Die Sonne über Paris strahlte hell, als wir aufbrachen. Die Stimmung war trotzdem gedämpft. In der engen Straßenbahn versuchen wir - die Mädchen der Balettschule Paris - irgendwie den Mindestabstand einzuhalten: Vergeblich. Also rührten wir uns einfach so wenig wie möglich, als wäre das Virus ein T-Rex, der uns nur sehen könnte, wenn wir uns bewegten.
Nach einer erstaunlich kurzen Fahrt durch den Tunnel erreichten wir London: Einen großen, leeren Bahnhof in einer Art Tempel ohne Dach. Wir marschierten auf die großen Flügeltüren zu, der einzige Ausweg aus dem Hof. Die Wand ringsum war hoch, sicherlich dreißig, vierzig Meter. Ein Dach, von römischen Säulen getragen, stützte es außen und innen.
Ich flog einmal über die Mauer und kreiste über dem leeren Platz draußen. Es war wirklich faszinierend, endlich einmal das Muster auf dem antiken Steinboden erkennen zu können! Als zwei Carabinieri auftauchten, flog ich aber zurück zur Gruppe.
Wir wurden kontrolliert, weil wir natürlich deutlich mehr als die zwei zugelassenen Personen waren. Unsere Lehrerin erklärte, dass wir alle von der gleichen Mädchenschule kamen, also durften wir weiter. Wir stiegen in die Londoner Straßenbahn ein, die uns viel mehr Platz bot.
Während wir fuhren, erkannte ich viele Orte wieder. Vor zwei Jahren hatte ich eine Woche Urlaub mit meinen Eltern hier verbracht. Ich erkannte den Platz, über den ich mit meinem Vater Einkäufe durch den Regen geschleppt hatte. Und die schmale Straße, in der unsere Ferienwohnung gewesen war, eine Mietswohnung wie alle anderen. Wir hatten dort täglich gebibbert und gefroren. In London herrschte meisten schlechtes Wetter.
Erstaunte Rufe wurden laut. Wir passierten eine Stelle, wo Treppen zur U-Bahn führten. Das Geländer, das den Abstieg abschirmte - und die andere Seite, wo der Zaun die Straße neben den Schienen begleitete - waren mit bunten Tierkopfsymbolen verziert.
"Oh, ich erinnere mich, das ist der Zoo. Oder nur der Weg zur U-Bahn, die zum Zoo fährt?" Während ich rätselte, sah ich zur anderen Seite und erblickte ein total unauffälliges, grellbuntes, fettes Tor mit der Aufschrift "Zoo". Tja. "Nein, es ist der Weg zum Zoo!" Aufgeregt teilte ich meinen Tänzerfreundinnen das mit und wir starrten auf die weiten Parkflächen hinter dem Tor.
"Warum ist da jetzt niemand?"
"Die Ammis trauen sich alle nicht raus, aus Angst", erklärte ich und lästerte noch etwas weiter.
Glücklicherweise schrillte hier mein sogenannter Bullshit-Detektor, eine wahnsinnig wissenschaftliche und komplexe Funktion meines Unterbewusstseins, und ich wachte auch.
Nun.
Offenbar ist Corona in meinen Träumen angelangt!
Offenbar hat Traum-Marv nicht die leiseste Ahnung von Geografie.
Offenbar ist Fliegen zu langweilig und ich nehm lieber die Bahn.
Offenbar weiß Traum-Marv auch nicht, wer er ist. Das Schlimme war, dass ich eine halbe Stunde brauchte, bis mir klar wurde, dass ich noch niemals in London gewesen war. Die Stadt war nicht London - aber es war auch kein Ort, den ich jemals besucht hätte.
Träume, meine Freunde ... die machen mich fertig!
Übrigens, Traum-Marv hat auch eine Menge Vorurteile. Ich schwöre, das bin nicht ich. :D