Labsal
18. 02. 2024
Wieder ein Morgen, wie er strahlender nicht hätte sein können. Keine Wolke am blauen Himmel. Die Luft roch nach Lavendel und Salz, das der laue Wind vom Meer in das kleine Dörfchen im Hinterland der Cote d'Azur trug. Es lag gerade so weit von der Küste entfernt, dass man jederzeit hinfahren hätte können. Wenn man denn gewollt hätte. Aber das wollte selten jemand. Nur die paar Touristen, die sich in den Zimmern der kleinen Pensionen einmieteten. So lange es nicht zu viele wurden, war das in Ordnung. Immerhin lebte auch Isabelle von den Reisenden. Sie verkaufte kleine, nach Kräutern duftende Seifen in ihrem winzigen Laden, die kein Einheimischer mit nach Hause nehmen würde. Da konnten sie noch so schön herzförmig sein. Aber Touristen - Touristen kauften jeden Scheiß!
Wie jeden Tag führte Isabelles erster Weg sie in die Petit Boulangerie, die kleine Bäckerei ihrer Freundin Marie-Noelle. Ihr Croissant und der Café au Lait waren eine Sünde! Doch seit einigen Wochen war es nicht das Frühstück, das Isa anzog, wie die Motte das Licht.
Wie erwartet, stand auch Manon, die dritte im Bunde, bereits an Marie-Noelles Theke. Denn nun hieß es warten. Bis er den Laden betrat: Alexy Navet. Ein Feriengast, der sich bei der alten Madame Michelle eingemietet hatte, ja. Aber was sollte es! Man konnte doch auch mal eine Ausnahme machen!
Der Kerl war aber auch so ... unbeschreiblich. Unbeschreiblich schön. Und charmant. Und einfach ... umwerfend. Er war ein wahres Labsal für das Auge.
"Merde!", rief einer der Spieler, die auf dem Platz vor dem Hôtel de ville Pétanque spielten.
Auch heute war Alexy bester Laune. Er grüßte die anwesenden Damen mit einem Augenzwinkern und kaufte eine Baguette mit Walnüssen, die tatsächlich ganz köstlich mit Tapanade schmeckte, wie er meinte. Für den Hinweis bedankte er sich bei Manon, die prompt errötete. Außerdem bat er um zwei Schächtelchen Calissons, eines für sich und eines für Madame Michelle, seine Zimmerwirtin, die alte Dame wäre zu reizend!
Isabelle wünschte leise seufzend, er würde sie nur einmal so ansehen, wie das schiffchenförmige Mandelkonfekt in seinen perfekten Händen. Er, oder überhaupt irgend ein Mann. Am liebsten er.
"C'est pas possible!", hörte man von draußen, wo mit einem Mal eine Unruhe herrschte, die zu einer Partie Pétanque nicht passen wollte. Nicht hier, wo die Uhren langsamer gingen, als anderswo.
"Habt ihr gehört?", fragte der alte Claude durch die offene Tür, "jemand ist ermordet worden!"
"Was?" Die Frauen sahen einander verwirrt an. "Bei uns?"
"Ja, bei uns! Hier im Ort! Ein einziger Schuss. Genau zwischen die Augen!"
"Wer!" rief Marie-Noelle. Es war keine Frage.
"Nur ein Tourist. Aber trotzdem." Nachdenklich rückte Claude sein Bèret zurecht. "Es ist schlecht für den Fremdenverkehr!"
"Mon dieu", sagte Alexy.
Toll. Jetzt würde er abreisen. Ganz sicher.
Ja, das würde er. Aber erst nächste Woche. Er pflegte nicht aufzufallen und würde bleiben, wie gebucht. Gemächlichen Schrittes schlenderte er die Gasse entlang, grüßte mal hier eine Dame, wechselte einige Worte mit dem Bürgermeister, stattete dem Metzger in seiner Boucherie einen kurzen Besuch ab, nicht ohne eine Saucisson zu erwerben und setzte lächelnd seinen Weg fort. Ach, manchmal liebte er seinen Beruf ganz besonders.