25. 08. 2019
Mondscheinserenade
"Fräulein von Rohnbach. Es ist mir eine außerordentliche Freude."
"Dem kann ich mich nicht anschließen. Guten Tag, Herr von Berling."
Ein belustigtes Lächeln schlich sich in die aristokratischen Gesichtszüge des vornehm gekleideten Herren. "Das ist umso bedauerlicher, da ich Ihre Gesellschaft über alle Maßen schätze, Verehrteste. Erlauben Sie mir, Sie ein Stück Ihres Weges zu begleiten?"
"Herr von Berling, ich meinte meiner Abneigung Ihnen gegenüber bereits ausreichend Ausdruck verliehen zu haben. Aber da Sie es nicht anders wollen, lasse ich Sie noch einmal und mit Nachdruck wissen, dass es mich nicht amüsiert, von Ihnen belästigt zu werden."
"Sie missverstehen mich. Ich umwerbe Sie!"
Genervt spannte die junge Dame ihren Sonnenschirm auf. "Ich wünsche nicht, umworben zu werden! Gu-ten-Tag!" Energischen Schrittes setzte sie ihren Spaziergang fort.
"Nicht sehr vielversprechend."
"Fortuna! Was führt dich an den Toplitzsee?"
"Sicher nicht das Orchester", kicherte sie fröhlich. "Was spielen denn die?!"
"Die Mondscheinsonate, von einem gewissen Beethoven."
"Schrecklich, dieses neumodische Zeug! Ich bin einem sehr interessanten Physiker nach Dänemark gefolgt und nun auf dem Rückweg. Und du, Eros? Hast wohl noch viel Arbeit mit diesen beiden."
"Aber nein. Wegen denen bin ich nicht hier."
"So? Aber hier steht es doch!" Fortuna, die Göttin des Glücks und des Zufalls hielt dem Gott der Liebe sein eigenes, rotes Buch unter die Nase. K. Berling - J. Rohnbach!"
Eros stutzte. "Unmöglich. Ich irre mich nie!" Er kontrollierte den Eintrag und sofort erhellte sich sein Gesichtsausdruck. Du bist im falschen Jahrhundert, meine Liebe! Du hast 2019 aufgeschlagen. Wir schreiben aber erst 1819! Lass mich meine Arbeit machen!"
Konzentriert beobachteten beide die Promenade. Eros, weil er auf jemand wartete und Fortuna, weil sie ohne ihn nicht von hier weg kommen würde. Sie hatte ihren Kompass verlegt.
"Ah!" Der Gott der Liebe deutete zufrieden auf eine Kutsche. "Da kommt er ja!"
"Er?"
"Johann von Österreich. Und die Frau seines Lebens ist auch schon unterwegs!"
"Ein hübsches Mädchen. Wer ist sie?"
"Anna Plochl. Die Tochter des Postmeisters von Aussee."
Fortuna wäre vor Lachen fast von der Sitzbank gefallen. "Die Tochter eines kleinen Postbeamten und der Erzherzog?!"
"Sie heiraten am 18. Februar 1829. Ich irre mich nie."
Hans Christian Oersted lief aufgeregt durch die Gänge der Universität. Jemand hatte einen Kompass vergessen. Beim Versuch daneben einen Draht zum Glühen zu bringen, war dessen Nadel abgelenkt worden. Nach Ausschalten des Stromes hatte sie sich in die ursprüngliche Richtung zurückgedreht! Durch puren Zufall war damit der wissenschaftliche Beweis für den Zusammenhang von Elektrizität und Magnetismus erbracht!
.....
"Verzeihung. Sachs, mein Name. Heinrich Sachs. Erlauben Sie, dass ich Platz nehme?"
"Bittesehr!", lächelte Fortuna. "Sie haben den Tisch für sich alleine, mein Herr. Ich habe auf jemanden gewartet, aber ich habe soeben gemerkt, ich habe mich vertan."
"Das tut mir leid. In der Uhrzeit?"
"So ähnlich", zwinkerte sie, ließ achtlos ein Stückchen Draht mit dem sie gespielt hatte auf der Tischdecke zurück und verließ das Cafe. Der Tag war richtig gewesen, aber es war erst das Jahr 1919.
"Heinrich? Heinrich!", fuhr seine Frau ihn an. Die Kellnerin war im Begriff eine Bestellung aufzunehmen, und er glotzte auf einen gebogenen Draht. Es war ein Drama! Der Besitzer einer kleinen Fabrik war ständig mit den Gedanken woanders.
"Schau dir das an!" Er hatte sich den Block der Bedienung geschnappt und heftete mit dem Ding begeistert die Seiten zusammen.
"Ja? Und? Papierklammern gibt es seit dreißig Jahren."
"Aber keine solchen! Ich nenne sie ... Büroklammer!"
.....
"Fortuna! Was führt dich zu mir?
"2019? Funkenflug? Berling-Rohnbach? Ich will sehen, wie genau dein Büchlein ist, Eros!"
"Unfehlbar", erklärte er im Brustton der Überzeugung. "Nach meinen Aufzeichnungen wird das eher ein Flächenbrand. Sie heiraten schon am 16. Mai. 2020!"
Die Göttin des Glücks und des Zufalls war gespannt.
Ein kleines Mädchen sprang begeistert in den Sandkasten. Der Vater sah ihr mit liebevollem Blick hinterher. Ihren Rucksack, auf dessen rosa Nemensschildchen "K. Berling" stand, legte er auf einer Bank ab und setzte sich daneben.
Auf der anderen Seite der Sandkiste wurde schwungvoll eine Schultasche in Richtung Wiese befördert. Gut leserlich auf der Vorderseite: "J. Rohnbach". Leise seufzend hob der Vater des Jungen die Tasche auf.
"Echt?", fragte Fortuna breit grinsend. "Die heiraten im nächsten Jahr?"
"Irgendwas stimmt hier nicht." Nervös begann Eros in seinem Büchlein zu blättern. "Die sind viel zu jung!"
"Ich baue eine Burg. Magst du mitspielen?" fragte das kleine Mädchen den Jungen.
"Klar! Ich heiß Julius. Und du?"
"Katharina!"
"Der Gott der Liebe war ratlos. "Was ist denn da schief gegangen?", flüsterte er vor sich hin. "Wie konnte mir denn so ein Fehler unterlaufen?" Hektisch durchsuchte er die Seiten. "Ich habe mich noch nie geirrt. Nie!"
"Sie mögen sich."
"Ja, süß. Ihre Tochter?"
"Mhm. Sie ist vier."
"Julius ist letzten Monat sechs geworden."
"Möchten ... Ich meine ... möchten Sie sich setzen?"
"Gern." Sie wirkten alle beide außerordentlich nervös.
"Sind Sie ... öfter hier?"
"Na ja, ich ... ich habe ihn nur an den Wochenenden. Ich ... ich bin geschieden."
"Ah!"
"Und Sie, ich meine ... sind sie, also ..."
"Ich war nie verheiratet!"
"Nicht?"
"Meine beste Freundin ... wir wollten beide ein Kind. Aber wir haben keine ... ich meine wir hatten nie eine ... Beziehung."
"Oh. Das ist ... ungewöhnlich.
Aufkommender Wind trug den Klang von Glenn Millers Moonlight Serenade aus dem nahen Park herüber. Fortuna schloß genüsslich die Augen. Wie die Zeiten sich änderten!" Eros?"
"Wo ist denn der Fehler? Die Koordinaten sind richtig ..."
"Eros!"
"Unmöglich ... Es muss eine Erklärung geben!"
Sie seufzte kopfschüttelnd.
Aufgeschreckt von den ersten Tropfen, liefen die Kinder kreischend ihren Vätern entgegen.
"Es fängt an zu regnen."
"Ja. Schade, weil ... vielleicht, also, ..."
"Nächste Woche? Gleiche Zeit? Hier?"
"Ja!" Was für ein Lächeln!
"Hey, wie heißen Sie?"
"Jan Rohnbach."
"Konstantin Berling."
"Dann bis ..."
"Ich freue mich, Jan."
Beherzt drückte die Göttin des Zufalls und des Glücks den Gott der Liebe. Er hatte sich auch diesmal nicht geirrt. Er würde es schon merken. Irgendwann.
Ben Wendtner wusste es noch nicht, als er unweit der beiden vorbei lief, um sich und seinen Laptop vor dem heftigen Schauer in Sicherheit zu bringen. Aber Fortuna würde sich schon in wenigen Minuten einem neuen Projekt zuwenden ...