Die Hexe sah Erny aus hoffnungsvollen Augen an. Erny wollte sich auf ihre Frage konzentrieren, aber sein ganzes Denken war auf den gewaltigen Buckel der Hexe gerichtet.
„Äh… w-wie war das?“, stammelte er aus dem Konzept gebracht.
„Ich verfolge eine Gruppe Orks. Ungefähr sieben Stück. Habt Ihr sie gesehen?“, wiederholte die Hexe ihre Frage.
Erny kniff angestrengt die Augen zusammen. Hatte sich ihr Buckel gerade bewegt?
„Äh, ach so. Ja, ja. Also… die hab´ ich gesehen“, brachte er schließlich heraus.
„Wirklich?“ Die Hexe klatschte vor Freude die Hände zusammen. „Könnt ihr mir mehr erzählen?“
Erny hatte nicht hingehört, zu sehr war er von der enormen Rückenkrümmung der Hexe abgelenkt. Er war sich ganz sicher: Der Buckel hatte sich bewegt!
„Vielleicht sollten wir uns irgendwo hinsetzen“, schlug die Hexe vor und zog Erny mit sich an einen Zweiertisch. „Ich bin Chanti die Wirre. Wie heißt Ihr?“
„Erny Rosträtchen. Was ist mir Eurem… Eurem…?“ Erny zeigte mit dem Zeigefinger auf Chantis Buckel.
Chanti warf einen Blick über ihre Schulter und lachte dann. „Das? Das ist bloß Leo.“
„Leo? Der Buckel hat einen Namen?“
„Nein doch! Leo ist mein Haustier.“
Erny sah sich die Krümmung an Chantis Rücken noch einmal genauer an und erkannte schließlich unter einem Haufen Stoff die schwarzfeuchte Nase eines Hundebabys hervorlugen.
„Puhhh“, seufzte er erleichtert. „Dann ist ja gut.“
Die Hexe lachte glucksend über das Missverständnis. „Nun, Herr Rosträtchen“, sagte sie, als sie sich wieder beruhigt hatte, „Vielleicht könnt Ihr mir jetzt mehr über die Orks erzählen.“
„Ach ja“, antwortete Erny, der sich nun wieder besinnen konnte. „Es waren vielleicht sieben oder acht Stück. Grässliche Kreaturen; saßen an einem Lager im Wald westlich von hier und haben gefuttert. Ich habe versucht, ihnen Dinge zu verkaufen, aus echter Zwergenqualität, aber sie hatten kein Interesse. Dabei führe ich ein vielseitiges Sortiment!“
„Habt Ihr vielleicht mitgekriegt, wohin die Orks ziehen? Habt Ihr etwas von ihren Plänen gehört? Sind irgendwelche Namen gefallen?“, wollte Chanti ungestüm wissen. Sie hatte sich nach vorne gelehnt und musste sich arg zurückhalten, die Antworten nicht aus dem Zwerg herauszuschütteln.
„Die haben was von einem Diebstahl erzählt. Und davon, dass sie etwas zum König der Hohen Lande bringen wollen. Es sind Namen gefallen, aber daran erinnere ich mich nicht so gut. Paul-Albert. Oder Günther-Jauch… Oder war es Jens-Johann? Es war etwas mit Jens“, überlegte der Zwerg.
„War es vielleicht Jens-Michael?“
„Gut möglich. Ja, ich glaube einer hieß Jens-Michael!“
Chantis Blick verfinsterte sich. „Das hatte ich befürchtet. Jens-Michael ist einer von Hans-Peters engsten Gefolgsleuten. Dann steckt er hinter allem.“
„Hans-wer?“, fragte Erny verwirrt.
„Hans-Peter, der Orkfürst aus den Moorlanden. Es heißt, allein der Name lässt einem das Blut in den Adern gefrieren! Die Orks leben seit jeher in Barbarei und Anarchie in ihren Landen. Aber er ist der Schlimmste von allen. Man nennt ihn auch den Blutigen Hanswurst, weil er jeden tötet, der ihm im Weg steht. Offensichtlich hat er mit seinen Schergen nach dem Tiegel gesucht. Und ihn gefunden. Aber er will den Tiegel nicht für sich. Er will ihn dem König der Hohen Lande bringen.“
„Bitte was? Den Tiegel?“
„Den Lichttiegel, genau.“
Und so erzählte Chanti dem Zwerg alles, was sie wusste. Er hörte ihr aufmerksam und angesichts der prekären Situation mit immer bleicherem Gesicht zu. Der Zwerg verstand die Gefahr, in welcher ihre ganze Welt schwebte, und bestellte sich zur Beruhigung seiner Nerven einen roten Martini bei Romma. Chanti gab er einen Gin Tonic aus.
„Keine Angst, Chanti. Ich werde dich morgen an den Ort bringen, an dem ich auf die Orks gestoßen bin. Und dann sehen wir weiter.“
Chanti entspannte sich ein wenig und hob ihr Glas. „Darauf trinken wir.“
„Prost!“
„Prost!“