Severus konnte nicht schlafen. Fast jede Nacht schlug er sich um die Ohren bei dem Gedanken an das was kommen sollte. Es war nun schon fast April und die Feierlichkeiten Anfang Mai schienen geradezu auf ihn zu zurasen. Seit Monaten schrieb er Briefe und stellte Anträge an das Ministerium, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Was ihn jedoch wirklich beschäftigte waren nicht die bürokratischen Spielchen, sondern was er tun würde, wenn es soweit war. Es war nicht nur die drohende Verantwortung falls sie es wirklich schafften Voldemort zu beseitigen. Nein, auch falls sie scheiterten. Er und Narzissa würden das nicht überleben. So viel war klar. Doch was geschähe mit ihrer Tochter? Würde man sie mit ihnen zusammen töten oder würde ihr ein noch grausameres Schicksal zuteil werden? Nein, daran durfte er nicht denken! Sie mussten es schaffen! Sie mussten Voldemort töten! Ihm dieses verdammte Schwert abnehmen! Aber wie?
Severus ging im Gedanken immer wieder die Route bei der Eröffnung durch. Voldemort wollte einen Triumphmarsch durch Hogwarts veranstalten. Hunderte Zuschauer aus der Schule, dem Ministerium, Gesellschaft und Politik. Dazwischen der Innere Kreis der Todesser und alle möglichen Sicherheitsleute. Und Voldemort trug das Schwert immer an seinem Gürtel. Ablegen würde er es nicht. Zumindest nicht freiwillig. Alles würde darauf hinauslaufen, dass er, Severus Snape, sich in einem offenen Kampf dessen bemächtigen musste. Er musste gegen Voldemort kämpfen.
Severus stieg aus seinem Bett und rieb sich müde die Augen. Draußen war es noch dunkel. Er zog sich etwas über und ging hinaus. Es war nicht das erste Mal, dass er einen nächtlichen Spaziergang unternahm. Es war eine alte Angewohnheit von früher. Als er noch versuchte Harry Potter zu schützen. Damals war er manchmal jede Nacht im Schloss unterwegs in der Hoffnung er könne den Jungen von den gröbsten Dummheiten abhalten. Das schien ihm mittlerweile alles so lange her. Selbst nach dem Krieg war es nicht gut um seinen Schlaf bestellt. Todesser, die gegeneinander intrigierten. Sei es an der Schule oder im Ministerium. Immer musste man auf alles gefasst sein. Einzig seine Liebe zu seiner Frau und seiner Tochter sorgte dafür, dass er diese Jahre überstand. Ohne sie hätte er schon längst aufgegeben.
Severus ging über die Ländereien zum Verbotenen Wald, der um diese Uhrzeit noch dunkler und undurchdringlicher wirkte als am Tage. Er ließ eine kleine Lichtkugel auf seiner Handfläche aufsteigen damit sie den Weg erhellte und er sich im Dickicht nicht den Hals brach. Violets Abstecher in den Wald waren ihm nicht verborgen geblieben und so hatte er selbst sie einige Male beschattet ohne sich zu zeigen. Severus wusste also von Ted Lupin und davon wie sie versuchte ihm etwas beizubringen. Er bewunderte seine Tochter in gewisser Weise dafür, dass sie ohne zu fragen oder eine Gegenleistung zu verlangen einem im Wald hausenden Werwolf das Lesen und Schreiben beibringen wollte. Sie tat es einfach, weil sie es für richtig hielt. Ihm waren dabei natürlich nicht Teds Annäherungsversuche entgangen. Als Vater hätte er das vermutlich sofort unterbunden, wenn Violet es nicht von selbst getan hätte. Dass Severus nicht eingreifen musste machte ihn auch froh, weil sonst hätte er ja zugeben müssen, dass er Violet überwachte und das hätte sie ihm sicherlich übel genommen. Jetzt hingegen war es tatsächlich Ted Lupin mit dem er reden wollte.
Als er auf der Lichtung ankam waren da nur die glimmenden Reste eines Lagerfeuers. Severus setzte sich auf den quer liegenden Baumstamm und holte ein Päckchen Zigaretten aus seiner Jackentasche heraus. Er steckte sich eine an und wartete. Severus wusste nicht wie lange er dort saß, doch irgendwann regte sich etwas im Dickicht und ein riesiger, schwarzer Werwolf kam auf ihn zugeschossen. Er zuckte nicht mit der Wimper als die Bestie sich auf die Hinterbeine stellte und das Maul aufriss, ganz wie ein Bär, der zu einem Revierkampf ansetzte.
„Komm schon, verwandel dich zurück. Ich muss mit dir reden.“, sagte Severus ganz ruhig. Er wusste um Teds Besonderheit, dass er vom Mond unabhängig die Gestalt wechseln konnte. Sicher ein Erbe der guten Nymphandora.
Ted schnaufte widerwillig. Er schrumpfte und seine Klauen und Pranken zogen sich zurück bis er wieder seine menschliche Form annahm. Das schwarze Haar bildete sich zurück. Er schüttelte sich, um das restliche Fell loszuwerden und der Irokese auf seinem Kopf färbte sich rot, obwohl er vor einem Augenblick noch die dunkle Farbe seines Fells hatte. Nackt stand Ted vor ihm und sah ihn finster an.
„Woher wissen Sie von diesem Ort?“, wollte er wissen.
„Nennen wir es Instinkt.“, antwortete Severus.
Ted ging hinüber zu einem Baumstumpf und holte einen geflickten, alten Rucksack daraus hervor. Er öffnete ihn und holte seine übliche Kleidung daraus hervor. Severus wartete bis der Junge sich angezogen hatte.
„Also, was wollen Sie?“, fragte Ted schließlich.
„Setz dich. Keine Angst, das wird keine Predigt.“, sagte Severus und deutete auf den freien Platz neben sich.
Ted beäugte ihn skeptisch, tat dann aber worum er ihn bat.
„Ich brauche deine Hilfe, Ted.“
„Meine Hilfe?“, fragte der Werwolf ungläubig.
„Falls unser Unterfangen schief geht, dann muss sich jemand um Violet kümmern. Du hast lange ohne Hilfe überlebt.“
„Sie wollen, dass ich fliehe? Nein, ich bin hier, um mit diesem Schwein Voldemort abzurechnen! Er hat meine Eltern umgebracht!“, entgegnete Ted seltsam aufgebracht.
„Ich weiß wer deine Eltern getötet hat und es war nicht Voldemort.“, entgegnete Severus. „Wenn ich es dir sage, versprichst du dann auf meine Tochter aufzupassen?“
„Natürlich war es Voldemort!“, erwiderte Ted ohne auf Severus einzugehen.
„Er gab den Befehl, aber die Tat ausgeführt hat Fenrir Greyback. Du kennst ihn sicherlich. Deine Eltern … sie hatten ein derartiges Ende nicht verdient. Keiner von denen, die an diesem Tag starben hatte es verdient. Keiner! Weder Harry noch die gute Minerva noch deine Eltern … und ich konnte nicht mehr tun als dabei zuzusehen. Alles nur durch eine dumme Ironie des Schicksals, durch eine Fehlkalkulation.“ Severus wusste nicht wieso, aber er musste das alles loswerden. All die Jahre hatte er geschwiegen, doch jetzt brach es aus ihm heraus.
„Also haben Sie es zugelassen?“, fragte Ted.
„Was hätte ich schon tun können? Ich, als letzter Überlebender? Auch du kannst sie nicht alle allein töten. Ich verstehe, dass du Rache möchtest, aber dieser Weg führt nirgendwo hin.“, sagte Severus.
„Und warum helfen Sie uns dann?“, wollte Ted wissen.
„Ich tue das nicht für mich. Ich tue es für meine Familie. Sie ist das Einzige, was mir noch bleibt. Deshalb möchte ich, dass du mit Violet fliehst falls die Sache schlecht ausgeht. Vergiss Voldemort oder Grayback. Geh auf das Festland oder in die Staaten. Es gibt so viel mehr Möglichkeiten wie man sein Leben verbringen kann. Alles ist besser als das hier.“
„Ich dachte immer der Schwarze Falke fürchtet nichts und niemanden.“, sagte Ted.
Severus lachte auf.
„Der Schwarze Falke hat nie existiert. Es war ein Schauspiel und jetzt ist es zu Ende.“
„Sie tun so als wären Sie schon tot.“, sagte Ted.
„Sagen wir einfach, mein Vorrat an Hoffnung hat sich über die Jahre aufgebraucht. Und selbst wenn ich es schaffen sollte ihn zu töten; die Todesser werden sich zerfleischen wenn kein Kopf mehr da ist, der sie lenkt. Und ich wäre womöglich gezwungen Voldemorts Platz einzunehmen.“, erklärte Severus.
„Warum?“, fragte Ted.
„Unser Herr und Meister hat eine Regel, die besagt, dass wer auch immer es schafft ihn niederzustrecken der neue Dunkle Lord wird. Ich bin mir ziemlich sicher die hat er sich ausgedacht, weil er glaubte, es würde ohnehin nie jemanden gelingen. Damit könnte der Bastard sogar recht behalten.“
„Sie haben Angst vor dem, was kommt, egal ob sie gewinnen oder verlieren.“, sagte Ted.
„Ja.“, gab Severus zu. „Das alles war nicht meine Entscheidung. Nichts von alldem.“
„Aber Sie können sie treffen.“, erwiderte Ted. „Sie können sich verkriechen, Snape, oder sie treffen endlich eine Entscheidung, nämlich die, dass es ihr Überleben wert ist.“
„Mann“, entgegnete Severus „du könntest dich mit meiner Frau zusammen tun.“
Ted erhob sich und ging schweigend auf und ab bis er schließlich sagte: „Ich werde nicht gehen. Nicht solange noch die Chance besteht all das zu beenden. Falls Sie scheitern wäre ihre Tochter nicht die Einzige, die leiden würde. Genau deshalb muss es gelingen. Zur Not zerfleische ich den Dunklen Lord mit meinen bloßen Händen.“
Severus atmete tief. Irgendwie hatte er mit so einer Antwort ja gerechnet.
„Deine Klauen werden in diesem Falle kaum etwas ausrichten. Wir brauchen das Schwert von Gryffindor, um ihn endgültig zu töten und das trägt er immer bei sich. Ich werde einen offenen Kampf anzetteln müssen.“
„Dann brauchen Sie ein Ablenkungsmanöver.“, sagte Ted. „So was kann ich.“
„Das glaube ich dir sogar.“, antwortete Severus. „Hmm, hast du noch Kontakt zu Amelia?“
„Sie meinen, ob ich ab und zu ins Schloss schleiche?“, fragte Ted und grinste.
„Das ist ja auch nicht besonders schwierig, wenn ich die Wachposten extra schwach besetzen lasse.“, entgegnete Severus. „Wenn du schon nicht meiner Bitte nachkommst, dann musst du dich halt nützlich machen. Es ist wohl Zeit für einen Kriegsrat.“
„Endlich.“, sagte Ted und wirkte aufgregt.
„Freu' dich nicht zu früh, meine Frau ist ein wesentlich zäherer Verhandlungspartner als ich.“, antwortete Severus. „Ich gebe dir Bescheid über Zeit und Ort. Bis dahin solltest du dich unauffälliger verhalten als du es bisher getan hast.“
„Hmpf.“, machte Ted nur.
Severus drückte seine Zigarette auf dem Baumstumpf aus und machte sich auf den Weg zurück ins Schloss.
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Severus wusste, dass in Hogwarts die Wände Ohren und die Türen Augen hatten, daher fand er es am besten, wenn sie sich bei ihm Zuhause trafen. Ted schlich ohnehin immer zwischen den Büschen herum, da konnte er ihn auch gleich ins Haus einladen.
Narzissa hatte nichts dagegen. Also fand ihr „Kriegsrat“ Anfang April in der Küche des Landhauses statt. Zugegeben, es wirkte schon etwas seltsam wie die vier Verschwörer bei einer Tasse Tee den Mord an Lord Voldemort planten. Severus hatte jedoch keine Zeit mehr alles hinaus zu schieben. Die Angst hatte lang genug Besitz von ihm ergriffen.
„Also gut, ich mache es kurz und schmerzlos ...“, begann Severus. „Ich habe genaue Instruktionen vom Ministerium wie die Feierlichkeiten abzulaufen haben. Der günstigste Moment wird es sein Voldemort bei seiner Rede in der Großen Halle anzugreifen. Ich sehe keine Möglichkeit wie ich unbemerkt an das Schwer kommen kann also werde ich den ersten Schritt tun und ihn angreifen. Das wird kein faires Duell also brauche ich Rückendeckung. Ein Ablenkungsmanöver, welches die Sicherheit und die Todesser im Schach hält bis der Kampf entschieden ist.“
Ted hob unsicher die Hand.
„Ja?“, fragte Severus.
„Ich biete mich als Ablenkungsmanöver an.“
Amelia öffnete den Mund als wolle sie etwas sagen, doch sie schloss ihn gleich wieder. Ted blickte sie von der Seite an, doch dann fuhr er fort.
„Ich bin der meistgesuchte Verbrecher des Ministeriums. Die werden ganz scharf darauf sein mich in die Finger zu kriegen.“
„Du sollst da kein Blutbad anrichten.“, versuchte Severus klar zu stellen. „Es geht nur darum, dass sie abgelenkt sind.“
„Ted sollte das nicht allein machen.“, hakte Amelia nun ein. „Ich werde ebenfalls etwas Krach machen. Ein paar hundert Leute werden dort sein und sie sollten alle möglichst wenig an Severus denken.“
„Ihr dürft nicht vergessen, dass wir nur zu Viert sind.“, gab Narzissa zu bedenken.
„Ich weiß nicht, ob unsere Anzahl ausschlaggebend ist.“, antwortete Severus. „Der Orden hatte einst einige hundert Mitglieder im ganzen Land und trotzdem ist es dem Alten Mann nicht gelungen Voldemort zu bezwingen. Unsere Unterzahl könnte ein Vorteil sein. Das ganze Sicherheitskonzept ist auf die Abwehr eines großflächigen Angriffs ausgelegt. Als würde den ernsthaft jemand versuchen wollen. Einen Attentäter aus ihrer Mitte werden sie nicht erwarten. Warum auch? Es ist schließlich ihre Siegesfeier.“
„Dann bin ich an deiner Seite, für den Fall, dass die Ablenkung doch nicht so gut klappt wie erhofft. Voldemort ist kein Gegner, dem man sich allein stellen sollte.“, sagte Narzissa.
Severus ließ seine Frau gewähren, es hätte ohnehin keinen Sinn gemacht sich mit ihr zu streiten. Natürlich wollte sie ihn nicht allein in diesen Kampf ziehen lassen. Zugegeben war er auch froh darüber, dass sie nicht von seiner Seite wich.
„Die Schüler werden ebenfalls in der Großen Halle anwesend sein. Verwickelt sie nach Möglichkeit nicht in Kämpfe, es sei denn natürlich sie stellen sich offen gegen euch. Ich will die zivilen Verluste so gering wie möglich halten.“, erklärte Severus.
„Weiß deine Tochter davon?“, fragte Amelia.
„Wir haben entschieden, dass es besser ist, wenn sie nichts weiß.“, antwortete Narzissa.
„Verstehe.“, sagte Amelia.
„Ich mache mir keine großen Hoffnungen, falls wir scheitern wird man sich unsere Tochter vorknöpfen. Der Dunkle Lord ist halt wie er ist.“, fügte Severus hinzu.
Sein Blick kreuzte sich für einen Augenblick mit dem von Ted, der jedoch sofort wegsah. Er erinnerte sich an Severus' Bitte. Vielleicht würde es sich erst noch entscheiden, ob sie fliehen würden oder nicht.