar durch seine eigene Hand.
Als er nach wenigen Sekunden auch den zweiten Typen, etwas blutiger, ausgeschaltet hat kommt er mit langsamen Schritten auf mich zu und ich kann kaum meinen Blick von seinen Augen lösen. Es wird das letzte Mal sein, dass er mir in die Augen blickt. Auch wenn ich darin nicht die Liebe wieder erkenne, die sich einst darin befunden hat, bin ich dennoch beruhigt, dass er es ist und nicht einer dieser kranken Typen.
"Eines Tages, wenn du wieder der Mensch bist, der du einst warst, dann möchte ich, dass du weißt, das es in Ordnung ist. Es ist in Ordnung wenn du mich tötest. Du konntest nicht anders und ich verzeihe dir."
Für einen kurzen Augenblick wirkt er vollkommen überrascht von meinen Worten bis sich ein belustigter Ausdruck auf sein Gesicht legt.
"Ich würde dich ja liebend gerne töten aber zu meinem Bedauern brauche ich dich. Ist irgendwie jämmerlich von dir, mir verzeihen zu wollen, wo du doch die Hölle wegen mir durchleben musst."
Die sarkastischen Worte brennen in meinem Herz und dennoch verstehe ich seinen plötzlichen Sinneswandel nicht.
"Wozu solltest du mich brauchen? Wieder irgendein Ritual? Ich werde bald keinen Tropfen Bathory Blut mehr in mir haben, wenn das so weiter geht."
Wieder legt sich Belustigung auf seine Züge, doch dieses Mal sieht es aus als würde er es wirklich sein. Als würde er für einen kurzen Moment vergessen, dass er nichts menschliches fühlt.