"Was geht da drinnen vor?", verlangte Lillet zu wissen, durch das schmale Gitter konnte sie fast nichts erkennen. Sie musste sich in einer Art Gefängnis befinden, wahrscheinlich dem Kerker von Madum, der in der letzten Erinnerung erwähnt worden war. Lillet war älter, bestimmt schon kurz vor ihrem 18 Geburtstag, und in Begleitung einer anderen Elfe. Sie hatte das braune Haar zu einem strengen Zopf gebunden, mit einer paar Federn im Haar. Ihr Gesicht wurde von einigen Blättermotiven geziert und auf ihrem Hals war der Kopf einer Eule zu sehen. Sie ging Lillet gerade mal bis knapp unters Kinn, ihre Augen leuchteten gelb und beobachteten sie. "Lillet, was willst du hier?", fragte sie die junge Elfe, die nun wie ihr Vater einen Wappenrock und einen Bogen trug. "Sei still Catt!", befahl Lillet ihrer Begleiterin, "Ich habe ein Recht zu erfahren was hier läuft! Shisuna!" Die Elfe vor der Zelle, deren Name allem Anschein nach Shisuna war, zuckte zusammen. Sie hatte schwarzes kurzes Haar und trug unter dem Wappenrock im Gegensatz zu den anderen beiden schmiedeeiserne Rüstung anstelle von leichtem Leder. "Eine Befragung, nichts weiter!", erläuterte Shisuna dann schnell. Dabei zuckten ihre Mundwinkel und ihre Pupillen weiteten sich kurz. Es passierte in einer Hundertstelsekunde, aber Shanora konnte die Mikrogestik durch Lillets Augen genau erkennen. Als ob es in Zeitlupe passieren würde. Lillets Stimme wurde forscher: "Öffne die Türe Shisuna, du wirst nervös und hast Angst! Außerdem belügst du mich!"
"Das ist es also was der Dunkle begehrte", Shanora rieb sich den Kopf, als sie wieder zu den anderen zurückgekehrt war. Did sah sie gespannt an: "Was meinst du mein Kind?" Shanora setzte sich auf, ihr war immer noch schwindlig von der Nutzung des Oculus. "Lillet ist in der Lage mit ihren Augen Mikrogestik zu analysieren! Sie ist ein wandernder Lügendetektor!", Shanora betrachtete den Körper der Elfe nachdenklich. Church legte den Kopf schief: "Du denkst, da steckt mehr dahinter, oder? Du denkst Finn hat uns nicht aus diesem Grund ihren Körper gebracht! Die Erinnerung an den Tod meines Vaters ist nicht alles was für uns von Nutzen sein kann!" Shanora nickte, genau das dachte sie. Das der Dunkle besondere Gaben sammelte und züchtete war kein Geheimnis mehr. Es musste mehr dahinter stecken. "Also machen wir weiter?", fragte Did. Shanora nickte sofort: "Wir machen weiter!" Dann trank sie einen Schluck Wasser aus dem Glas, das Chruch ihr reichte und legte die Hand wieder auf die Stirn der Elfe.
Lillet schien immer noch mit dieser Shisuna zu diskutieren: "Lass mich sofort in die Zelle! Das ist ein Befehl!" Shisunas Augen weiteten sich wieder und ihr Blick glitt hastig über die dicke geschmiedete Türe, die nur über ein kleines Luftgitter verfügte. Sie war in den Stein geschlagen, das ganze Gefängnis schien sich in einem Berg zu befinden."Wer ist bei dem Gefangenen?", Lillet packte Shisuna am Hals, sie schien irgendetwas hinter der Türe wahr zu nehmen. Shisuna schreckte zurück, sie schien nun doch den großen Schlüssel für die Zellen heraus zu geben. Lillet riss ihn ihr förmlich aus der Hand und schubste sie beiseite. "Du hältst hier die Stellung, Catt!", sagte sie, als sie leise den Schlüssel im Schloss drehte, "Pass mir gut auf Shisuna auf, ich habe danach noch mit ihr zu sprechen!" Dann stieß sie die Türe auf und sprang mit einem Satz in die Zelle. Shanora konnte sich nur vorstellen wie diese feuchte, in den Stein geschlagene Zelle müffeln musste. Tropfsteine hatten sich an den Rändern gebildet, rostige Ketten hingen von der Decke. Das einzige Licht spendete eine Kerze auf einem Holztisch, dieser war blutverschmiert. Lillet presste ihre Hand vor dem Mund, ihre dunkelroten Augen waren weit aufgerissen. Vor ihr stand, mit einem Messer in der Hand, ein Elf mit langem hellbraunen Haaren und einer Maske, die sein Gesicht verdeckte. Von der Klinge des Messers tropfte Blut. Lillet starrte auf den Wappenrock des Elfs. Es war derselbe wie ihrer, darunter trug er Gewand aus schwarzem Leder. "Lady Lillet!", auch ohne sein Gesicht zu sehen wusste Lillet, dass er eine Mischung aus Überraschung und Angst verspürte. "Raus!", sie versuchte ihre Stimme zu kontrollieren. "Aber Lady Lillet, ich kann sie nicht mit dem Gefangenen alleine lassen!", versuchte es der Elf. "Raus!", diesmal schrie Lillet die Worte, er huschte an ihr vorbei."Er spricht sowieso nicht!", hörte sie Shisuna hinter sich sagen."Schließt die Türe von außen!", befahl Lillet und nickte Catt zu. Diese packte Shisuna an ihrem Wappenrock und schlief sie nach draußen. Als die Türe ins Schloss viel wendete Lillet ihren Blick wieder dem Gefangenen zu. Er war mit rostigen Ketten an die Wand gekettet, sein schwarzes Haar hing matt und zerzaust in sein Gesicht. Auf seinem nackten Oberkörper konnte sie die Male der Folter erkennen. Man musste ihm g sie zu ihm, er schien sie nicht wahr zu nehmen. Oder nicht wahrnehmen zu unsagbare Schmerzen zugefügt haben, um ihn zum Reden zu bringen. "Kannst du mich hören?", vorsichtig legte sie ihm die Handfläche auf die verschwitzte Stirn. Er schien zu fiebern, einige der älteren Wunden sahen entzündet aus. Seine dunklen Augen fanden doch noch den Weg zu ihren. Sie konnte seine Verachtung ganz klar erkennen. "Der einzige Grund warum ich euch, die Tochter dieses kranken Elfenfürsten, nicht in Stücke Reise sind die Runen auf meinen Ketten, die mich an diesen Ort binden!", flüsterte er. Jetzt erkannte Shanora ihn. Der Fremde aus dem Neunten Kreis, Chruchs Onkel. Aber was wollte Lillet von ihm? "Schön, dass du mit mir sprichst!", Lillet ging vorsichtshalber einen Schritt zurück, dann drehte sie dich zur Türe."Bring mir Verbandszeug und Alkohol!", rief sie nach draußen. Catt klopfte gegen die Türe, um ihr damit mitzuteilen, dass sie sich darum kümmern würde. "Was hast du vor, Prinzessin?", zischte der Schattenmann, sein Gesicht spiegelte die Verachtung und den Hass auf Lillet wieder. "Ich kann sehen, wie gerne du mich töten würdest!", Lillet wendete sich wieder ihm zu, dann ging sie zu dem kleinen Tisch und schenkte einen Krug Wasser ein. Das kurze Aufblitzen seiner Augen, sowie das kurze Anheben der Braue verriet ihr, dass er sehr durstig sein musste. Also näherte sie sich ihm wieder vorsichtig und wollte ihm den Krug an die Lippen halten, wobei er seinen Kopf wegdrehte. "Aus Zorn nicht zu trinken ist dumm, findest du nicht?", fragte sie ihn ruhig, "Außerdem weiß ich bereits wie durstig du bist. Du kannst noch so wenig Emotionen zeigen. Ich sehe jede kleine Bewegung deiner Augen oder deines Gesichts! Also lass uns keine Spielchen spielen!" Der Schatten schien überrascht zu sein, aber er weigerte sich nicht mehr zu trinken. Catt klopfte an die Türe und reichte Lillet das Verbandszeug und einen Krug mit einer scharf riechenden Flüssigkeit hinein. "Etwas Besseres fand ich nicht!", erklärte sie noch, dann ließ sie Lillet wieder alleine mit dem Gefangenen. "Nach knapp 5 Jahren bist du der erste Mensch, mit dem ich spreche!", der Schattenmann schien immer noch wissen zu wollen aus welchem Grund man die Tochter des verfluchten Fürsten zu ihm geschickt hatte. "Man hat mich nicht geschickt!", Lillet begann seine Wunden zu versorgen. "Das habe ich auch nicht gefragt!", der Schatten versuchte in seiner Mimik zu verbergen wie sehr die Behandlung ihn schmerzte. "Dein Gesicht verrät mir alles, was ich wissen muss!", erklärte Lillet, "Es tut mir leid, dass du solche Schmerzen hast. Ich schäme mich dafür, dass man dir hier so viel Leid zugefügt hat. Aber mich solltest du dafür nicht hassen. Ich bin auch eher eine Gefangene!" Wie erwartet zeigte sein Gesicht jetzt eine Mischung aus Verachtung und Überraschung: "So ein Blödsinn, ihr Elfen seid alle gleich, stolz auf euer Volk egal was ihr tut! Und gerade du bist nicht gefangen, frei zu tun was dir beliebt und nicht an eine Wand gekettet!" Lillet legte ihm einen Verband an, um die gesäuberten Wunden vor weiterem Dreck zu schützen. Dann lächelte sie traurig: "Und doch würde ich sogar mit dir den Platz lieber tauschen, als mein Leben zu leben! Darum bin ich hier, Deseis!" Der klang seines Namens schien ihn schaudern zu lassen. Niemand hier kannte seinen Namen, alle nannten ihn nur den Schattenmann, oder den Bruder Baals. "Ja, das überrascht dich!", Lillet lächelte erneut, "Ich war da, vor fünf Jahren als mein Vater unser Volk verraten hat um sich dem Dunklen anzuschließen. Ich habe gesehen was passiert ist!" Der Schatten musste sich eingestehen, dass sie wirklich innerhalb von Sekunden an seinem Gesicht ablesen konnte, was in ihm vorging. Shanora bemerkte, das sich etwas seiner Haltung Lillet gegenüber veränderte. "Darum bitte ich dich um Hilfe!", Lillets Stimme klang fast flehend, "Ich brauche jemanden der mich beschützt. Keinen Elfen, niemanden von den Meinen. Einen kritischen Beobachter!" Der Schattenmann konnte nicht fassen, was ihm die Elfe da vorschlug. Er als ihr Leibwächter? Eine verrückte Idee. "Du wärst nicht mein Gefangener, ich würde dich nie so behandeln!", erklärte Lillet, "Wir wären Verbündete, Partner oder so etwas in der Art!"
Shanora wurde zurück in das Labor gezogen, ihr Kopf dröhnte und pochte, kurz glaubte sie ohnmächtig zu werden. "Du darfst nicht zu lange in den Erinnerungen anderer verweilen!", schimpfte Did sie aus, sie hatte eingegriffen und das Ritual beendet. "Ich habe es gerade bemerkt!", dankbar leerte Shanora das Glas Wasser, welches Chruch ihr reichte. "Konntest du etwas Interessantes herausfinden?", fragte dieser und half ihr auf. Langsam stabilisierte sich Shanoras Kreislauf wieder. Je öfter sie den Oculus anwendete, desto geringer waren die Nachwirkungen. "Lillet hat deinen Onkel aus dem Verlies geholt denke ich! Sie schien vor etwas Angst zu haben! Wahrscheinlich davor, dass der Dunkle sie holt. Sie bat ihn darum ihr Leibwächter zu werden. Und er hat es zwar nicht gesagt, aber er hat zugestimmt!", erzählte Shanora. Did und Church schienen verwundert zu sein."Woher willst du das wissen wenn er es nicht gesagt hat?", fragte Church. Shanora lächelte, es war schwer zu erklären, wie Lillet ihre Umwelt wahrgenommen hatte. "Lillet konnte anhand der Mimik und Gestik anderer erkennen was sie denken und fühlen. Es ist eine faszinierende Fähigkeit, die irgendwie mit ihren Augen zusammen hängt!", erzählte sie dann. Church lies seinen Blick über die Elfe gleiten. Jetzt war ihm klar, warum der Dunkle ihre Fähigkeiten begehrt hatte. "Dann hast du vor weiter in ihren Erinnerungen zu wühlen?", fragte er Shanora, die langsam wieder Farbe im Gesicht bekam. Diese nickte: "Auf jeden Fall, keine Sorge, erst nach einer Pause! Ist Marbas noch hier?" Church antwortete: "Ja, wofür brauchst du den Affen?" Shanora schnitt eine Grimasse: "Sei nicht so fies zu deinem Fan! Er muss mir mehr über ein Wappen herausfinden! Alle Elfen in Lillets Erinnerungen trugen diese Wappenröcke in Grün, das Emblem darauf war ein Hirsch! Ich möchte wissen, wo genau sich dieser Fürst Terano mit seinen Leuten aufgehalten hat!" Church begab sich nach oben, um Marbas in die große Bibliothek von Elensar zu schicken, dort würde es mit Sicherheit ein Archiv über besondere Wappen geben. "Du solltest dich in der Zwischenzeit ausruhen, Shanora!", Did lächelte milde, "zu große Hektik bringt uns jetzt auch nicht weiter, verstehst du?" Shanora verschränkte die Arme: "Lass uns gleich zu Anfang etwas klar stellen! Behandle mich nicht wie ein kleines Kind! Ich habe keine Zeit um mich groß auszuruhen! Ich gehe jetzt etwas essen und dann machen wir weiter! Bitte aktualisiere unsere Notizen, solange ich weg bin, ich habe keine Zeit dafür!" Mit dieser Ansage erhob sie sich und ging ebenfalls nach oben.