Chanti klopfte wie vereinbart dreimal gegen die Kellertür. König Dani wartete hinter ihr auf den untersten Stufen der Treppe und tippte ungeduldig mit der Fußspitze auf den Absatz.
Chanti hatte nicht glauben können, dass der König auf ihren Schwindel mit den Hundebabys und den Süßigkeiten hereingefallen war. Den ganzen Weg vom Palas bis zu der heruntergekommenen Gaststätte war er ihr brav gefolgt und hatte den ein oder anderen verblüfften Blick der Burgbewohner auf sich gezogen. Darüber machte sich Chanti jedoch keine Gedanken, denn die Einwohner würden ihren Herrscher in wenigen Minuten erneut durch die Straßen von Burg Katzenschreck ziehen sehen – nur wäre es dann nicht mehr König Dani, sondern die Gestaltwandlerin.
Die Kellertür öffnete sich quietschend nach innen und Chanti bedeutete dem König, vor ihr einzutreten. König Dani wand sich erwartungsvoll an ihr vorbei in das dunkle Kellergewölbe. Es war leer.
„Ihr müsst bis ganz hinten durchgehen. Dort sind die Welpen“, ordnete Chanti an und trat ebenfalls in den Keller hinein. Unauffällig schloss sie die Tür hinter sich und schob den Metallriegel vor.
Der König war bis zum hinteren Ende des Kellers gelaufen und kam dort zum Stehen. „Ich sehe hier keine Hundewelpen.“
Plötzlich sprangen Erny, Jess und Meli aus dem Gerümpel hervor, zwischen welchem sie sich versteckt hatten, und warfen sich alle gleichzeitig auf den überrumpelten König.
Das schlechte Gewissen, das Chanti beim Anblick des in Stricken umwickelten Königs überfiel, konnte sie nicht unterdrücken.
„Was soll das? Wo sind die Hunde? Und die Süßigkeiten? Warum tut ihr das?“, jammerte der Landesherrscher weinerlich vor sich hin.
Als die Reisegefährten ihr Fesselwerk vollendet hatten, traten sie einen Schritt zurück und beäugten ihr Opfer.
„Das war ja leicht“, staunte Erny.
Dem König hatte es die Sprache verschlagen; mit offenem Mund stand er in der Ecke, unfähig sich zu rühren. Er gab ein erbärmliches Bild ab: Die Augen schimmerten tränennass und die protzige Krone hing schief auf seinem Kopf.
„Bringt ihm den Dreifuß. Ich glaube, der muss sich erstmal setzen“, befahl Chanti, und Erny kam ihrer Anordnung folgsam nach.
König Dani ließ sich auf den Dreifuß plumpsen, als hätten seine Beine ihn keine Sekunde länger getragen. Mit bleichem Gesicht sah er seine Entführer an. Sein Blick blieb an der alten Hexe hängen, die sein Vertrauen so schändlich missbraucht hatte. „Wieso?“, wimmerte er leise.
„Wieso?“, wiederholte Chanti und stemmte die Arme in die Hüften. „Wieso habt Ihr den Blutigen Hanswurst angeheuert? Wieso wollt Ihr den Lichttiegel besitzen? Wieso wollt Ihr die Macht, die ganze Welt zu unterjochen?“
„Woher wisst Ihr davon?“, fragte König Dani verwundert.
„Der Orkfürst war nicht unauffällig genug. Ich habe ihn gesehen und seine Pläne nach und nach aufgedeckt. Und jetzt antwortet mir: Was hattet Ihr mit dem Tiegel vor?“
„Ich… Ich wollte damit sämtliche Katzen dieser Welt verschwinden lassen.“
„WAS?“, empörte sich Meli. „Katzen sind die wunderbarsten Geschöpfe, die auf Erden wandeln! Sie sind grazil und selbstständig und wehrhaft. Und flauschig!“ Wie um ihre Rede zu untermauern, stellte sich Nike an die Seite der aufgebrachten Fee.
König Dani schreckte entsetzt zurück. „E-e-e-eine Katze!“
„Ganz recht!“, sagte Meli. „Die wunderbarste Katze dieser Welt.“
„Genug jetzt!“, ging Chanti dazwischen und drängte Meli zurück. „Wir sind hier nicht zum Teetrinken. Jess, fang an!“
König Dani beobachtete mit weit aufgerissenen Augen, wie Jess vortrat und ihm eine Hand auf den Kopf legte. Sie schloss die Augen konzentriert und holte tief Luft. Dann begann ihr Körper, sich allmählich zu verformen. Ihr gingen die Kopfhaare aus, ihre Nase wuchs zu einer dicken Knolle heran, auf ihrer Stirn erschienen tiefe Furchen, ihr Oberkörper quoll zu einem kleinen Bierbauch auf, an ihren Armen sprossen lauter kleine Härchen und sie ging noch einige Zentimeter in die Höhe. Sie sah dem König bald so ähnlich, als wäre sie sein Zwillingsbruder.
„Hexerei!“ König Dani rüttelte panisch an seinen Fesseln. „Dunkle Magie! Das ist eine Verschwörung! Ihr wollt den Thron stürzen! Aufständische! Zu Hilfe! Zu Hilfe!“
Seine Hilferufe erstickten, als Chanti ihm ein Stück Leinenstoff in den Mund stopfte. „So ist es besser. Aber etwas fehlt noch!“ Die alte Hexe befreite König Danis Kopf von der schweren Goldkrone und setzte sie der Gestaltwandlerin auf.
Jess drehte sich einmal im Kreis. „Und? Wie sehe ich aus?“
„Majestätisch“, hauchte Meli.