Der Sommer war vergangen, ebenso wie die unglaublich trockene Hitze, die über dem Dorf geherrscht hatte. Für die Bauern war der Herbst in diesem Jahr gar einer Erlösung gleichgekommen. Sie hatten die Ernte aufgrund der Wetterlage zum größten Teil schon früher einholen müssen als üblich. Die Sommermonate hatten jedoch trotz allem kein Erbarmen gezeigt. Die Hitze im Junidas und Julmas war nahezu unerträglich gewesen und hatte die Bauern, während ihrer Arbeit auf den Feldern, bis an ihre körperlichen Grenzen geführt.
Mit Beginn des Septemmas war das Wetter dann jedoch zunehmend unbeständiger und vor allem bedeutend kälter geworden. Inzwischen herrschte der Herbst mit aller Macht über dem Land und ließ momentan fast täglich unglaubliche Wassermassen auf die Erde nieder regnen. So auch heute am zweiten Oktomas. Es war ein Dinar, der zweite Tag der Woche und so langsam war die Freude für die tagtäglichen Regenfälle einem unbestimmten Murren der Bauern gewichen, die sich nahezu jeden einzelnen Tag den Wassermassen aussetzen mussten.
Der Esiew war gerade mit einer Gruppe von Dorfleuten unterwegs zum östlichen Ende des Dorfes, um die letzten Äpfel von den wenigen Obstbäumen des Dorfes zu pflücken. Allesamt hatten sie sich die Kapuzen ihrer gewachsten Arbeitskutten tief in die Stirn gezogen um sich vor dem Regen zu schützen. Einzig der Esiew zog es vor, die Wassermassen auf seiner Kopf- und Gesichtshaut zu spüren. Stattdessen hatte er sich lediglich den Kragen enger um den Hals geschnürt und ging den vor sich hin trottenden Dorfleuten in geringem Abstand hinterher.
Das kühle Nass half dem Esiew sich zu beruhigen und das gewaltige Gefühlschaos in seinem Inneren zu ordnen. Ein furchtbarer Albtraum hatte ihn in aller Frühe aus dem Schlaf schrecken lassen und nagte seitdem wie ein dunkler Schatten an seiner Seele. Die Monster die ihn jagten, hatten den Esiew in seinem Albtraum gefunden und waren über das Dorf hergefallen. In seinem Traum hatte der Esiew zusehen müssen, wie nach und nach die Dorfbewohner niedergemetzelt wurden, bis schließlich nur noch Ajanelle übrig geblieben war. Als sich die Monster letzten Endes auch auf sie stürzten war er mit einem qualvollen Schrei erwacht.
Es war nicht so sehr die Tatsache, dass ihm Monster im Traum erschienen waren, die ihn erschreckte und sein Herz klamm werden ließ. Es war viel mehr das Erkennen darüber, dass er in seinem Traum starr vor Angst gewesen war und sich vor Entsetzen nicht von der Stelle bewegt hatte. Hilflos hatte er angesehen wie einem Dorfbewohner nach dem Anderen das Leben verlassen hatte. Nicht einmal Ajanelle hatte er zu Hilfe eilen können.
Kaum erwacht hatte er sich zur Beruhigung noch vor dem Frühstück zu einem kleinen Morgenspaziergang aufmachen wollen. Gekommen war er aber nur bis zur Tür. Das ganze Dorf war am frühen Morgen in einen unglaublich dichten Nebel getaucht und obwohl er ein Esiew war, hatte er zunächst einige Zeit gebraucht, ehe er andere Häuser des Dorfes im dichten Nebel ausmachen konnte.
So kurz nach dem furchtbaren Albtraum war der Nebel dem Esiew wie ein schlechtes Omen vorgekommen, vor dem es sich zu schützen galt. Aber als wäre es trotz Albtraum und schlechtem Omen noch nicht genug, nahm der Esiew seit langer Zeit zum ersten Mal wieder einen unheilvollen Schatten am Rande seines Bewusstseins wahr. Es war wie ein Huschen am Rande seines Blickfeldes. Der Esiew wusste genau, dass jenes dunkle Wesen da war, doch es war jeden Moment in Bewegung und entzog sich ständig den verzweifelten Versuchen des Esiews seiner habhaft zu werden.
Zuletzt hatte er dieses Schattenwesen während seiner Flucht wahrgenommen und letzten Endes war es diese Tatsache, die die Ängste des Esiews am meisten schürte.
Unterdessen waren Sie an den Apfelbäumen angelangt. Die Ersten stellten bereits die Leitern auf und der Regen prasselte weiter auf ihre Häupter hernieder.
Der Esiew holte das letzte Stück auf und begann auch gleich damit eine der Leitern empor zu steigen. Seine Geschicklichkeit bei den einfachsten Dingen, war neben der einzigartigen Form seiner Ohren wohl der einzige Unterschied, der ihn nach außen hin von den Menschen unterschied. Während die Menschen bei dem nassen Wetter Vorsicht walten ließen und ihre Bewegungen stumpf und abgehakt wirkten, glitt der Esiew nahezu hinauf und befand sich bereits tief in einer der Baumkronen, als die Dorfbewohner gerade mal die Hälfte der Leitern mühsam erklommen hatten.
Als die Dorfbewohner dann auch endlich oben angekommen waren, wurden direkt die ersten Körbe hoch gereicht und die letzte Apfelernte begann. Während der Arbeit wurde so gut wie nicht gesprochen, jeder war in seine Arbeit vertieft oder hing seinen Gedanken nach.
Feinaar war gerade dabei einen weiteren Ast empor zu steigen, als seine Ohren zuckten. Für einen Moment hatte er geglaubt einen Schrei aus weiter Ferne vernommen zu haben. Er lauschte noch kurz, konnte jedoch nur das Prasseln des Regens und das Rauschen des Windes ausmachen. Oben, auf dem nächsten Ast angekommen, streckte er gerade die Hand nach dem ersten Apfel aus, als der Wind plötzlich aufheulte und der Esiew diesmal deutlich einen weiteren Schrei vernahm. Es war noch zu leise, um Worte verstehen zu können, aber der Schrei war in jedem Fall real gewesen. Angespannt versuchte der Esiew den Schreien eine Richtung zuzuordnen, als er diesmal mehrere Schreie deutlich vom südwestlichen Ende des Dorfes ausmachte. Worte konnte er noch immer nicht verstehen, die Schreie vermehrten sich jedoch zunehmend.
„Hört ihr das?“, fragte der Esiew in die Runde und ein paar Männer schauten verwirrt auf.
„Was meinst du?“, verlangte Anton von unten zu wissen, der gerade einen vollen Obstkorb annahm.
„Da schreit doch jemand. Hört ihr das nicht?“
„Also ich höre nichts“, meinte Ikat, ein Freund von Tarlas, ohne einen Augenblick zu zögern geringschätzig. Die Anderen schienen zu lauschen und hielten sich für den Moment geschlossen.
„Ich höre auch nichts, Feinaar. Aber sagt man euch Esiew’ nicht auch nach bessere Ohren als wir Menschen zu haben?“, bemerkte Anton.
„Pah! Bessere Ohren?! Das ich nicht lache! Der faule Esiew sucht doch bloß wieder eine Ausrede nicht arbeiten zu müssen, so wie an jedem Zulnar, an dem er sich ja um seinen inneren Frieden kümmern muss!“, schnaubte Ikat verächtlich.
Feinaar ließ sich von dem provozierenden Geschwätz Ikats jedoch nicht beirren.
Anton hatte Recht, wenn er wollte konnte er weit besser hören als die Menschen. Die Schreie hatte er sich auch mit Sicherheit nicht nur eingebildet.
Da vernahm Feinaar erneut die Schreie. Sie wurden jetzt stetig lauter, bald müssten sie auch an die menschlichen Ohren dringen.
„Da schreit wirklich jemand, hört noch mal genau hin“, bestand Feinaar auf seine Meinung.
„Kannst du nicht einfach mal deine Fresse halten und aufhören dich wichtig zu machen. Bis auf dich sind hier alle am Schuften!“, schnauzte Ikat aufgebracht.
Ikat hätte wahrscheinlich noch weiter seiner Wut Luft gemacht, hätten in diesem Moment nicht mehrere der Männer aufmerksam den Kopf gehoben.
„Hey, Feinaar hat recht, ich hab auch was gehört“, sagte einer der Männer.
„Da schreit wirklich einer“, stimmte ein weiterer Dorfbewohner zu.
„Feinaar, sieht so aus, als ob du wirklich bessere Ohren hättest“, meinte Anton vom Boden aus zögerlich. „Hoffentlich ist nichts Schlimmes passiert. Ich sehe mal nach. Bin gleich wieder zurück.“
Damit war Anton auch schon verschwunden und die restlichen Dorfbewohner gingen nahezu teilnahmslos wieder an ihre Arbeit. Feinaar hingegen lauschte noch immer angestrengt in die Ferne und so langsam schienen sich wenige Wörter aus den Schreien herauszubilden.
„Hi... wir brau... Hil...“, erklangen die ersten Silben von weit her, bis sich schließlich ein verständlicher Satz herausbildete. „Hilfe! Wir brauchen Hilfe!“
Feinaar erschauderte, als er den Satz in Panik erfüllten Schreien immer und immer wieder vernahm.
„Da stimmt wirklich was nicht. Irgendjemand schreit um Hilfe!“, wandte sich Feinaar aufgeregt an die Dorfbewohner, beachtete ihre Reaktionen jedoch nicht, sondern rauschte geradewegs an ihnen vorbei, den Baum hinunter und lief Anton zum südwestlichen Ende des Dorfes nach.
Derweil wurden die Schreie schnell lauter und Feinaar erkannte aufgebracht, dass es Tarlas war, der verzweifelt um Hilfe schrie. Tarlas mochte ein streitlustiger und jähzorniger Geselle sein, furchtsam war er jedoch keineswegs. Dennoch wollte es Feinaar erschreckender Weise nicht aus dem Kopf gehen, dass es die nackte Angst war, die er in Tarlas' Schreien heraus hörte.
Feinaar passierte gerade die Mitte des Dorfes, als die Schreie verstummten. Besorgt beschleunigte Feinaar seine Schritte und kam wenig später am südwestlichen Ende des Dorfes zum Stehen. Die letzten Ausläufe des Hügels auf der anderen Seite des Dorfes sorgten dafür, dass das Erdreich noch leicht gewölbt und abschüssig war, was die direkte Sicht in den Wald verhinderte. Er wollte gerade weitereilen, als er Ajanelles Vater durch den strömenden Regen näher kommen sah.
Ein gutes Dutzend Männer des Dorfes folgten Daton in geringem Abstand. Wie alle anderen auch, hatte sich Daton eine der gewachsten Arbeitskutten übergezogen. Während er rannte hielt er sich soweit wie möglich seine Kapuze fest, damit sie ihm nicht im Wind vom Kopf geweht wurde. Er war noch einige Schritte entfernt, als er sich auch schon zu Wort meldete: „Was bei den Namen der schwarzen Esiew’ ist denn los? Wer hat hier so geschrien?“
Feinaar blickte noch einmal kurz zum Wald, ehe er antwortete: „Soweit ich weiß, hat Tarlas um Hilfe gerufen. Anton ist bereits losgelaufen.“
„Was? Tarlas sagst du? Bist du dir sicher? Er ist so ziemlich der letzte bei dem ich mir vorstellen könnte, dass er um Hilfe schreit“, sagte Daton und kam bei ihm zum Stehen.
Wie Recht Daton nur hat.
Gerade das stärkte die innere Unruhe des Esiew am Meisten. Er wollte gerade etwas erwidern, als er das Knacken von Ästen vernahm. Feinaar fuhr herum und sah auch schon Antons Kopf über der Erdwölbung erscheinen. Sein Gesicht war vor Anstrengung verzehrt und einen Moment später erkannte man den Grund dafür. Anton und Tarlas hatten sich beide jeweils einen Arm von Tarlas Vater, Triad, über die Schultern geworfen und trugen Triad mehr, als dass sie ihn stützen. Triads Arbeitskutte war vorne zerrissen und gab den Blick auf Blut durchtränkte Kleidung frei.
Ein erschrockenes Keuchen trieb sich durch die Menge der Männer und Feinaar und ein paar der Dorfbewohner eilten sofort die kleine Erhöhung hinauf und lösten Anton und Tarlas ab.
„Bringt ihn sofort zu ihm nach Hause. Ich sorge dafür das Elda mit ihren Salben kommt“, befahl Daton ihnen und setzte sich bereits selbst in Bewegung.
„Warte, ihr müsst Bescheid wissen...“, krächzte Triad plötzlich mit schwacher Stimme.
„Vater, ich rede mit Daton, du lässt dich nach Hause bringen. Elda muss sich deine Wunde ansehen!“, mischte sich Tarlas ein.
„Verdammt, Sohn! Du hättest mich im Wald liegen lassen sollen, wie ich es dir gesagt habe! Jetzt wissen sie von unserem Dorf! Auch deine Mutter und Midra sind jetzt in Gefahr!“, brüllte Triad mit erstaunlich fester Stimme, ehe er stöhnend zusammensackte.
Daton hatte indes kehrt gemacht und sah Triad mit beunruhigter Mine an: „Tarlas, was bei den Namen der schwarzen Esiew’ ist hier los? Und wo sind die Jagads?“
„Wir... wir wurden im Wald überfallen. Wir haben Wild verfolgt und auf unsere Umgebung geachtet, ich habe keine Ahnung wie wir sie nicht bemerken konnten, aber... aber plötzlich sprangen vier Männer aus dem Dickicht und streckten mit einem Schlag den Vater der Jagads nieder. Jared und Patrick sind völlig ausgerastet, haben ihre Waffen gezogen und griffen die Männer blind vor Wut an. Wir wollten ihnen gerade zur Hilfe eilen, als ein fünfter Mann hinter uns aus den Büschen schoss und Vater sein Schwert in die Schulter rammte. Ich... ich habe den Bastard angegriffen und konnte ihm meinen Dolch in den Hals rammen, als... als Vater sich gegen ihn schmiss und ihn ablenkte.“ Er machte eine kurze Pause und leckte sich nervös über die Lippen, ehe er fortfuhr. „Als ich mich umdrehte, sah ich noch gerade wie einer der Männer sein Schwert gegen Patricks Knie schmetterte, Patrick auf die Knie fiel und... und ein anderer Mann ihm den Kopf spaltete! Etwa fünfzig Zort weiter weg, hab ich noch etwa ein Dutzend weiterer Männer heranstürmen sehen. Ich... ich bin kein Feigling, aber wir hatten keine Chance... Vater hat mich gepackt und wir sind so schnell es ging durch das Dickicht gerannt. Eine Weile konnten wir sie auf Abstand halten. Aber dann wurde Vater zunehmend schwächer... er hat zu viel Blut verloren... Kurz vor unserem Fluss der auch weiter südwestlich durch den Wald verläuft und sich dort tief in die Felsen eingegraben hat, ist er dann zusammengebrochen. Er... er meinte ich solle ihn liegen lassen und fliehen. Ich... ich konnte es aber nicht. Hinter uns tauchten diese Mörder wieder auf... ich habe Vater hochgerissen und bin mit ihm in den Fluss gesprungen, ans andere Flussufer geschwommen und habe uns irgendwie so schnell es ging weitergeschleppt... Diese Bastarde sind uns aus irgendeinem Grund nicht über den Fluss hinterher... und so... so hab ich Vater so schnell es ging hier her getragen und um Hilfe gerufen...“
„Tut mir Leid, Daton!“, entschuldigte sich Triad erschöpft. „Mein Junge hat die Mistkerle direkt hierher geführt! Ich wollte, dass er mich im Wald liegen lässt und flüchtet, aber... er wollte einfach nicht auf mich hören.“
Das Entsetzen stand den meisten Männern ins Gesicht geschrieben, Manche waren sichtlich um ihre Fassung bemüht und auch Anton schluckte. Feinaar konnte nicht umhin Daton zu bewundern, der sich ohne zu zögern an Tarlas wandte: „Keine Sorge, Tarlas, niemand kann seinen Vater einfach so dem sicheren Tod überlassen. Niemand nimmt dir das übel. Bring deinen Vater jetzt so schnell wie möglich nach Hause und bewaffne dich so gut es geht. Kastor, hilf ihm. Der Rest rennt so schnell er kann nach Hause und schickt seine Frauen und Kinder zum Haus der Jägers. Dann bewaffnet ihr euch mit allem was ihr habt und stellt euch im Kreis um das Haus der Jägers auf. Ihr Haus ist ziemlich in der Mitte des Dorfes. Man wird uns dort nicht so leicht überraschen können, wenn diese Mörder von mehreren Seiten angreifen. Und jetzt los! Feinaar, du kommst mit Anton und mir!“
Damit stoben die Männer auch schon regelrecht auseinander und Feinaar musste über die beherrschte Führungskraft von Daton staunen, während er ihm und Anton folgte.
Sie rannten geradewegs zurück zum Haus der Trajas am nördlichen Ende des Dorfes, als ein schriller Schrei durch die Luft hallte: „Feeinaaaaar!“
Keuchend kam er zum Stehen und suchte seine unmittelbare Umgebung ab. Doch da war nichts! Die Trajas hatten inzwischen einen großen Vorsprung und der Schrei wäre eh viel zu hoch und schrill für zwei erwachsene Männer gewesen. Verwirrt setzte sich Feinaar wieder in Bewegung als ihn das Vorbeihuschen mehrerer Gestalten am Rande seines Blickfeldes erneut erstarren ließ.
Über die plötzliche Erkenntnis wurde ihm eiskalt. Jenes Schattenwesen, das ihn schon seit Beginn seiner Flucht verfolgte, war zurückgekehrt. Doch abgesehen davon, dass es deutlicher und fassbarer um Feinaar herumhuschte als je zuvor, war es nicht mehr allein! Die Schatten mehrerer Gestalten schossen um ihn herum, verschmolzen und verschwammen in einander und ließen Feinaar vor Entsetzen erzittern.
Wie um seine Panik zu vollenden, erhoben sich klagend flüsternde Stimmen, von denen er glaubte sie nur in seinem Kopf zu vernehmen.
„Feeinaaaaar!“
„Feeinaaar, duuu… musst dich… an deeeine… alten Krääfte erinnern…“
„Feeinaaar… verdränge uns… nicht mehr…“
„Aaajaanelle… und die Aaandeeeren… werden sterben, wenn duuu… dich nicht erinnerst…“
Kaum dort angekommen, stürmte Daton auch schon ins Haus und verschaffte sich mit lauter Stimme Gehör: „Anka, schnapp dir Ajadaka und Ajanelle und renn sofort rüber zu den Jägers! Und wenn ich sofort sage, dann meine ich auch sofort!“
„Daton, was ist denn los?“, fragte Anka, Ajanelles Mutter, aufgebracht. Doch Daton beachtete sie bereits nicht mehr und machte sich stattdessen im Schlafzimmer an einem der Schränke zu schaffen.
„Mutter, wir werden angegriffen, ihr müsst wirklich so schnell ihr könnt zu den Jägers rüber laufen! Alle Männer des Dorfes werden sich drum herum versammeln. Dir, Ajadaka und Ajanelle wird dort nichts passieren“, versuchte Anton ihr die Lage zu erklären.
„Wir... wir werden angegrif...“, stotterte Anka leichenblass, bis sie von ihren Töchtern unterbrochen wurde.
„Was ist los?“ fragte Ajadaka neugierig, die Treppe von oben geradezu herunter springend.
„Wieso hat Vater so durch das Haus geschrieen? “, wollte auch Ajanelle wissen, die kurz auf Ajadaka folgte.
Feinaar wollte sich gerade zu Wort melden, da kam Daton ihm jedoch zuvor und unterbrach Anton, der zu einer weiteren Erklärung angesetzt hatte.
„Ajane...“
„Anka, ich hab dir gesagt, schnapp dir die Mädchen und renn rüber zu den Jägers!“, brüllte er durchs Haus. Einen Augenblick später trat er aus dem Schlafzimmer mit einem weißen, aufgerollten Lacken in den Armen, in dem etwas Hartes eingewickelt zu sein schien und wandte sich diesmal wütend an seine Töchter. „Und von euch will ich jetzt nichts hören, Ajadaka, Ajanelle, ihr geht jetzt sofort mit eurer Mutter. Los jetzt!“
Ajanelle und Ajadaka waren bei dem plötzlichen Wutausbruch ihres Vaters erschrocken etwas zurückgewichen und Feinaar fühlte sich in dem ganzen Geschehen plötzlich merkwürdig fehl am Platz.
„Ajanelle, Ajadaka, kommt schon, wir müssen jetzt erst mal rüber zu den Jägers“, sagte Anka, inzwischen wieder mit fester Stimme und packte ihre beiden Mädchen jeweils an einem Arm und zog sie hinaus in den Regen. Die Beiden protestierten zwar noch und verlangten zu wissen was los war, Anka schien den Ernst der Lage jedoch inzwischen begriffen zu haben und zog ihre Mädchen unerbittlich weiter.
Daton hatte das Laken inzwischen auf den Esstisch gelegt und begonnen es auszurollen. Feinaar richtete seine Aufmerksamkeit daraufhin wieder auf Ajanelles Vater. Auch Anton war hinzugetreten und gemeinsam sahen sie, wie Daton zunächst ein altes und gebrauchtes Kurzschwert auswickelte und anschließend noch zwei glänzend polierte und hochwertige Schwerter, die sich ein einfacher Bauer eigentlich niemals hätte leisten können.
Feinaar staunte nicht schlecht, über die Qualität der letzteren Waffen und blickte fragend auf.
„Das Schwert ist für dich, Anton“, meinte Daton und reichte Anton eins der hochwertigen Schwerter mit einem Nicken.
„Wo hast du die Schwerter her, Vater?“, fragte Anton ehrfürchtig, die Klinge seines Schwertes betrachtend.
„Das ist eine lange Geschichte, ich erkläre es dir später. Feinaar, ich habe für dich leider nur dieses Kurzschwert hier“, erklärte Daton mit entschuldigender Miene und reichte Feinaar das offensichtlich schon oft gebrauchte Kurzschwert. „Aber soweit ich weiß, sind die restlichen Familien des Dorfes eher noch schlechter bewaffnet als wir. Du wirst damit auskommen müssen.“
„Keine Sorge, es ist mehr als ich erwartet habe“, sagte Feinaar schlicht und musterte sein Kurzschwert. Es wies schon einige Einkerbungen an der beidseitigen Schneide auf, Rost lies sich jedoch nirgends ausmachen. Insgesamt schien es sich noch im guten Zustand zu befinden.
„Ich weiß ja, dass ihr Esiew’ euch allgemein hin auf euren Neutralitätsstatus beruft, aber so wie es aussieht wirst du kämpfen müssen, Feinaar. Hoffentlich stimmen die Legenden von früher, die euch als grandiose Kämpfer wider Willen bezeichnen“, sagte Daton, klopfte ihm auf die Schulter und packte das letzte Schwert. „Dann machen wir mal, dass wir rüber zu den Jägers kommen.“
Feinaar lächelte gequält über Datons Äußerungen, folgte Anton und seinem Vater dann jedoch zurück nach draußen, in den strömenden Regen, während sich seine Gedanken um die letzten Worte Datons drehten.
Neutralitätsstatus der Esiew’... das er sich das letzte Mal um Politik gekümmert hatte, war lange her... weit vor der Zeit, in der seine Erinnerungen bruchstückhaft wurden. Schon damals, hatte er manchmal erst Monate später von den neuen Beschlüssen gehört. Kein Wunder das die Neuigkeiten über sein Volk eigentlich gar keine mehr waren... Und was hatte Daton noch gleich gesagt...? Grandiose Kämpfer wider Willen... solch einer Wertschätzung konnte er wohl kaum gerecht werden... Aber dennoch, er musste kämpfen! Er würde nicht wie in seinem Traum vor Angst gelähmt sein! Nein! Niemals! Er würde nicht zulassen, dass Ajanelle etwas zustieß! Ajanelle durfte nichts...
Moment mal... dachte er schon wieder nur an Ajanelle?
Feinaar musste trotz der Situation über seine eigenen Gedanken schmunzeln. Allem Anschein nach, war es langsam unmöglich zu leugnen, was er für sie empfand.
Unterdessen rannten sie, so schnell ihre Beine sie trugen, zurück zum heimlichen Zentrum des Dorfes, dem Haus der Jägers. Der Regen fiel weiterhin erbarmungslos vom Himmel und schränkte, zusammen mit dem Zugwind an den Ohren, ihr Wahrnehmungsfeld enorm ein. Feinaar brachte sich gerade auf gleiche Höhe mit Daton und Anton, als gellende Schreckensschreie von mehreren Frauen ihre Aufmerksamkeit erregten.
Jeder Kommentar motivert mich sehr! Denkt drüber nach mir ein paar Worte da zu lassen, wenn euch das Kapitel gefallen hat. :)
RiBBoN