11.08.2019
Herbstzeitlose
Mein Leben wäre ziemlich fade, hätte ich Nica nicht. Ihren letzten Kerl hat sie abgeschossen, als er drohte sich scheiden zu lassen. Von seiner Frau. Auf so einen kann man sich nicht verlassen, hat Nica gesagt. Da muss ich ihr zustimmen.
Sie ist ziemlich erfolgreich. Sieht umwerfend aus und hat einen schlechten Charakter. Also das genaue Gegenteil von mir. Sie führt das Leben einer Femme Fatale, meines ist nur fatal. Sie ist eine Orchidee, ich bin eine Herbstzeitlose. Nur, um den Unterschied zu verdeutlichen. Gestern bin ich neunundzwanzig Jahre alt geworden. Schon wieder. Mein Name ist Alice Müller. Aber sagen Sie ruhig Schnuppi zu mir. Mein Chef macht das auch!
Es ist ja so: Niemand außer mir, will freiwillig mit Nica befreundet sein. Frauen hassen sie von Natur aus. Weil Nica ihre Männer haben könnte. Wenn sie wollte. Mir ist das egal. Ich habe keinen Mann. Und genau da ist mein Problem.
Nica kannte Rüdiger noch. Den wollte sie aber nicht. Den wollte ja noch nicht mal ich! Trotzdem war ich drei Jahre mit ihm zusammen.
Wir hatten eine wahnsinnig romantische Kennenlerngeschichte, und na ja. Ich wollte wissen, wie sie ausgeht. Rüdiger verwechselte die Bremse seines Wagens mit dem Gaspedal und rammte meinen Nissan Micra-Mouse. Er begleitete mich ins Krankenhaus und kam jeden Tag mit Blumen.
Ich habe lange geglaubt, der Unfall wäre passiert, weil er so abgelenkt war. Von mir. Aber Rüdiger kann nur nicht Auto fahren.
Und ich konnte nicht mit ihm Schluss machen. Weil er mir nie einen Grund gegeben hat. Gott, war der perfekt. Gutaussehend, pflegeleicht und so verdaaaaammt verständnisvoll. Am liebsten hätte ich ihm in der Früh schon eine rein gehauen.
Ich irre mich nie. Wenn es um Männer geht, greife ich zielsicher daneben. Es begann schon in der Schule. Manfred Bachler hatte eine deutliche Schwäche für mich. Immer wenn ich ihm begegnete, lief er knallrot an, begann zu stottern und ließ Sachen fallen. Was für ein Nerd! Ich meine ... Boah! Da blieb ich lieber Single!
Manfred ist inzwischen aus seinen Pickeln und der Zahnspange rausgewachsen. Er ist Architekt. Sieht gut aus. Hat kürzlich einen Design-Wettbewerb gewonnen. Stand in der Zeitung.
Manfred! Wenn du das hier liest, verzeih mir!
Damals war das nicht absehbar, und ich begegnete ihm: TBC. Klingt das im direkten Vergleich nicht wahnsinnig verwegen? Unkonventionell? Gefährlich? Ich war hin und weg! Konnte mein Glück kaum fassen. Nun, TBC hat mich nie belogen, das muss ich ihm zugute halten. Hätte ich ihm nur geglaubt, als er mir am nächsten Morgen sagte, sein Name wäre das coolste an ihm. Das war kein Spitzname, nur eine Abkürzung. Für Tobias-Bernd Christ. Spätestens als meine Mutter ihn sofort ins Herz geschlossen hat, hätte ich misstrauisch werden müssen. Gegen den war sogar Rüdiger noch aufregend!
Rüdiger hat mich verlassen. Vor sechs Monaten. Ich konnte es nicht glauben. Hat meine Hände gehalten, mir tief in die Augen gesehen (ich hatte echt Panik, er würde mir einen Heiratsantrag machen!) und mir dabei mitgeteilt, dass das Universum ihn für eine Andere bestimmt hat. Es war grausam. Ich hätte erleichtert sein müssen, aber etwas Demütigenderes, als von einem Kerl sitzen gelassen zu werden, den man nicht mal liebt, gibt es überhaupt nicht.
Wir haben uns dann noch zusammen die Nachrichten angesehen. Ich bin da nicht so. Ich habe mich drei Jahre mit ihm gelangweilt, da kam es auf diese zwanzig Minuten auch nicht mehr an.
Was solls. Ich brauche niemanden.
Lonesome Cowgirl.
On the road again.
Frei. Wortkarg. Geheimnisvoll.
Kann endlich leben, wie ich will. Ohne jede Regel. Kann, keine Ahnung, links blinken, rechts abbiegen!
Ehrlich, ich hatte es vor! Aber dann ist der umwerfende Typ gegenüber eingezogen. Seitdem verbringe ich meine Tage schmachtend auf dem Balkon.
Nur noch lonesome.
Obwohl Nica mir oft dabei Gesellschaft leistet. Sie hat sogar Pflanzen mitgebracht. Hat gemeint, ich hätte jetzt einen Grund ihn anzusprechen. Ich könnte ihn bitten, das Grünzeug zu gießen, so lange ich im Urlaub bin.
Da wussten wir noch nicht, dass er ein Bulle ist. Es könnte eventuell problematisch sein, einen Polizist zu bitten, sich um die Marihuana-Setzlinge meiner Freundin zu kümmern.
Kurz, ich bin von dem Plan nicht überzeugt. Ich brauche einen anderen.
Planen kann ich! Auch, wenn mein Chef es nicht zu schätzen weiß. Der kann mich sowieso mal. Habe ich schon erwähnt, dass ich vorhin gekündigt habe? Er hat die Probezeit nicht bestanden. Soll sich seinen Kaffee ab sofort selbst holen.
Alice Schnuppi Müller gönnt sich derweil ein Gläschen Sekt auf ihrem begrünten Balkon. In Gesellschaft und mit Aussicht!