„Tut mir leid“, murmelte Jonathan. „Ich hatte wirklich gehofft, du kommst mit. Ich freu mich, dich gefunden zu haben, und ich will dich nicht einfach so wieder verlieren. Aber ... vielleicht ist das wirklich zu überstürzt. Manchmal durchdenke ich Dinge nicht ganz, wenn ich sie gut finde.“
Thomas‘ leises Lachen ließ ihn aufsehen.
„Deshalb sitzt du hier mit nichts als meiner Decke?“
Jonathan antwortete mit einem beschämten Lächeln.
„Hey.“ Thomas rückte noch ein Stück näher zu ihm, sodass Jonathan überrascht den Kopf hob und ihn ansah. „Wir sind doch Freunde, oder?“
Es spiegelten sich so viele verschiedene Emotionen in seinem Blick, dass Jonathan sie gar nicht alle deuten konnte. „Ja“, antwortete er einfach, und meinte es. Sie kannten sich zwar nicht lange, aber es fühlte sich dennoch richtig an. Dass Thomas das genauso sah, machte ihn froh.
„Dann verlieren wir einander nicht, wenn du gehst. Es ist noch nicht sicher, dass ihr das Haus verkauft, richtig?“
„Das stimmt ... aber es könnte sein.“
„Selbst dann kommst du noch mal her!“, sagte Thomas mit Bestimmtheit. „Glaub mir – und sei es nur, um noch ein paar Dinge zu holen.“
Natürlich – Thomas kannte die Situation. Erst jetzt fiel Jonathan wieder ein, dass auch er das Haus seiner Eltern verkauft hatte. Er wusste also, wovon er sprach. Diese Erkenntnis und die Sicherheit, mit der Thomas verkündete, dass Jonathan noch einmal herkommen würde, ließen ihn nicken.
„Weißt du ...“ Thomas zögerte. „Für dich sieht das hier alles nach nichts aus.“ Mit einer allumfassenden Geste deutete er auf seine Hütte.
Jonathan wollte widersprechen, doch Thomas bat ihn mit erhobener Hand darum, ihn ausreden zu lassen.
„Es sieht aus wie etwas, das man leicht zurücklassen kann. Aber ich habe alles hier selbst gemacht. Die Teile besorgt, den Hang hochgetragen. Alles zusammengesetzt.“
Er stutzte erstaunt. Dann formulierte er den Gedanken, der ihm gerade erst gekommen war: „Es war ein bisschen, als ob ich mich selbst wieder zusammenbaue.“ Er lächelte über diese Erkenntnis, bevor er fortfuhr. „Und ich war eine ganze Weile hier. Ich brauche ein bisschen Zeit, um wieder unter Menschen zu gehen. Unter Leute, meine ich.“
Auch, wenn es ihn traurig stimmte, Jonathan verstand, dass Thomas mehr Zeit brauchte.
„Ich sage dir Bescheid, wann wir das nächste Mal herkommen“, versprach er. „Und wenn du willst, kannst du uns dann für einen Besuch begleiten und die anderen kennenlernen. Ich frage sie, was sie davon halten. Wie findest du das?“ Hoffnungsvoll sah er Thomas an.
„Wie willst du mir Bescheid geben?“, fragte der überrascht. „Ich hab hier keinen Strom.“
Jonathan lächelte – dafür hatte er tatsächlich schon eine Lösung. „Ich schreibe dir einen Brief“, verkündete er. „Ich schicke ihn an Lukas, der soll ihn für dich aufbewahren.“
„Wer ist Lukas?“
„Ihm gehört der Laden unten im Ort, in dem du einkaufen gehst – früher war er mal mit Sebastian und mir auf derselben Schule.“
Thomas verzog das Gesicht. „Ich weiß nicht“, sagte er zurückhaltend. „Ich glaube, der kann mich nicht besonders gut leiden.“ Wegen seiner Unhöflichkeit. Irgendwie fiel doch immer alles wieder auf einen zurück.
„Lass mich mal mit ihm reden“, erwiderte Jonathan voll Zuversicht. „Ich mach das schon!“
Dann stand er auf. „Ich muss los“, stellte er mit einem weiteren Blick nach draußen fest. Er schenkte Thomas ein bedauerndes Lächeln. „Ich werde dich vermissen.“
Thomas war selbst ein Freund offener Worte, aber Jonathan überraschte ihn mit dieser Verabschiedung dennoch. „Danke“, erwiderte er. „Danke, dass du so hartnäckig warst. Und für heute Nacht. Also – du weißt schon ...“
Ah, verdammt! Er musste mit seiner Wortwahl besser aufpassen. Ganz unzweideutig, das war wichtig!
Jonathan ignorierte Thomas‘ Drucksen und lächelte. „Danke, dass du dich auf mich eingelassen hast. Ich glaube, ich habe dich stellenweise ganz schön überfordert.“
Dann zog er ihn in eine kurze, feste Umarmung.
Thomas erwiderte die Umarmung und grinste. Eingelassen? Überfordert? Das könnte man auch zweideutig verstehen. War das Jonathans Humor? Vielleicht musste er doch nicht so genau auf seine Worte achten – zumindest, wenn sonst niemand zuhörte.
„Pass auf dich auf, Werwolf“, sagte er leise, bevor er Jonathan losließ und einen Schritt zurücktrat.
„Und du auf dich, Sanitäter.“ Jonathan lächelte. „Drehst du dich kurz um?“
Thomas schmunzelte, tat ihm aber den Gefallen und wartete, bis eine Schnauze gegen seine Kniekehle stupste – das Zeichen, sich wieder umzudrehen. Er ließ sich auf ein Knie nieder und wuschelte dem Wolf lächelnd einmal durchs Fell. Er wollte nicht zeigen, wie ungern er ihn gehen ließ. „Lass dich nicht erwischen, Kumpel!“
Er lachte, als der Wolf sich gegen ihn drängte und ihm ausgiebig Gesicht und Hals leckte, die Nase in den T-Shirt-Kragen schob, noch einmal ausgiebig schnüffelte und, nachdem er noch einmal mit der Zunge quer über Thomas‘ Gesicht gefahren war, zur Tür hinaus eilte. Was für eine Verabschiedung!
Er ging hinaus und sah ihm noch eine Weile nach, obwohl er sich nicht sicher war, dass die Bewegungen, die er beobachtete, wirklich von seinem Wolf stammten.
Jonathan.
Das war definitiv die mit Abstand verrückteste Woche seines Lebens gewesen. Und er vermisste jetzt schon jede Sekunde davon.
Hoffentlich kam sein neuer Freund bald zurück – er freute sich sehr auf seine Gesellschaft.
Es war wirklich an der Zeit, sich wieder unter Leute zu begeben.
Leute.
Menschen, Werwölfe und Kinfolk wie ihn selbst.