Es war still geworden in Peters Küche. Leonhard hatte seine Irina in den Arm genommen und strich sanft über ihr goldenes Haar. Peter und Ricarda verhielten sich ruhig, um den Beiden die Chance zu geben, sich zu sammeln. Irina war über ihren Schatten gesprungen und hatte damit unter Anderem auch die Qualität ihrer Freundschaft unter Beweis gestellt. Leonhard hatte mit Irinas Vergangenheit nur insoweit ein Problem, dass sie ihm wahnsinnig leid tat. Er dachte nicht im Traum daran, seine Irina deswegen alleine zu lassen. Er liebte sie und ließ sich darin nicht beirren. Schließlich stand Irina auf und wandte sich den Beiden zu. Auch Ricarda stand auf und ging auf Irina zu. Sie umarmte sie. "Ich hätte es nicht geglaubt, Irina, aber ich denke, dass wir doch noch Freundinnen geworden sind!" flüsterte sie und strich über Irinas Rücken. "Du bist eine starke Frau! Jetzt wissen wir auch, warum du so warst, wie du eben warst. Aber jetzt hast du ein neues Leben und neue Freunde." Auch Peter war aufgestanden, humpelte zwei Schritte auf sie zu und nahm sie nun in den Arm. Sie tauschten einen kurzen Blick, beide in dem Bewusstsein, dass Peter schon ein Wenig von ihrer Vergangenheit gewusst hatte. Mit diesem Blick besiegelten sie, dass die nächtliche Aussprache im Krankenhaus ihr Geheimnis bleiben würde. "Wie Ricarda schon sagte, Irina, Jetzt sind wir doch noch Freunde geworden! Und danke, dass du mich vor Schlimmerem bewahrt hast. Ich weiß, dass du damit ein Risiko eingegangen bist!" Irina fiel ein Stein vom Herzen. Keiner von ihnen hatte ein Problem mit ihrer Vergangenheit. Hatte sie es wirklich geschafft, endlich eine ganz normale, "anständige" Frau geworden zu sein? "Schade, dass du nicht schon viel früher mit mir darüber geredet hast, Irina." Leonhard hatte sie wieder zu sich herangezogen. "Wenn du mich nur nicht aufgibst, Schatz, dann hab ich jetzt alles was ich mir immer gewünscht hab! Spät, aber doch, habe ich echte Freunde und einen lieben Mann und kann endlich FRAU sein!" - "Das bist du, mein Liebling! Eine Wunderschöne noch dazu! Ich bin sehr stolz auf dich!"
Irina war sehr erleichtert über die Reaktion der Anderen, war sich aber der Tatsache bewusst, dass sie, wenn Kremer sich melden würde, eine Entscheidung treffen musste, ob sie ihn einfach nur verwarnen sollte, oder ob sie sein Fehlverhalten tatsächlich melden und mit Moskau wieder Kontakt aufnehmen sollte. Die einfachere Variante wäre es gewesen, ihn vertraulich zu verwarnen. Dazu musste sie ihm aber trauen. Wenn Moskau nichts erfuhr, blieb ihr Passwort bestehen und sie konnte ein ganz normales Leben einfach weiterleben, was gerade jetzt mit einem lieben Mann und Freunden an ihrer Seite die Krönung ihres bisher schattigen Daseins gewesen wäre. Wenn Kremer aber, und er schien eine linke Bazille zu sein, den Spieß umdrehte und in Moskau berichten sollte, sie habe ihr Passwort dazu missbraucht, eine (angeblich) korrekte Amtshandlung an ihren Freunden zu verhindern und anschließend Geheimnisverrat begangen, war ihr Leben bedroht...