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Steve dagegen konnte die Situation nicht wirklich genießen. In ihm tobte wieder der Kampf zwischen Verstand und Gefühl. Vorhin bei den Rutschen hatte er sich noch wirklich uneingeschränkt amüsiert, auch wenn er dort schon öfter in körperlichen Kontakt mit Amy gekommen war. Er konnte auch nicht leugnen, dass er ihre Nähe gesucht hatte - genau wie jetzt hier.
Aber die Tatsache, dass sie den Kontakt scheinbar dankbar annahm und auch erwiderte, überraschte ihn einerseits und bereitete ihm andererseits ein schlechtes Gewissen.
Mein Gott, wie hatte er sich bemüht, nach der Umarmung an diesem einen Abend, Distanz zu halten. Das Gleichgewicht zu halten, zwischen ehrlicher, freundschaftlicher Zuneigung und nötiger Distanz.
Und nun?
Alles umsonst. Er hätte besser nicht mitkommen sollen. Denn er empfand eine solche Sehnsucht nach ihrer Nähe und danach, sie zu berühren, dass es beinahe schmerzte. Verdammt, was war bloß los mit ihm? Warum konnte er sich nicht unter Kontrolle bringen?
Seine Schwester gab ihm ebenfalls Rätsel auf. Wenn er es nicht besser wüsste, könnte man denken, sie würde ihr Zusammensein fördern. Aber wusste er es besser?
Aber das würde ja wohl selbst sie nicht fertig bringen, oder?
Andererseits fühlte sich alles gerade jetzt im Moment so perfekt an. Ihr Kopf an seiner Schulter, sein Arm um ihre Taille - Berührungen, wie sie eigentlich ganz natürlich waren, wenn zwei Menschen sich gern mochten. Konnte er es noch länger leugnen?
'Du musst!', mahnte sein Verstand.
‚Nein!’, schrie sein Herz.
Er seufzte auf und öffnete die Augen. Die Sonne blendete. Er blinzelte hinüber zu Evan und Faith und riss überrascht die Augen auf. Evan hatte Faith auf seinen Schoß gezogen, und die beiden küssten sich leidenschaftlich. Offenbar hatten sie alles um sich herum vergessen.
Er realisierte, dass er genau so wenig mitbekam, was unter der Wasseroberfläche geschah, wie die anderen, als er Amys Hand ergriffen hatte. Die Vorstellung, wie Evans Hände möglicherweise gerade Faiths Körper erforschten, war zuviel für ihn.
Nicht mit Amy so nah an seiner Seite ...
Peinlich berührt von seinen eigenen Gedanken löste er seine Hand von Amys Taille und ließ sich von der Sitzfläche gleiten. Amy schaute ihn etwas schläfrig und verwundert an.
Es gelang ihm mühsam, ein Lächeln zustande zu bringen und er deutete mit dem Kopf wortlos auf das Liebespaar.
Amy bekam große Augen und schaute zu Steve zurück, der es schaffte, ihr zuzuzwinkern. Wortlos verließen sie den Pool und gingen zurück zu ihren Decken. Evan und Faith hatten nichts bemerkt.
Als sie an ihrem Platz ankamen, sahen sie, dass alle anderen auf den Decken versammelt waren. Adam grinste sie an, als sie näher kamen und auch Catherine warf ihnen einen prüfenden Blick zu, der sowohl Steve als auch Amy etwas unangenehm war. So ließen sie sich beide wortlos auf ihren Handtüchern nieder, ganz froh, dass Catherine mit dem Kleinen genau dazwischen saß.
„Wo sind Faith und Evan?“, wollte Cole wissen.
Steve konnte ein Grinsen nicht ganz unterdrücken. „Noch im Whirlpool ... beschäftigt, sozusagen…“
„Tatsächlich?“ Adam machte allen Ernstes Anstalten, sich zu erheben.
„Adam, untersteh dich!“, ermahnte Steve ihn im besten Lehrerton. Catherine musste lachen.
„Wir haben eigentlich schon auf euch gewartet“, meinte Cole und wechselte das Thema. So ganz behagte ihm die Andeutung nicht, die er gerade über seine Schwester und Evan gehört hatte, aber er hoffte, dass die beiden wussten, was sie taten.
„Wir wollten eine Runde Beach Volleyball spielen. Scott, Steve? Zwei gegen zwei?“
„Beach Volleyball? Hier gibt’s ein Feld?“, fragte Scott überrascht. Cole nickte.
„Oh ja! Da hätte ich schon Lust“, sagte Scott und erhob sich. Catherine lachte. „Hey, da bin ich aber froh! Ich hatte schon ein schlechtes Gewissen, dass nur ich mich hier amüsiere“, sagte sie und sah ihren Mann liebevoll an.
„Steve?“, fragte Scott.
„Ja, Steve…“ Adam grinste. „Genug im Pool gekuschelt. Jetzt ist mal etwas Sport angesagt.“
Steve erhob sich ebenfalls. „Klingt gut. Aber du, mein Freund …“ Er wandte sich Adam zu und hob warnend den Zeigefinger.
„Du bist entschieden zu vorlaut heute!“
Er zog sich ein Shirt über und die vier machten sich auf dem Weg zum Sandfeld, welches sich auf der anderen Seite der
Schwimmbecken befand. Catherine sah ihnen lächelnd hinterher.
„Deine Freunde sind wirklich klasse“, sagte Catherine zu Amy. „Auch Faith und Evan. Steve scheint sich sehr wohl in eurer Gesellschaft zu fühlen.“
Amy lächelte verlegen.
„So, und der junge Mann hier bekommt jetzt ein bisschen Früchtekompott“, wechselte Catherine das Thema und holte ein Lätzchen, einen Löffel und und ein Glas mit Früchtekompott aus ihrer Tasche.
„Oh, bitte, darf ich?“, fragte Amy mit leuchtenden Augen.
„Gerne“, lächelte Catherine.
Amy legte Tommy das Lätzchen um und zog den Kleinen auf ihren Schoß. Catherine hatte bereits das Glas geöffnet und Amy schob ihm Löffelchen für Löffelchen in den Mund. Tommy öffnete bereitwillig den Mund und schien sich nicht über die fremde Person zu wundern, die ihn heute fütterte. Catherine beobachtete die beiden lächelnd.
„Du hast Kinder wohl sehr gerne, oder?“, fragte sie. Amy blickte auf. „Ja, das habe ich. Ich weiß, es ist ungewöhnlich und Faith würde jetzt wieder einen Anfall kriegen, wenn sie das hören würde, aber ich kann es eigentlich kaum erwarten, mal selbst Kinder zu haben.“
Amy blickte liebevoll auf den Kleinen auf ihrem Schoß. Catherine sah sie nachdenklich an.
„Das ist wirklich ungewöhnlich“, meinte sie dann. „Die meisten Mädchen in deinem Alter haben wirklich andere Sachen im Kopf. Studieren, Reisen ...“
„Vielleicht haben die meisten andere Voraussetzungen“, sinnierte Amy vor sich hin. „Beides kostet ne Menge Geld und ...“ Verlegen brach sie ab.
„Aber ich glaub ich bin davon abgesehen einfach auch etwas anders gestrickt, wie man so sagt“, murmelte Amy dann und lächelte schüchtern.
„Und daran wird Faith auch nicht viel ändern können. Ich hätte einfach nur so gerne später ein Haus, eine Familie, vielleicht einen Hund - ein richtiges Zuhause eben. Ein EIGENES Zuhause. Vielleicht ... vielleicht, weil ich jetzt keins hab!“
Sie biss sich auf die Lippen, weil sie spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. Überhaupt, warum in aller Welt erzählte sie das alles einer eigentlich wildfremden Frau? Sie sprach nur ungern und sehr selten, fast nie, über sich und dieses Thema - wenn überhaupt, dann nur mit Faith.
Doch irgendwie fühlte sie sich zu Catherine vom ersten Augenblick an hingezogen. Obwohl sie sehr viel lebhafter war, hatte sie die gleichen warmen Augen wie ihr Bruder und das gleiche gewinnende Lächeln. Trotzdem ... wie konnte sie ihr gegenüber sofort ihr Innerstes nach außen kehren und ihr ungefragt ihre größte Sehnsucht mitteilen?
Amy schluckte und beschäftigte sich schweigend mit dem Kleinen.
Catherine beobachtete sie liebevoll. Aus irgendeinem Grund hatte auch sie Amy sofort in ihr Herz geschlossen und je näher sie sie kennen lernte, desto lieber wurde sie ihr.
In ihrem Kopf begann sich ein Bild zu entwickeln, das sicherlich ... ungewöhnlich war, aber irgendwie so richtig zu sein schien. Trotz ihres schalkhaften Wesens war Catherine eine Romantikerin, und sie war mittlerweile felsenfest überzeugt davon, dass das Schicksal gerade dabei war, ganz ungewöhnliche Wege zu gehen und zwei Menschen zusammen zu führen, die vielleicht füreinander geschaffen waren, auch wenn - oder gerade weil - sie dem gesellschaftlichen Normbild nicht entsprachen.
„Du magst meinen Bruder, nicht wahr, Amy?“, fragte sie plötzlich unvermittelt und sah Amy fest an. Die hob überrascht den Kopf und schaute Catherine mit großen Augen an.
„Wir... wir mögen ihn alle. Er ist wirklich ein cooler Lehrer ...“, begann Amy mühsam, aber Catherine unterbrach sie.
„Das meine ich nicht“, sagte sie leise und suchte Amys Blick. „Ich glaube du weißt, was ich meine, Amy ... und es ist so, oder?“
Amy schwieg. Sie wusste vor Verlegenheit nicht, wohin sie schauen sollte. Der kleine Tommy fing plötzlich an zu quengeln und rieb sich die Augen.
„Oh je, er ist müde“, lachte Catherine und ließ das Thema fallen. „Lass uns mal versuchen, ob wir ihn etwas hinlegen können.“ Sie holte ein großes, frisches Badetuch aus der Tasche und ein Kuscheltier, nahm Amy den Kleinen ab, die ihm noch einen Kuss auf die Stirn gab und legte ihn auf Steves Decke, die im Schatten unter einem Baum lag.
Liebevoll deckte sie ihn mit dem Handtuch etwas zu und krabbelte ihm in den Locken im Nacken. Amy sah mit großen Augen zu. Kurze Zeit später war Tommy tatsächlich eingeschlafen. Vorsichtig entfernte Catherine sich und setzte sich auf ihre Decke zurück.
Sie ließ sich auf die Ellbogen sinken, schloss die Augen und wandte ihr Gesicht der Sonne zu.
„Ja“, hörte sie da plötzlich Amy leise sagen. Sofort richtete sie sich auf und wandte sich ihr zu. Amy schaute sie mit großen Augen an. Sie sah unglücklich und irgendwie ... verloren aus. Catherine lächelte sie mit Steves warmem Lächeln an.
„Er mag dich auch“, sagte sie leise. „Ich spüre das. Ich kenne meinen Bruder sehr gut.“
Amy überlegte krampfhaft, was sie sagen sollte. Sie hatte Angst, in Tränen auszubrechen, wenn sie dieses Thema weiter verfolgten. Catherine beobachtete sie mitleidig. Schließlich zuckte Amy hilflos mit den Schultern.
Doch auch Catherine fehlten für dieses Mal die Worte. Es war sicherlich ein großer Vertrauensbeweis, dass Amy ihre Frage bejaht hatte. Aber was konnte sie ihr schon dazu sagen? Denn das es eine verdammt komplizierte Situation war, das war natürlich auch ihr klar.
Schließlich beugte sie sich aber zu Amy rüber und strich ihr sanft über die Wange.
„Es wird alles gut“, sagte sie leise. „Frag mich nicht … aber ich weiß, es wird alles gut!“
Es fiel Amy schwer, bei diesen liebevollen Worten nicht in Tränen auszubrechen. Aber sie schluckte tapfer und lächelte Catherine dankbar zu. Dann legte sie sich auf ihre Decke und schloss die Augen. Sie erinnerte sich an den Whirlpool. Das war real gewesen und diese Erinnerung konnte ihr keiner nehmen und sie durfte davon träumen. Die Sonne und die Geräuschkulisse um sie herum machten sie schläfrig und schließlich schlief sie ein.
Einige Zeit später kamen die Männer vom Volleyball Spielen zurück. Die Jungen liefen direkt weiter zu den Becken, um sich erst mal abzukühlen. Steve blickte lächelnd auf seinen kleinen schlafenden Neffen. „Cath, wollt ihr auch mal zusammen ins Wasser?“, fragte Steve und deutete auf Scott. „Ich bleib bei dem Kleinen.“
„Au ja, gerne“, sagte Catherine leise, stand auf und ging zu Scott hinüber. Zusammen gingen sie Richtung Schwimmerbecken.
Steve setzte sich vorsichtig auf seine Decke und nahm erst einmal einen großen Schluck aus seiner Wasserflasche. Er blickte zu Amy hinüber, die in der Sonne lag und immer noch schlief. Plötzlich wurde sein Blick besorgt, er rückte zu ihr hinüber und legte ihr vorsichtig ein Handtuch über die Schultern. Dann wurde ihm bewusst, dass er jetzt das erste Mal die Möglichkeit hatte, sie einfach nur zu betrachten, und das tat er dann auch.
Sein Blick glitt über ihren Körper. Sie war schlank, aber nicht dürr und hatte weiche, weibliche Formen. Ihre roten Haare fielen ihr wuschelig um den Kopf und leuchteten in der Sonne. Ihr Gesicht war zart und natürlich. Auch geschlossen waren ihre Augen wunderschön, umgeben von einem dichten Wimpernkranz. Um ihre Lippen spielte ein leichtes Lächeln.
Steve lächelte auch und konnte den Blick nicht abwenden. Er spürte, wie sich tief aus seinem Inneren ein Gefühl der Zärtlichkeit an die Oberfläche kämpfte, das er nicht mehr länger zurückdrängen konnte.
Wie schon so oft in den letzten Wochen fühlte er eine so große Sehnsucht danach, sie zu berühren, zu streicheln, zu küssen ... sie einfach in den Arm zu nehmen, sie festzuhalten. Und eben jetzt in diesem Moment, auf dieser Decke, an diesem Tag ... gestand er sich ein, dass er sie liebte. Diese Erkenntnis, so lange zurückgedrängt, traf ihn dennoch völlig unvorbereitet.
Abrupt wandte er sich ab und rutschte auf seine Decke zurück. Er legte sich hin und versuchte, mit dieser Erkenntnis fertig zu werden.
Natürlich war das nicht wirklich neu für ihn, aber er hatte es bis jetzt nicht gewagt, die Tatsachen auch anzuerkennen. Über die Konsequenzen wagte er erst gar nicht nachzudenken. Er seufzte und schloss die Augen. Vielleicht waren ihm ja auch ein paar Minuten Schlaf gegönnt, um dieses verdammte Chaos in seinem Kopf wenigstens vorübergehend auszuschalten.
Er nickte tatsächlich fast ein, als er plötzlich neben sich eine Bewegung spürte. Amy hatte sich im Schlaf gedreht und sich instinktiv in den Schatten gerollt. Sie lag jetzt unmittelbar neben ihm, die Augen immer noch geschlossen. Steve hatte die Augen wieder geöffnet und betrachtete sie. Schließlich konnte er nicht widerstehen und fuhr zärtlich mit seinen Fingern über ihren angewinkelten Arm. Samtweiche Haut. Dann fuhr er mit seinen Fingern sanft durch ihr Haar. Sie war so nah, er brauchte nur den Kopf etwas vorzubeugen, um seine Wange auf ihr Haar legen zu können und er tat es. Es war so unglaublich weich. Er ließ seinen Kopf so liegen und strich ihr weiter zart über ihren Arm, bis er spürte, wie sie sich bewegte.
Er nahm den Kopf etwas zurück und blickte ihr ins Gesicht - und direkt in ihre weit geöffneten Augen. Seine Finger verließen ihren Arm und seine Hand wanderte wieder zurück in ihr Haar. Ihre Lippen waren leicht geöffnet und sie rührte sich nicht, schaute ihn nur an. Seine Hand umschloss ihren Hinterkopf und er beugte sich zu ihr hinunter. Seine Lippen kamen ihren immer näher. Er spürte ihren Atem und sie schloss die Augen. Schließlich berührten seine Lippen die ihren und er spürte, wie sie erzitterte. Er wollte gerade den Druck sanft verstärken, als plötzlich ein Tropfenregen auf sie niederging. Erschrocken fuhren sie auseinander. Über ihnen stand ein tropfnasser Adam und zog grinsend die Augenbrauen hoch.
„He, ihr beiden Turteltauben! - Dürft ihr das überhaupt?“
Sowohl Steve als auch Amy hatten sich mit einem Ruck aufgesetzt und waren ein Stück voneinander weg gerückt. Amys Augen waren weit aufgerissen und sie schaute Adam entsetzt an, Steves Gesichtsausdruck war schwer zu deuten. Er blickte von Amy zu Adam und wusste ganz offensichtlich nicht, was er sagen sollte.
Schließlich schüttelte er den Kopf, wie immer man diese Geste auch verstehen wollte.
Adam schaute betreten drein. „Hey, hey ... relax. Ich hab doch nur Spaß gemacht...“, murmelte er und setzte sich auf seine Decke.
Tommy hatte auch einige der Wasserspritzer abbekommen und fing an zu knöttern. Steve und Amy wandten sich beide gleichzeitig dem Kleinen zu und Amy gelang es, ihn mit ein paar Schsch- Lauten und Krabbeln in den Haarlocken wieder zu beruhigen.
Steve blickte sie zärtlich an, als sie schließlich zu ihm aufsah. Sie erwiderte seinen Blick, schüchtern zwar, aber er glaubte in ihren Augen das Gleiche zu erkennen, was er fühlte.
„Ach, Amy“, flüsterte er und senkte den Blick.
Er war ein erwachsener Mann, aber dies alles überstieg langsam die Grenzen dessen, was er ertragen konnte.
Zuerst diese Nähe, das erste Mal, dass er seinem Gefühl nachgegeben hatte und dann im wahrsten Sinne des Wortes die kalte Dusche. Dabei musste er Adam eigentlich dankbar sein. Was wäre passiert, wenn er sie nicht gestört hätte?
Mit Sicherheit wäre er nicht über Amy hergefallen, aber wahrscheinlich wäre die Situation doch noch um einiges intimer geworden, und wenn sie auch etwas abseits lagen, so befanden sie sich doch in einem öffentlichen Bad und theoretisch konnte ihnen hier jeder Schüler oder sogar Kollege über den Weg laufen. Nicht auszudenken, wenn jemand anders sie in dieser eindeutigen Situation gesehen hätte. Und mit diesem Gedanken war sie auch direkt wieder da, die Blockade in Form der Vernunft, die ihn bisher davon abgehalten hatte, das zu tun was er so gern tun würde. An diesem sonnigen Tag, in diesen entspannten Situationen, so verführerisch unkompliziert, hatte er sich tatsächlich dazu hinreißen lassen, die ihm in seiner Situation auferlegten Grenzen zu überschreiten. Hatte sich dazu hinreißen lassen, in seinem Kopf seine wahren Gefühle für Amy endlich in Worte zu fassen. Nun war er schlagartig wieder in die Realität zurückgeholt worden. Vielleicht gerade noch rechtzeitig. Für ihn und Amy konnte es nie so werden wie für Faith und Evan. Verdammt! Und so sehr er dies auch bedauern mochte, änderte es nichts an den Tatsachen. Ja, er musste Adam dankbar sein.
Warum tat es nur so verdammt weh.
Er blickte zu Amy hinüber, sah sie da sitzen, neben dem Kleinen. Sie wirkte so unsicher und verlegen. Kein Wunder, er hatte sie gestreichelt, hatte sie sogar geküsst, hatte genau das getan, was er sich noch vor einigen Tagen selbst verboten hatte, nämlich in ihr Hoffnungen zu wecken, die er dann letztendlich nicht erfüllen konnte. Nun war er selber schwach geworden.
Denn selbst, wenn auch sie eine vage Vorstellung davon haben mochte, dass eine solche Beziehung eigentlich nicht möglich war, war sie dennoch jung und hoffnungsvoll - er war derjenige, der sich den ihm - ihnen beiden - auferlegten Regeln fügen und den status quo aufrecht erhalten musste. Das konnte er nicht diesem jungen Mädchen auferlegen.
Steve merkte, wie seine Gedanken ihn wieder einmal zu überrollen drohten, wie fast ständig in den letzten Wochen. Verdammt! Er erhob sich. Er musste sich jetzt dringend körperlich abreagieren. Er sah zu Amy hinüber. „Ich geh ein paar Bahnen schwimmen“, sagte er rau und deutete dann auf den Kleinen“ - ist das OK?“
Amy nickte stumm und Steve wandte sich den Schwimmbecken zu.
Er war gerade ein paar Schritte gegangen, als er hinter sich jemanden seinen Namen rufen hörte. Er drehte sich um und sah Adam herankommen. Er machte ein etwas zerknirschtes und ungewöhnlich ernstes Gesicht. „Steve“, wiederholte er und suchte nach Worten. Bei all seiner Flapsigkeit war es Adam schon bewusst geworden, dass er da doch in eine recht ... ungewöhnliche Situation hineingeplatzt war und er sich vielleicht dieses Mal doch etwas in der Wortwahl vergriffen hatte. Er ahnte nicht, dass das Steves geringstes Problem war. Als er nun jedoch Steves Blick sah, bekam er augenblicklich eine Vorstellung davon, dass sein Lehrer gerade offenbar einen inneren Kampf auszufechten hatte, der ihm schwer zu schaffen machte. Tatsächlich Amy? Er hatte eigentlich wirklich immer gescherzt, wenn er über sie beide Bemerkungen losgelassen hatte - hatte er vielleicht wirklich einen wunden Punkt getroffen?
„Es tut mir leid, was ich gerade ... also ... ich hab nicht gemeint, dass …“, begann er ungewöhnlich unsicher.
Trotz seiner inneren Anspannung brachte Steve mühsam ein schmales Lächeln zustande.
„Ist schon gut, Adam“, sagte er und schlug ihm leicht auf die Schulter. Doch dann verschwand sein Lächeln. „Ich möchte dich nur bitten, die Klappe zu halten, OK?“ Eindringlich sah er Adam in die Augen. Also doch! Adam erwiderte seinen Blick ernsthaft und etwas mitleidig. „Ey, kein Ding ... natürlich!“
Steve lächelte noch mal etwas wehmütig, dann wandte er sich wieder um und setzte seinen Weg zum Schwimmerbecken fort.
Mehr als nachdenklich ging Adam zu seinem Handtuch zurück. Steve und Amy ... er hatte sie beide so gern. Und irgendwie, auch wenn es total absurd war, passten die beiden auffallend gut zusammen. Auch wenn - oder vielleicht gerade weil - sie ein ziemlich ungewöhnliches Paar wären. Aber er war ihr Lehrer ... und scheiße, auch noch verheiratet, wie Adam in diesem Moment siedendheiß einfiel. Das waren allerdings alles wirklich ziemlich ... unglückliche Umstände, um es mal harmlos auszudrücken. Und dennoch ... er würde alles für die beiden tun, was erforderlich wäre, wenn sie ... nun ja…
Solch ernste Gedankengänge waren eher ungewöhnlich für Adam. Er wurde jedoch schon kurz darauf davon abgelenkt, denn Faith und Evan kamen Hand in Hand zur Decke zurück geschlendert. Adam konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Evan erwiderte es, Faith wirkte eher verlegen. Sie sah Amy unter dem Baum sitzen und flitzte zu ihr hinüber. Verlegen setzte sie sich neben sie und schaute sie mit gerötetem Gesicht und glänzenden Augen an.
Amy schluckte ihre eigenen Empfindungen hinunter und grinste Faith an. Es tat so gut, sie zu sehen. „Hey“, sagte Amy und zog die Augenbrauen hoch.
„Hast du deiner besten Freundin irgendwas zu erzählen?“, fragte sie leise.
„Jede Menge“, flüsterte Faith zurück und wurde noch eine Spur roter. „Aber nicht jetzt und hier ...“
Sie schielte zu Evan hinüber, der sich auf seinem Handtuch ausgestreckt hatte.
„Glücklich?“ flüsterte Amy. „Und wie“, gab Faith leise aufseufzend zurück. Amy drückte sie an sich. Mochte sie auch selbst noch so großen Kummer haben, ihrer besten Freundin gönnte sie ihr Glück von Herzen. Faith war schon so lange in Evan verschossen gewesen ...
„Bin gespannt“, wisperte sie und kniff ihre Freundin leicht in die Seite. Faith quiekte leise auf und kicherte. Die Jungen sahen zu ihnen hinüber und Evan verschlang Faith regelrecht mit seinen Blicken. Verlegen lachend wandte Faith sich ab und sah Amy wieder an. „Bei dir alles klar, Süße?“
Eine wirklich gute Frage. Einerseits war Amy glücklich, so glücklich wie schon seit langem nicht mehr. Wenn sie an den Whirlpool dachte, spürte sie ein Kribbeln im ganzen Körper. Und gerade eben der Moment auf der Decke ... wenn sie bisher noch Zweifel gehabt hatte, inwieweit ihre Gefühle für Steve auf Gegenseitigkeit beruhten, so hatte er sie heute alle ausgeräumt. Seine Blicke, seine Berührungen ... so voller Zärtlichkeit, wie sie es sich nicht auszumalen gewagt hätte. Seine Augen hatten ihr heute ALLES gesagt ... von daher hätte sie eigentlich auf Wolke 7 schweben müssen.
Wenn, ja wenn dann nicht Adam gekommen wäre und sie unsanft wieder auf den Boden der Tatsachen geholt hätte. Nicht nur, dass sie beide furchtbar erschrocken waren, als er plötzlich über ihnen stand. Vor allem was er gesagt hatte, hatte den Nagel sowas von auf dem Kopf getroffen:
‚Dürft ihr das überhaupt?’
Danach hatte Steve zugemacht und was sie in seinen Augen hatte lesen können, schmerzte mehr als die Ungewissheit der vergangenen Wochen. Es war als hätten sie einen großen Schritt aufeinander zu gemacht und wären dann beide von den Ketten der Realität brutal zurückgerissen worden.
Prüfend betrachtete Faith ihre Freundin, die nachdenklich auf der Decke saß und ihr noch keine Antwort gegeben hatte.
Doch bevor sie weiter vorsichtig nachhaken konnte, kamen fast gleichzeitig Catherine und Scott und auch ihr Bruder Cole aus dem Wasser zurück. Steve blieb verschwunden. Tommy wachte auf und auf der Deckenlandschaft wurde es lebendig. Getränkeflaschen wurden hin und her gereicht, Dosen mit Obst oder Süßigkeiten machten die Runde und Evan bestand darauf, Faith den Rücken einzucremen. Nur Amy und Adam waren recht schweigsam. Als Steve weiterhin verschwunden blieb, stand schließlich Catherine auf und ging zum Schwimmerbecken hinüber. Sie musste nicht lange suchen und entdeckte seine große Gestalt, wie er mit fast verzweifelten Schlägen durch das Wasser kraulte.
Sie blieb in der Nähe des Beckenrandes stehen und beobachte ihn. Bahn um Bahn absolvierte er, wie ein Leistungssportler. Catherine konnte nicht sagen, warum, aber irgendwie tat ihr dieses Bild weh.
Sie bemerkte, dass jemand neben sie getreten war und wandte sich um. Adam stand neben ihr und schaute Steve ebenfalls beim Schwimmen zu. Er sah ungewöhnlich ernst aus, wie schon gerade auf der Decke.
Catherine sah in fragend an. Er bemerkte ihren Blick und atmete hörbar aus.
„Ich glaub ... ich glaub er hat ein großes Problem“, sagte er leise. „Ist mir heute erst bewusst geworden.“
„Amy?“, fragte Catherine leise. Adam nickte.
„Amy.“