Narzissa brauchte Tage, um sich zu überwinden Lucius' Brief zu lesen. Obwohl sie sich nichts anmerken ließ traf sie sein Tod und wie er gekommen war tief. Vielleicht waren sie schlechte Ehepartner gewesen, doch irgendwie hatte sie immer vermutet, dass er sie ganz tief in sich verborgen vielleicht doch noch irgendwie geliebt hatte. Der Brief den er hinterließ las sich wie der Abschiedsbrief eines Selbstmörders.
Werte Narzissa,
wenn du diesen Brief erhältst bin ich wahrscheinlich schon tot. Ich möchte, dass du weißt, dass ich dir und Severus schon lange vergeben habe und dass ich auch wenn ich es selten gezeigt habe, dich immer sehr geachtet habe. Es stimmt, dass ich Dracos Tod nie verkraftet habe. Ich bin seitdem jeden Tag ein bisschen mehr gestorben. Wenn mein Körper also diese Welt verlässt, dann ist meine Seele schon längst gegangen. Das was ich getan habe tat ich weil ich keinen anderen Ausweg sah. Vielleicht bin ich kurzsichtig, wenn ich unseren Herren für den Tod unseres Sohnes verantwortlich mache, doch ich glaube ohne den Dunklen Lord wäre vieles anders gekommen.
Des weiteren möchte ich, dass du weißt, dass ich dir unser Anwesen samt Ländereien vermacht habe, da ich fand sie sollten nicht verwaisen und du konntest immer gut damit umgehen. Ich habe einen Notar beauftragt dir die entsprechenden Papiere zukommen zu lassen, wenn ich sterbe. Außerdem habe ich dir Anweisungen hinterlassen in unserem gemeinsamen Schließfach in Gringotts. Du wirst sehen, was ich meine.
Was Severus betrifft: Pass gut auf ihn auf. Ich weiß, dass ihn mein Tod schwer treffen wird. Außerdem neigt er zum unüberlegten vorpreschen, wenn er Emotional wird. Du kennst ihn ja.
In Liebe,
Lucius
Narzissa schluckte schwer. Für einen Augenblick fragte sie sich wie ihr Mann – nein, Ex-Mann – ihr das antun konnte. Hatte er das geplant? Hatte er einkalkuliert, dass sie ihn verraten würde? Dass sie nicht anders handeln konnte? Und das auch der Dunkle Lord nicht anders handeln würde? Und dann hatte er ihr Malfoy Manor vermacht. Warum? Sie hatte mit diesem Ort abgeschlossen! Es war nicht mehr ihr Zuhause!
Narzissa wischte sich eine Träne weg. Dieser elende Kerl! Dieser blöde Mann! Dieser … dieser …!
Offenbar hatte sie den Brief genau zur richtigen Zeit gelesen, denn vor ihrem Haus hörte sie das leise Pflop! eines Apparierzaubers. Narzissa ging zur Tür, um zu sehen wer da war. Es handelte sich um einen kleinen, untersetzten Mann in einem grauen Anzug mit einer gestreiften Krawatte. Er hob die Melone von seinem spärlich behaarten Kopf und grüßte ihr mit althergebrachter Höflichkeit.
„Misses Malfoy ...“, sagte der Mann.
„Snape.“, berichtigte Narzissa ihn.
„Ach ja, richtig. Entschuldigen Sie, alte Angewohnheit. Ich bin der Notar. Mister Bennings. Wenn ich reinkommen dürfte?“
„Natürlich.“, antwortete Narzissa und hielt ihm die Tür auf.
„Sehr freundlich. Können wir uns irgendwo ungestört setzen?“, fragte Mister Bennings als er hereinkam.
„Im Wohnzimmer.“, sagte Narzissa und führte den Notar zum großen Tisch im Wohnzimmer. Sie setzen sich. Der Notar öffnete seine Aktentasche und holte ein Bündel Papiere heraus.
„Erst einmal, herzliches Beileid für Ihren … ähm … ehemaligen Ehemann. Sind Sie bereits informiert?“
„Er hat einen Abschiedsbrief hinterlassen in dem er meinte Malfoy Manor gehöre jetzt wieder mir.“, sagte Narzissa.
„Ja, er hat Ihnen den gesamten Familienbesitz überschrieben, einschließlich des Bankverlieses in Gringotts und aller Schließfächer. Sie sind damit jetzt die alleinige Besitzerin.“ Mister Bennings legte noch einen Zettel auf den Papierstapel und deutete auf eine Stelle. „Wenn Sie hier bitte unterschreiben würden. Das ist die Bestätigung, dass sie sämtliche Akten und Besitzurkunden von mir erhalten haben.“
Der Notar zog einen Federhalter aus der Innentasche seines Anzugs und hielt ihn ihr hin.
Zögernd griff Narzissa danach und unterschrieb.
„Damit wäre mein Besuch zu Ende.“, sagte Mister Bennings, nahm das von ihr unterschriebene Blatt an sich und verstaute es in seiner Tasche. „Einen schönen Tag, wünsche ich.“
Der Notar erhob sich, hob erneut seinen Hut zum Gruß und ging aus dem Haus. Narzissa starrte auf den Stapel mit Akten.
Lucius, was hast du getan? , fragte sie sich angestrengt.
Sie zog den Stapel zu sich heran und sah ihn durch. Es waren tatsächlich alle Akten, Urkunden und sonstige Nachweise, dass sie nun die Eigentümerin sämtlichen Besitzes der Familie Malfoy war – wieder einmal.
Narzissa holte den Abschiedsbrief ihres einstigen Mannes und las ihn noch einmal. Er hatte Anweisungen hinterlassen? Was für Anweisungen? Sie würde nach Gringotts gehen müssen, um es herauszufinden.
--------------------------------
Die Bank Gringotts war schon seit Ewigkeiten in Besitz der Kobolde, die ihr Geld neidisch horteten und sich nach außen hin bedeckt gaben. Fast ebenso lange besaßen die Malfoys ein Verlies in den geheimen, von Drachen bewachten Tiefen weit unter London. Vielen Menschen entging dabei, dass nicht alle Wertgegenstände in diesen berühmten Verliesen lagen. Es gab wie in jeder anderen Bank der Welt auch mietbare Schließfächer für Kleinkram. Narzissa hatte ein solches mit Lucius besessen, bevor sie sich von ihm getrennt hatte.
In der Bank ließ sie sich von einem der Kobolde zu ihrem alten Schließfach bringen und es entriegeln. Darin befand sich ein großer, schwerer Umschlag, der mit ihrem Namen versehen war. Narzissa würde ihn ganz sicher nicht hier öffnen. Sie leerte das Schließfach und ging nach Hause. Dort öffnete sie den Umschlag, der aus einem weiteren Brief und einer kleinen, goldenen Schatulle bestand. Sie kannte dieses Kästchen. Darin hatten sich früher Andenken an ihre Hochzeit befunden. Behutsam öffnete Narzissa es. Innen befand sich ein schwerer, alt aussehender Schlüssel und ein goldener Ring, den sie nur allzu gut kannte. Es war Lucius' Ehering.
Dieser verdammte Kerl! , dachte sie nur bei dessen Anblick. Narzissa öffnete den Brief und las.
Werte Narzissa,
wenn du diesen Brief ließt, dann hast du meinen anderen bereits erhalten. Ich weiß, du wirst mich hassen, weil ich dich auf diese Jagd schicke, doch ich konnte niemanden vertrauen und bestimmte Dinge weiß niemand außer dir. So konnte ich sicher gehen, dass du und nur du meinen Hinweisen folgen kannst. Folge den Anweisungen, auch wenn du mich jetzt vielleicht hasst, weil ich tot bin und all das. Es ist von höchster Wichtigkeit, dass du tust worum ich dich bitte!
Der im beigelegten Kästchen enthaltene Schlüssel ist Teil des alten Verlieses unter dem Anwesen. Er passt lediglich in ein einziges Schloss. Dieses findest du, wenn du aufmerksam den Keller durchsuchst. Leider kann ich nicht präziser werden, falls dieser Brief in falsche Hände gerät.
Ach ja, und nimm Severus mit. Er ist bekannter Maßen ein guter Spürhund.
In Liebe,
Lucius
Narzissa verfluchte ihren Ex-Mann einmal mehr in Gedanken. Wenn das alles so unfassbar wichtig war warum konnte er es ihnen dann nicht einfach sagen? Dieser gottverfluchte Mann! Entnervt packte sie die Briefe und Papiere zusammen. Sie musste mit Severus darüber sprechen. Also packte sie alles in eine Umhängetasche aus Leder, zog sich ihren Reiseumhang über und machte sich auf den Weg nach Hogwarts. Es war ihr zu gefährlich es einfach hier liegen zu lassen.
Als sie mit einem leisen Pflop! Vor dem Schloss ankam machte sie sich zugleich auf den Weg in das Büro des Schulleiters. Sie klopfte an der Tür und ein müdes „Herein!“ folgte.
Severus saß wie immer an seinem Schreibtisch. Er sah sie erstaunt an, da er natürlich nicht mit ihr gerechnet hatte.
„Ich muss mit dir reden!“, sagte Narzissa.
„Ist etwas passiert von dem ich wissen sollte?“, fragte Severus.
„Allerdings. Ich möchte das jedoch lieber unter vier Augen besprechen.“, antwortete sie.
Ihr Mann nickte. Beide wussten sie, dass den Schutzzaubern im Schloss nicht zu trauen war. Er erhob sich und gingen nach draußen und taten so als würden sie einen Spaziergang am See machen.
„Also, was ist geschehen?“, fragte Severus erneut.
„Lucius. Ich habe den Brief gelesen. Er hat mir den gesamten Besitz der Malfoys vermacht und das offenbar nicht ohne Grund.“ Sie gab ihrem Mann den letzten von Lucius' Briefen. Der las ihn schweigend.
„Eine Schnitzeljagd. So kennt man ihn ja gar nicht.“, kommentierte Severus.
„Wir müssen zurück in das Anwesen. Was immer er dort versteckt hat ...“, begann Narzissa.
„... muss wichtig genug sein, um dafür zu sterben.“, schloss Severus ihren Gedanken.
„Was immer es ist … warum konnte er es uns nicht geben als er noch gelebt hat?“
„Das wüsste ich auch gern.“, antwortete Severus. „Hör zu, wir treffen uns in zwei Stunden am Eingang von Malfoy Manor. Ich habe hier noch was zu erledigen und es ist besser, wenn ich nicht überhastet aufbreche.“
„Sicher.“, sagte Narzissa. Sie wollte sich abwenden, um zu gehen, doch Severus hielt ihre Hand fest. Er strich mit dem Finger über ihren Handrücken, ließ sie dann aber schließlich los. Narzissa musste nicht hellsehen können, um zu bemerken wie schwer ihm das alles fiel.
Sie sagte nichts darauf, sondern ging von dannen.
--------------------------------
Wie besprochen trafen sich Narzissa und Severus zwei Stunden später vor dem Malfoy-Anwesen. Ohne die Menschen wirkte es seltsam leer. Lucius war offenbar so schlau pünktlich zu seiner Hinrichtung sämtliche Diener zu entlassen. Als habe er gewusst, dass sie ungestört sein müssten.
Verdammter Kerl! , dachte Narzissa erneut.
Sie gingen nach drinnen. Der Vorsaal lag dunkel vor ihnen. Severus zog seinen Zauberstab und ließ eine kleine, weiße Kugel die Szenarie erleuchten. Anschließend gingen sie die Kellertreppe hinab. Unten gab es neben den Verliesen und einer mittelalterlichen Folterkammer – die allerdings nur noch als Museum diente – vor allem noch einen nicht zu verachtenden Vorrat an Wein.
Die Verliese waren ebenfalls so mittelalterlich wie der Name vermuten ließ. Es gab vergitterte Zellen, aber auch Ketten an den Wänden an die früher Gefangene gebunden wurden. An einer der Halsschellen hing noch ein Skelett. Sie hielt das ja immer für einen üblen Scherz, weil es sich um ein echtes Skletett handelte von dem keiner mehr wusste wie es eigentlich dort hingelangt war. Vielleicht saß es da aber auch tatsächlich schon seit hunderten von Jahren und wartete auf seine Befreiung. Sie sahen sich um. Auf den ersten Blick fiel Narzissa nichts ungewöhnliches auf. Severus hingegen begutachtete das Skelett sehr genau.
„Das ist ein Witz.“, sagte Narzissa zu ihrem Mann. „Ein makaberer, alter Malfoy-Witz.“
„Vielleicht nicht ganz.“, antwortete Severus. „Hast du Lucius' Ring noch dabei?“
„Sein Ring?“, fragte Narzissa verwirrt.
„Ja, sein Ring.“, bestätigte Severus.
Narzissa holte die goldene Schatulle aus der Tasche, öffnete sie und gab Severus den Ehering. Severus nahm ihn und steckte ihn dem Skelett an den Finger. Dieses bewegte daraufhin die Hand und deutete auf eine Stelle an der Wand. Sie gingen in die Richtung auf die die knöcherne Hand zeigte. Severus klopfte gegen die Wand. Sie hörte sich irgendwie seltsam an. Nicht so als ob sie aus massiven Stein gebaut wäre.
Er nahm seinen Zauberstab und brachte die Mauer vor sich mit einem Lichtblitz zum Einsturz. Dahinter offenbarte sich ein weitaus älterer Gang voller Spinnenweben.
„Das ist mir in der Tat neu.“, sagte Narzissa verblüfft.
Mit einem kleinen Brandzauber vertrieb Severus die Spinnenweben und kletterte über die Mauerreste in den Gang. Narzissa folgte ihm. Sie gelangten an eine alte, aber massive Eisentür.
„Ich vermute, hierfür ist dann der Schlüssel.“, sagte Severus. Narzissa gab ihn ihm. Er steckte ihn ins Schloss und drehte ihn herum. Sie hörten das massive Geräusch von zur Seite geschobenen Riegeln. Quietschend öffnete sich die Tür und offenbarte einen seltsamen Raum voller noch seltsamerer Gerätschaften, Truhen und Ordnern. Es wirkte wie ein Lager für Kuriositäten. Auf eine absurde Art erinnerte es Severus und Narzissa an das Büro von Dumbledore als er noch Schulleiter war.
Dumbledore, auch so ein verdammter Mann!
Severus ging zu einer der Truhen und öffnete sie. Darin befanden sich Bücher, Briefe und allerhand Pergamentrollen. Er entrollte eine und erkannte sofort die Handschrift von Albus Dumbledore.
„Dieser schlaue, alte Fuchs.“, sagte Severus. Er ging zu einer der anderen Kisten und öffnete sie. Das selbe Spiel. Bücher und Schriftrollen in der Handschrift des einst größten Zauberers.
„Was ist das?“, wollte Narzissa wissen.
„Wie es aussieht hat Lucius etwas von dem gerettet, was Dumbledore über die Jahre zusammengetragen hat. Wo auch immer er das her hat. Ich dachte eigentlich die Todesser hätten alles vernichtet.“
„Und wie bringt uns das weiter?“, fragte Narzissa, die noch immer nicht begriff, was das alles sollte.
„Das finden wir nur heraus, wenn wir es lesen. Lucius hat uns aus einem bestimmten Grund hierher geführt. Vielleicht hatte der alte Mann doch noch einen Plan B von dem wir nichts wussten.“
„Hmm, du musst zur Schule. Wie es aussieht bin ich diejenige, die sich durch dieses ganze Zeug wühlen muss.“, sagte Narzissa.
„Suche nach irgendetwas, dass mit Voldemort zu tun hat. Lucius wollte ihn unbedingt erledigen und er war sich sicher, dass es funktionieren würde. Ohne einen Beweis wäre er das nicht gewesen.“
„Akten sortieren. Das Leben einer Hausherrin.“, entgegnete Narzissa trocken.
„Ich komme wieder sobald ich kann.“, sagte Severus.
Narzissa nickte nur verstehend. Sie würde Tage brauchen, um das alles ordentlich durchzusehen.