20.10.2019
schwarzer Engel
"Die zwei haben sich echt gesucht und gefunden!"
"Kannst du laut sagen. Wie lange versuchen sie jetzt schon diese Zelte aufzubauen?"
"Etwa zweieinhalb Stunden."
"Ob das noch was wird?"
"Würde ich nicht unbedingt drauf wetten."
Die beiden Frauen in den Fünfzigern beobachteten desillusioniert ihre Ehemänner beim Versuch ein Nachtlager im Schutz eines alten Baumes zu errichten. Multitasking schien auch nicht unbedingt deren Stärke zu sein, denn das mühsam entzündete Lagerfeuer gloste nur noch matt vor sich hin.
"Sag mal Christiane. Haben die wirklich vor, alleine zu kochen?"
"Vergiss es."
"Helmut hat nämlich gemeint, dein Toni hätte frisches Fleisch bei einem Bauern besorgt!"
Die Blonde nickte ernst. "Ich zeig dir mal was." Ohne Eile stand sie auf und öffnete die Heckklappe ihres Kombis.
"Also, jetzt übertreiben die aber!"
Helmut und Toni hatten sich in der Kur kennengelernt. Ein Mathelehrer und ein Buchhalter, im gleichen Schicksal vereint: Darnieder gestreckt von einem viel zu frühen Herzinfarkt, hatten sie direkt nach einer Achtsamkeits-Meditation, bei Bier und Brezeln beschlossen ihr Leben zu ändern. Weg vom materiellen Konsumdenken, hin zur Selbstfindung in der unberührten Natur.
Wild.
Frei.
"Toni? Also wegen dem Hühnchen ..."
"Es war ein Problem mit der Kommunikation! Ich sagte, ich will das Fleisch wirklich frisch. Und irgendwie ist es das ja auch."
"Du, das ist nicht frisch! Das ist lebendig!"
Unruhig gackerte das braune Federvieh unter den skeptischen Blicken der Ehefrauen in seinem kleinen Käfig vor sich hin.
"Unsere beiden Naturburschen müssten es zuerst mal umbringen. Dann rupfen und ausnehmen. Kurz gesagt, ich glaube nicht, dass die das auf die Reihe kriegen."
Nachdenklich schauten sie dem Tierchen zu, wie es nervös von einem Bein auf das andere stieg.
"Sieh doch mal. Das ist irgendwie voll süß!"
"Eben. Kannst du dir den deinen als schwarzen Engel des Todes vorstellen?"
"Ich kann ihn mir nicht mal als Lehrer vorstellen!"
"Ich bin der Meinung, der Bauer hätte das übernehmen sollen."
"Auftragsmord?"
"Wir tun doch auch nix anderes!"
"Wir töten nicht aus niederen Beweggründen, sondern um zu überleben! Kann ja nicht so schwer sein, ein Hühnchen zu schlachten!"
"Sicher, sicher, Toni. Du schaffst das schon."
"Ich? Ich dachte du ..."
"Also ich habe dabei starke tierschutzrechtliche Bedenken!"
"Und ich habe Hunger! Außerdem, wie stehen wir denn da, als Männer, wenn wir uns drücken?"
"Ist wahr", musste Helmut zugeben. "Aus der Nummer kommen wir nicht mehr raus. Ich habe auch so schon irgendwie den Eindruck, Elke und Christiane sind unser naturnahen Einstellung gegenüber mehr als skeptisch. Ich wünschte einfach, es gäbe einen anderen Ausweg. Hast du eine Axt?"
"Klar", schluckte Toni, sich der Ernsthaftigkeit ihrer Absicht ein Leben zu nehmen, plötzlich ebenfalls deutlich bewusst. "Liegt schon daneben."
"Na ja. An das Mordwerkzeug haben unsere Helden jedenfalls gedacht."
"Wie feinfühlig. Hoffen die, dass es Selbstmord begeht, wenn sie es lange genug unter psychischen Druck setzen, oder was?"
"Das hätten die gerne!" Elke konnte sich kaum noch halten. "Wir sollten die Axt in den Käfig reinlegen. Vielleicht wehrt es sich!"
"Das könnte für uns auch gefährlich werden. Du, wenn so ein Hühnchen erst mal Blut geleckt hat ...", prustete Christiane los.
Gleichermaßen resigniert wie liebevoll, wagten die beiden einen Seitenblick auf ihre Angetrauten. Inzwischen hatte die Dämmerung sich über das Tal gelegt und die Zelte sahen noch immer nicht annähernd so geformt aus, wie die Bilder auf den Verpackungen sie zeigten.
"Weißt du was? Ich schlage vor, wir erlösen die zwei Idioten."
"Einverstanden."
"Lass uns erst mal reingehen und eine schöne Tasse Kaffee machen. Danach gibt es eine klare Ansage und ein Raclette."
"Und das Hühnchen?"
"Gehört ab sofort zu den bedrohten Tierarten und steht unter besonderem Schutz. Unserem."
"Da bin ich sofort dafür. Oh, Mann. Je länger ich ihnen zusehe, umso sicherer bin ich, in freier Wildbahn würden die sterben. Und irgendwie habe ich mich an den meinen ja doch gewöhnt."
"Na, da sagst du was! Was bin ich froh, dass wir darauf bestanden haben, das in unserem Garten zu machen!"