Violet Snape stand mit den anderen Erstklässlern vor dem großen Eichenportal der Großen Halle. Die Spannung brachte sie fast um. Gleich würden sie in die Halle gehen und ihren Häusern zugeteilt werden. Sicher, sie war die Tochter des Schulleiters und wusste schon so einiges über die Magie und natürlich über Hogwarts, aber jetzt wirklich hier zu stehen machte sie unfassbar nervös. All diese Leute, die zusehen würden, wenn sie den Sprechenden Hut aufsetzte. Was wenn sie nach Gryffindor kommen würde? Alle in ihrer Familie waren in Slytherin gewesen. Wie würde das aussehen? Oder Hufflepuff? Jeder wusste, dass nach Hufflepuff nur Leute kamen, die nix drauf hatten. Sie durfte gar nicht daran denken!
Endlich öffneten sich die großen Türen und sie gingen in Zweierreihen zwischen den Haustischen entlang. Violet konnte hunderte Augen auf sich ruhen spüren. Sie merkte wie zittrig ihr Gang wurde. Wahrscheinlich würde sie gleich ohnmächtig werden. Sie war so mit ihrer aufsteigenden Panik beschäftigt, dass sie gar nicht bemerkte wie die anderen Schüler fasziniert an die Decke schauten. Sie kannte Hogwarts und die verzauberte Decke sah sie nicht zum ersten Mal. Trotzdem war sie so in sich gekehrt, dass das alles komplett an ihr vorbei ging.
Nur die Ruhe! Nur die Ruhe!, sagte Violet sich immer wieder. Alles würde gut werden. Hoffte sie zumindest.
Vor ihnen stand eine junge Frau mit langen, braunen Haaren, die sie zu einem Zopf zusammengebunden hatte. Wie die anderen Lehrer trug sie eine weite, schwarze Robe, darunter jedoch ein schönes, dunkelblaues Kleid. In ihrer Hand ruhte eine Pergamentrolle und neben ihr stand ein kleiner, dreibeiniger Stuhl auf dem ein zerlumpter Filzhut lag. Der Sprechende Hut von Hogwarts. Seit hunderten von Jahren teilte er die Schüler auf ihre Häuser auf. Ob er sich schon mal richtig geirrt hatte?
Im Zug hatte Violet immer wieder darüber nachgedacht was wäre, wenn der Hut sie falsch einteilte. Ihre Eltern meinten zwar ständig, dass es selbst dann nicht schlimm wäre, wenn sie nach Gryffindor käme, aber mal im ernst: Das wäre megapeinlich! Der Gipfel an Scham, sozusagen! Niemand wollte nach Gryffindor! Es war das Haus in dem die Feinde des Dunklen Lords gelandet waren. Das wäre wie ein Brandmahl und ihr Vater konnte ihr nicht erzählen, dass es ihm egal wäre! Natürlich wollten ihre Eltern sie nicht verunsichern, das tat Violet ja schon zur Genüge selbst.
„Ich grüße euch, Erstklässler.“, sagte die Frau und riss Violet völlig aus ihren Grübeleien. „Ich werde euch aufrufen und anschließend setzt ihr euch auf den Stuhl und empfangt den sprechenden Hut, der euch auf eure Häuser einteilt. Es gibt Slytherin, Ravenclaw, Hufflepuff und Gryffindor. Alles im übrigen altgediente Häuser und jedes hat seine Geschichte, seine Helden und seine eigenen Vorteile.“
Sie rief die Schüler alphabetisch auf. Violet wusste, dass sie fast am Ende käme. Das machte es nicht besser. Am Liebsten hätte sie es gleich hinter sich gehabt. Sie war sich sicher, dann würde sie weniger leiden. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde sie schließlich aufgerufen.
„Snape, Violett“
Beim klang des Namens ging ein großes, aufgeregtes Getuschel an den Tischen los. Sie wusste, dass ihr Name sofort mit dem Schulleiter in Verbindung gebracht wurde. Sie sah mit ihren langen, schwarzen Haaren und den markanten Gesichtszügen ihrem Vater ohnehin recht ähnlich. Ob das etwas Gutes war oder nicht konnte Violett jedoch nicht sagen.
Nervös und völlig neben sich stieg sie auf den Stuhl. Ihr Herz raste und sie hielt unwillkürlich die Luft an als der Hut ihr über die Ohren ins Gesicht rutschte.
„Ah“, hörte sie eine Stimme in ihrem Kopf die definitiv nicht ihre eigene war. „Das ist interessant. Du bist wissbegierig und schlau, aber auch mutig und treu. Das wird eine schwierige Wahl. Es steckt so viel gegensätzliches in deinem Köpfchen. Sicher wärst du für jedes der vier Häuser eine große Bereicherung.“
Die Stimme schwieg. Einen langen Moment passierte gar nichts. Violet saß auf dem Stuhl und starrte furchtsam in die Reihen der Schüler. Sie biss sich nervös auf die Lippe.
„RAVENCLAW!“, rief der Hut schließlich.
„Puh!“, machte Violet. Kein Slytherin, aber Gott sei dank auch kein Gryffindor oder Hufflepuff! Sie stieg erleichtert vom Stuhl, nahm den Hut ab und ging mit unsicheren Schritten zum Tisch der Ravenclaws. Dort wurde sie mit großem Applaus empfangen. Sie setzte sich und sah über die Schulter nervös zum Lehrertisch. Sie konnte sehen wie ihr Vater ihr gewitzt zuzwinkerte. Zugegeben, Violet fiel ein Stein vom Herzen.
Nachdem die letzten Schüler ihren Häusern zugeteilt wurden räumte die Frau den Stuhl samt Hut in eine Ecke hinter den Lehrertisch und setzte sich neben ihren Vater. Dieser erhob sich und sofort kehrte in der Halle Ruhe ein.
„Ich heiße euch alle zu einem neuen Jahr in Hogwarts willkommen. Wie einige von euch bereits wissen erwartet uns dieses Jahr eine enorme Festivität. Die Schlacht von Hogwarts ist nun bereits über zehn Jahre her und das Ministerium sowie der Dunkle Lord wollen diesen Anlass feiern. Ich brauche hoffentlich niemanden daran zu erinnern, dass diese Feierlichkeiten enorm wichtig sind und dass ich erwarte, dass sich alle Schüler entsprechend benehmen werden. Zumal der Dunkle Lord persönlich daran teilnehmen wird. Ich erwarte also, dass sich Hogwarts von seiner besten Seite zeigt!“
Absolute Stille breitete sich aus. Einigen Gesichtern nach zu urteilen war die Aussicht darauf, dass der Dunkle Lord hier erscheinen würde, alles andere als beruhigend. Eine seltsame Mischung aus Ehrfurcht und Angst erfasste die Halle. Keiner von ihnen war alt genug, um die Schlacht von Hogwarts miterlebt zu haben. Aber sie alle kannten die Geschichten: Wie der der Dunkle Lord all seine Feinde, allen voran den Auserwählten, Harry Potter, hinweg gefegt hatte und wer das Gemetzel überlebte wurde noch an Ort und Stelle hingerichtet oder nach Askaban gebracht. Zuhause sprachen sie nie darüber. Ihr Vater wechselte dann immer das Thema und ihre Mutter tat so als ob sie Violets Frage nicht gehört hätte. Sie wusste dennoch, dass ihre Eltern damals dabei waren, auch wenn sie das Thema immer ausschwiegen
Severus Snape, der Schulleiter, setzte sich und das Festmahl begann. Zum Glück, denn das üppige Essen auf dem Tisch vertrieb Violets Gedanken und machte aus ihr eine glückliche Elfjährige. Für den Moment zumindest.