04.08.2019
Er drehte den Schlüssel, und öffnete die Tür.
Beinahe lautlos glitt das hölzerne Boot durch das flache Wasser nahe des Ufers, um schließlich in einer kleinen Bucht anzulegen.
In der herbstlichen Dämmerung dieses bereits überraschend kühlen Abends zogen die ersten Nebelschwaden um die Hütte, die verlassen im Schutz einer mächtigen Trauerweide stand. Niemand wäre wohl auf die Idee gekommen, hinter den massiven Blockwänden noch etwas anderes als die zweckmäßige Einrichtung zu vermuten, wie sie für Fischerhütten in dieser Gegend typisch war. Einer wusste es besser. Was dort drinnen unter den Bodendielen lag, war so unfassbar wertvoll, dass einem schon beim Gedanken daran der Atem stockte.
Vorsichtig stieg der Alte aus dem Boot, zog es leise ein gutes Stück aus dem Wasser und griff nach einem Bündel, das nahe seinen Füßen gelegen hatte.
Trockene Zweige knackten unter seinen Stiefeln, während er langsam auf sein Ziel zu ging. Er zog sich die wollene Mütze ein wenig tiefer ins Gesicht und schlüpfte in seine Handschuhe. Längst war ihm das in Fleisch und Blut übergegangen, nie hatte er eine Spur hinterlassen.
Ein Schmunzeln breitete sich auf seinem wettergegerbten Gesicht aus, als er sich im Schutz der Weide vor das Schloss kniete. Es würde nur Sekunden dauern. Er war ein Meister seines Fachs. Ein Künstler schon fast!
Die Schritte hinter sich hörte er nicht.
"Opa!", erklang die tadelnde Stimme seines Enkels Lucas. "Du hast ihn schon wieder auf der Sitzbank liegen lassen." Lachend hob der junge Mann einen klimpernden Bund in die Luft.
Der Alte trat vergnügt zur Seite und machte Platz, als Lucas die Sache in die Hand nahm. Er drehte den Schlüssel und öffnete die Tür.
"Na, mein Junge? Was gibt es neues in der Stadt?"
"Oje", seufzte der Angesprochene. Der Kunst Diebstahl hält nach wie vor die gesamte Abteilung in Atem."
"Habt ihr denn schon eine Spur?"
"Schön wäre es. Wir tappen völlig im Dunkeln. Das war ein Profi, das Bild sicher längst außer Landes. Im Safe eines privaten Sammlers. Wenn du mich fragst, das finden wir nie wieder.
"Na, komm Junge. Ich habe zwei schöne Forellen gefangen, die schmeiße ich uns jetzt in die Pfanne. Danach sieht die Welt gleich anders aus."
Lucas lächelte dankbar. Er liebte seinen Großvater. Hinter seiner Tür war die Welt einfach und in Ordnung.
Beneidenswert.