Winterrose
für Grendelin
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"Er schreibt, er will lieber mit seinem Stallburschen durch die Wälder streifen, als für mich eine Winterrose zu suchen! Kannst du das glauben?!" Maximal genervt knallte die Prinzessin den Brief auf das Tischchen in der Mitte ihres Turmzimmers. "Mit seinem Stall-bur-schen! Was hat der, was ich nicht habe?"
"Ähm..."
"Ja, ja!", winkte sie ungeduldig ab. Bea Teuhse, die Kräuterfrau und Hebamme, hatte ihr das im Detail erklärt. Es war das peinlichste Gespräch ihres Lebens gewesen. "Du willst mich doch nur verheiraten, damit du sturmfreie Bude hast!"
"Nein", stellte ihr Bruder und König klar. "Weil du nervst, wie nichts Gutes!"
"Was soll das jetzt wieder heißen?!"
"Erst heute Morgen hat die Schneiderin sich bei mir beschwert! Kannst du mir mal erklären, wo dein Problem ist?"
"Die Sachen die sie mir näht, sind bescheuert!"
"Deswegen rennst du im Nachthemd rum?"
"Es ist kein Nachthemd! Es heißt Kimono und ist sehr praktisch. Man schlüpft rein und wickelt einfach das Band rum! Aber in Asien einzukaufen, kann keine Lösung sein."
"Nicht?"
"Nein! Das ist sozialpolitisch bedenklich!"
"Dann zieh halt normale Sachen an."
"Weißt du, wie lange ich jeden Morgen brauche, bis ich angekleidet bin? Das muss doch schneller gehen! Mit einem Raaatsch muss der Fummel zu sein!"
Der König massierte sich die Schläfen. Die würde er nie loswerden. "Kannst du wenigstens mal aufhören, in deine Kommode zu glotzen, während ich mit dir rede?"
"Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, darin müsste etwas zu sehen sein."
"Wie in einer Glaskugel?"
"Nö. Richtige Bilder. Wie wenn man aus dem Fenster sieht. Nur informativer."
"Dann sieh halt aus dem Fenster."
"Was gibt es da?"
"Robin Hood müsste gleich laufen. Äh ... vorbei laufen. Will ihm ein Pferd andrehen."
"Du wirst ihm doch hoffentlich nicht Ferrari verkaufen?!"
"Den schwarzen Mustang."
"Okay. Der hat mir sowieso zu wenig PS."
"Ferrari hat auch nicht mehr!"
"Du hast keine Ahnung!"
"Mehr als du ganz sicher! Ich bin ein Mann!"
"Jetzt geht die Leier wieder los!"
"Und der König! Schon deswegen habe ich von allem Ahnung!"
"Nur nicht davon, wie man mich unter die Haube kriegt!", blaffte sie spitz.
"Unter den Schal, meinst du?" Jeder Illusion beraubt drehte er das neueste der krummen, löchrigen Dinger in seinem Händen hin und her, die seine Schwester pflichtbewusst produzierte. "Vorsicht, Fräulein! Wenn mir nichts mehr einfällt, gebe ich dich der nächsten Person, die durch die Tür kommt!"
"Und wenn ich nicht will?", sprang die Prinzessin hoch.
"Mir doch egal!", schrie ihr Bruder und stürmte wütend hinaus, weil ihm nichts anderes übrig blieb. Wieder mal. Fast hätte er dabei die Kammerzofe umgerannt.
Sanft lächelnd schwebte sie ins Zimmer und tauschte liebevoll die Schneerose in der Vase gegen eine neue. "Sorgt Euch nicht. Mich werdet ihr nicht los", versicherte sie ihrer Edeldame. "Komme, was da wolle."